DIE ÖKUMENISCHE NOTFALLSEELSORGE IM RAUM SALZBURG (ÖNFS)



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Transkript:

ALEXANDER HUCK DIE ÖKUMENISCHE NOTFALLSEELSORGE IM RAUM SALZBURG (ÖNFS) Die Anfänge In der ersten Hälfte des Jahres 1999 wurde Österreich von drei Katastrophen erschüttert: den beiden Lawinen-Katastrophen von Galtür und Valzur mit insgesamt 38 Toten und dem Brand im Tauerntunnel mit zwölf Toten. Auf dem Hintergrund dieser Ereignisse reifte der Plan, von seelsorglicher Seite ein Kriseninterventionsteam bereitzustellen, welches etwas später als Ökumenische Notfallseelsorge bekannt wurde. Im April 2000 schließlich machte man sich auf die Suche nach, wie es damals hieß, zehn bis zwölf Kandidatinnen und Kandidaten. Auch ich meldete mich für diese Aufgabe. Ziemlich überraschend wurde ich dann im November 2000 zu einer ersten Ausbildungsveranstaltung mit dem Titel CISM-Basic (= Critical Incident Stress Management, Stressmanagement nach kritischen Ereignissen ) 1 eingeladen. Veranstalterin dieses Workshops war allerdings nicht die Erzdiözese selbst, vielmehr wurde er von den Salzburger Notfallpsychologinnen und -psychologen im Rahmen ihrer eigenen Zusatzausbildung angeboten. Sponsor war die Präsidialabteilung Katastrophenschutz des Landes Salzburg. Sozusagen als Repräsentanten anderer Notfall-Einrichtungen waren mit mir noch zwei weitere Seelsorger sowie zwei Ärzte eingeladen. Etwa zwei Stunden nach Seminarbeginn erreichte uns die Nachricht, daß es in der Standseilbahn von Kaprun zu einem Brand gekommen sei. Es war der 11. November 2000. 155 Menschen erstickten damals im Rauch. Es war eine der größten Katastrophen, die sich jemals in Österreich ereignet hatten. Erste Erfahrungen im Zusammenhang mit der Seilbahn-Katastrophe von Kaprun Seelsorgliche Akutbetreuung und die Geburtsstunde der Ökumenischen Notfallseelsorge im Bundesland Salzburg Ein Kollege des heutigen Notfallseelsorge-Teams, den ich damals noch gar nicht 203

Alexander Huck 204 kannte und der in Kaprun den ersten Einsatz hatte, schildert seine Erfahrungen folgendermaßen: Ich hatte von der Kirchenleitung bereits eine Beauftragung zum Notfallseelsorger. Den Anstoß gaben das Grubenunglück von Lassing (1998) und der Brand im Tauerntunnel. Als ich im Radio von dem schrecklichen Unglück hörte, wandte ich mich an das Rote Kreuz und teilte diesem mit, daß ich für einen Einsatz in Kaprun zur Verfügung stünde. Wenig später wurde mir vom Roten Kreuz mitgeteilt, ich sollte mich zum Unglücksort begeben. Also setzte ich mich in meinen Wagen und fuhr los. Um etwa 12:45 traf ich in Kaprun ein, ohne Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Der Einsatzleiter schickte mich dann zum Krisenzentrum, das man provisorisch in der Jugendherberge eingerichtet hatte. Da es zu dieser Zeit noch keine Organisationsstruktur für einen Einsatz von Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern gab, schloß ich mich einer Gruppe von Psychologen an und wartete in der Tennishalle, welche für den großen Ansturm von Menschen vorbereitet war, die mit der Sorge um das Schicksal ihrer Angehörigen in Kaprun zu erwarten waren. Es kamen nur sieben an diesem ersten Abend. Etwas später gab es einen ökumenischen Gottesdienst in der Feuerwehrhalle, den der Ortspfarrer und einige andere Seelsorger, darunter auch ich, gemeinsam gestalteten. Am nächsten Tag habe ich telefonisch Verstärkung angefordert, zuerst Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger aus Kärnten, später auch aus Tirol. Zu dieser Zeit war schon sehr viel Betrieb, die Situation im Krisen-Zentrum ziemlich unübersichtlich. Eine große Menge an betroffenen Menschen hatte sich eingefunden. Als Gesprächspartnerinnen und -partner hielten wir uns zur Verfügung. Es handelte sich dabei um ein offenes Angebot. Ob jemand davon Gebrauch machen wollte, war seiner Entscheidung überlassen, die wir zu respektieren hatten. Das bemerkenswerteste und eindrucksvollste Erlebnis für mich war der Abend, als die mutmaßliche Liste der Opfer bereits erstellt war und die Angehörigen gruppenweise und in alphabetischer Reihenfolge in einen abgeschirmten Raum eingeladen wurden. Dort wurden sie damit konfrontiert, daß sich ihre vermißten Familienmitglieder sehr wahrscheinlich unter den Todesopfern befinden würden. In den Prozeß dieser Benachrichtigung eingebunden waren neben allen Krisenhelfern auch wir. Erst nach dem Einsatz wurde mir bewußt, daß ich viel zu lange durchgehend vor Ort war, ganze fünf Tage, ausgenommen die Nächte, die ich zu Hause verbringen konnte. Am Ende waren meine psychischen Batterien leer. Das, was wir damals dringend gebraucht hätten, war eine brauchbare Organisationsstruktur und Mitarbeiter, die wir rasch hätten alarmieren können. Diesbezüglich stellt sich inzwischen die Situation wesentlich besser dar. Heute weiß ich, es gibt ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für Kri-

Die ökumenische Notfallseelsorge im Raum Salzburg sensituationen bereit stehen, und wir sind jetzt auch mental viel besser auf ein derartiges Ereignis vorbereitet. Die Geburtsstunde unseres Teams ereignete sich aus meiner Sicht am 15. November, als mit der Bergung der letzten Opfer aus dem Gletschertunnel und der Abreise der betroffenen Angehörigen der Einsatz der Notfallseelsorger beendet war. Am Abend dieses Tages saßen in Kaprun einige Leute beisammen, unter ihnen auch Generalvikar Dr. Johann Reißmeier, und berieten über die notwendigen Schritte zur Errichtung eines Teams, das heute die Bezeichnung Ökumenische Notfallseelsorge im Raum Bundesland Salzburg trägt. Critical Incident Stress Debriefing Ich selbst fuhr nicht sofort nach Kaprun zum Akut-Einsatz, sondern blieb mit den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern des CISM-Kurses zunächst in Salzburg. Wir meldeten lediglich unsere Einsatzbereitschaft an den Krisenstab, falls man unsere Unterstützung benötigen sollte. Wir wußten aber auch, daß mit Beendigung der Arbeiten im Tunnel Leute für die Zeit danach notwendig sein würden, um vielen Betroffenen, vor allem aber auch denjenigen Unterstützung anzubieten, die geholfen hatten, und dabei teilweise an die Grenze ihrer Belastbarkeit gingen. Eine Voraussetzung für den Einsatz danach ist allerdings eine gewisse psychische Neutralität, das heißt, daß Helferinnen und Helfer für weiterführende Maßnahmen nach Katastrophen nicht schon zuvor, während der Akutphase, im Einsatz gewesen sein sollten. Viele von uns nahmen aus diesem Grund weiter am Workshop teil, wo die Aufmerksamkeit verstärkt dem aktuellen Ereignis galt und konkret notwendige organisatorische Schritte geplant und entwickelt wurden. Einige andere unterbrachen und fuhren sofort nach Kaprun. Etwa 14 Tage nach dem Ende der Bergungsarbeiten nahm ich dann zusammen mit drei Psychologinnen an der Durchführung eines sogenannten Debriefings 2 teil. Wir arbeiteten mit einer Gruppe von ca. 14 Krisenhelfern. Aus Gründen der Diskretion und wegen der zeitlichen Nähe zum Ereignis kann und will ich nicht auf Einzelheiten eingehen. Es war für mich jedoch eine beeindruckende Erfahrung, die Nähe zu spüren, die entsteht, wenn Menschen miteinander über Erfahrungen sprechen, die sie im Innersten berührt und erschüttert haben, Menschen, die sich vor wenigen Stunden teilweise noch nicht einmal kannten. Auf dem Weg zu einem Team Ein halbes Jahr nach Kaprun, am 3. Mai 2001, waren 25 Interessenten, welche sich auf die kircheninterne Umfrage im Vorjahr gemeldet hatten, von Dr. Wolfgang Müller und Mag. Michael Max zu einem Starttreffen eingeladen, um die Rahmenbedingungen für ein Notfall-Team bzw. eine Grundausbildung zu sondieren. 205

Alexander Huck Das KAT-Lager 2001 bei Abersee Der Katastrophenzug des Roten Kreuzes veranstaltete im Juni 2001 bei Abersee das sogenannte KAT-Lager, welches gewöhnlich einmal pro Jahr stattfindet. Hierbei handelte es sich um ein Katastrophen-Training unter freiem Himmel mit Zeltlager. Auch wir Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger sowie die Notfallpsychologinnen und -psychologen waren eingeladen, daran teilzunehmen. Im Rahmen einer Übung, bei welcher ein Rafting-Unfall simuliert wurde, hatten wir Gelegenheit, die Rolle einer Seelsorgerin und eines Seelsorgers, eines Opfers oder eines Angehörigen zu übernehmen. Es war aber auch möglich, aus der Position des Zusehers heraus die Szene einfach nur zu beobachten. Das Wesentliche jedoch, so schien es mir, war die Gelegenheit, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die uns voraussichtlich irgendwann, bei unserer Arbeit in einer realen Einsatzsituation, als Kollegen wieder begegnen würden. Die erste Ausbildungswoche In der Woche vom 17. bis 21. September 2001 fand endlich die erste notfallseelsorgliche Grundausbildung statt für insgesamt 18 Kandidatinnen und Kandidaten. Wir erfuhren das Wichtigste über Krisenintervention, psychologische und physiologische Hintergründe sowie Verlauf von Psychotraumata, übten in Rollenspielen, lernten die Organisationsstruktur des Roten Kreuzes kennen und setzten uns mit spezifisch seelsorglichen Aufgaben für die Zeit nach einem kritischen Ereignis auseinander. Wenn damit das Team einsatzbereit wurde, ändert dies nichts an der Tatsache, daß für die Zukunft weitere, aufbauende Aus- und Fortbildungsmodule geplant sind dies nicht nur, um unsere Ausbildung zu vervollständigen, sondern auch im Sinn eines fortwährenden Trainings: Einerseits sind die Konzepte zur Bewältigung von Krisen keine ein für alle mal fertigen Produkte, sondern sie entwick eln sich permanent weiter, andererseits bedarf es der ständigen Auseinandersetzung, um die hohen Qualitäts-Standards sicherzustellen, welche im Notfallund Krisenbereich zu Recht gefordert sind. Alarmierungsstruktur, Bereitschaftsprofil und das Lungauer Modell 206 Im Bedarfsfall alarmiert wird die Notfallseelsorge über das Rote Kreuz. Seit der Grundausbildung im Jahr 2001 hat sich allerdings Gott sei Dank! im Bundesland Salzburg keine Katastrophe ereignet, bei der man uns angefordert hätte. So gab es auch keinen Bedarf bei der Hochwasser-Katastrophe im Sommer 2002, das heißt, wir wurden noch nicht im Rahmen einer realen Einsatzsituation tätig. Dies gilt zunächst für deklarierte Katastrophen und Großschadensereignisse, für die wir derzeit primär zur Verfügung stehen. Andererseits ist uns sehr wohl bewußt,

Die ökumenische Notfallseelsorge im Raum Salzburg daß die von den kleinen Katastrophen des Alltags unmittelbar Betroffenen kaum weniger in ihrer Lebensgewißheit erschüttert werden als die Menschen im Umfeld eines Großereignisses. Gemeint sind plötzliche Todesfälle in der Familie, Suizid, Verkehrsunfälle mit Todesopfern, tödliche Arbeitsunfälle, auch Todesfälle von Einsatzkräften in Ausübung ihres Dienstes usw. Generell können wir in solchen Situationen vor allem aufgrund eines Mangels an Kapazitäten vorerst noch nicht tätig werden, arbeiten jedoch darauf hin, eine flächendeckende Bereitschaft so rasch wie möglich zu realisieren. Eine Ausnahme stellt die Situation im Lungau dar, wo regional ein Team von drei Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern seit Dezember 2001 im Einsatz ist und bereits einige Alarmierungen hinter sich hat. Diese erfolgen hier nicht zentral über die Landesleitstelle des Roten Kreuzes, sondern über die örtliche Rot-Kreuz-Stelle. Gewöhnlich bleiben Seelsorger bei jenen Menschen, zu denen sie gerufen werden, meist Angehörige von Opfern, so lange diese sie brauchen. Das kann schon manchmal ein paar Stunden Zeit in Anspruch nehmen. Gelegentlich kann eine Betreuung auch längerfristig erforderlich sein, etwa in Form von Telefonaten während einiger Wochen im Anschluß an ein kritisches Ereignis, wo eine Person nicht mehr vor Ort ist, oder man besucht gemeinsam eine Kapelle, wenn dies der Betroffene wünscht. Fallweise erfordert ein Einsatz interdisziplinäre Koordination mit anderen oder Überweisung an andere Stellen, zum Beispiel mit oder zu einer Notfallpsychologin bzw. einem Notfallpsychologen oder einer Institution des Gesundheitssystems. Daß das Engagement des Lungauer Teams in der Bevölkerung auf wertschätzende Resonanz trifft, bestätigt eine dort tätige Seelsorgerin: Es gibt viele positive Rückmeldungen und auch herzlichen Dank, die mich immer wieder erreichen. Zusammenkünfte, bei denen über Einsatzerfahrungen gesprochen wird, finden regelmäßig statt und sind eine wichtige und selbstverständliche Voraussetzung für die Arbeit. Auch Helfer nehmen Belastendes von den Einsatzorten mit und brauchen daher selber von Zeit zu Zeit Entlastung. Eine wichtige Grundhaltung und -regel bei solchen inter- oder supervisorischen Gesprächen ist natürlich der diskrete Umgang mit den Inhalten der Erfahrungsberichte, welche den geschützten Rahmen der Gruppe nicht verlassen dürfen. Entlastung? Wovon eigentlich? Die Hintergründe und Motive unserer Arbeit haben mit menschlicher Gesundheit oder Erkrankung zu tun und werden im nächsten Abschnitt kurz erläutert. Wozu braucht es Notfallseelsorge? Bei der Notfallseelsorge handelt es sich um ein sehr junges kirchliches Aufgabengebiet, eigentlich um ein brandneues. Die Frage, ob und wozu wir dieses überhaupt brauchen, hat von da her ihre Berechtigung: Waren die bisherigen Aufgabenfelder 207

Alexander Huck unzureichend, oder haben sich die Zeiten geändert? Ist Notfallseelsorge womöglich ein überflüssiger Luxus, der nur unnötig Geld kostet? Die Zeiten haben sich offenbar tatsächlich geändert: Das, was wir heute als kritisches Ereignis bezeichnen, gab es zwar immer schon. Die Aufmerksamkeit, die wir diesem Phänomen zuwenden, sowie die Erkenntnis darüber, welche gesundheitlichen Folgen eine psychische Traumatisierung nach sich ziehen kann, ist jedoch etwas Neues. Kritische Ereignisse Ein kritisches Ereignis kann definiert werden als jedes Ereignis, welches eine so starke Streßeinwirkung auf eine Person ausübt, daß ihre gewohnten Bewältigungsmechanismen überfordert sind. 3 Wir sind daran gewöhnt, tagtäglich Streß zu ertragen und diesen im allgemeinen erfolgreich zu verarbeiten. Ein gewisses Maß an Streß kann sogar wünschenswert sein. Zu einem Problem bzw. Versagen dieser Funktion der Streßverarbeitung kommt es erst dann, wenn wir mit einem Ereignis konfrontiert werden, das nicht in unser vertrautes Bild der Wirklichkeit paßt. Dies kann ein Ereignis sein, welches wir für gewöhnlich als Katastrophe bezeichnen, etwa der Absturz eines Flugzeugs, ein terroristischer Akt mit zahlreichen Toten und Verletzten, wie er sich am 11. September 2001 in New York zugetragen hat. Aber auch eine kleine, alltägliche Katastrophe kann uns aus der Bahn werfen, so der plötzliche Todesfall innerhalb einer Familie, ein Arbeits- oder Verkehrsunfall oder ein Gewaltverbrechen, das von den Betroffenen kaum weniger katastrophal empfunden wird als ein Großereignis mit Schlagzeilen in den Medien. Ja sogar der Verlust des Arbeitsplatzes, Geld- oder Beziehungsprobleme können zu Krisen führen, die den Einzelnen überfordern. Grundsätzlich kann man sagen, daß die Menschheitsgeschichte reich ist an Katastrophen und Krisen, die ihre Spuren nach sich ziehen. So leiden heute über 15 Prozent aller Vietnam-Veteranen unter Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). 4 In Summe handelt es sich dabei immerhin um 960.000 Menschen! 5 PTBS Posttraumatische Belastungsstörung 208 Bei der sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Erkrankung, die erst relativ spät Eingang in die Diagnostik fand. 6 Sie zeichnet sich, ähnlich wie ihre Vorstufe, die akute Belastungsreaktion, aufgrund der Variationsbreite traumatischer Situationen einerseits 7 und individueller Reaktionen andererseits 8 durch ein breites Spektrum an Symptomen aus und ist ohne konkrete Information über das vorangegangene kritische Ereignis nur schwer diagnostizierbar. Posttraumatische Streßreaktionen können sich in körperlichen, kognitiven, emotionalen oder Symptomen auf der Verhaltensebene manifestieren, etwa in Form

Die ökumenische Notfallseelsorge im Raum Salzburg von Schlafstörungen, Übelkeit, Verwirrung, Alpträumen, Aggression, Depression, sozialem Rückzug, Drogenkonsum etc. Bleiben die Betroffenen unversorgt, kann es in weiterer Folge zur Ausbildung von PTBS kommen, welche als eine Art Erregungsstörung bzw. pathologischer Unfähigkeit zur Erregungsmodulation verstanden werden kann. Im weiteren Verlauf können sich unter anderem verminderte Arbeitsfähigkeit oder auch Arbeitsunfähigkeit, eine Beeinträchtigung der sozialen Fähigkeiten, psychische und/oder psychosomatische Beschwerden einstellen, ein Krankheitsbild, 9 dessen Verlauf manchmal im Suizid endet. Man weiß heute, daß dieser Erkrankung auch physiologische Veränderungen im Gehirn 10 zugrunde liegen, welche bei verspätetem Einsetzen der Behandlung nicht zur Gänze rückgängig gemacht werden können. Etwa zwei Drittel der Betroffenen bewältigen eine psychische Traumatisierung alleine. Bei den übrigen entsteht mit einer Wahrscheinlichkeit von 8 bis 15 Prozent PTBS. Aus dem Gesagten folgt als Konsequenz, daß die gesundheitlichen Schäden, welche sich aus einem traumatischen Erleben ergeben können, selbst rein materiell gesehen, im Sinn einer gesellschaftlichen Ökonomie, nicht verharmlost oder vernachlässigt werden dürfen, und es stellt sich die Frage: Was können wir tun, um die schädlichen Auswirkungen traumatischen Erlebens zu verringern oder zu neutralisieren? Die Bekämpfung von PTBS Die ersten Ansätze zur Bekämpfung des Phänomens, welches wir heute als PTBS bezeichnen, reichen in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurück. Damals erkannte man im Zusammenhang mit der Behandlung von Kriegsneurosen, daß früh einsetzende Interventionen das Auftreten chronischer psychiatrischer Störungen reduzieren. 11 Das heute weltweit am meisten verbreitete Konzept zur Prophylaxe nach belastenden Ereignissen ist CISM (siehe oben), welches das gesamte zeitliche Spektrum der Streßbewältigung umfaßt, angefangen von spezieller Schulung und Ausbildung für Einsatzkräfte und Personen mit erhöhtem Risiko (zum Beispiel Bankangestellte) über Einzelbetreuung im akuten Krisenfall, Gruppeninterventionen in der Zeit zwischen dem Ende eines Einsatzes und vier Wochen danach, schließlich die weitere Betreuung oder Überweisung Einzelner an Spezialisten im Gesundheitssystem. So eine weiterführende Behandlung oder Betreuung kann sich über Wochen und Monate erstrecken, manchmal auch über Jahre. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde in dieses ständig in Entwicklung befindliche Konzept auch die seelsorgliche Krisenintervention 12 als eigener Punkt aufgenommen. Allerdings deckt sich die Intention dieser Einsatzart von Notfallseelsorge nicht hundertprozentig mit dem Bereitschaftsprofil des Salzburger Teams, welches darüber hinaus auch die Krisenintervention in der Akutsituation abdeckt. 209

Alexander Huck Was aber geschieht bei einer Krisenintervention, und wie läßt sich deren Wirksamkeit erklären? Krisenintervention Krisenintervention auf psychologischer oder seelsorglicher Ebene kann definiert werden als rasch einsetzende emotionale Erste Hilfe, um den psychischen Zustand des Betroffenen zu stabilisieren und akute Symptome von Streß zu reduzieren; der Betroffene wird unterstützt, zu einem Zustand angemessener Situationsanpassung zurückzukehren. 13 Es handelt sich also um eine Art emotionaler Begleitung, die jedoch von seelsorglicher oder psychologischer Begleitung im landläufigen Sinn oder gar von Psychotherapie unterschieden werden muß. Krisenintervention passiert manchmal beinahe wortlos, in Situationen, da Menschen nicht oder kaum sprachfähig sind. Sie erkundet auch nicht die Tiefen individueller Lebensgeschichten oder -situationen. Sie hält sich prägnant und richtet ihren Fokus auf das aktuelle Geschehen. Es geht um Überbrückung der momentanen Lage, nicht um Bearbeitung lebensgeschichtlicher Daten. Letzteres kann zu einem späteren Zeitpunkt geschehen, zum Beispiel im Rahmen einer Psychotherapie oder auch seelsorglichen Begleitung bei einigen wenigen, die trotz durchgeführter Interventionen im Sinn des CISM-Konzeptes zu keiner ausreichenden Stabilisierung gelangen konnten. Die Wirkfaktoren im CISM Everly und Mitchell 14 glauben, daß sich die Wirksamkeit des CISM-Konzeptes aus vier Faktoren zusammensetzt: Frühe Intervention, das Angebot psychosozialer Unterstützung, die Möglichkeit, sich auszudrücken und schließlich Krisenschulung. Was ist im Einzelnen unter diesen Faktoren zu verstehen? 1. Der Faktor Zeit: Frühe Intervention Früh einsetzende Interventionen reduzieren, wie oben bereits dargestellt, erheblich das Risiko der Erkrankung. Unter früh kann der Zeitraum bis ca. 4 Wochen nach einem Ereignis bzw. nach dem Einsetzen der Symptome einer akuten Belastungsstörung betrachtet werden (was bei verspätet einsetzender Symptomatik auch erst mehrere Monate nach einem Ereignis sein kann). Der früheste Zeitpunkt ist natürlich der, welcher unmittelbar auf ein Ereignis folgt, d.h. die Zeit der akuten Krisenintervention, welche oft am Ort des Geschehens stattfindet. Für diese Aufgabe stehen wir derzeit von der Notfallseelsorge in erster Linie zur Verfügung. 210

Die ökumenische Notfallseelsorge im Raum Salzburg 2. Der Faktor Mensch: Angebot psychosozialer Unterstützung Der für die Bewältigung von Krisen hoch bewertete Wirkfaktor psychosoziale Unterstützung entspringt der Erfahrung, dass der Mensch als wesentlich sozial ausgerichtetes Wesen die Unterstützung anderer braucht und zwar in vielen Lebenssituationen, nicht nur während einer Krise. Es handelt sich um eine Art Bedürftigkeit nach menschlicher Zuwendung sowie sozialer Zugehörigkeit. Wird diese Art von Unterstützung in einer Notsituation gewährt, lässt sich etwa die Angst deutlich reduzieren. Bereits die bloße Anwesenheit eines anderen Menschen kann dies bewirken. 3. Der Faktor Sprache: Die Möglichkeit, sich auszudrücken Daß ein Reden über das, was belastet und kränkt, entlastend und heilsam wirkt, ist für Seelsorgerinnen und Seelsorger ebenso selbstverständlich wie für viele andere psychosoziale Berufe. Überhaupt scheint vieles aus unserer Wirklichkeit erst durch die geäußerte Sprache begreifbarer, geordneter zu werden. Neben der Sprache im eigentlichen Sinn gilt dies in bestimmten Situationen und dort, wo vorläufig keine Worte verfügbar scheinen, auch für nicht-verbale Äußerungen, etwa einen unartikulierten Schrei oder eine Geste des Körpers. 4. Der Faktor Verstehen: Krisenschulung Für Menschen in einer Krise hat sich ein Teil der Wirklichkeit so verändert, daß er nicht mehr zu den bisherigen Erwartungen paßt. Theoretisch wissen wir zwar, was uns zustoßen kann. Fast täglich werden wir im Fernsehen Zeugen katas trophaler Ereignisse, die anderen widerfahren. Daß auch wir eines Tages in eine ähnliche Situation geraten könnten, wird dabei aber zu wenig bewußt gemacht, und nur ein Teil von uns verfügt hinreichend über Möglichkeiten, um den mit einer tatsächlichen Katastrophensituation verbundenen Streß zu bewältigen. Einer der acht Punkte des CISM ist daher einer präventiven Strategie gewidmet, nämlich der Schulung und Ausbildung von Personengruppen mit erhöhtem Risiko (siehe oben). Hierdurch wird das Verstehen von Krisenprozessen ermöglicht, es werden angemessene Erwartungen aufgebaut und praktische Bewältigungsmöglichkeiten vermittelt. So kann nach einem Kontrollverlust, wie ihn Menschen in einer Krise oft erleben, die Situation leichter wieder in den Griff genommen werden. Ökonomische Aspekte der Stressverarbeitung bei kritischen Ereignissen 211

Alexander Huck Die Statistiken, welche sich auf das Ausmaß von Traumatisierungen, gesundheitlichen Schäden oder Kosten-Nutzen-Rechnungen beziehen, sind zwar aufgrund verschiedener Studien-Designs, geographischer Unterschiede mit je unterschiedlichen Gegebenheiten etc. entsprechend uneinheitlich, belegen aber alle ausreichend die Bedeutung der Krisenintervention, wie sie in diesem Artikel dargestellt wurde. Ich möchte nur ein Beispiel herausgreifen: In einer Studie aus dem Jahr 1996, welche die ökonomische Effizienz der Betreuung kanadischen Pflegepersonals nach kritischen Ereignissen untersucht, beträgt das (geschätzte) Verhältnis der Ausgaben für CISM gegenüber denjenigen, welche ohne CISM (das heißt mit dem Auftreten von PTBS bei einem Teil) anfallen würden, 1 : 7,09. 15 In diesem Beispiel handelt es sich zweifellos um einen relevanten ökonomischen Faktor. Auch wenn andere Untersuchungen im Vergleich bescheidener ausfallen und vielleicht nur die Hälfte an Effizienz zeigen, müssen wir davon ausgehen, daß eine qualifizierte Streßbearbeitung bei kritischen Ereignissen im allgemeinen und Notfallseelsorge im besonderen ökonomisch mehr als gerechtfertigt sind. Was kann Notfallseelsorge leisten? Die Qualität des Angebots 212 Seelsorgerinnen und Seelsorger sind von ihrer Tätigkeit her im allgemeinen gewohnt, Menschen in Krisen beizustehen, manchen davon über einen längeren Zeitraum hinweg. Zur Entwicklung ihrer Qualifikation sowie Erhaltung von Motivation und Arbeitskraft nehmen viele von ihnen regelmäßig Supervision in Anspruch, ergänzt durch den Besuch spezifischer Fortbildungsveranstaltungen. Von da her haben sie sehr gute Voraussetzungen, um im Rahmen der Notfall arbeit tätig zu sein. Auf eine gute und gründliche Spezialausbildung sowie ständige Fortbildung kann darüber hinaus dennoch nicht verzichtet werden, weil der Kontext, in welchem sich Notfälle ereignen, in vieler Hinsicht von dem anderer seelsorglicher Tätigkeiten, etwa innerhalb einer Gemeinde, einer Klinik oder einer anderen Kategorie, abweicht: So erfordern öffentliche Notfälle die reibungslose Zusammenarbeit mit anderen Einsatzkräften und Behörden, den professionellen Umgang mit den Medien, bei extensiveren Formen persönlicher Betroffenheit die Fähigkeit zur Einschätzung persönlicher Gesundheitsrisiken, gegebenenfalls eine Inanspruchnahme psychohygienischer Unterstützung und manches mehr. Für viele mag die Kosten-Nutzen-Relation dieses Seelsorge-Segments auf den ersten Blick wenig Attraktives an sich haben. Dies liegt in der Natur der Sache, geht es ja um die Vorbereitung und das Training für einen Tag X, den niemand herbeisehnt und von dem jeder hofft, er käme nie. Daher sind verglichen mit der zeitlichen Dauer des eigentlichen Einsatzes die Investitionen davor ungewöhnlich

Die ökumenische Notfallseelsorge im Raum Salzburg hoch. Die Zusatzausbildung, welche als Standard für alle Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger vorgesehen ist, befähigt zur Krisenintervention im Akutfall (Eins-Zu- Eins-Betreuung). Zusätzlich steht bei Bedarf und je nach Zeitpunkt die gesamte Palette spezifisch seelsorglicher Unterstützung zur Verfügung wie seelsorgliche Begleitung, Gebet, Deutung von Lebenswenden aus der Perspektive des Glaubens, Sakramente, Gottesdienst, Rituale sowie Überweisung an andere Stellen mit kirchlichen oder kirchennahen Hilfsangeboten. Weitere, speziellere Arten von (seelsorglicher/psychischer) Unterstützung können darüber hinaus je nach individuellem Aus- und Fortbildungsstand einzelner Notfallseelsorger angeboten werden. Die Quantität des Angebots Über das Ausmaß dessen, was Notfallseelsorger leisten können, entscheiden nicht nur die Qualifikation, sondern auch faktische Kapazitäten bzw. die Rahmenbedingungen für Einsätze. Da es um ein relativ junges seelsorgliches Tätigkeitsfeld geht, liegen derzeit nur einige wenige Erfahrungswerte vor. Die vorhandene Integration in bestehende Versorgungsstrukturen ist aus diesem Grund noch in Entwicklung und muß weiter optimiert werden. Obwohl wir bemüht sind, neben der Bereitschaft für den Großschadensfall auch eine solche für die kleinen Notfälle des Alltags aufzubauen, erlaubt die geringe Anzahl der Mitglieder zur Zeit noch keine flächendeckenden Einsätze dieser Art (mit Ausnahme des Lungaus; siehe oben). Daß auf diese Art viele Menschen, die Hilfe bräuchten, tatsächlich keine erhalten, wirkt sich unter anderem auch negativ auf die bereits oben angesprochene Kosten-Effizienz-Relation aus, da vorhandene Ressourcen nur zu einem kleinen Teil genutzt werden können. Unser Anliegen muß es demnach sein, so rasch wie möglich dafür zu sorgen, daß im Bundesland Salzburg ein Kriseninterventions-Team (KIT) für kleine Notfälle bereitsteht. Da dies die Seelsorge vor allem aus der Sicht personeller Ressourcen allein voraussichtlich nicht leisten kann, ist hier eine intensivierte und integrativere Zusammenarbeit mit anderen Notfall-Gruppierungen (Notfallpsychologen u. a.) dringend erforderlich. Leider wird der aus der Notfallarbeit resultierende positive ökonomische Effekt auch vom Gesundheitssystem oder anderen öffentlichen Stellen derzeit noch zu wenig wahrgenommen. Ich meine aber, daß sich die Idee eines umfassenden und flächendeckenden Konzepts zur Bekämpfung von PTBS langfristig auch bei uns durchsetzen wird, weil wir es uns schon aus ökonomischen Gründen nicht werden leisten können, darauf zu verzichten, und noch viel weniger aus humanitären. Erfreulicherweise ist es innerhalb der Kirchen bereits gelungen, ein institutio- 213

Alexander Huck nelles Fundament für diese Art der Seelsorge bereitzustellen, auf dem weiter gebaut werden kann. Theologie, Anthropologie, Psychologie 214 - ó ˆ«Ó=«Û«² óó«óóáó Ó=«Û«²ÓÇ«² «óóì «æ«v ŽÓl Û «²ÓÌ«²ˆ«læ v Óó^v Ó«ó«œÓŽ «ûˇ æûˆ Ûv «óó!lûv ó ŽŽÓ! áûûv ^áóˆ«^æž«óó ^l«ó}ó «²Óˆ«ÇÊ óæ v Ó««²Ó^œÓ- óûž «ˆÓ óó«óóû««æûû²ˆæ v «ÛÓO «œ^óüáó«²ç^²ž«óóçb²«}óáó ÓÇ«æv «²Ó ^²æ«ˆŽ}ÓÇ «Ó* ² ÛŽ«óÓ ^ÜáÓºûœœ«ó}Ó á²v Óº² Ž Ûv «Ó-²«ˆó ÛÛ«Ó) «Ž²û «ó«óüáól«ž²«á«óàó, «Ó) «ˆæ«ŽáóˆÓ ÌûóÓº²^óº«óÓáó Óæ««ó «óó? «óûv «óó ^ŽÓ óó «²Ó< ²v «ÓŒ«ûv Ó«ó«ÓÛûÓæ^óˆ «Óáó Ó ^áv ÓÛ«ælÛŽÌ«²ÛŽbó æ v «ÓO²^ Ž ûó}ó ^ Ó«ÛÓœ ²Óäl«² æäûû ˆÓ«²Ûv «óž}ó «²ÜáÓ«ó«Ó ^áû ä ²æ v «ÓO «ûæûˆ «ÓÜáÓ«óŽÇ vº «æóà Ein Novum mag darin liegen, daß Notfallseelsorge präventiv ist. Die Menschen, zu denen wir gerufen werden, sind ja in der Regel noch nicht an PTBS erkrankt, vielmehr geht es darum, sie davor zu schützen. Im Gegensatz dazu ist etwa die klinische Seelsorge den Kranken und natürlich auch den sie betreuenden Gesunden gewidmet. Vom Grundgedanken her macht dies jedoch keinen Unterschied, da beide Aufgaben die Linderung menschlichen Leides zum Ziel haben. Die Anthropologie kommt also erst am Ende dieses Beitrags zu Wort und folgt damit dessen logischem Aufbau: Ausgangspunkt war das Faktische, die Entwicklungsgeschichte, das was ist. Von dort aus habe ich versucht, die Hintergründe und Motive der Entwicklung darzustellen, deren Ursprung wiederum in einem Motiv gründet, welches wir in christlicher Tradition als Nächstenliebe bezeichnen. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang nur das vielleicht bekannteste biblische Vorbild für den Dienst am leidenden Nächsten, nämlich die Erzählung vom Barmherzigen Samariter 16 mit der Aufforderung Jesu: Geh und handle genauso. Daß es sich dabei in erster Linie um physisches, in der Seelsorge dagegen oft um psychisches Leid handelt, ist von untergeordneter Bedeutung, denn Notfallseelsorge ist eine von vielen Konkretisierungen dieser Hinwendung zum Mitmenschen, die auch jenseits von seelsorglichem Tun in vielfältiger Form zu finden ist. Die Erzählung vom Barmherzigen Samariter hat nicht die Bekehrung des verwundeten Nächsten, sondern menschliche Zuwendung im Blick. Ebenso muß Notfallseelsorge über konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Grenzen hinwegsehen können. Auch jede Aufarbeitung im therapeutischen Sinn, etwa von Schuld, hat in Krisensituationen nichts verloren. Krisenintervention, gleichgültig von wem sie durchgeführt wird, sollte überhaupt gekennzeichnet sein durch eine Behutsamkeit des Angebots, das heißt, niemals aufdringlich wirken. Da Menschen in Krisen vielfach einen Verlust an Kontrolle erfahren, wäre es kontraindiziert, dort Hilfe anzubieten, wo die Betroffenen Problemstellungen aus eigener Kraft bewältigen. Dies würde ihr Gefühl der Hilflosigkeit nur noch verstärken. Bis hierher unterscheidet sich die theologische Sichtweise nicht wesentlich von

Die ökumenische Notfallseelsorge im Raum Salzburg der anderer Gruppierungen im Notfallbereich, für die alle letztlich der Dienst am Mitmenschen im Zentrum steht. Darüber hinaus haben spezifisch seelsorgliche Perspektiven ihren Platz dort, wo der Glaube an Gott direkt etwa anläßlich eines Rituals, bei Gottesdiensten, oder wenn Personen ihren Glauben zur Sprache bringen oder indirekt, wenn der Kontext der seelsorglichen Betreuung es nahe legt, zum Thema wird. Bei vielen Menschen erschließt die Auseinandersetzung mit ihrem persönlichen Glauben zusätzliche psychische Ressourcen für die Rückkehr zur Normalität. 17 Eine derartige Auseinandersetzung wird sich in der Regel, wie gesagt, erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand vom kritischen Ereignis anbieten, weniger in der akuten Krisensituation selbst. Dank für engagierte (Aufbau-)Arbeit und ein Blick in die Zukunft Zuletzt möchte ich allen, die ihren Beitrag zur Entwicklung der ökumenischen Notfallseelsorge im Bundesland Salzburg geleistet haben, herzlich danken: Erzbischof Dr. Georg Eder für das Bereitstellen des pastoralen Raums, ohne den sich diese Einrichtung nicht hätte entfalten können, Generalvikar Dr. Johann Reißmeier, Mag. Dietmar Orendi u. a. für deren Engagement in der ersten Stunde in Kaprun und deren konzeptuelle und organisatorische Arbeit bis heute, Mag. Max Michel und Dr. Wolfgang Müller für ihre Pionierarbeit bei der Teamentwicklung und letztlich allen, die als Mitglieder der Notfallseelsorge mitgeholfen haben, die zahlreichen Herausforderungen der Aufbauphase zu meistern, von denen ein Großteil noch vor uns liegt. Schließlich gilt mein Dank all jenen, die diese Einrichtung auf verschiedene Weise unterstützt und begleitet haben. Ich hoffe, daß es uns gemeinsam mit anderen gelingen wird, die Entwicklung des Notfall-Versorgungssystems im Bundesland weiter voranzubringen, um unseren Dienst in absehbarer Zeit flächendeckend anbieten zu können als Prophylaxe gegen PTBS oder einfach als seelische Unterstützung für Menschen in Krisensituationen. Anmerkungen 1 Unter kritischen Ereignissen werden solche Ereignisse verstanden, bei denen eine bestimmte, kritische Schwelle psychischer Belastung überschritten wurde und bei welchen die normalen psychischen Bewältigungsmechanismen zum Wiedererreichen einer Stabilisierung häufig versagen (s. weiter unten). Bei CISM handelt es sich um ein umfassendes, mehrteiliges Konzept zur Bewältigung von psychischen Krisen. Entwickelt wurde es in den 1990er Jahren in den USA von George S. Everly und Jeffrey T. Mitchell. Vermittelt wird die CISM-Ausbildung bei uns gewöhnlich in Form von drei Ausbildungsmodulen: Basic- sowie Aufbaukurs für Gruppen-Interventionen, Einzel-Krisenintervention in der Akutphase. 2 Critical Incident Stress Debriefing (CISD), ein strukturiertes Gruppengespräch von ca. 2,5 Stun- 215

Alexander Huck den Dauer zur Herabsetzung oder Aufhebung schädlicher psychischer Wirkungen von kritischen Ereignissen (Gesamtdauer mit Vor- und Nachbereitung ca. 5 Stunden). 3 George S. Everly, Jeffrey T. Mitchell: CISM Stressmanagement nach kritischen Ereignissen. Wien 2002, S. 24. 4 Posttraumatische Belastungsstörung (engl. posttraumatic stress disorder, PTSD); typisch ist dafür unter anderem ein sich lebhaftes Aufdrängen von Eindrücken Bildern, Gerüchen etc., die im Zusammenhang mit dem Ereignis stehen und sich sowohl im Wachzustand als auch im Schlaf einstellen, den sogenannten Flashbacks. 5 Diese Zahlenangabe basiert auf einer mündlichen Information im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung. 6 PTBS wurde erst 1994 in den bei uns verwendeten, sogenannten ICD 10 (international classification of deseases) aufgenommen, etwas früher, bereits im Jahr 1980, in das amerikanische Diagnose-Schema ( DSM III, diagnostic and statistic manual of mental disorders) als PTSD. 7 Vgl. G. Fischer, P. Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie. München, Basel 2 1999, S. 41. 8 Ebd. 9 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Erkrankung. 10 Beobachtet wurde vor allem eine Schrumpfung des Hippocampus. 11 George S. Everly, T. Mitchell-Jeffrey (wie Anm. 3), S. 18. 12 Pastoral crisis intervention. 13 George S. Everly, Jeffrey T. Mitchell (wie Anm. 3), S. 18. 14 Ebd., S. 94 ff. 15 Basiert auf einer mündlichen Information im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung. 16 Lk 10,25 37. 17 Rückkehr zur Normalität steht hier nicht in einem pathologischen Begriffs-Kontext. Es geht einfach nur um ein Wieder-Zurück-Finden zum gewohnten Lebensrhythmus, zu gewohnten Perspektiven und Verhaltensweisen im Anschluß an ein kritisches Ereignis. 216 Anschrift des Verfassers: Mag. Alexander Huck Christian-Doppler-Klinik Ignaz-Harrer-Straße 79 5020 Salzburg