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Transkript:

Bsw 35123/05 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Urbanek gegen Österreich, Urteil vom 9.12.2010, Bsw. 35123/05. Art. 6 Abs. 1 EMRK - Zugang zu einem Gericht trotz hoher Verfahrensgebühren. Verbindung der Einrede der Regierung mit der Entscheidung in der Sache (einstimmig). Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig). Keine Notwendigkeit, über die Einrede der Regierung abzusprechen (einstimmig). Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig). Keine Notwendigkeit der weiteren Untersuchung der Beschwerde unter Art. 13 EMRK (einstimmig). B e g r ü n d u n g : Sachverhalt: Zur beschwerderelevanten Zeit war der Bf. praktizierender Anwalt und vertrat die Gesellschaft H. 2001 wurde gegen diese ein Insolvenzverfahren vor dem LG St. Pölten eingeleitet, in dem der Bf. Forderungen in Gesamthöhe von 2.453.283,23 geltend machte. Der Masseverwalter erkannte seine Forderungen jedoch nur insoweit an, als sie mit dessen für die Gesellschaft H. geleisteten Diensten, nicht jedoch mit Diensten für andere Rechtsträger der Unternehmensgruppe, zusammenhingen. Unter 110 Konkursordnung (KO) erhob der Bf. beim LG St. Pölten Klage auf eine deklaratorische Entscheidung darüber, dass er Anspruch auf 2.405.374,44 aus dem Vermögen der Gesellschaft habe. Den Streitwert, der

2 Bsw 35123/05 als Grundlage für die Bemessung der Gerichtsgebühren dient, schätzte er auf 36.000,. Dies entsprach offensichtlich der von ihm erwarteten Quote im Insolvenzverfahren. Auf dieser Basis zahlte er Gerichtsgebühren in Höhe von 551,. Das LG St. Pölten legte den Streitwert am 15.10.2002 mit 2.405.374,44 mit der Begründung fest, es handle sich um eine geldwerte Forderung, die nicht Gegenstand einer Schätzung sein könne. In seiner dagegen erhobenen Berufung machte der Bf. geltend, er sei, da der Masseverwalter seine Forderung bestritten habe, darauf angewiesen, eine deklaratorische Entscheidung gemäß 110 KO zu beantragen, um am Insolvenzverfahren teilnehmen zu können, in dem er höchstens mit einem kleinen Prozentsatz der geforderten Summe rechnen könne. Es sei exzessiv, die gesamte Forderungssumme als Streitwert anzusetzen, da die anfallenden Gerichtsgebühren den realistisch zu erwartenden Betrag übersteigen würden. Der Bf. machte eine Verletzung seines Rechts auf Zugang zu einem Gericht geltend. Das OLG Wien wies die Berufung unter Verweis auf die Rechtsprechung des OGH ab, der zufolge in Verfahren nach 110 KO die vom Kläger angegebene Forderungshöhe ohne Rücksicht auf die zu erwartende Quote als Streitwert herangezogen werde. Eine Revision wurde vom OGH am 21.1.2004 zurückgewiesen. Nach gescheiterten außergerichtlichen Verhandlungen zwischen dem Bf. und dem Masseverwalter wurde das Verfahren vom LG St. Pölten wieder aufgenommen und ist noch anhängig. Im März 2004 wurde der Bf. vom Kostenbeamten dazu aufgefordert, Gerichtskosten in Höhe von 29.829,50 gemäß 32 Gerichtsgebührengesetz (GGG) zu entrichten. Der

3 Bsw 35123/05 Bf. stellte beim Präsidenten des LG St. Pölten daraufhin einen Antrag auf Berichtigung unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 36.000,, da er mit seiner Klage nach 110 KO lediglich seine Berechtigung zur Teilnahme am Insolvenzverfahren feststellen lassen wollte und seine Klage daher nicht geldwerter Natur gewesen sei. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Beschwerden an den VfGH und den VwGH blieben ebenfalls erfolglos. Letzterer hielt fest, dass sowohl der Kostenbeamte als auch der Präsident des LG an den vom LG fixierten Streitwert gebunden seien. Am 13.4.2005 entrichtete der Bf. die gesamten Gerichtsgebühren. Rechtsausführungen: Der Bf. beschwert sich über eine Verletzung seines Rechts auf Zugang zu einem Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. Weiters rügt er eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz). I. Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK 1. Zur Zulässigkeit Der Regierung zufolge gebe es im österreichischen Rechte Instrumente, die es dem Bf. ermöglicht hätten, von den Gerichtsgebühren oder einem erheblichen Teil davon befreit zu werden. Erstens hätte der Bf. Verfahrenshilfe beantragen können, die unter Umständen auch die Befreiung von Gerichtsgebühren umfasst. Zweitens hätte ihm 9 Abs. 2 Gerichtliches Einbringungsgesetz (GEG) die Möglichkeit zu einem rückwirkenden Gebührennachlass für den Fall ermöglicht, dass deren Zahlung für den Betroffenen eine besondere Härte bedeutet. Drittens erlaubt 9 Abs. 1 GEG einen Zahlungsaufschub (Verlängerung der

4 Bsw 35123/05 Zahlungsfrist oder Ratenzahlung), wenn die sofortige Einbringung mit besonderer Härte verbunden wäre. Der Bf. habe es verabsäumt, diese Möglichkeiten zu ergreifen, und den Instanzenzug somit nicht erschöpft. Der Bf. hat seine Beschwerde betreffend die exzessive Höhe des Streitwerts in zwei Verfahren, jenem unter 110 KO und jenem zur Fixierung der Gerichtsgebühren, vorgebracht. Die Frage, ob er weitere Rechtsbehelfe ergreifen hätte müssen, ist eng mit der Sache verbunden und sollte daher zusammen mit ihr untersucht werden. Der GH verbindet die Einrede der Regierung daher mit der Entscheidung in der Sache (einstimmig). Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie wird daher für zulässig erklärt (einstimmig). II. In der Sache Art. 6 Abs. 1 EMRK beinhaltet unter anderem das Recht auf Zugang zu einem Gericht. Dieses ist nicht absolut, sondern kann Beschränkungen unterliegen. Die Staaten genießen hier einen gewissen Ermessensspielraum, doch obliegt die letzte Entscheidung über die Einhaltung der Konvention dem GH. Dieser muss überzeugt sein, dass die Beschränkungen den Zugang des Bf. zu einem Gericht nicht in einer Art oder einem Umfang reduzieren, die den Kern dieses Rechts verletzen. Sie müssen ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sein. Im Urteil Kreuz/PL stellte der GH hinsichtlich des Zugangs zu einem Gericht in Zusammenhang mit Gerichtsgebühren fest, dass aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kein uneingeschränktes Recht auf kostenlose Verfahrenshilfe oder auf ein kostenloses Gerichtsverfahren in zivilrechtlichen Angelegenheiten abgeleitet werden kann. Die Notwendigkeit,

5 Bsw 35123/05 Zivilgerichten Gerichtsgebühren zu erstatten, kann per se nicht als eine mit der Konvention unvereinbare Beschränkung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht angesehen werden. Die Höhe der Gerichtsgebühren in einem bestimmten Fall, zusammen mit der Fähigkeit des Bf., diese zu zahlen, sowie das Stadium des Verfahrens sind aber substantielle Faktoren für die Frage, ob einer Person dieses Recht gewährt wurde. In früheren Fällen hat der GH eine Konventionsverletzung etwa bei der Auferlegung erheblicher Gebühren erkannt, die die Bf. von einer Klageerhebung absehen ließen. Der GH muss daher untersuchen, ob unter den Umständen des vorliegenden Falls die tatsächlich auferlegten Gerichtsgebühren den Bf. von einer Klageerhebung abhielten und sein Fall deshalb nicht von den Gerichten gehört wurde. Der GH wird außerdem berücksichtigen, ob die Gebühren für sich selbst unverhältnismäßig waren oder den Kern des Rechts auf Zugang zu einem Gericht beeinträchtigten. Die vom Bf. geltend gemachten Forderungen in Höhe von 2.405.374,44 wurden vom Masseverwalter bestritten, weshalb der Bf. gehalten war, ein Verfahren gemäß 110 KO anzustrengen. In diesem wurden ihm 29.829,50 an Verfahrenskosten auferlegt. Der vorliegende Fall unterscheidet sich in einer Reihe von Faktoren von Fällen, in denen der GH eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen zu hoher Gerichtsgebühren festgestellt hat. Erstens hängt in Österreich das Tätigwerden der Gerichte nicht von der Zahlung der Gerichtsgebühren ab. Gegenständlich ist dies in Bezug auf das Verfahren nach 110 KO nicht strittig. Der Bf. hat also Zugang zu einem Gericht. Zweitens hat der Bf. nicht damit argumentiert, die Gerichtsgebühren nicht bezahlen zu können, sondern vorgebracht, diese seien unverhältnismäßig

6 Bsw 35123/05 gegenüber der für ihn erwartbaren Quote. Seiner Ansicht nach war die Festlegung der Gerichtsgebühren mit Bezug auf die Höhe der Forderungen, deren Anerkennung er im Insolvenzverfahren beabsichtigte, an sich bereits exzessiv. Die Notwendigkeit, in Zusammenhang mit der Entscheidung über eine Forderung Gebühren an Zivilgerichte zu entrichten, ist aber per se nicht unvereinbar mit der Konvention. Der GH kann nichts Ungewöhnliches an einem System erkennen, in dem Gebühren für Klagen betreffend geldwerte Forderungen von der Höhe des Streitwerts abhängen. Das Argument des Bf., die Gerichtsgebühren im Verfahren nach 110 KO liefen Gefahr, die Quote zu übersteigen, die er letztendlich im Insolvenzverfahren erhalten könnte, hält der GH für spekulativ. Die nationalen Gerichte haben richtig befunden, dass das Risiko von Gerichtsgebühren, die letztendlich die zugesprochene Summe übersteigen, nicht nur in Insolvenzverfahren bestehe. Nach Ansicht des GH kann eine solche Gefahr ein System, das die Höhe der Gerichtsgebühren vom Streitwert abhängig macht, in sich nicht unwirksam machen. Das vom Bf. vorgeschlagene System erscheint nicht praktikabel. Der GH ist der Ansicht, dass die Einrichtung eines Systems, das Gerichtsgebühren für geldwerte Klagen an den Streitwert knüpft, in den staatlichen Ermessensspielraum fällt. Er sieht keine prinzipiellen Gründe, zwischen Verfahren nach 110 KO und anderen Zivilverfahren zu unterscheiden. Es bleibt aber zu prüfen, ob das System unter den Umständen ausreichend flexibel ist. Die Regierung hat eine Reihe von Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine volle oder teilweise Befreiung von den bzw. eine Reduktion der Gerichtsgebühren erreicht werden kann. Dieses Argument entspricht der Einrede wegen

7 Bsw 35123/05 Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs. Unbestritten war der Bf. fähig, die ihm anfänglich auferlegten Gebühren zu entrichten. Da das Verfahren aber noch anhängig ist, können die aufgezeigten Möglichkeiten in dessen weiterem Verlauf relevant werden. Einerseits besteht nach 63 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit der Gebührenbefreiung nach dem Verfahrenshilfesystem. Der Bf. argumentiert, diese könne widerrufen werden, doch ist dies nicht der Fall, wenn der Betroffene weiterhin zum Erhalt von Verfahrenshilfe berechtigt ist. Auch 9 Abs. 1 und 2 GEG normieren Maßnahmen, die zu einer gewissen Beweglichkeit des Systems beitragen. Das vorliegende Gerichtsgebührensystem sichert daher ein ausreichendes Maß an Flexibilität. In Anbetracht des Gesagten befindet der GH, dass im vorliegenden Fall der Kern des Rechts auf Zugang zu einem Gericht nicht beeinträchtigt ist. Es ist nicht nötig, über die Einrede der Regierung abzusprechen (einstimmig). Im Ergebnis ist keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK festzustellen (einstimmig; im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter Spielmann, gefolgt von den Richtern Rozakis und Malinverni). III. Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK Dieser Beschwerdepunkt ist eng mit jenem unter Art. 6 Abs. 1 EMRK verbunden und daher für zulässig zu erklären (einstimmig). Wird ein zivilrechtlicher Anspruch geltend gemacht, ist Art. 6 Abs. 1 EMRK allerdings lex specialis zu Art. 13 EMRK. Es ist daher nicht nötig, die Beschwerde unter letzterer Bestimmung zu untersuchen (einstimmig). Vom GH zitierte Judikatur:

8 Bsw 35123/05 Tolstoy-Miloslavsky/GB v. 13.7.1995, NL 1995, 160; ÖJZ 1995, 950. Z. u.a./gb v. 10.5.2001 (GK). Kreuz/PL v. 19.6.2001, NL 2001, 119; ÖJZ 2002, 693. Jedamski und Jedamska/PL v. 26.7.2005. Weissman u.a./ro v. 24.5.2006. Hinweis: Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 9.12.2010, Bsw. 35123/05, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2010, 361) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf- Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/10_6/urbanek.pd f Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.