26. Sitzung des Gesundheitsforschungsrates (GFR) am 12. Dezember 2008 Entschließung Klinische Studien in der Medizintechnik Auf Anregung seines Medizintechnischen Ausschusses hat der Gesundheitsforschungsrat in seiner 26. Sitzung am 12.12.2008 auf der Basis eines Sachstandsberichts über die Problematik von Klinischen Studien in der Medizintechnik beraten. Der GFR sieht sowohl in Hinblick auf die Inverkehrbringung von Medizinprodukten als auch hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit durch die GKV wachsende Anforderungen: es werden hierfür zweifellos in größerem Umfang klinische Studien erforderlich werden und zugleich werden die Qualitätsansprüche vor allem an Studien zur Evaluierung des medizinischen Nutzens steigen. Der GFR begrüßt die hierzu bereits von der Telematikplattform für Medizinische Forschungsnetze (TMF) e.v. und der acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) initiierten Aktivitäten. Um auf die verschiedenen Aspekte und sich abzeichnenden Probleme in Zukunft angemessen reagieren zu können, empfiehlt der GFR eine Arbeitsgruppe Klinische Studien mit Medizinprodukten einzurichten. Folgende Themen sollen im Einzelnen von der Arbeitsgruppe bearbeitet werden: - Welche konkreten quantitativen und qualitativen Änderungen bei der Durchführung klinischer Studien mit Medizinprodukten sind u.a. durch die in 2007 bereits erfolgten und für 2010 zu erwartenden Änderungen des Medizinproduktegesetzes zu erwarten? - Wie sind die Forschungseinrichtungen und Unternehmen in der Medizintechnik in Deutschland hierfür aufgestellt? - Welche konkreten Anforderungen für die medizinische und sozio-ökonomische Nutzenbewertung von Medizinprodukten bestehen und wie können diese in klinischen Studien umgesetzt werden? - Welche übergeordneten Aktivitäten können zur Problemlösung beitragen. Reichen die bisher ergriffenen Initiativen aus oder müssen weitere Akteure zur Lösung der Probleme eingebunden werden? - - 1 - -
Die o.g. Punkte sind sowohl in Hinblick auf die Inverkehrbringung der Medizinprodukte als auch in Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit durch die GKV zu beleuchten. - - 2 - -
Klinische Studien in der Medizintechnik - Sachstandsbericht für den GFR- 1. Einleitung Medizinprodukte 1 bilden eine sehr heterogene Klasse von Produkten, zu der u.a. Instrumente, Apparate, Implantate, Stoffzubereitungen aber auch Software zählen. Zurzeit befinden sich etwa 8.000 verschiedene Produktgruppen mit insgesamt 400.000 Artikeln im deutschen Handel. Jeder Hersteller muss für sein Medizinprodukt in einem Konformitätsbewertungsverfahren darlegen, dass die grundlegenden Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Unbedenklichkeit sowie Erfüllung der Zweckbestimmung erfüllt sind. Der genaue Ablauf des Konformitätsbewertungsverfahrens ist dabei von der Risikoklasse 2 des Produktes abhängig. Die Zuordnung zu einer Risikoklasse erfolgt durch den Hersteller. Nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens darf der Hersteller sein Medizinprodukt mit der CE-Kennzeichnung versehen und dann vermarkten. 3 1 Medizinprodukte sind alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen, c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder d) der Empfängnisregelung zu dienen bestimmt und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann ( 3 Medizinproduktegesetz). 2 Risikoklasse I: Zu dieser Klasse gehören Produkte mit niedrigem Risiko (nicht-invasive Produkte und wieder verwendbare chirurgischen Instrumente, z. B. Stethoskop, Spatel). Risikoklasse IIa: Zu dieser Klasse gehören nicht-aktive Produkte mit mittlerem Risiko sowie invasive bzw. nicht-invasive Produkte für kurzzeitige Benutzung (z. B. Kanülen). Risikoklasse IIb : Zu dieser Klasse gehören aktive Produkte mit mittlerem Risiko, die Substanzen oder Energie mit (potenziellem) Risiko emittieren und Produkte für längere Nutzung (z. B. Röntgengeräte, Kontaktlinsen). : Risikoklasse III: Zu dieser Klasse gehören Produkte mit hohem Risiko und solche, die mit dem Gefäßsystem oder dem zentralen Nervensystem in Kontakt kommen (z. B. Gefäßtransplantate). 3 nach der Studie Identifizierung von Innovationshürden in der Medizintechnik im Auftrag des BMBF, 2008 Stand: Dezember 2008 - - 1 -
2. Bedeutung und Besonderheiten von klinischen Prüfungen in der Medizintechnik 2.1.1. Klinische Prüfungen für die Inverkehrbringung von Medizinprodukten Für die Inverkehrbringung von Medizinprodukten ist laut Medizinproduktegesetz (MPG) eine klinische Bewertung des Produkts notwendig. Je nach Ausgangssituation und Eingruppierung des Produkts in eine bestimmte Risikoklasse kann die klinische Bewertung auf Grundlage einer Literaturrecherche erfolgen, in anderen Fällen ist die Durchführung einer klinischen Prüfung 4 (systematische Studie an Versuchspersonen) erforderlich. Die Anforderungen an die Durchführung der klinischen Prüfung werden dabei durch eine europäische Norm geregelt, die regelmäßig aktualisiert wird. Grundsätzlich ist bei implantierbaren Medizinprodukten und bei Produkten der Risikoklasse III eine klinische Prüfung notwendig. Aber auch bei Medizinprodukten der niedrigeren Risikoklassen ist eine klinische Prüfung immer dann erforderlich, wenn für die in jedem Fall durchzuführende klinische Bewertung entsprechende klinische Daten nicht verfügbar sind. Dies trifft hauptsächlich für innovative Low-Risk-Produkte zu. Bei dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) wurden zwischen 2003 und 2006 der Abschluss des Konformitätsbewertungsverfahrens bei 2.869 Produkten der Risikoklasse IIa, 1.230 Produkten der Klasse IIb und 273 Produkten der Risikoklasse III angezeigt. Im Gegensatz zu Arzneimittelstudien dient eine klinische Prüfung im Medizinproduktebereich nicht zum Nachweis der medizinischen Wirksamkeit des Medizinprodukts, sondern zur Feststellung seiner Sicherheit sowie der medizinischen und technischen Leistungsfähigkeit. Man unterscheidet im Allgemeinen auch nicht zwischen Phase I bis IV Studien. Weitere Besonderheiten hängen mit der Beschaffenheit von Medizinprodukten zusammen, so ist z.b. eine Verblindung der Intervention häufig schwierig durchzuführen, vielfach sind die Eingriffe invasiv und es handelt sich vielfach um Diagnostikstudien. 4 Klinische Prüfung (Definition nach EN ISO 14155-1:2003): eine geplante systematische Studie an Versuchspersonen, die vorgenommen wird, um die Sicherheit und/ oder Leistungsfähigkeit eines bestimmten Medizinprodukts zu überprüfen. Stand: Dezember 2008 - - 2 -
2.1.2. Änderungen im Medizinproduktegesetz (MPG) und damit verbundene Konsequenzen Am 14.06.07 wurden durch eine Änderung des MPG u.a. Gelenkersatzimplantate für Hüfte, Knie und Schulter neu als Produkte der Risikoklasse III eingestuft (nationale Umsetzung der Richtlinie 2005/50/EG). Kurz darauf wurde auf europäischer Ebene am 05.09.07 die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der bisherigen Medizinprodukterichtlinien veröffentlicht. Diese Richtlinie muss bis zum 21.12.2008 in nationales Recht übernommen werden und tritt ab 21.03.2010 in Kraft. Die zu erwartenden Änderungen betreffen im Wesentlichen Klarstellungen zur Notwendigkeit, klinische Prüfungen durchzuführen, und eine vermehrte stichprobenartige Prüfung des Designs der Produkte durch Benannte Stellen (z.b. spezielle TÜVs) auch bei Produkten niedrigerer Risikoklassen. Aufgrund neuer Herausforderungen durch die Erweiterung der EU, die gestiegenen Sicherheitsanforderungen und durch das Verschmelzen der klassischen Medizintechnik mit der Biotechnologie und Arzneimitteln plant die EU-Kommission darüber hinaus eine Neufassung des gesamten Rechtsrahmens für Medizinprodukte (aktive implantierbare medizinische Geräte, Medizinprodukte und In-Vitro-Diagnostika). Folgende Aspekte sind dazu u.a. in der Diskussion: - Verschärfung der wesentlichen Anforderungen und Weiterentwicklung der Bewertungsverfahren für Medizinprodukte der höchsten Risikoklasse (Klasse III) - Bessere Verfügbarkeit des Fachwissens, insbesondere durch die Schaffung eines Medizinprodukteausschusses bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA), deren Zuständigkeit von Arzneimitteln auf Medizinprodukte erweitert wird - ein EU weites Medizinprodukte-Monitoringsystem. Insgesamt ist zu erwarten, dass durch die o.g. nationalen und EU-weiten Änderungen des Rechtsrahmens die Zahl der zur Inverkehrbringung von Medizinprodukten notwendigen klinischen Prüfungen zunehmen wird. Stand: Dezember 2008 - - 3 -
2.2. Klinische Studien im Zusammenhang mit der Erstattung von Leistungen durch die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) Neben klinischen Prüfungen im Zusammenhang mit der Inverkehrbringung sind klinische Studien mit Medizinprodukten in Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit durch die GKV von hoher Relevanz. Diese Studien werden in der Regel mit verkehrsfähigen Medizinprodukten durchgeführt. Ziel ist vor allem die Bewertung des medizinischen Nutzens unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte. Für die Einführung und Anwendung neuer Medizinprodukte gibt es im ambulanten und stationären Sektor unterschiedliche Regelungen. Im ambulanten Bereich gilt das sogenannte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ( 135 SGB V), im stationären Sektor die sogenannte Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt ( 137c SGB V). Das heißt, dass im ambulanten Bereich ein Medizinprodukt nur dann von der GKV erstattet werden kann, wenn hierfür ein entsprechender Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vorliegt. Dazu muss der Unterausschuss Methodenbewertung des G-BA den diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit positiv beschieden haben. Im stationären Bereich dagegen gilt, dass eine Erstattung solange möglich ist, bis sich der G-BA gegen die Zulässigkeit ausspricht. Der G-BA muss dabei prüfen, ob die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für den stationären Bereich für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemeinen anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind ( 12 SGB V). Dabei sollen bei der Bewertung des Nutzens und der Notwendigkeit die gleichen Bewertungskriterien angewendet werden wie im ambulanten Bereich. In beiden Verfahren kann der G-BA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) mit der Bewertung des Nutzens beauftragen. Das IQWIG stützt sich dabei auf die Auswertung von veröffentlichten Studien. Bisher sind an das zuständige Ressort im IQWIG 43 Aufträge zur Bewertung von Nichtmedikamentösen Verfahren vom G-BA ergangen, wovon sich 24 mit der Verwendung von Medizinprodukten beschäftigen (davon 12 Aufträge zum Einsatz von PET/ CT bei verschiedenen Indikationen). Die vorliegenden Berichte und Unterlagen des IQWIG weisen daraufhin, dass häufig die verfügbare Evidenzlage begrenzt ist und Qualitätsprobleme bei den Studien bestehen. Diese Einschätzung wird durch den Innovationsservice der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bestätigt, der Defizite hinsichtlich der notwendigen Evidenz Stand: Dezember 2008 - - 4 -
zum Nachweis des klinischen Nutzens von ambulant einsetzbaren Medizinprodukten festgestellt hat. 5 3. Handlungsbedarf Sowohl in Hinblick auf die Inverkehrbringung von Medizinprodukten als auch hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit durch die GKV ist davon auszugehen, dass in größerem Umfang als bisher klinische Studien zu Medizinprodukten erforderlich werden und dass vor allem an Studien zum Nachweis des medizinischen Nutzens höhere Qualitätsanforderungen gestellt werden. Eine fundierte Erhebung zur Kompetenz bzw. zu den Ressourcen für klinische Studien mit Medizinprodukten in Deutschland ist zurzeit nicht vorhanden. Nach Aussagen von Vertretern der Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) ist davon auszugehen, dass die Erfahrung in Bezug auf klinische Studien mit Medizinprodukten in der Wissenschaft und bei den kleinen und mittleren Unternehmen relativ niedrig ist. Experten gehen darüber hinaus davon aus, dass es auch noch ungelöste methodische Fragen bei der Durchführung von klinischen Studien in der Medizintechnik gibt. Die o. g. Problemlage war auch bereits Anlass für die Gründung einer Arbeitsgruppe Medizintechnik der Telematikplattform für Medizinische Forschungsnetze (TMF) e.v. Diese plant u.a. Checklisten für die Durchführung von klinischen Studien mit Medizinprodukten zu erarbeiten. Um zu einer verbesserten und schnelleren Bewertung und damit auch zu einer schnelleren Einführung innovativer Medizinprodukte in das Gesundheitssystem zu kommen, verfolgt das Themennetzwerk Gesundheitstechnologie der acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) die Einführung von Pilotprojekten. Die Pilotprojekte sollen dabei zur Erprobung einer neuen Methode oder eines neuen Produktes dienen, für die bereits ein hohes Maß an Evidenz vorliegt. Diese Erprobung soll an bestimmten Zentren mit hoher Kompetenz und hohen Patientenzahlen stattfinden, die dafür zeitlich begrenzt eine Erstattung zulasten der GKV erhalten. 5 Schiffner, R.: Erfahrungen aus 2 Jahren KBV-Innovationsservice: Wie ist die wissenschaftliche Datenlage bzw. das Evidenzniveau bei ambulant einsetzbaren medizinischen Innovationen einzuschätzen? Tagungsband GMDS-Jahrestagung 2008, Düsseldorf, 2008 Stand: Dezember 2008 - - 5 -
Über die beiden genannten vereinzelten Aktivitäten hinaus gab es bisher keine umfassende Beschäftigung mit dem dargestellten Thema. In der Studie Identifizierung von Innovationshürden in der Medizintechnik, die im Auftrag des BMBF 2008 erstellt wurde, wird die klinische Forschung und Validierung innovativer Medizinprodukte sowie die dadurch bedingte fehlende Studienbasis als eine Innovationshürde bei der Einführung von Medizinprodukten in das Gesundheitswesen identifiziert. Es erscheint daher notwendig, die bestehenden Aktivitäten zusammenzuführen sowie noch nicht ausreichend bearbeitete Problembereiche zu identifizieren und hierfür Lösungsansätze zu entwickeln. Stand: Dezember 2008 - - 6 -
. Stand: Dezember 2008 - - 7 -