Obergericht Appenzell Ausserrhoden 4. Abteilung



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Transkript:

Obergericht Appenzell Ausserrhoden 4. Abteilung Urteil vom 25. Februar 2015 Mitwirkende Obergerichtsvizepräsident W. Kobler Oberrichter M. Engler, E. Graf, P. Louis, S. Graf a.o. Gerichtsschreiberin E. Kohlbrenner Verfahren Nr. O4V 13 50 Sitzungsort Trogen Beschwerdeführer A vertreten durch: Fürsprecher B Vorinstanz Departement Sicherheit und Justiz, Schützenstrasse 1, 9100 Herisau Migrationsamt Appenzell Ausserrhoden, Landsgemeindeplatz 5, 9043 Trogen Gegenstand Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt

Rechtsbegehren a) des Beschwerdeführers: 1. Der angefochtene Rekursentscheid des Beschwerdegegners vom 24. Oktober 2013 sei vollumfänglich aufzuheben. 2. Unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsbewilligung zum erwerblosen Aufenthalt zu erteilen. b) der Vorinstanz: 1. Die Beschwerde sei abzuweisen. 2. Unter Kostenfolge zulasten des Beschwerdeführers. Sachverhalt A. Der Beschwerdeführer, geboren am XX.XX.1972, ist portugiesischer Staatsangehöriger. Am 16. Mai 2011 reiste er in die Schweiz ein und erhielt vom Migrationsamt des Kantons Zürich eine bis 30. November 2011 befristete Kurzaufenthaltsbewilligung L-EG/EFTA zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit. Wegen gesundheitlicher Probleme des Beschwerdeführers kündigte sein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis per 10. August 2011. Am 24. November 2011 meldete sich der Beschwerdeführer bei der Einwohnerkontrolle in Herisau an. Sein Gesuch um Erteilung einer Kurzaufenthaltsbewilligung wurde vom Migrationsamt des Kantons Appenzell Ausserrhoden mit Verfügung vom 8. Februar 2012 abgelehnt, da er weder über die erforderlichen finanziellen Mittel noch über eine eigene Wohnung verfügte 1. Mit Entscheid vom 1. November 2012 lehnte das Departement Sicherheit und Justiz einen gegen die Verfügung erhobenen Rekurs ab 2. B. Vom 1. September 2011 bis zum 30. August 2012 bezog der Beschwerdeführer Sozialhilfeleistungen 3. Mit IV-Verfügung vom 12. April 2013 wurde dem Beschwerdeführer aufgrund eines IV-Grades von 100 % ab August 2012 eine ordentliche Invalidenrente (ganze Rente) 1 2 3 Vi act. 20. Vi act. 84. Vi act. 109. Seite 2

von Fr. 1 382.-- /Mt. zugesprochen 4. Die IV-Renten von August 2012 bis Juli 2013 wurden zur Rückerstattung der bezogenen Sozialhilfeleistungen direkt dem Sozialamt Herisau überwiesen. Seit August 2013 wird die IV-Rente dem Beschwerdeführer ausbezahlt 5. C. Am 30. Januar 2013 stellte der Beschwerdeführer beim Migrationsamt ein Gesuch um Erteilung einer Bewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt 6. Mit Verfügung vom 6. September 2013 wies das Migrationsamt das Gesuch mit der Begründung ab, die ordentliche Invalidenrente von monatlich Fr. 1 382.-- reiche nicht zur Deckung der Lebenshaltungskosten in der Schweiz. Eine Bewilligungserteilung wäre demnach mit einem konkreten Sozialhilferisiko verbunden 7. Ein dagegen erhobener Rekurs lehnte das Departement Sicherheit und Justiz mit Entscheid vom 23. Oktober 2013 ab 8. D. Gegen diesen Entscheid erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 26. November 2013 Beschwerde ans Obergericht. In der Begründung führt er im Wesentlichen aus, er habe gegenüber seiner ehemaligen Vorsorgeeinrichtung (Swiss Life) Leistungsansprüche; sowohl inskünftig als auch rückwirkend. Mit dieser Pensionskasseninvalidenrente und der IV-Rente verfüge er über genügendes Einkommen, um seinen Lebensunterhalt in der Schweiz bestreiten zu können 9. E. Mit Vernehmlassung vom 6. Januar 2014 beantragt die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer erfülle zum jetzigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Bewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt nicht. Es sei ihm zumutbar, den ausstehenden Entscheid über die IV- und Rentenzahlungen in seiner Heimat abzuwarten 10. F. Mit Replik vom 11. März 2014 reichte der Beschwerdeführer ein Schreiben der Swiss Life vom 4. März 2014 ein, in welchem sein Anspruch auf eine (rückwirkende) Invalidenrente bestätigt wird. Zugleich beantragte er eine Sistierung des Verfahrens bis zur Einreichung der Rentenberechnung 11. G. Mit Schreiben vom 13. März 2014 erklärte sich die Vorinstanz mit einer Verfahrenssistierung einverstanden und verzichtete im Weiteren auf die Einreichung einer Duplik 12. 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Vi act. 107. Vi act. 115. Vi act. 98 und 100. Vi act. 118. Vi act. 126. Act. 1. Act. 8. Act. 15 f. Act. 18. Seite 3

H. Mit Schreiben vom 28. August 2014 reichte der Beschwerdeführer die Rentenberechnung der Swiss Life ein, wonach ihm rückwirkend ab dem 5. August 2013 eine monatliche Invalidenrente von Fr. 736.90 zugesprochen wurde 13. I. Mit Urteil vom 25. Februar 2015 hiess das Obergericht die Beschwerde gut. Das Dispositiv wurde am 27. Februar 2015 versandt, woraufhin die Vorinstanz fristgerecht eine Begründung verlangte 14. Erwägungen 1. Prozessuales Die von Amtes wegen vorzunehmende Prüfung der Prozessvoraussetzungen ergibt, dass diese sowohl hinsichtlich der Beschwerdeberechtigung als auch hinsichtlich der Form- und Fristerfordernissen erfüllt sind. Die sachliche bzw. funktionale Zuständigkeit des Obergerichts ergibt sich aus Art. 54 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG, bgs 143.1), wonach das Obergericht zur Behandlung der Beschwerden gegen letztinstanzliche Verfügungen der Verwaltungsbehörden zuständig ist. Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten. 2. Materielles 2.1 Das Freizügigkeitsabkommen (FZA, SR 0.142.112.681) gewährt ein Recht auf Aufenthalt für Personen, die im Aufenthaltsstaat keine Erwerbstätigkeit ausüben, sofern die Voraussetzungen gemäss Anhang I über Nichterwerbstätige erfüllt sind (Art. 1 lit. c i.v.m. Art. 6 FZA). Nach Art. 24 Abs. 1 Anhang I FZA erhält eine Person, die die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei besitzt und keine Erwerbstätigkeit im Aufenthaltsstaat ausübt und dort kein Aufenthaltsrecht auf Grund anderer Bestimmungen dieses Abkommens hat, eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, sofern sie den zuständigen nationalen Behörden den Nachweis dafür erbringt, dass sie für sich selbst und ihre Familienangehörigen über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen (lit. a) und über eine Kran- 13 14 Act. 25 f. Act. 33 und 37. Seite 4

kenversicherungsschutz verfügen, der sämtliche Risiken abdeckt (lit. b). Gemäss Art. 24 Abs. 2 Anhang I FZA gelten die finanziellen Mittel als ausreichend, wenn sie den Betrag übersteigen, unterhalb dessen die eigenen Staatsangehörigen auf Grund ihrer persönlichen Situation und gegebenenfalls derjenigen ihrer Familienangehörigen Anspruch auf Fürsorgeleistungen haben. In Art. 16 der Verordnung über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (VEP, SR 142.203) wird die Voraussetzung der ausreichenden finanziellen Mittel präzisiert: Die finanziellen Mittel von EU- und EFTA-Angehörigen sowie ihren Familienangehörigen sind ausreichend, wenn sie die Fürsorgeleistungen übersteigen, die einem schweizerischen Antragsteller oder einer schweizerischen Antragstellerin und allenfalls seinen oder ihren Familienangehörigen aufgrund der persönlichen Situation nach Massgabe der Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) gewährt werden (Abs. 1). Die finanziellen Mittel sind für rentenberechtigte EU- und EFTA-Angehörige sowie ihre Familienangehörigen ausreichend, wenn sie den Betrag übersteigen, der einen schweizerischen Antragsteller oder eine schweizerische Antragstellerin und allenfalls seine oder ihre Familienangehörigen zum Bezug von Ergänzungsleistungen nach dem Bundesgesetz vom 19. März 1965 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG, SR 831.30) berechtigt (Abs. 2). 2.2 Der Beschwerdeführer hat als EU-Angehöriger einen Anspruch auf eine Bewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt in der Schweiz, sofern er nachweisen kann, dass er über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, d.h. keine Sozialhilfeleistung in Anspruch nehmen muss, und über einen genügenden Krankenversicherungsschutz verfügt. Die Voraussetzung des genügenden Krankenversicherungsschutzes ist unbestrittenermassen gegeben 15. Strittig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer über ausreichende finanzielle Mittel verfügt. Vorab ist allerdings zu klären, welche Gesetzesbestimmung Art. 16 Abs. 1 oder Art. 16 Abs. 2 VEP auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar ist. 2.3 Adressat von Art. 16 Abs. 1 VEP sind EU- und EFTA-Angehörige ; die ausreichenden finanziellen Mittel werden nach Massgabe der SKOS-Richtlinien, den Bestimmungen über die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe, beurteilt. Adressat von Art. 16 Abs. 2 VEP sind rentenberechtigte EU- und EFTA-Angehörige ; die ausreichenden Mittel werden nach den Bestimmungen im Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung beurteilt. In der Lehre findet sich die Meinung, dass Art. 16 Abs. 2 VEP auf EU- und EFTA-Angehörige Anwendung findet, die eine Rente einer 15 Vi act. 91. Seite 5

ausländischen Sozialversicherung beziehen 16. Der Beschwerdeführer bezieht demgegenüber Renten der schweizerischen Sozialversicherung. Aus dem Prinzip der Subsidiarität der Sozialhilfe ergibt sich indes, dass auch auf den vorliegenden Fall Art. 16 Abs. 2 VEP zur Anwendung kommt. Die Sozialhilfe ist gegenüber den anderen Sozialversicherungsleistungen, einschliesslich der Ergänzungsleistung, subsidiär 17. Sie kommt nur zum Tragen, wenn kein Anspruch auf eine andere Sozialversicherungsleistung besteht. Im vorliegenden Fall bezieht der Beschwerdeführer eine Rente der Invalidenversicherung. Personen, die eine Rente der Invalidenversicherung beziehen und ihren Existenzbedarf nicht decken können, haben unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen Anspruch auf den Bezug von Ergänzungsleistungen (Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG). Als Bezüger einer IV- Rente würde beim Beschwerdeführer demnach im Falle nicht ausreichender finanzieller Mittel die Ergänzungsleistung und nicht die Sozialhilfe greifen. Die Frage, ob der Beschwerdeführer über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, ist daher nach den Bestimmungen im Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, also nach Art. 16 Abs. 2 VEP, zu beurteilen. 2.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, er beziehe eine monatliche IV-Rente von Fr. 1 382.--. Zusammen mit der Pensionskasseninvalidenrente der Swiss Life, welche sowohl rückwirkend als auch zukünftig erbracht werde, verfüge er über genügendes Einkommen, um seinen Lebensunterhalt in der Schweiz bestreiten zu können. Die Gefahr einer Fürsorgeabhängigkeit bestehe nicht. Die bezogenen Sozialhilfeleistungen seien dem Sozialamt vollständig zurückbezahlt worden 18. 2.5 Die Vorinstanz bringt vor, der Beschwerdeführer erfülle zum jetzigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Bewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt nicht. Dem Beschwerdeführer sei zumutbar, den Entscheid über die IV- und Rentenleistungen in seiner Heimat abzuwarten. Würden sich im Verlaufe dieses Verfahrens massgebliche Änderungen in der Rentensituation ergeben und seien die finanziellen Voraussetzungen für einen weiteren Verbleib in der Schweiz definitiv erfüllt, könne der Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung nochmals überprüft werden 19. 2.6 Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG). Der Beschwerdeführer 16 17 18 19 SPESCHA, Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA), in: Spescha/Thür/Zünd (Hrsg.), Migrationsrecht, S. 647. BGE 116 V 328 E. 1c; Urteil des Bundesgerichts 9C_372/2010 vom 13. September 2010 E. 3.3. Act. 1. Act. 8. Seite 6

verfügt folglich über ausreichende finanzielle Mittel im Sinne von Art. 16 Abs. 2 VEP, wenn seine anrechenbaren Einnahmen seine (anerkannten) Ausgaben übersteigen. Der Beschwerdeführer verfügt jährlich über folgende anrechenbare Einnahmen: Rente der Invalidenversicherung (IV-Rente) 20 Fr. 16 584.-- Invalidenrente der Swiss Life 21 Fr. 8 843.-- Total Einnahmen pro Jahr Fr. 25 427.-- Den Einnahmen stehen folgende jährliche Ausgaben gegenüber (vgl. Art. 10 Abs. 1 ELG): Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf Fr. 19 290.-- Mietzins (inkl. Nebenkosten) Fr. 2 200.-- Krankenkasse (inkl. Jahresfranchise) 22 Fr. 4 027.-- Total Ausgaben pro Jahr Fr. 25 517.-- Hinsichtlich der Ausgabe Mietzins in der Höhe von Fr. 2 200.--/Jahr ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer zusammen mit seinem Bruder und dessen Ehefrau eine 4-Zimmerwohnung bewohnt. Der Mietzins beträgt pauschal Fr. 6 600.--/Jahr 23. Dem Beschwerdeführer wird anteilsmässig ein Drittel des Mietzinses, also Fr. 2 200/Jahr, angerechnet 24. 2.7 Zusammenfassend hat der Beschwerdeführer jährlich Einnahmen von Fr. 25 427.-- und Ausgaben von Fr. 25 517.--. Daraus resultiert ein jährlicher Fehlbetrag von Fr. 90.--. Dem Beschwerdeführer fehlen somit pro Monat Fr. 7.50 zur Deckung seines Lebensunterhaltes in der Schweiz. Die Voraussetzung der ausreichenden Mittel für die Erteilung einer Bewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt ist damit zwar knapp nicht erfüllt. Eine Verweigerung der Bewilligung wegen dem geringen monatlichen Fehlbetrag von Fr. 7.50 ist aber als unverhältnismässig einzustufen. Im Sinne dieser Überlegung gelten die Voraussetzungen der Aufenthaltserteilung nach Art. 24 Abs. 1 und 2 Anhang I FZA als erfüllt. Der angefochtene Entscheid ist demnach aufzuheben und das Migrationsamt ist anzuweisen, dem Beschwerdeführer die Bewilligung zum erwerbslosen Aufenthalt zu erteilen. 20 21 22 23 24 Vi act. 107. Act. 26. Vi act. 91 und 111. Vi act. 90. Dies wurde auch von der Vorinstanz so gehandhabt (Vi act. 111). Seite 7

2.8 Anzufügen bleibt, dass nach Massgabe von Art. 24 Abs. 8 Anhang I FZA das Aufenthaltsrecht nicht mehr fortbesteht und aufenthaltsbeendende Massnahmen eingeleitet werden können, wenn der Beschwerdeführer doch Ergänzungsleistungen beansprucht 25. 3. Kosten Nach Art. 53 Abs. 1 i.v.m. Art. 19 Abs. 3 VRPG ist im Beschwerdeverfahren gebühren- und kostenpflichtig, wer ganz oder teilweise unterliegt oder auf dessen Rechtsmittel nicht eingetreten wird. Nachdem die Beschwerde gutzuheissen ist, sind dem Beschwerdeführer keine Gerichtskosten aufzuerlegen. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.-- ist dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten. Bei der Vorinstanz sind keine Kosten zu erheben (Art. 22 Abs. 1 VRPG). 4. Parteientschädigung Im Verfahren vor Obergericht hat die obsiegende Partei in der Regel Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 53 Abs. 3 VRPG). Dem obsiegenden Beschwerdeführer sind die Kosten seines Anwaltes zu ersetzen. Für die Bemessung der anwaltlichen Entschädigung im Verwaltungsverfahren vor Obergericht kommt die Honorarpauschale zur Anwendung (Art. 13 Abs. 1 lit. c i.v.m. Art. 16 Abs. 1 Verordnung über den Anwaltstarif [bgs 145.53]). Vorliegend rechtfertigt sich ein Betrag von Fr. 2 000.--. Mithin ist dem Beschwerdeführer zu Lasten der Staatskasse eine Parteientschädigung von Fr. 2 000.-- (Barauslagen und Mehrwertsteuer inbegriffen) zuzusprechen. 25 BGE 135 II 265 E. 3.6. Seite 8

Demnach erkennt das Obergericht: 1. Die Beschwerde von A wird gutgeheissen. Der Rekursentscheid vom 24. Oktober 2013 des Departementes Sicherheit und Justiz sowie die Verfügung vom 6. Oktober 2013 des Migrationsamtes werden aufgehoben. Das Migrationsamt wird angewiesen, dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsbewilligung zum erwerblosen Aufenthalt zu erteilen. 2. Auf die Erhebung einer Entscheidgebühr wird verzichtet. Die Gerichtskasse wird angewiesen, dem Beschwerdeführer den Kostenvorschuss von Fr. 600.-- zurückzuerstatten. 3. Dem Beschwerdeführer wird zu Lasten der Staatskasse eine Parteientschädigung von Fr. 2 000.-- (Barauslagen und Mehrwertsteuer inbegriffen) zugesprochen. 4. Rechtsmittel: Gegen dieses Urteil kann innert 30 Tagen seit dessen Zustellung beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG, SR 173.110) geführt werden. 5. Zustellung an den Beschwerdeführer über dessen Anwalt, die Vorinstanz, das kantonale Migrationsamt, das Bundesamt für Migration sowie nach Rechtskraft an die Gerichtskasse. Im Namen der 4. Abteilung des Obergerichts Der Obergerichtsvizepräsident: Die a.o. Gerichtsschreiberin: lic. iur. Walter Kobler Dr. iur. Eliane Kohlbrenner versandt am: 27.03.15 Seite 9