AUFKLÄRUNG UND STURM UND DRANG



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Transkript:

AUFKLÄRUNG UND STURM UND DRANG Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise (Siehe Zugänge, S. 140) ARBEITSBLATT Fragen zum Werk: Nathan als typisch aufklärerische Figur: Wo tritt Nathan als Weiser und Belehrender auf? Skizzieren Sie Szenen und Inhalte. Arbeiten Sie an einer Szene (zum Beispiel dem ersten Gespräch mit dem Tempelherrn) heraus, wie durch ein vernünftig geführtes Gespräch Aufklärung zu erreichen ist und damit sinnvolles menschliches Handeln. Wo und wann zeigt Nathan dieses menschliche Handeln? Wodurch wird Aufklärung und damit Toleranz und Humanität gefährdet? Skizzieren Sie die Szenen, in denen Orthodoxie, Vorurteile und Intoleranz auftreten. Wer vertritt sie mit welchen Motiven? Fragen zu Aufbau und Personenkonstellation: Teilen Sie die verschiedenen Personen den jeweiligen Religionen zu. Was ist dabei festzustellen? Fertigen Sie eine graphische Darstellung der Verwandtschaftsverhältnisse an. Welche Personen bleiben außerhalb? Warum? Fragen zu Lessings Situation und zur Entstehung des Werks: Erarbeiten Sie sich mit Hilfe von Biographien und Materialien (siehe Literaturhinweise) einen genauen Einblick in Lessings Lebensumstände und in die Entstehungsbedingungen des Werks. Literaturhinweise: Deutsche Dichter. Bd. 3. Hg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1988 Erläuterungen und Dokumente zu Gotthold Ephraim Lessing Nathan der Weise. Hg. von P. von Düffel. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8118) Dieter Hildebrandt: Lessing. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1990 (= rororo 12566) Lessing. Ein Arbeitsbuch für den literaturgeschichtlichen Unterricht. Von Wilfried Barner, Gunter E. Grimm, Helmuth Kiesel, Martin Kramer. C. H. Beck Verlag, München 1975

Bürgerliches Trauerspiel Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti Friedrich Schiller: Kabale und Liebe ARBEITSBLATT Diese Gattung entstand in England und entwickelte sich ursprünglich aus dem Standesgegensatz Adel-Bürgertum. Ein aufrückendes, selbstbewusstes Bürgertum stellte sich dem Adel gegenüber. So sind die Personen aus dem Mittelstand, also etwa der Kaufmann, der Gelehrte, können aber auch aus dem niederen Adel stammen, vertreten dann aber bürgerliche Wertvorstellungen (wie die Galottis). Damit wird dem Bürger im Gegensatz zur Ständeklausel des Barock die tragische Würde zugesprochen und dem bürgerlichen Publikum die moralische und soziale Identifizierung ermöglicht. Ziel eines solchen Theaters ist es dann, an die Empfindungen der Zuschauer zu appellieren und sie zu steigern. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich im Bürgertum die patriarchalische Kleinfamilie, die sich vom öffentlichen Leben abschirmte. Diesem natürlichen Zusammenleben wurde im Bürgerlichen Trauerspiel der Hof als politischöffentlicher Bereich, als Ort der Laster, der Intrigen, der Verstellung und der Unnatur gegenübergestellt. Diese Familie wird durch den Hof in ihrer Ehre und in ihrem Bestand gefährdet und verletzt. Neben der Besprechung des Inhalts, der Form, der Charakteristik der Personen und ihrer Beziehungen zueinander könnten noch folgende Fragen besprochen werden. Was sind die Kennzeichen der patriarchalischen Familie? Welche Vorstellungen werden von Odoardo, dem Musiker Miller und dem Grafen Appiani in dieser Hinsicht vertreten? Was sind die Kennzeichen der Welt des Hofes? Welche Empfindungen des Lesers/Zuschauers werden angesprochen, welche werden gesteigert? Worin bestehen Gefährdung und Angriff? Da bereits Lessing die patriarchalische Familie in ihrer Erstarrung zeigt, könnte man auch die heutige Sicht einbringen: Welche Welt wird hier für die jungen Frauen (Emilia, Luise) eingerichtet? Was haben sie von einer solchen Welt zu erwarten? Welche Rollen hält sie für sie zur Verfügung? Wie könnte man sich ein späteres Leben Emilias vorstellen, bei diesem Ehemann und diesem Vater, die sich noch dazu so blendend verstehen? Anregung zur Produktion: Versetzen Sie eine selbstbewusste junge Frau an die Stelle der Emilia, etwa in der Szene mit ihrer Mutter nach der Begegnung mit dem Prinzen in der Kirche. Wie würde sie ihre Begegnung mit dem Prinzen erzählen? Wie hätte sie darauf reagiert? Schreiben sie diese Szene neu. Versuchen Sie das auch in der einzigen Begegnung mit ihrem zukünftigen Gatten, dem Grafen Appiani. Vergleich zwischen Emilia Galotti und Kabale und Liebe Schiller verwendet durchaus vergleichbare Personen/Figuren. Dem patriarchalischen Odoardo entspricht der Musikus Miller. Der Claudia, die sich von Hofleben zumindest angezogen fühlt, entspricht die Millerin, die sich durch Ferdinands Liebe zu Luise geschmeichelt fühlt und vielleicht unerfüllbare Träume hegt. Der dem Konflikt ausgesetzten Emilia entspricht die ebenso gefährdete Luise, dem Machtmenschen Marinelli der intrigante Sekretär Wurm und schließlich

der Gräfin Orsina die Lady Milford. Arbeiten Sie bei diesen vergleichbaren Personen Gemeinsamkeiten und Differenzen heraus. Auf der anderen Seite gibt es aber gravierende Unterschiede: Während Lessing sein Stück nach Italien in ein Renaissancefürstentum verlegt, spielt Schillers Stück in seiner Gegenwart und greift aktuelle Probleme auf und kritisiert sie ( Soldatenhandel in der Kammerdiener- Szene). Aus der Familie aus niederem Adel ist eine Kleinbürgerfamilie geworden, die daher umso mehr bedroht ist. Aus dem Hofmann im Dienste des Fürsten, Marinelli, ein Bürgerlicher, der sich in den Dienst des Adels stellt und somit seinen Stand verrät und damit zu den verachtungswürdigsten Wesen gehört, das nicht zufällig den Namen Wurm trägt. Während der Prinz neben seiner ganzen absolutistischen Willkür auch noch durch seine Schwäche menschliche Züge gewinnt, ist der Präsident eine durch und durch böse Figur. Der Adel wird nur noch im Hofmarschall Kalb (auch dies ein sprechender Name) karikiert, er stellt ein Zerrbild höfischer Gekünsteltheit und Unnatur dar.

Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Siehe Zugänge, S. 144) ARBEITSBLATT Folgende Themen lassen sich bei einer Ganzlektüre bearbeiten Die Liebe Werthers zu Lotte: Wie versteht Werther diese Liebe? Was bedeutet sie für ihn? Wie verhält sich Lotte dabei? Die Liebesgeschichte des Knechts als Parallele: Skizzieren Sie den Verlauf der Liebesgeschichte des Knechts. In welcher Beziehung steht sie zu der Werthers? Wie verhält sich Werther in dieser Geschichte? Wie steht er vor allem zum Mord und zum Mörder? Werthers Idee vom Selbstmord: An welchen Stellen äußert sich Werther über den Selbstmord? Auf welche Art und Weise? Werthers Kritik am bürgerlichen Leben: Was kritisiert Werther am Bürgertum? Werthers Stellung zum Adel:Wie steht Werther zum Adel? Wie verhalten sich Adelige ihm gegenüber? Werthers Liebe zur Natur: In welchen Briefen äußert sie sich? Auf welche Art? Was bedeutet Natur für Werther? Die äußere Form dieses Romans ein Briefroman bedingt die Ich-Perspektive. Das heißt, die Position Werthers wird absolut gesetzt, es gibt kein Korrektiv. Das kann man leicht erkennen, wenn man die Perspektive ändert. Schreiben Sie eine Stelle um in die Er-Erzählhaltung. Welche Erfahrungen machen Sie, welche Schwierigkeiten entstehen dabei? Einen ganz anderen Zugang bietet folgende Überlegung: Der leider schon verstorbene Professor der Psychiatrie Erwin Ringel hatte sie zu einer seiner Hauptaufgaben die Erforschung des Selbstmordes gemacht. Er erkannte das Zusammenspiel verschiedener Faktoren (suizidales Syndrom), das zum Selbstmord führt. Er zählte dazu: 1. Die Einengung a) Die situative Einengung: Der Mensch fühlt sich in die Enge gedrängt, wie in einer Röhre, die immer enger wird. b) Die dynamische Einengung: Der Mensch entwickelt sich in eine Richtung, die Gegenkräfte versagen. Diese Richtung ist gekennzeichnet durch Depression, Angst, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Panik. c) Die menschliche Isolierung. d) Die Einengung der Wertwelt: Immer weniger wird wichtig, immer mehr Gebiete liegen abseits, außerhalb, sind nicht erreichbar, nicht verfügbar. Oder man klammert sich an Wertvorstel-

lungen, die der Allgemeinheit nicht so bedeutsam sind oder in ihr überhaupt nicht gelten, man gerät so in die Position des Außenseiters. 2. Die Aggression: Da Selbstmord ein Akt der Aggression ist, muss Aggression entstehen, aber sie kann sich nicht an anderen entladen. 3. Selbstmordphantasien: Welche der oben genannten Faktoren lassen sich bei Werther finden? Literaturhinweis: Erläuterungen und Dokumente zu Johann Wolfgang von Goethe Die Leiden des jungen Werthers. Hg. von Kurt Rothmann. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8113) Lesehinweis: Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden den jungen W. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976

Jakob Michael Reinhold Lenz: Der Hofmeister ARBEITSBLATT Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 1792) ist der typische Vertreter des Sturm und Drang. Trotzdem findet er noch immer zu geringe Beachtung, wird sein Werk auch in der Schule oft zuwenig behandelt. Daher wird hier der Vorschlag gemacht, neben den typischen Werken Schillers ein Stück von Lenz zu behandeln. Der Hofmeister bietet die Möglichkeit, typische Kennzeichen der Dramatik des Sturm und Drang und die für die damaligen jungen Autoren so wichtige Funktion des Hofmeisters kennenzulernen. Lenz verarbeitete dabei eigene Erfahrungen, die Abkehr vom Vaterhaus, die Abhängigkeit des Intellektuellen ohne Stellung, die ihn zwang, den Hofmeisterposten anzunehmen. Er beobachtete und kritisierte die Gesellschaft mit ungewöhnlicher Schärfe. Seine Komödie Der Hofmeister ist vielfach auch eine Tragödie, zeigt sie doch auch unverhüllt das Leiden der Menschen. Lenz selbst nennt es noch in der Manuskriptfassung Lust- und Trauerspiel. Folgende Fragen und Themen lassen sich bearbeiten Zur Kennzeichnung als typisches Drama des Sturm und Drang: Untersuchen Sie die drei Einheiten (Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung). Was lässt sich feststellen? Produktionsorientiert formuliert: Welche Szenen, welche Personen könnte man für eine Aufführung streichen, ohne dass das Stück zerstört wird? Zu den sprechenden Namen: Versuchen Sie einige davon zu erklären. Zu Stellung und Rolle des Hofmeisters: Was erfahren wir über seine Stellung, seine Einschätzung durch andere und seine Behandlung? Zur Rolle der Erziehung: Welche Vorstellungen über Erziehung werden vorgeführt, welche Erziehungsmaßnahmen? Das Gleichnis vom verlorenen Sohn: Im Stück gibt es vielfache Variationen menschlicher Beziehungen nach diesem Gleichnis. Stellen Sie das Gleichnis dar und erarbeiten Sie die entsprechenden Beziehungen im Stück. Zur Frage der Kastration: Welche Bedeutung hat die Kastration für den Hofmeister? Wie wird sie von anderen gesehen (vor allem von Wenzeslaus)? Über das Stück hinausweisende Themen Die LehrerInnenrolle: Wie werden LehrerInnen in diesem Stück bezeichnet? Vergleichen Sie damit Lehrer wie Gott Kupfer aus Friedrich Torbergs Schüler Gerber oder den Lehrer aus Ödön von Horváths Jugend ohne Gott. Setzen Sie dazu in Beziehung den Lehrer aus dem Film Der Club der toten Dichter.

Die Bearbeitung Bertolt Brechts: Was sind die wesentlichen Veränderungen Brechts? Welche Bedeutung könnten sie haben? Wie versteht Brecht in seinem Kommentar die Kastration des Hofmeisters? Literaturhinweise: Erläuterungen und Dokumente zu Jakob Michael Reinhold Lenz Der Hofmeister. Hg. von Friedrich Voit. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8177) Interpretationen. Dramen des Sturm und Drang. Philipp Reclam jun., Stuttgart (= RUB 8410) Udo Müller: Der Hofmeister oder die Vorteile der Privaterziehung. Klett, Stuttgart 1981 Klaus Siblewski: Jakob Michael Reinhold Lenz Der Hofmeister. Text und Geschichte. Modellanalysen zur deutschen Literatur. Stuttgart 1984 (= UTB 1030) Inge Stephan/Hans G Winter: Ein vorübergehender Meteor. Jakob MichaelReinhold Lenz und seine Rezeption in Deutschland. 1984 Hans G. Winter: Jakob Michael Reinhold Lenz. Metzler, Stuttgart 1987 Lesehinweise: Georg Büchner: Lenz. Tiessen, Neu-Isenburg 1982 Peter Schneider: Lenz Eine Erzählung von 1968 und danach. 2. Aufl. Rotbuch, Hamburg 1994 Gert Hoffmann: Die Rückkehr des verlorenen Jakob Michael Reinhold Lenz nach Riga. 1982

Zusammenfassung: Grundlagen Einfluss des Auslandes Grundlagen Der Lehrplan für die 6. Klasse schreibt eine modellhafte Behandlung der Aufklärung vor und verlangt dabei, die geistigen, politischen, sozialen und ökonomischen Grundlagen, den Einfluss des Auslandes, die literarischen Strömungen, die Rolle der Literatur und des Schriftstellers und das Weiterwirken in der Gegenwart zu behandeln. Daher wird hier Grundwissen zu den oben genannten Bereichen zusammengefasst, zur Hilfe und Unterstützung, da ja durch die fehlende Übereinstimmung zwischen den Lehrplänen Deutsch und Geschichte auf dieses Wissen nicht zurückgegriffen werden kann. Die Arbeit an Texten kann und soll das nicht ersetzen! Daher wird zunächst die Aufklärung allgemein dargestellt, ehe auf die besondere Situation in Deutschland und auf die Literatur eingegangen wird. Politische Grundlagen: Die Aufklärung entstand zu einer Zeit, in der sich in Europa der Absolutismus durchgesetzt hatte. Ausnahme war England, wo der Versuch der englischen Könige, gegen den Willen des Parlaments den Absolutismus durchzusetzen, scheiterte und am Ende der Auseinandersetzungen die konstitutionelle Monarchie stand. Der absolute Herrscher versuchte möglichst viel Macht beim Staat und damit bei sich zu konzentrieren: Ein stehendes Heer, das immer bereit ist, wurde geschaffen, die Verwaltung des Staates aus den Händen adeliger Dilettanten genommen und in die Hände von Beamten gelegt, die hierarchisch organisiert und vom König bezahlt und damit abhängig waren. Die Mittel für das Heer und den Beamtenapparat und für Hofhaltung und Repräsentation sollte das Wirtschaftssystem des Merkantilismus erbringen. Ökonomische Grundlagen: Ziel des Merkantilismus (ein staatlich gelenktes Wirtschaftssystem) war eine möglichst große binnenwirtschaftliche Selbständigkeit (Autarkie) im Zusammenwirken mit einer außenwirtschaftlichen Aktivbilanz. Er förderte das Bevölkerungswachstum, baute die Verkehrsverbindungen aus, lockerte die Produktionsbeschränkungen (die strengen Zunftregeln), räumte Konzessionen und Erzeugungsmonopole ein, gewährte Subventionen und Kredite, steuerte die Einfuhr durch Zölle und die Ausfuhr durch Prämien. Außerdem förderte er die wissenschaftliche Erforschung all dieser Bereiche. So entstand ein System, das alle Kräfte und Energien im Interesse des Gesamtstaats (des Fürsten oder Königs) reglementierte und die Staatsbürger disziplinierte. Andererseits aber forderte gerade dieses System auch den privaten Unternehmungsgeist und den Individualismus bestimmter Bürger heraus. Soziale Grundlagen: Zwischen dem zahlenmäßig sehr geringen Adel (zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung) mit seiner ständig betonten Vorrangstellung und seinen Privilegien und der großen Anzahl der in der Landwirtschaft Tätigen (bis zu 90 Prozent) mit ihren verschiedenen Formen der Abhängigkeit und Unfreiheit bildete sich also ein neues dynamisches Element in einer sonst noch stabilen Ständegesellschaft: Die bürgerliche Oberschicht der Gebildeten (Professoren, Lehrer, Pfarrer, Beamte der landesherrlichen Verwaltung, Ärzte und

Offiziere), allesamt maßgeblich tätig im absolutistischen Staat, daher auch mit einem gewissen Sozialprestige, aber selten mit einem entsprechenden materiellen Lebensstandard. Sie fügten sich nur schwer in die bestehende Ständeordnung ein, genauso wie die außerhalb der Zünfte auftretenden bürgerlichen Unternehmer, Bankiers, Händler, Fabrikanten und Manufakturbesitzer. Obwohl sie im wirtschaftlichen Bereich alle wichtigen Positionen besetzt hatten, waren sie politisch ohne jede Mitwirkungsmöglichkeit. Sie begannen daher, den Adel, der weder eine nützliche Arbeit leistete, noch Steuern zahlte, und den ihn beschützenden absolutistischen Staat zu kritisieren. Vor allem von Westeuropa ausgehend, breitete sich eine geistige Bewegung aus, die Aufklärung, in der Gedanken formuliert wurden, die bis zum heutigen Tag Grundlage unseres Denken und Handelns geblieben sind. Die geistigen Grundlagen: Auf der Basis der Vernunft wurden die Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten des Ancien régime kritisiert, wurde die Befreiung des Menschen von den Ketten der Unwissenheit und des Irrtums angestrebt, Aberglaube und theologische Dogmen durch Wissen, Erziehung und Naturwissenschaft in Frage gestellt. So entstand eine Atmosphäre der Hoffnung auf eine bessere Zukunft (Optimismus der Aufklärung), die mehr Wohlstand, gerechtere Gesetze, gemäßigte Regierungen, Religions- und Gedankenfreiheit, sachverständige Verwaltung und eine größere Selbsterkenntnis des Individuums verbunden mit größerer Toleranz zum Ziel hatte. Dazu gehörte ein rationalistisches Naturrecht mit folgenden wichtigen Grundsätzen: Die politische Herrschaft geht nicht auf den Willen Gottes zurück, sondern beruht auf der Vereinbarung von Menschen. Sie ist also nur rechtens, wenn sie als Ergebnis eines Vertrags gedacht werden kann, also auf der Zustimmung der Betroffenen beruht (Lehre vom Gesellschaftsvertrag). Die Rechts- und Staatsordnung hat den Zwecken menschlicher Wohlfahrt und den Grundsätzen der Vernunft zu entsprechen. Der Mensch besitzt angeborene Rechte (Menschenrechte), die von der Staatsgewalt geachtet werden müssen. Das Volk wird als Souverän erkannt, der Herrscher ist demnach nur dessen Vollzugsorgan. Damit die Macht nicht missbraucht werden kann, muss sie geteilt werden (Prinzip der Gewaltenteilung). Die gesetzgebende Macht sollte in der Hand des Volkes liegen, die ausübende in der des Herrschers (der Regierung). Diese Kritik und diese neuen Ideen wurden von jenen formuliert, die sich selbst als Philosophen bezeichneten. Die Enzyclopédie (das große Wörterbuch der französischen Aufklärung) definiert den Begriff so: Ein Philosoph ist jemand, der Vorurteile, Überlieferung, generellen Konsens, Autorität, kurz alles mit Füßen tritt, was die meisten Geister versklavt, der es wagt, selbst zu denken (vergleiche damit auch die Definition Kants: Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen, siehe Zugänge, S. 139). Zu diesen Philosophen gehörten die Franzosen Montesquieu, Voltaire, Diderot, d Alembert, Turgot, Condorcet, die Briten Hume und Gibbon, der Genfer Rousseau, die Deutschen Kant, Herder und Lessing und der Amerikaner Franklin. Diese Hauptdenker wären aber nie so erfolgreich gewesen, ihre Ideen hätten nie solche Verbreitung gefunden, hätte es nicht ein ausgedehntes Netzwerk von Freunden, Sympathisanten und Gefährten gegeben. Die Aufklärung ging zwar von einer Elite von Gelehrten, Kritikern und Philosophen aus, stellte aber so etwas wie einen umfassenden geistigen Gärungsprozess dar, der von vielen mehr oder weniger unbekannten Denkern und Schriftstellern am Leben gehalten wurde.

Der Einfluss des Auslandes Der Einfluss des Auslandes ergibt sich generell dadurch, dass die wichtigen Ideen der europäischen Aufklärung durch Übersetzungen rasch auch im deutschen Sprachraum zugänglich gemacht wurden und diskutiert werden konnten. Deren Niederschlag in einem literarischen Werk lässt sich oft schwer nachweisen. Deutlich wird er aber an der Beispielwirkung mancher Werke. So hat etwa Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe eine Fülle von Robinsonaden ausgelöst. Die Gattung des Briefromans und des Bürgerlichen Trauerspiels wurden aus England übernommen, genauso wie die Moralischen Wochenschriften. Unübersehbar ist etwa auch der Einfluss einzelner Autoren wie Jean-Jacques Rousseau, der durch sein Werk vor allem die Autoren der jüngeren Generation des Sturm und Drang beeinflusste. 10

Zusammenfassung: Die deutsche Literatur in der Zeit der Aufklärung Politik, Gesellschaft und Kultur Deutschland besaß in dieser Zeit eine ziemlich stabile Ständegesellschaft mit dominierender Landwirtschaft, die noch überwiegend feudal-grundherrschaftlich bestimmt war. Noch um 1800 waren rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Das Gewerbe war noch den vielfachen Beschränkungen der Zünfte unterworfen, die neue Herstellungstechniken und Produktionsformen be- oder verhinderten. Aus dem fürstlichen Absolutismus entwickelte sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts durch das Vordringen der Aufklärung der aufgeklärte Absolutismus (Friedrich II., Joseph II.), der Reformen von oben zur Modernisierung der Länder anstrebte, dabei aber gleichzeitig die Selbsttätigkeit der Untertanen verhinderte. Die territoriale Zersplitterung des Reichs in einige größere und viele Klein- und Kleinststaaten, das Fehlen einer Hauptstadt als politisch-kulturelles Zentrum wurde besonders von den Schriftstellern als einengend, hemmend und behindernd angesehen. Sie bedauerten das Fehlen der großen nationalen Themen und die fehlende Möglichkeit, Welterfahrung zu sammeln. Diese Schriftsteller waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch Gelehrte oder Beamte, in der Regel abhängig vom adeligen Mäzen, sie schrieben nebenberuflich und sahen einen Lohn für ihre schriftstellerische Tätigkeit fast als Schande an. Erst ab der Mitte des Jahrhunderts mehrten sich die Versuche, als freier Schriftsteller von der literarischen Arbeit zu leben. Damit befreiten sie sich zwar aus der Abhängigkeit vom Adel, gerieten dafür aber in die Abhängigkeit von Verleger und Markt. Das Honorar war in der Regel so niedrig, dass man nicht davon leben konnte, was noch dadurch verschärft wurde, dass die Begriffe Urheberrecht und geistiges Eigentum sich noch nicht durchgesetzt hatten (vergleiche dazu die Bemühungen Lessings). Raubdrucke (das sind Drucke von einem veröffentlichten Textes, aber ohne dafür etwas zu bezahlen) verschärften dieses Problem noch. Das lesende Publikum war zahlenmäßig noch sehr klein: Zwar ging durch den verpflichtenden Schulbesuch in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts die Analphabetenrate von 90 Prozent auf 50 Prozent zurück, doch machten die erwachsenen Leser höchstens 10 Prozent der Bevölkerung aus, von denen wiederum nur ein Teil nichtreligiöse Texte, also so genannte schöne oder schöngeistige Literatur (Belletristik) las. Die wenigen Leser aber bildeten eigene Institutionen zu Lektüre und Diskussion. Dazu gehörten als nichtöffentliche die Freimaurerlogen, als öffentliche die Deutschen Gesellschaften, die sich der Sprachpflege widmeten, und vor allem die Lesegesellschaften mit eigenen Bibliotheksräumen und gemeinschaftlichen Lese- und Diskussionsveranstaltungen. Kommerzielle Einrichtungen waren die Leihbibliotheken. Allgemeine Kennzeichen, wichtige Autoren und Werke Die deutsche Literatur war in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts verglichen mit der Frankreichs und Englands mittelmäßig und zurückgeblieben. Sie erreichte aber bis zum Ende des Jahrhunderts europäische Bedeutung. Sie löste sich aus höfischer Abhängigkeit und arti- 11

kulierte bürgerliche Themen. Kanzel und Katheder wurden abgelöst durch Zeitschriften, Broschüren, Theater und eine neue Briefkultur. Große Bedeutung hatten zunächst die Moralischen Wochenschriften, eine Gattung, die ein englisches Vorbild kopierte. Sie brachten so etwas wie Gebrauchsliteratur von Bürgern für Bürger, allgemeinverständliche, kurze Abhandlungen über ein breites Spektrum von Themen, die für Bürger interessant waren. In Deutschland gab es insgesamt an die 110 solcher Schriften, fast alle wichtigen Autoren dieser Zeit waren in ihnen mit Beiträgen vertreten. Die zentralen Begriffe dabei waren Vernunft und Tugend. Allgemeines Ziel der Literatur sollte die Belehrung sein, die Sprache dementsprechend klar, einfach und leicht (deutlicher Gegensatz zum Barock). Diesem Ziel dienten besonders manche Gattungen der Lyrik, wie das Lehrgedicht, die Fabel und die Satire, die sehr beliebt waren. Der bedeutendste Lyriker vor Goethe war Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 1803), der die Ausdrucksfähigkeit der deutschen Sprache außerordentlich gesteigert hat. In seinen Oden (feierliche Gedichte) behandelte er Themen wie Leben, Liebe und Freundschaft. Als sein Hauptwerk hat er das religiöse Epos Der Messias angesehen. Auf dem Gebiet des Theaters versuchte Johann Christoph Gottsched eine vernünftige Ordnung herzustellen, indem er einerseits gegen das oberflächlich unterhaltende Theater der Wanderbühnen auftrat und andererseits ein literarisches Sprechtheater, von Berufsschauspielern getragen, für ein gebildetes Publikum forderte. Dafür sah er als beispielgebendes Vorbild das klassische französische Drama an, mit seinem strengen Aufbau und seiner strengen Form und der gebundenen Sprache. (Das verurteilte Lessing in seinem 17. Literaturbrief scharf und setzte dagegen Shakespeare als Vorbild.) Gotthold Ephraim Lessing ist der überragende Vertreter der deutschen Aufklärung (siehe Zugänge, S. 140). Gegen den einseitigen Rationalismus der Frühaufklärung, der Gefühle und Triebe zurückdrängte und unterdrückte, bildete sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Bewegung, die ebenfalls stark vom Ausland beeinflusst war, die Empfindsamkeit: Sie wollte den Menschen in seiner Gesamtheit sehen, Vernunft und Gefühl sollten einander nicht ausschließen, sondern einen Ausgleich finden. Dazu gehörte auch ein Kennenlernen seiner selbst, Selbstbeobachtung und Selbstreflexion. Bedeutende Vertreter dieser Richtung sind: Christian Fürchtegott Gellert (1715 1769): Neben Fabeln und Dramen ist sein Roman Das Leben der Schwedischen Gräfin von G... zu nennen. Christoph Martin Wieland (1733 1813): Mit seiner Zeitschrift Der Teutsche Merkur suchte er den Geschmack des Publikums im Sinne der Aufklärung zu bilden. Sein Roman Geschichte des Agathon stellt den Beginn des deutschen Bildungsromans dar. In dem Roman Die Abderiten kritisiert er die rückständige Borniertheit des deutschen Klein- und Spießbürgers. Einen Höhepunkt darin stellt die Geschichte vom Prozess um des Esels Schatten dar. Sophie von LaRoche erzählt in ihrem Roman Geschichte des Fräuleins von Sternheim in Briefen eine Geschichte, die ganz durchdrungen ist vom Optimismus der Aufklärung und durchsetzt mit Empfindsamkeit. 12

Das Weiterwirken der Aufklärung in die Gegenwart In der Aufklärung wurden die Grundlagen der modernen Welt geschaffen. Unser politisches Denken und Handeln ist von Grundsätzen bestimmt, die in der Aufklärung festgelegt wurden: Demokratie, Gewaltenteilung, Menschenrechte wie Meinungs-, Glaubens- und Pressefreiheit haben hier ihren Ursprung. Der unbegrenzte Drang des Menschen nach Fortschritt, naturwissenschaftlicher Neuerung und nach Wirtschaftswachstum nahm hier seinen Ausgang und wirkt, wenngleich einer zunehmenden Kritik ausgesetzt, bis heute nach. Und wenn im Vorwort der Enzyclopédie, des großen Wörterbuchs der französischen Aufklärung, die Notwendigkeit betont wird, nach neuen Formen von Wissen zu suchen, um für die Erfordernisse einer neuen Welt gewappnet zu sein, ist genausogut eine Herausforderung unserer Zeit gemeint. Das Streben nach Toleranz, Humanität im Sinne menschlicher Vervollkommnung gilt als immerwährende Aufgabe, wie überhaupt vieles von der Aufklärung Geforderte als Prozess, als unabgeschlossenes Projekt zu verstehen ist. Oder wie es Lessing formulierte: Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz... Die Literatur der Aufklärung ist die erste ausgeprägt bürgerliche Literatur, ihre Sprache ist fast schon die unsere, ihre Denkweise uns eng vertraut. Lessings Theaterstücke zählen zum ständigen Repertoire unserer großen Bühnen und regen Zuseher und Leser zu stetiger und immer neuer Auseinandersetzung an. 13

Zusammenfassung: Die deutsche Literatur des Sturm und Drang Politik, Gesellschaft und Kultur Die oben zusammengefassten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen gelten auch für die Zeit des Sturm und Drang. Allerdings kam es zu einer Verschärfung der sozialen Verhältnisse. Die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts war gekennzeichnet durch einen anhaltenden Preisauftrieb für Nahrungsmittel bei gleichzeitig sinkenden Reallöhnen. Die wachsende Konkurrenz durch die Manufakturen führte zu einer Krise des Handwerkertums, was einerseits zur Abhängigkeit vieler kleinerer Meister führte (Verlust der Selbständigkeit) und andererseits zu immer häufigeren Auseinandersetzungen zwischen Meistern und Gesellen. Da die Wirtschaft aber immer noch in großem Maß agrarisch bestimmt war, es aber zusätzlich ein beträchtliches Bevölkerungswachstum gab, kam es zu schweren Versorgungs- ja Hungerkrisen. Allgemeine Kennzeichen Auf diese Veränderungen reagierte eine kleine Gruppe junger Schriftsteller, die in sich nicht einheitlich war und nach dem Titel eines Dramas von Friedrich Maximilian Klinger Sturm und Drang genannt wird. Andere Begriffe sind Genie-Periode oder Genie-Kult. Es handelt sich dabei um die Zeit der späten 60er und die 70er Jahre des 18. Jahrhunderts. Um 1770 bildeten der junge Goethe und Herder in Straßburg ein Zentrum dieser Bewegung, dem auch Jakob Michael Reinhold Lenz und Heinrich Leopold Wagner angehörten. Die meisten von ihnen waren damals Studenten oder stellenlose Autoren, überwiegend aus dem Kleinbürgertum. (Goethe bildete hier eine Ausnahme, er stammte aus wohlhabender Familie). Sie versuchten durch ein Studium einen sozialen Aufstieg zu erreichen, ein schwieriger, manchmal entbehrungsreicher Weg, der sie vielfach wieder in die Abhängigkeit führte (etwa als Hofmeister). Diese drückende persönliche Situation kompensierten sie durch ein starkes (überbetontes) Selbstwertgefühl, durch die Überhöhung ihrer Persönlichkeit zum Genie. Ihre Herkunft, ihre Erfahrung mit Armut machten sie aber besonders sensibel gegenüber sozialem Unrecht, was die scharfe Sozialkritik in vielen Texten erklärt. Sie wollten keine Revolution in der Politik, aber in der Kunst. Sie lehnten den herrschenden Geschmack ab und setzten an die Stelle des ständischen Dichters den freien Autor und sein ihm eigenes Genie. Dieses Genie lässt sich auch nicht in Regeln fassen und sieht seine Freiheit in einer Kunst verwirklicht, deren Kennzeichen sind: Regelfreiheit, subjektive, originelle Spontaneität, bekenntnishafte Intimität, Echtheit des Ausdrucks und des Gefühls, Gefühl und Phantasie. Vieles davon machte sie manchen Vertretern der Aufklärung verdächtig, führte zu Missverständnissen und Ablehnung. Sie wollten eine Literatur für den gesamten Mittelstand, auch für die Bauern, also eigentlich für das Volk. Diese Orientierung auf das Volk führte etwa dazu, daß Herder eine Sammlung von Volksliedern herausgab, unter anderem die Lieder des Ossian, eines angeblichen keltischen Sängers aus dem Mittelalter, die von großem Einfluss waren. (Erst später haben sie sich als Fälschung herausgestellt.) Auch die verdrängte volksnahe Literatur, wie Volksbücher, Schwank- 14

erzählungen und Fastnachtspiele kamen wieder zu ihrem Recht, oder man knüpfte an sie an ( Faust ). Gegen die territoriale Zersplitterung Deutschlands setzte Herder den Begriff der Nation. Von großer Bedeutung war ein neuer Begriff von der Natur, der von Rousseau seinen Ausgang nahm. Rousseau: Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt, alles entartet unter den Händen des Menschen. Damit hing auch eine Aufwertung der körperlichen Betätigung in der Natur zusammen (zum Beispiel Eislaufen). Großes literarisches Vorbild für viele dieser Generation war Klopstock (vergleiche dazu die entsprechenden Szenen im Werther ). Wichtige Autoren und Werke Das Drama Die dramatische Dichtung war bei diesen jungen Autoren besonders beliebt, das große Vorbild war Shakespeare (siehe Zugänge, S. 100). Am erfolgreichsten war Johann Wolfgang von Goethe (1749 1832) mit seinem Stück über Götz von Berlichingen. Nachdem er eine erste Fassung in sechs Wochen ohne Plan niedergeschrieben hatte, arbeitete er diese nach Kritik Herders um: Götz von Berlichingen (1773). Es ist die Geschichte eines Angehörigen des untergehenden freien Ritterstandes, eines Selbsthelfers (wie Prometheus im gleichnamigen Gedicht). Gegeben wird ein Querschnitt durch die Gesellschaft des 16. Jahrhunderts. Gegen die klassischen Regeln (die drei Einheiten) verwendete Goethe eine Vielzahl von Szenen (mehr als 50) und Personen, sodass es für zeitgenössische Bühnen praktisch nicht aufführbar war (auch moderne Bühnen hätten große Schwierigkeiten damit!). Es wirkte aber als Lesedrama und wurde zu einem überwältigenden Erfolg. Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 1792): Er suchte die Nähe Goethes, den er sehr verehrte. Zu seinem Unterhalt war er gezwungen, als Hofmeister zu wirken. In seinem unsteten Wanderleben, das ihn bis nach Moskau führte, zeigten sich bereits erste Hinweise auf eine Geisteskrankheit. In Moskau verlor sich mehr oder weniger seine Spur, bis er eines Tages tot aufgefunden wurde. Seine wichtigsten Werke: Der Hofmeister (siehe Arbeitsblatt ) und Die Soldaten. Heinrich Leopold Wagner (1747 1779): Die Kindsmörderin (1776). Wagner gestaltet in diesem Stück ein Thema, das in verschiedenen Variationen beherrschend im Sturm und Drang war: Eine Metzgerstochter wird von einem adeligen Offizier verführt, erwartet ein Kind, flieht vor der Schande aus dem Elternhaus und tötet schließlich das Kind. Friedrich Maximilian Klinger (1752 1831): Sturm und Drang. Friedrich Schiller (1759 1805): Aufgrund seiner deutlich späteren Geburt kommt Schiller mit seinen Werken fast zu spät, wenngleich sie typisch für die Dramatik des Sturm und Drang sind: Die Räuber, Kabale und Liebe (siehe Zugänge, S. 34/35, und Arbeitsblatt Bürgerliches Trauerspiel ). Epik Trotz der großen Vorliebe für das Drama entstanden auch Romane. Wieder ist es Goethe gelungen, das repräsentativste Werk zu verfassen: Die Leiden des jungen Werthers (siehe Zugänge, S. 144, S. 44, S. 46). Goethe hat außerdem die Autobiographie von Johann Heinrich Jung herausgegeben, Heinrich Stillings Jugend, ein typisches Beispiel für bekenntnishafte Selbstbeschreibung. Schiller ist auch hier bereits nach dem Höhepunkt des Sturm und Drang mit einer bedeutenden Erzählung hervorgetreten: Der Verbrecher aus verlorener Ehre (1786). 15

An einem tatsächlichen Kriminalfall seiner Zeit zeigte Schiller, durch welche Umstände, unter welchen sozialen Verhältnissen jemand zum Verbrecher werden kann. Lyrik Vorbilder sind Volkslieder, die angeblichen Lieder des Ossian und vor allem die Oden Klopstocks. Auch hier hat Goethe wieder Entscheidendes für eine neue Lyrik und für eine neue Sprache in der Lyrik geleistet. Unsere Vorstellung darüber, was Lyrik ist (oder zu sein hat), wird immer noch vielfach davon bestimmt. Zu nennen sind vor allem die Sesenheim-Lieder für Friederike Brion (siehe Zugänge, S. 148). Die sozialkritische Linie des Sturm und Drang wird von Gottfried August Bürger (1744 1794) vertreten. Ein berühmtes Beispiel dafür ist sein politisches Gedicht Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen. Bürger gilt durch seine Balladen, vor allem die Lenore, als bedeutendster Balladendichter vor Goethe und Schiller. Zu den kritischen Dichtern gehörte auch Christian Friedrich Daniel Schubart (1739 1791). Seine Gedichte, wie Kaplied, Fürstengruft, und seine Artikel in seiner Zeitschrift Deutsche Chronik störten seinen Landesherren, den Herzog von Württemberg, so sehr, dass er ihn zehn Jahre lang in einer Festung inhaftieren ließ. Matthias Claudius (1740 1815) berührt mit seinen stark religiös motivierten und im Volkston gehaltenen Gedichten nur zum Teil vorherrschende Strömungen des Sturm und Drang. Literaturhinweise: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 4: Zwischen Absolutismus und Aufklärung: Rationalismus, Empfindsamkeit, Sturm und Drang. Hg. von Horst Albert Glaser. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1986 (= rororo 6253) Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution. Hg. von Rolf Grimminger. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1987 (= dtv 4345) Viktor Zmegac (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. I/1. Beltz Athenäum, Weinheim 1992 16