Funktionsabhängige Beschwerdebilder des Bewegungssystems. 2. Auflage. Kubalek-Schröder Dehler. Physiotherapie



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Physiotherapie KubalekSchröder Dehler Funktionsabhängige Beschwerdebilder des Bewegungssystems 2. Auflage BrüggerTherapie Reflektorische Schmerztherapie

. Bewegungsorganisation Muskel Sehne Abb..2 Aufbau des Skelettmuskels. (Mod. nach Bloom u. Fawcett 98 Knochen Muskelfasern ellkern Myofibrillen Sarkomer Line Muskelfaser Myofibrille Hone ABand IBand H GAktinMoleküle FAktinfilament Myosinmolekül Myosinfilament entimeter lang sein. Der M. sartorius verfügt mit ca. 20 cm über die längsten Muskelfasern. Die Muskelfaser entspricht der Muskelzelle. > > Auf einer Länge von 0 cm sind in der Muskelfaser bis zu 40.000 ellkerne zu finden. Die hohe ahl von ellkernen als Träger der genetischen Information deutet auf den hohen Regenerationsbedarf dieses Gewebes hin. Myofibrille Eine Muskelfaser besteht aus mehreren hundert Myofibrillenbündeln. Eine Myofibrille durchzieht die gesamte Faser und damit Muskellänge. Sie besteht aus zahlreichen hintereinander geschalteten Myofilamenten, auch Sarkomere genannt. Sarkomere Sarkomere bilden die kleinste kontraktile Einheit des Skelettmuskels. Eine Muskelfaser von 0 cm Länge enthält 00 200 Milliarden Sarkomere. Sie bestehen aus dreidi

8 Kapitel Neurophysiologische Grundlagen der Bewegung 2 3 4 5 8 9 0 2 3 4 5 8 9 20 2 mensional angeordneten Eiweißmolekülen, dem Aktin und Myosin. Die Aktinfilamente sind an den Scheiben des Sarkomers angeheftet, während die Myosinfilamente im mittleren Teil des Sarkomers zu finden sind. Jedes Myosinfilament ist von Aktinfilamenten umgeben, jedes Aktinfilament hat zu jeweils 3 Myosinfilamenten den gleichen Abstand. Lymphgefäße Die Lymphgefäße, die im Peri und Epimysium liegen, umgeben geflechtartig die Muskelfaserbündel. Die Lymphkapillaren bilden ein feinmaschiges Netz mit blind endenden, fingerförmigen Ausbuchtungen, die der Resorption der lymphpflichtigen Last dienen. Die sich an die Kapillaren anschließenden Gefäßabschnitte haben nur noch zum Teil resorbierende Funktion und üben vor allem eine ableitende Funktion aus (. Abb..3). Ein AktinMyosinKomplex steht für einige Kontraktionen zur Verfügung. Danach ist er verbraucht, und die Abbauprodukte der Aktin und Myosinfilamente gelangen in das Interstitium und werden durch das lymphatische System abtransportiert. > > Versagt das Lymphgefäßsystem örtlich oder ist die lymphpflichtige Eiweißlast so hoch, dass sie trotz eines gesteigerten Lymphzeitvolumens (Sicherheitsventilfunktion) nicht adäquat bewältigt werden kann, so kommt es zu einem Stau der Eiweißmoleküle im Interstitium. Da Eiweiß im Interstitium sogleich Wasser bindet, kann in manchen Fällen ein makroskopisch sichtbares Ödem entstehen (s. auch Abschn. 2.. Mechanisches Überlastungsödem ). 2 3 Kontraktion und Dekontraktion Gemäß der Gleitfilamenttheorie kommt es bei der Kontraktion zu einem Ineinandergleiten der Aktin und Myosinfilamente. Die Scheiben der Sarkomere nähern sich an. Ein Nervenimpuls löst an der motorischen Endplatte ein Aktionspotenzial aus, das die Muskelfasermembran, das Sarkolemm, erregt und sich in Form eines elektrischen Impulses über die gesamte Länge der Muskelfaser ausbreitet. Über das transversale Tubulussystem wird die Erregung elektrisch ins Innere der Muskelfaser geleitet. Die eigentliche Kontraktion erfolgt durch die Bindung der Myosinköpfe an die Aktinfilamente und eine Kippbewegung der Myosinköpfe. Biochemische Prozesse Die Voraussetzung für eine Bindung von Aktin und Myosin ist die Bindung von Adenosintriphosphat () an die Myosinköpfe, die dadurch eine elektrisch geladene Myosin wischenstufe bilden (Stadium I). Der elektrische Impuls führt zur Ausschüttung von Kalziumionen, die sich an die Troponinmoleküle des Aktinfilaments anlagern. Hierdurch verändert sich die Konfiguration des Tropomyosins, und die Bindungsstellen für die elektrisch geladenen Myosinköpfe werden frei und von den nächstgelegenen besetzt. Die Verbindung von Aktin und Myosin ist hergestellt (. Abb..4) (Stadium II). Diese mechanische Verbindung wird ohne Energieverbrauch aufgebaut. Es hat noch keine Bewegung stattgefunden. Die Kippbewegung wird ermöglicht durch die Aufspaltung von in Adenosindiphosphat (ADP) und anorganisches Phosphat mittels der spaltenden Aktivität der Myosinköpfe (ase). Ein Teil der hierbei freiwerdenden Energie wird für die Kippung der Myosinköpfe herangezogen, ein Teil geht in Wärmeenergie über (Stadium III). > > Die Kippbewegung der Myosinköpfe erfolgt unter Energieverbrauch. Die chemische Energie des wird zu etwa einem Viertel in mechanische Energie und zu etwa drei Vierteln in Wärmeenergie umgewandelt. 4 Abb..3 Lage der Lymphkapillaren im Interstitium. Arterieller Schenkel der Blutkapillare, 2 Venöser Schenkel der Blutkapillare, 3 Lymphkapillare, 4 Offene Interzellularfuge Schwingender ipfel, 5 Fibrozyt, Ankerfibrillen, Interzellularraum. Kleine Pfeile markieren die Richtung des Blutstroms, die großen Pfeile die der Interzellularflüssigkeit. (Földi u. Kubik 99) Eine Kippbewegung der Myosinköpfe bewirkt eine etwa %ige Verkürzung des Sarkomers. Erst durch die vielfache Wiederholung der auch als Ruderschläge bezeichneten Kippbewegung kommt es zur Muskelkontraktion. Eine ca. 30%ige Verkürzung des Sarkomers ist möglich.

. Bewegungsorganisation 9 Ca 2+ ADP + P i Abb..4 Biochemische Prozesse bei der Muskelkontraktion. Einteilung in Stadien I bis IV. (Mod. nach Schmidt 998) I II III IV ur Lösung der Querbrückenbindung wird ebenfalls benötigt. Die AktinMyosinBindung wird aufgehoben, und das Myosinköpfchen rotiert in seine Ausgangsstellung zurück (Stadium IV). Man spricht daher auch von der Weichmacherwirkung des, die ausbleibt, wenn die Resynthetisierung von nicht mehr erfolgt, wie z. B. bei Eintritt des Todes (Rigor mortis). > > Da auch die Lösung der Querbrückenbindungen und das Auseinandergleiten der Aktin und Myosinfilamente unter Energieverbrauch stattfinden, wurde jede Form der Verlängerung eines Muskels von Brügger als Dekontraktion bezeichnet. Der Begriff soll den aktiven Prozess der Muskelverlängerung der kontraktilen Einheiten im Gegensatz zur passiven Dehnung parallel elastischer Elemente des Muskels (bindegewebige Hüllen) und serienelastischer Elemente (Sehnen) verdeutlichen. Passive Bewegung Vergleicht man eine aktive mit einer passiven Bewegung, ergibt sich kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer Unterschied. Auch die passiv durchgeführte Bewegung geht mit einer Kontraktion der Muskulatur einher, bei der Aktionspotenziale nachweisbar sind, und bei der die Aktin und Myosinfilamente ineinander gleiten. Ein Muskel kann sich nicht in Falten legen. > > Unter einer konzentrischen Kontraktion wird sowohl die aktive als auch die passive Verkürzung eines Muskels verstanden. Tipp Auch bei der passiv durchgeführten Beweglichkeitsprüfung eines Gelenks werden neben Kapsel und Bandapparat stets muskuläre Strukturen mit erfasst. Die isolierte Beurteilung der beteiligten Strukturen ist daher nicht möglich. Kraftentfaltung Die Kraftentfaltung eines Muskels hängt u. a. von seinem mechanischen und physiologischen Wirkungsgrad ab. Mechanischer Wirkungsgrad eines Muskels Der mechanische Wirkungsgrad eines Muskels wird durch die Bestimmung des Drehmoments erfasst. Er ist das Produkt aus der einwirkenden Kraft (F) und dem wirksamen Hebel (h). > > Durch die Veränderung der Körperhaltung bei bestimmten Bewegungen kann der wirksame Hebel verlängert und die Kraftentfaltung eines Muskels vergrößert werden. Durch die Beckenkippung im Bewegungsmuster der aufrechten Körperhaltung verlängert sich der wirksame Hebel der ischiokruralen Muskulatur. Die Kraftentfaltung der hüftextensorisch wirkenden Muskelgruppe ist daher in aufrechter Körperhaltung vergrößert, was z. B. beim Treppesteigen und Bücken von Bedeutung ist (vgl. Abschn. 3.3.5). Physiologischer Wirkungsgrad eines Muskels Der physiologische Wirkungsgrad eines Muskels hängt von verschiedensten Faktoren ab: der AktinMyosinÜberlappung, der Kontraktionsgeschwindigkeit, der Rekrutierung motorischer Einheiten, der Anzahl der innervierten Motoneurone u. a. AktinMyosinÜberlappung Bei starker Verkürzung der Muskulatur (Annäherung von Ursprung und Ansatz) werden die Myosinfilamente zwischen den Scheiben der Sarkomere komprimiert, die Aktinfilamente behindern einander. Die Bildung von Querbrücken ist erschwert. Die Muskelspannung ist reduziert. Bei Muskelruhelänge (mittleres Bewegungsausmaß) sind die meisten Querbrücken möglich. Die Kraftentfaltung des Muskels ist optimiert. Bei starker Verlängerung (Entfernung von Ursprung und Ansatz) der Muskulatur haben die Aktin und Myosinfilamente nur wenige Bindungsmöglichkeiten. Die Muskelspannung ist reduziert (. Abb..5). > > Durch die Veränderung der Körperhaltung bei bestimmten Bewegungen kann die Querbrückenbildung verbessert und die Kraftentfaltung eines Muskels vergrößert werden.

0 Kapitel Neurophysiologische Grundlagen der Bewegung 2 3 4 Kraft P 0 in % 20 0 0,0 5 4 3 2,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 Sarkomerlänge in μm 3,5 μm 2,20 2,25 μm 2,05 μm,85,90 μm Abb..5 Darstellung des Verhältnisses zwischen Muskelkraft und Muskellänge. (Mod. nach Carlson u. Wilkie 9) 5,5 μm 8 9 0 2 3 4 5 8 9 20 2 Durch die Beckenkippung mit thorakolumbaler Lordosierung der Wirbelsäule im Bewegungsmuster der aufrechten Körperhaltung kann sich die ahl der Querbrückenbildung der rückenstreckenden Muskulatur im Vergleich zur totalkyphotischen Einstellung der Wirbelsäule mit aufgerichtetem Becken deutlich erhöhen. Der physiologische Wirkungsgrad der Rückenmuskulatur ist daher in aufrechter Körperhaltung, z. B. beim Bücken, vergrößert (vgl. Abschn. 3.3.5)..2 Hierarchie des zentralen Nervensystems (NS) Die Entwicklung der hierarchischen Ordnung des NS und der motorischen Systeme wurde erstmals von Jackson (835 9) formuliert. Im Rahmen der Evolution erfolgte eine phylogenetisch (stammesgeschichtlich) optimierte Anpassung an die bestehenden Aufgaben. Hierbei kam es zu einem Überbau mit zusätzlichen, leistungsfähigeren Steuerungssystemen. Die bereits bestehenden Strukturen wurden teilweise weiterentwickelt, kamen aber vor allem unter die Kontrolle der phylogenetisch jüngeren Strukturen. Neben dieser hierarchischen Organisation entwickelte sich gleichzeitig eine parallele, partnerschaftliche usammenarbeit zwischen den einzelnen Ebenen und entren. Sie beruht auf der zunehmenden Spezialisierung von einzelnen motorischen entren. Prozesse der Bewegungsdurchführung Die Bewegungsinduktion, der Wille eines selbstbewussten Individuums, erfolgt in diesem usammenhang auf höchster Ebene. Ihr obliegt u. a. die Selektion der Meldungen, die im Kontext der Aufgabe relevant sind. Sie ist ein bewusster Vorgang. Die weiteren Prozesse der Bewegungsdurchführung laufen unwillkürlich ab; die hierzu erforderlichen Bewegungsprogramme werden auf hierarchisch untergeordneten Ebenen realisiert.,05 μm Möchte eine Person ein Buch aus dem Regal holen, so ist ihr sowohl der Wunsch nach dem Buch als auch der derzeitige Standort des Buches im Regal an der gegenüberliegenden Wand aufgrund der optischen Sinneswahrnehmung bewusst. Die nun folgenden Bewegungen des Gehens und Ergreifens des Buches laufen unbewusst ab. Die Art und Weise der Beinbewegung, die zeitliche Reihenfolge und Intensität der Aktivierung der Handmuskeln erfolgen unwillkürlich. Das Individuum kann Muskulatur nur über die beabsichtigte Bewegung und nicht über die kortikale Ansteuerung des einzelnen Motoneurons erreichen. > > Das Gehirn denkt nicht in Muskeln, sondern in Bewegungen! (J.H. Jackson) Die Art und Weise der Bewegung hängt vom augenblicklichen ustand des NS und des Bewegungsapparates ab. Je nach Position des Körpers und allgemeinem Aktivitätszustand wird eine Bewegung mit anderen Muskelgruppen und in unterschiedlicher Intensität durchgeführt. Das realisierte Bewegungsmuster stellt daher weniger ein strukturelles als vielmehr ein funktionelles Ergebnis dar. Erst wenn nach erfolgter Induktion der Bewegung Gegebenheiten eine bewusste Einflussnahme auf die Bewegung erforderlich machen, wird die höchste Ebene erneut aktiviert. Dies geschieht vor allem dann, wenn die hierarchisch untergeordneten Ebenen mit der Bearbeitung der sensiblen Afferenzen überfordert sind, und die afferenten Signale der Sinnesrezeptoren über den Thalamus die höchste Ebene erreichen. Eine Person fährt Fahrrad und führt unwillkürlich die erforderlichen Gleichgewichtsreaktionen aus, bis unerwartet ein Fußball vor ihr auf die Straße rollt. Die sensorischen Afferenzen der Augen als optische Sinnesrezeptoren bewirken die bewusste Veränderung des Bewegungsprogramms Fahrradfahren und veranlassen ein abruptes Abbremsen.

.3 Motorisches Lernen Die bewusste Wahrnehmung von sensorischen Afferenzen auf kortikaler Ebene führt in der Regel zu einer bewussten Korrektur der motorischen Aktivität. Propriozeptoren können beim Anheben eines Gegenstandes das Gefühl vermitteln, ein Gegenstand sei zu schwer, was zu einer langsameren Hebebewegung unter einer erhöhten Rekrutierung motorischer Einheiten führen kann, oder zu der Entscheidung, den Gegenstand zu zweit anzuheben. Bewegungsprogramme Das NS arbeitet programmorganisiert. Angeborene, also ererbte Programme wie das Atmen, Saugen, Schlucken, Greifen, die Fortbewegung u. a. werden im Laufe des Lebens ergänzt durch zahlreiche erlernte Programme. Einige Lehrmeinungen (Vojta) gehen sogar davon aus, dass die pränatal angelegten Bewegungsprogramme die Grundbausteine der menschlichen Motorik sind, auf denen die später erlernten Programme aufbauen können. Diese laufen nach häufiger Wiederholung im Sinne des motorischen Lernens nahezu automatisch ab, wie es z. B. beim Gehen, Schreiben und unterschiedlichen Sportarten der Fall ist. Betrachtet man Bewegungsabläufe beim Menschen, so findet sich eine Ähnlichkeit in der Ausprägung arttypischer Bewegungsmuster. Beim zügigen Gehen ohne zusätzlich zu tragende Lasten lässt sich beim Vorschwingen des Spielbeins das Rückschwingen des gleichseitigen Armes sowie das Vorschwingen des Armes der Gegenseite beobachten. Beim schnellen Laufen, bei dem eine rasche Abfolge der Armbewegung erforderlich ist, erfolgt das Armpendel bei annähernd rechtwinklig gebeugtem Ellbogengelenk. Darüber hinaus geht es mit einer verstärkten Thoraxhebung einher, um die Kapazität der Lungen ausschöpfen zu können. Andererseits weisen gleiche Bewegungsabläufe interindividuell spezifische Unterschiede auf, sodass man z. B. viele Menschen bereits aus der Ferne an ihrem Gangbild erkennen kann. Die Ausprägung bestimmter Bewegungsmuster lässt sich auf die programmorientierte Arbeitsweise des NS zurückführen. > > Im Sinne eines motorischen Lernens etablieren sich bei jedem Individuum unter physiologischen Voraussetzungen Bewegungsmuster, die effektiv, ökonomisch und strukturschonend sind. Sowohl die interindividuellen Gemeinsamkeiten als auch die spezifischen Unterschiede der Bewegungsprogramme lassen auf die Fähigkeit des NS schließen, Informationen aus der Peripherie zielgerichtet verarbeiten zu können. Unter diesen Gesichtspunkten stellt das Bewegungsmuster der aufrechten Körperhaltung (AKH) nach Brügger im Rahmen der Evolution mit der Umstellung vom Vierfußgang zum bipedalen Gang eine optimale Anpassung an externe und interne Gegebenheiten dar. Es ist ein Bestandteil der phylogenetischen Entwicklung des Menschen (s. Abschn. 3.)..3 Motorisches Lernen Neueren Erkenntnissen zufolge hängt die Struktur des Gehirns und somit auch seine Funktion ganz wesentlich davon ab, wie es benutzt wird. Die früher bestehende Vorstellung, nach seiner Reifung sei das Gehirn weitgehend unveränderlich, wird durch neuere Untersuchungen immer mehr widerlegt. Diese Plastizität des zentralen Nervensystems ist die Grundlage von Lernprozessen und Gedächtnisleistungen, die die elementare Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit unter veränderlichen Umweltbedingungen bilden. Motorische Lernprozesse als Teilbereich des Lernens beruhen daher auf der Fähigkeit des zentralen Nervensystems, sich neuen motorischen Aufgaben anzupassen. > > Wirft man einen Blick auf die physiologischen Vorgänge, die motorischen Lernprozessen zugrunde liegen, so ist nachweisbar, dass die wiederholte neuronale Stimulation zu einer Steigerung der synaptischen Übertragung führt (Langzeitpotenzierung). Dieser zentralnervöse Anpassungsprozess ist mit einem Trampelpfad vergleichbar, der durch ständigen Gebrauch verbreitert und befestigt wird, und schließlich zur DatenAutobahn wird. In verschiedensten, v. a. sportwissenschaftlichen Untersuchungen stellt die Optimierung neu zu lernender Bewegungsabläufe ein zentrales Thema dar. Dazu wurde der Frage nachgegangen, wie motorisches Lernen abläuft, und in verschiedenen Modellen dargestellt, die jeweils Teilbereiche der Problematik erfassen. Tipp Da die Vermittlung und Automatisierung neuer Bewegungsmuster im BrüggerKonzept eine große Rolle spielt, fließen Erkenntnisse aus dem Bereich des motorischen Lernens in die Therapie ein (s. auch Abschn.. ADL Training ). Vorgestellt werden im Folgenden: das ClosedLoopModell, die Schematheorie und die Stadien des Lernprozesses.