PORTRÄT EINER BRANCHE ERSTER TEIL Fachbeitrag: Problemlöser für die Industrie 7
8 High-End-Prozesse prägen das Bild der Branche der Werkzeug- und Formenbau ist die technologische Avantgarde der Industrie. Bild: Röders
PROBLEMLÖSER FÜR DIE INDUSTRIE Die Werkzeug- und Formenbauer aus dem deutschen Sprachraum sind nicht nur technologisch an der Weltspitze: Als kompetente Partner für Lösungen rund um die Wertschöpfungskette tragen sie mit ihrem Know-how maßgeblich zum Erfolg einer Produktidee bei. Werkzeug- und Formenbauer haben im Entstehungsprozess eines Produkts eine Schlüsselstellung. Sie bilden die Schnittstelle, an der aus einer Produktidee, einer Konstruktion, zum ersten Mal ein fassbares Produkt wird: Sie gestalten die ersten greifbaren Prototypen und erschaffen die Betriebsmittel, die bei der eigentlichen Produktion zum Einsatz kommen. Dabei hängt es entscheidend vom Know-how der Werkzeugmacher ab, wie effizient, wie wirtschaftlich, aber auch in welcher Qualität in der Serie produziert werden kann. Hier haben die Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Recht einen hervorragenden Ruf als Problemlöser der Industrie. Trotz dieser wichtigen Stellung in der Wertschöpfungskette gibt es in Deutschland keine umfassenden Kennzahlen zu Umsatz und Größe der Branche. Auch Daten über die Struktur der Werkzeug- und Formenbaubetriebe sind kaum greifbar. Allenfalls geographisch: Charakteristisch ist eine Clusterbildung von Werkzeugund Formenbauern im regionalen Umfeld der Automobil-Industrie. Schwerpunkte des Werkzeugbaus finden sich unter anderem in Bayern, Baden-Württemberg, in Sachsen, im Siegerland und im Sauerland sowie im österreichischen Kremstal. Während die großen Betriebe inzwischen zum Großteil über industrielle Strukturen und Abläufe verfügen, sind die kleineren und mittleren Unterneh- Das Stichwort Wettbewerb Excellence in Production Das WZL der RWTH Aachen und das Fraunhofer IPT Aachen schreiben alljährlich den Benchmark- Wettbewerb Excellence in Production aus: Die teilnehmende Unternehmen aus dem Werkzeugund Formenbau erhalten hier die Möglichkeit, Optimierungspotenzial im eigenen Unternehmen aufzudecken. Anhand einer umfangreichen Sammlung unternehmensrelevanter Kennzahlen werden die Stärken und Schwächen der Teilnehmer in den Feldern Technologie, Unternehmensstrategie und Kundenorientierung ermittelt. Eindrucksvoll demonstrieren die Sieger und Finalisten des Wettbewerbs die Leitungsfähigkeiten des deutschen Werkzeugbaus: Die Unternehmen zeigen, dass Werkzeug- und Formenbauer hierzu- men noch immer zu einem guten Teil handwerklich geprägt. Aber auch hier gibt es, wo sinnvoll, Ansätze beispielsweise zu Standardisierung und Parametrisierung. Gerade hierzulande sehen sich die Werkzeug- und Formenbauer als technologisch führende, innovative Avantgarde. Zurecht: Nirgendwo sonst in der lande nicht nur technologisch an der Weltspitze stehen, sondern auch wettbewerbsfähig am globalen Markt agieren. Information zum Wettbewerb Excellence in Production finden Sie im Internet unter: www.excellence-in-production.de 9
USA Schweiz Tschechien Frankreich Verein. Königreich Mexiko Österreich Spanien Polen China Werkzeugbau in Deutschland Die wichtigsten Absatzmärkte 2006 53 67 73 72 71 90 89 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Quelle: Amtliche deutsche Außenhandelsstatistik Mio. Euro Spitzenreiter Amerika: Für 189 Mio. Euro konnten 2006 Formen und Werkzeuge allein in die USA verkauft werden. Und auch die Exporte nach China waren mit 53 Mio. Euro fast doppelt so hoch wie die Importe von dort (nur 28 Mio. Euro). 96 133 189 Branchenentwicklung in Deutschland Veränderung der Nettoproduktion in % Wachstumsprognose Branche 2006 2007 2008 2009 Verarbeitendes Gewerbe insgesamt 6,4 6,1 3,9 3,0 Gummi- und Kunststoffwaren 4,6 6,5 3,5 3,1 Metallerzeugung 6,8 5,7 2,3 2,1 Metallbearbeitung 6,8 8,0 3,8 3,2 Maschinenbau 8,2 10,0 6,0 3,4 Medizin-, Mess-, Steuer- und 13,2 6,0 4,0 4,0 Regelungstechnik, Optik Straßenfahrzeugbau 2,9 9,3 3,8 3,4 Möbel/Schmuck/Musikinstrumente/ Sportgeräte u.a. 5,7 3,3 1,3 0,8 Produktion im Aufwind: Die Kundenbranchen der Werkzeug- und Formenbauer werden in diesem Jahr und auch 2009 weiter wachsen wenn auch nicht mehr mit dem gleichen Elan wie 2007. Prozesskette ist tagtäglich mehr Kreativität gefordert als gerade hier. Leistungsfähige Technik auf dem Stand der Zeit und hochqualifizierte Mitarbeiter sind kennzeichnend für die erfolgreichen Unternehmen der Branche. Im Werkzeugbau prägt die Unikatfertigung das Bild ganz im Gegensatz zur Großserienfertigung der Produkte, für die die hier gefertigten Werkzeuge später eingesetzt werden. Nur selten wird das exakt gleiche Werkzeug zweioder mehrmals gebaut es sei denn, die Stückzahlen des damit gefertigten Produkts sind so groß, dass mehrere Linien für eine parallele Produktion notwendig sind. Oder die Stückzahl geht über die Standmenge eines einzelnen Werk1zeugs hinaus. Stückzahlen tendieren nach unten Heute tendieren die Stückzahlen, die von einem einzigen Produkt gefertigt werden, klar nach unten, dafür stieg die Anzahl der zu fertigenden Varianten in den vergangenen Jahren drastisch an. Umso mehr wird ein leistungsfähiger Werkzeug- und Formenbau benötigt, der die entsprechenden Betriebsmittel zeitgerecht und wirtschaftlich fertigen kann. Werkzeugbau wird deshalb inzwischen von namhaften OEMs wieder als Kern- kompetenz erkannt: Interne Werkzeugbaubetriebe sind meist als eigenständiger Bereich Teil eines größeren Unternehmens. Der eigene Werkzeugbau ermöglicht es, sich deutlicher von Wettbewerbern zu distanzieren, das Know-how im eigenen Unternehmen zu bündeln und die Schnittstellen entlang der Produktentstehungskette zu optimieren: Die enge Einbindung ins Mutterunternehmen erlaubt eine frühzeitige und sehr unmittelbare Integration der Werkzeug-Spezialisten in die Produktentwicklungsprozesse bereits in einem sehr frühen Stadium. Dabei sollte man im Auge behalten, dass der interne Werkzeugbau zwar in 10
Werkzeugbau in Deutschland Struktur der Produktion im Werkzeugbau 2006 Press-, Präge-,Tiefzieh-, Gesenkschmiede-, Stanz- oder Lochwerkzeuge für die Metallbearbeitung 43 % 44 % Formen für Kunststoff oder Kautschuk Ein hoher Automatisierungsgrad ist nicht alles: Erfolgreiche Unternehmen betrachten ihre Prozesse ganzheitlich. So lassen sich optimale Ergebnisse erzielen. Bild: Mecadat Formen zum Druckgießen für Metalle oder Hartmetalle 5% Vorrichtungen 7% Quelle: Amtliche deutsche Produktionsstatistik Dominierend im deutschen Werkzeugbau ist die Herstellung von Formen für Kunststoff und Kautschuk sowie der Bereich der Press-, Präge-, Tiefzieh-, Gesenkschmiede- Stanz- oder Lochwerkzeuge für die Metallbearbeitung. der Regel als Cost- oder Profit-Center im Unternehmen agiert, letztlich aber weit mehr als die hier unmittelbar sichtbaren Erlöse zur Produktivität des Gesamtunternehmens beiträgt. Gerade in Zeiten guter Konjunktur wird deutlich, dass ein interner Werkzeugbau nicht nur hilft, die Produktionsverfügbarkeit sicherzustellen. Ein gut aufgestellter interner Werkzeugbau ist auch ein wesentlicher Faktor zur Stärkung der Innovationskraft eines Unternehmens. So tragen die internen Werkzeugbauten beispielsweise in der Automotive-Industrie in hohem Maß dazu bei, dass die Entwick- lungszeit neuer Produkte im Rahmen bleibt. Denn der Prozess, bis etwa ein großes Blechumformwerkzeug für die Automobilproduktion zum Einsatz in die Serienfertigung geht, kann durchaus ein Jahr oder länger dauern. Leistungsfähige Netzwerke Aber auch externe Werkzeugbauer sind hierzulande verlässliche Partner. Sie sind indes nur selten auf einen Kunden fixiert so lassen sich beispielsweise Schwankungen in der Nachfrage über die Arbeit für andere Auftraggeber ausgleichen. In Kooperationen und Netzwerken zusammengeschlossen, werden auch kleinere Betriebe zu leistungsfähigen Partnern für die OEMs. Und zunehmend ist der Trend zu beobachten, dass interne Werkzeugbauer freie Kapazitäten auf dem Markt anbieten und damit wie externe Werkzeugbauer agieren. Neben der Einbindung bereits in den Produktentwicklungsprozess und dem Erstellen von Neuwerkzeugen sind insbesondere Änderungen an existierenden Werkzeugen und Formen das tägliche Geschäft der externen wie internen Betriebe. Als Werkzeug- und Formenpartner ihrer Auftraggeber haben die Werkzeug- und Formenbaubetriebe längst auch solche Leistungen im Port- 11
Neben technischer Spitzenleistung werden Dienstleistungen rund ums Werkzeug für die Werkzeugund Formenbaubetriebe immer mehr zu einem Differenzierungsmerkmal. Bild: Sescoi folio stets mit Blick auf Produktivität und den allgegenwärtigen Termindruck. Reparaturaufträge sind vergleichsweise selten wenn jedoch ein Werkzeug defekt ist, müssen unter Zeitdruck Höchstleistungen erbracht werden: Schließlich sind Werkzeuge in der Regel nicht redundant ausgelegt, so kann ein einzelner Defekt unter Umständen die gesamte Produktion auch komplexer Endprodukte lahmlegen. Von Vorteil ist, wenn bereits bei der Konstruktion auf einfache Austauschbarkeit der Komponenten Wert gelegt worden ist. Es ist kurzsichtig, nur die Einstandskosten für ein Werkzeug zu betrachten wichtig ist eine ganzheitliche Betrachtung auch der langfristigen Kosten über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Auftraggeber, die ihr Werkzeug im Ausland ordern, tappen oft gerade bei Änderungen und Reparaturen in die Zeit- und Kostenfalle: Denn wenn es zu Problemen kommt, weil beispielsweise die Qualität des gelieferten Werkzeugs nicht den Erwartungen entspricht oder kurzfristige Änderungen am Design des Werkstücks eine mehr oder weniger umfangreiche Anpassung des Werkzeugs erfordern, kann der gesamte Neuanlauf eines Produkts in Frage gestellt sein. Billig kann zur Falle werden Das vermeintlich billig im Niedriglohnland eingekaufte Werkzeug dann vor Ort anpassen zu lassen, zu warten oder instand zu setzen kann die Ersparnis 12
beim Einkauf schnell wieder auffressen und weit mehr. Zudem sind Werkzeuge aus dem Niedriglohn-Ausland oft qualitativ schlechter, haben eine kürzere Standzeit, längere Zykluszeiten oder erfordern am Endprodukt unter Umständen aufwändige Nacharbeit. So kann selbst ein in der Anschaffung wesentlich teureres Qualitätswerkzeug die deutlich preiswertere Lösung sein. Die Werkzeugbauer aus dem deutschsprachigen Raum verfügen nach wie vor über einen beträchtlichen technologischen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz aus dem Niedriglohn-Ausland, der sich auch in einer hohen Ausgereiftheit der Werkzeuge widerspiegelt. Weitere Vorteile für die Kunden aus dem deutschen Sprachraum sind das umfangreiche, gewachsene Know-how in den Werkzeug- und Formenbaubetrieben, die geographische Nähe und das Fehlen einer Sprachbarriere, was Verhandlungen über Preis, Spezifikationen, Qualität und Lieferbedingungen doch sehr erleichtert. Hier bieten deutsche Werkzeug- und Formenbauer inzwischen Modelle an, Interner Werkzeugbau bei Audi: Aktuelle Schlagworte dort lauten synchroner und digitaler Werkzeugbau ; Ziel: Reduzierung der Durchlaufzeit. Bild: Audi die in Kooperation mit ausländischen Betrieben für einen interessanten Kostenmix sorgen, das Risiko aber nicht auf den Kunden abwälzen: Für Qualität und Service steht in diesem Fall das deutsche Stammhaus gerade ein unschätzbarer Vorteil für den Auftraggeber. Leistungsfähige und innovative Werkzeug- und Formenbauunterneh- 13
men können so einen entscheidenden Beitrag zu einer effizienteren und wirtschaftlicheren Produktion leisten. Dienstleistungen rund ums Werkzeug werden für die Werkzeug- und Formenbaubetriebe immer mehr zu einem Differenzierungsmerkmal: Während technologisch überlegene Werkzeuge zur Gewinnung und Bindung von Kunden dienen, stellen Dienstleistungen einen Erfolgsfaktor dar, der in Kombination mit dem eigentlichen Produkt Einzigartigkeit schafft und dem Werkzeugbau unternehmerischen Erfolg sichern kann, betont Professor Günter Schuh vom WZL der RWTH Aachen; angefangen vom Abmustern und Einfahren der Werkzeuge bis zur Begleitung in der Produktionsphase. Das Leistungspaket eines Werkzeug- und Formenbaus kann heute weit mehr abdecken als das Konstruieren, Bauen und Bemustern hochwertiger und effizienter Werkzeuge: So bieten Unternehmen der Branche inzwischen Bauteiloptimierung, die Entwicklung von Teilen und ganzen Baugruppen oder auch die Nullserienfertigung im eigenen Haus an. In der Serienproduktion übernimmt der Werkzeug- und Formenbaupartner inzwischen nicht selten auch die Optimierung und Wartung der eingesetzten Werkzeuge. Damit bestimmt die Leistungsfähigkeit des externen wie internen Werkzeugpartners heute schon in vielen Fällen wesentlich die Produktivität eines Unternehmens. Die Anforderungen an den Werkzeug- und Formenbau sind höchst vielfältig. Bei Neuwerkzeugen reicht die Palette, die die Betriebe der Branche inzwischen für ihre Kunden abdecken, von Konstruktionsleistungen über Erprobung und Anlaufunterstützung bis hin zur eigenständigen Teilefertigung: Aus Werkzeug- und Formenbauern sind in einigen Fällen leistungsfähige Komponentenzulieferer für die OEMs geworden sie bieten alles aus einer Hand, ein Rundum- Sorglos-Paket für den Kunden. Solche Modelle vereinfachen für die OEMs das Projektmanagement und sparen dort interne Koordinationskosten. Rw Standardisierung: Über einen dreidimensionalen Template-Baukasten können Neuwerkzeuge schnell erstellt werden. Bild: Siebenwurst 14