Handbuch Interkulturelle Öffnung von Freiwilligenagenturen



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Handbuch Interkulturelle Öffnung von Freiwilligenagenturen am Beispiel des Projekts Integriert durch Engagement Nilgün Dalar-Sezer, M.A. Andrea Evers, M.A. Michael Kretschmer, M.A. Münster, Dezember 2011

Ein Modellprojekt der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) e.v. zur Qualitätsentwicklung von Freiwilligenagenturen im Bereich Migration gefördert durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Herausgegeben von Gasselstiege 13 48159 Münster Redaktion: Nilgün Dalar-Sezer, Andrea Evers Layout: Michael Kretschmer, Nilgün Dalar-Sezer Bildnachweis: Titelbild (fotolia 5775355) 2

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 2. Die 3. Interkulturalität/ Interkulturelle Öffnung 3.1 Begriffe Migration, Integration 3.2 Interkulturelle Öffnung 4. Das Projekt Integriert durch Engagement 4.1 Projektidee und Projektbausteine 4.2 Projektergebnisse 4.3 Ausblick Literatur/ Quellen 3

1. Einführung Die Bereitschaft zum Bürgerengagement ist ein Indikator für die Integration in unsere Gesellschaft und für die Identifikation mit dieser. Dies gilt sowohl für Einheimische wie für Zugewanderte. Leitbild Migration und Integration Stadt Münster, S. 8 Das Projekt Integriert durch Engagement wurde neben den Standorten Fürth und München als Modellprojekt zur Qualitätssicherung von Freiwilligenagenturen im Bereich Migration konzipiert und wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bewilligt. Die Projektträgerschaft oblag der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) e.v. Bei der haben Andrea Evers, Michael Kretschmer und Nilgün Daglar-Sezer das Projekt von Januar 2010 bis Oktober 2011 umgesetzt. Wie das Leitbild Migration und Integration Münster richtig wieder gibt, ist Bürgerengagement zentral für gesellschaftliche Teilhabe. Freiwillig Engagierte haben die Kraft und den Willen, sich für Gruppen, Belange und Interessen einzusetzen, die über die Sicherung der eigenen Existenz hinaus gehen. Engagierte Bürger wollen auch tatsächlich Teilbereiche im Zusammenleben mitge-stalten. Die bildet hierbei die Brücke zwischen potenziellen Engagierten und der lokalen Zivilgesellschaft, indem sie dem lokalen Bedarf an freiwilligem Engagement die Freiwilligen zuführt (mehr dazu in Kapitel 2). Bürgerschaftliches Engagement von Migrant/innen weicht von dem der alteingesessenen Bevölkerung ab: informeller, persönlicher, häufiger auf Selbsthilfe ausgerichtet, sind hier die wichtigsten Attribute. Wie demzufolge die interkulturelle Öffnung der aussehen kann, soll in Kapitel 3 näher erläutert werden. 4

In Kapitel 4 zeigen wir anhand unserer Projektbausteine Wege und Möglichkeiten der praktischen Umsetzung auf. Wie kann die interkulturelle Öffnung einer Freiwilligenagentur gelingen? Worauf ist zu achten? Zu verweisen wäre hier auf die ausführliche Projektbroschüre, die unter Mitarbeit aller Modellagenturen des Projektes Qualitätsentwicklung von Freiwilligenagenturen im Bereich Migration von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) e.v. herausgebracht worden ist. Zum Schluss möchten wir die Erkenntnisse aus unserem Projekt Integriert durch Engagement für die Zukunft diskutieren. Denn neben den Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem bildet der so genannte Dritte Sektor die Königsklasse bei der Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe. 5

2. Die Die gibt es seit 1999. Sie wird von der Kommunalen Stiftung Siverdes finanziert und setzt sich für die Stärkung und die Förderung des freiwilligen Engagements in Münster ein. Die Freiwilligen- Agentur ist Vermittlungs- und Beratungsagentur. Sie stellt den Kontakt her zwischen den Menschen, die sich in Münster freiwillig engagieren möchten und den Vereinen, Initiativen und Organisationen, die mit Freiwilligen arbeiten. Die FreiwilligenAgentur versteht sich außerdem als Entwicklungs- und Reklameagentur. Mit Aktionen und Projekten wirbt sie für freiwilliges Engagement und trägt zu einem engagementfreundlichen Klima in Münster bei. Kernaufgaben der FreiwilligenAgentur sind: Beratung von Engagementinteressierten Die informiert und berät Menschen, die sich für eine freiwillige Tätigkeit interessieren. Sie vermittelt den Kontakt zu den Vereinen, Initiativen und Organisationen. Die FreiwilligenAgentur bietet persönliche Beratungsgespräche an, pflegt aber auch eine Internetplattform. Dort können sich Interessierte über Angebote für freiwillige Tätigkeiten in Münster informieren. Beratung von Organisationen zur Freiwilligenarbeit Die FreiwilligenAgentur berät und unterstützt Vereine, Initiativen und Organisationen bei der Gewinnung und Begleitung von Freiwilligen. Dabei wirbt sie für gute Rahmenbedingungen in den Einrichtungen, wobei die Basis für gute Rahmenbedingungen ein funktionierendes Freiwilligenmanagement ist. 6

Öffentlichkeitsarbeit für freiwilliges Engagement Die Gewinnung Freiwilliger und die Schaffung guter Rahmenbedingungen sind von einer positiven öffentlichen Wahrnehmung abhängig. Daher tritt die FreiwilligenAgentur auf vielfältige Weise in die Öffentlichkeit. Die Freiwilligenagentur macht dafür klassische Pressearbeit, entwickelt aber auch Projekte und führt Aktionen durch. Dabei greift sie aktuelle Themen auf und reagiert damit auf die sich wandelnden Herausforderungen in der Gesellschaft. Beispielhaft dafür sind die Projekte Von Mensch zu Mensch und Mitmachpaten zu nennen. Im Projekt Von Mensch zu Mensch engagieren sich etwa 400 Freiwillige jeweils in einzelnen Stadtteilen oder Stadtvierteln von Münster. Die Freiwilligen kümmern sich um ältere Menschen, die meist alleine leben. Im Projekt Mitmachpaten sind es ehrenamtliche Paten, die Grundschulkindern Zeit schenken und sie in ihrer Entwicklung fördern. Mit Aktionen wie dem Freiwilligentag oder Engagementradtouren macht die FreiwilligenAgentur auf ehrenamtliches Engagement in Münster aufmerksam. In Sachen Anerkennung unterstützt die FreiwilligenAgentur die Dankeschönparty thx. Außerdem trägt sie mit der FreiwilligenAkademie, die eine Vielzahl von Fortbildungen für Freiwillige anbietet, zu Qualität und Anerkennung im Ehrenamt bei. Förderung des Unternehmensengagements Mit betrieblichen Freiwilligenprojekten können Unternehmen soziale Verantwortung vor Ort übernehmen und sich an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen. Diese Projekte sind für die Unternehmen aber auch eine wichtige Personalentwicklungsmaßnahme. Für gemeinnützige Einrichtungen bieten Kooperationen auf diesem Feld eine neue Form der Öffentlichkeit sowie Kontakte zu Entscheidungsträgern in Unternehmen. 7

Die FreiwilligenAgentur hat in diesem Bereich das Format mehrwert entwickelt. Die FreiwilligenAgentur unterstützt Unternehmen dabei, einerseits soziale Tage durchzuführen und andererseits Mitarbeitern einen mehrtägigen Einblick in soziale Arbeit zu ermöglichen. Bei so einem sozialen Tag engagiert sich ein Untenehmen einen Tag lang mit seinen Mitarbeitern in einer gemeinnützigen Einrichtung und schafft z. B. durch Renovierungsarbeiten oder einen Ausflug mit behinderten Menschen einen sozialen Mehrwert. Bei den mehrtägigen Einsätzen arbeiten Führungskräfte aus einem Unternehmen eine Woche lang in gemeinnützigen Einrichtungen mit und lernen so eine andere Lebenswelt kennen und schätzen. FreiwilligenAkademie Im Rahmen der FreiwilligenAkademie bietet die FreiwilligenAgentur gemeinsam mit Kooperationspartnern ein kompaktes Programm an Fortbildungsangeboten, das sowohl für Ehrenamtliche als auch für Hauptamtliche, die mit Ehrenamtlichen arbeiten, konzipiert ist. Aktuelle Themenschwerpunkte der Akademie sind: Freiwilligenkoordination Gesprächsführung Internet und Co. Öffentlichkeitsarbeit Aufbau und Umsetzung von Patenprojekten Präsentation und Vortrag Soziale Netzwerke (Facebook, Twitter und Co.) Internet, Selbsthilfe und freiwilliges Engagement Auf Anfrage konzipiert und organisiert die FreiwilligenAkademie auch passgenaue Fortbildungsangebote. 8

3. Interkulturalität/ Interkulturelle Öffnung 3.1. Begriffe Migration, Integration Akteure wie die Freiwilligenagenturen in Kommunen, stehen vor der Herausforderung, Integration konkret umzusetzen. Sie haben die Aufgabe, Handlungsspielräume für gelebtes Miteinander von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft zu schaffen. Dies ist nicht besonders einfach, da eine Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft Deutschland gerade erst begonnen hat und sowohl auf Seiten der Aufnahmegesellschaft als auch bei den Migranten selbst zum Teil auf Skepsis stößt. Die öffentlichen Debatten über Integration, die zum Teil über Migrant/innen und zum Teil mit Migrant/innen geführt werden, weisen unterschiedliche Herangehensweisen und Perspektiven auf, die sich auch in wissenschaftlichen Theorien wieder finden. Ziel dieses Abschnittes ist die Darstellung einiger Ansätze für interkulturelle Öffnung und die Schlussfolgerung unseres Verständnisses von interkultureller Öffnung für unser Projekt. Wir sind der Meinung, dass es uns als Pilotprojekt gelungen ist, einige wichtige Impulse für die weitere Arbeit von Freiwilligenagenturen im transkulturellen Raum 1 zu platzieren. 1 Der Begriff Transkulturalität wird im Fortgang näher erläutert. 9

3.2. Interkulturelle Öffnung Der Schlüssel zum Verständnis dafür, was geöffnet werden soll, führt über den Begriff Kultur, der gemeinhin als Containerbegriff (Marianne Krüger-Potratz) für Bedeutungen wie Ethnie, Mentalität, nationale Herkunft, Werteorientierung, Musikszenen, Kunst usw. usf. verwendet wird. Häufig wird mit Kultur auch eine allgemeine Differenzbildung gegenüber Migrant/innen hergestellt, die nicht näher ausgeführt wird oder werden kann ( Er ist/ sie sind halt aus einer anderen Kultur. ). Doch was ist Kultur dann? Grosch/ Groß/ Leenen (2000: 5) verstehen Kultur als ein für eine größere Gruppe von Menschen gültiges Sinnsystem oder [ ] eine Gesamtheit miteinander geteilter verhaltensbestimmender Bedeutungen [ ] (Hervorhebung im Original). Das heißt, eine Kulturgrenze kommt dann zum Vorschein, wenn die Verhaltens- oder Denkweisen einer Person bei einer anderen Person als fremd wahrgenommen werden. Hier wird bereits deutlich, dass je nach Kontext auch regionale Bräuche oder schichtspezifische Verhaltensweisen bei Dritten Fremdheit auslösen können. Der Kultur- Begriff kann also nicht auf Nationalstaatlichkeit verengt werden. Geert Hofstede bezeichnet in seinem Werk Cultures and Organizations (2010) Kultur als software oft the mind und verortet es zwischen den Sphären der menschlichen Natur und der individuellen Persönlichkeit. (S.6) Er räumt allerdings ein, dass die Grenzen zwischen diesen Sphären, also zwischen Angeborenem, Naturgegebenem und Angelerntem, durchaus umstritten sind und ambivalent diskutiert werden. (ebd.) Personen, die eine Organisation interkulturell öffnen möchten, brauchen in erster Linie interkulturelle Kompetenz. Sie besteht zuallererst aus der Akzeptanz, dass es unterschiedliche Orientierungen und Ansichten über die Welt gibt und dass diese artikuliert werden dürfen. Sie ist auch Grundlage dafür, dass eine selbstreflexive Haltung gegenüber der eigenen Kultur eingenommen werden kann. (Handschuck/ Schroer 2003: 2) Somit überwinden interkulturell kompetente Personen ein gewisses Überlegenheitsgefühl 10

der eigenen Weltanschauung, was gar nicht so einfach ist, da das, was man von klein auf kennt, am plausibelsten erscheint. Interkulturelle Öffnung wird (...) verstanden als ein bewusst gestalteter Prozess, der (selbst-) reflexive Lern- und Veränderungsprozesse von und zwischen unterschiedlichen Menschen, Lebensweisen und Organisationsformen ermöglicht, wodurch Zugangsbarrieren und Abgrenzungsmechanismen in den zu öffnenden Organisationen abgebaut werden und Anerkennung ermöglicht wird. (Schroer 2007) Interkulturelle Öffnung erfordert daher ein ganzheitliches Konzept, das als Querschnittsaufgabe verstanden alle Bereiche einer Organisation unter die Lupe nimmt. Ziel ist es Zugangsbarrieren für unterschiedliche Personengruppen abzubauen. Folge ist letzten Endes, dass Sie ( ) Auswirkungen auf die Strukturen, die Prozesse und Ergebnisse sozialen Handelns [hat] (Handschuck/ Schröer 2003: 2), also vor allem Veränderung bedeutet. Transkulturalität im sozialen Raum An dieser Stelle wird die Kritik in Teilen der soziologischen Literatur geteilt, dass die Fokussierung auf Interkultur die Gefahr der Ethnisierung, Kulturalisierung bzw. einer künstlichen Differenzbildung in sich birgt. (auch Handschuck/ Schröer 2003) Paul Mecheril (2010) führt dabei aus, dass interkulturelle Kompetenz den Anschein erwecke, es sei eine Sonderkompetenz für Professionelle (S. 16, Hervorhebung im Original), da die gängigen Prozessgestaltungskompetenzen nicht ausreichen und Extra-Wissen aufgesattelt werden müsse. (vgl. ebd.) Er stellt eine Beobachtung von Knapp-Potthoff von 1997 vor (Mecheril 2010: 23), nach der ein interkulturelles Interaktionsparadoxon vorliegt. Demnach kommunizieren Menschen mit Angehörigen anderer Kulturen nicht auf dieselbe Weise, wie mit einer Person aus der so wahrgenommenen gleichen Kultur. Somit kann für diesen Fall von einer künstlichen Erzeugung einer interkulturellen Situation ausgegangen werden. 11

Daher soll dieser kurze theoretische Abriss zum Thema Interkulturalität und interkulturelle Öffnung durch die Vorstellung des Konzepts der transkulturellen Gesellschaft abgerundet werden. Die These ist, dass durch Transkulturalität diese Verkünstlichung einer interkulturellen Gesprächsoder Beratungssituation abgemildert wird. Der transkulturelle soziale Raum entspricht eher der komplexen Realität und den vielen Mischformen, die darin vorkommen. Das Konzept der Transkulturalität geht auf Wolfgang Welsch zurück. Es bezeichnet den Umstand, dass alle heutigen Verhältnisse [ ] in einem positiven Sinn durch Mischung und Durchdringung gekennzeichnet sind. (Sievers 2005: 167) Kulturen beherbergen unterschiedliche Lebensstile und Denkweisen, die wiederum anderer Kulturkreise entlehnt sind. Vor allem aber erteilt es der Vorstellung, Kulturen existierten nebeneinander her und berührten sich nicht, eine Absage. Da der Begriff der Interkulturalität eher gebräuchlich ist und vielfach nicht die absichtliche Abgrenzung von Kulturen meint, wird er im Fortgang dieses Handbuches weiterverwendet. Es wird sich aber herausstellen, dass das Projekt Qualitätsentwicklung von Freiwilligenagenturen im Bereich Migration transkulturelle Ansätze für das Zusammenleben in der Kommune bereit stellt. Als Beispiel sei das interkulturelle Freiwilligenteam in Münster erwähnt. Dort wurde ein gemischtes Team (Freiwillige mit und ohne Migrationshintergrund) für Freiwilligenarbeit ausgebildet. Alle in diesem Team haben Freiwillige gleichgültig ob mit oder ohne Migrationshintergrund beraten, sie haben unterschiedliche Projekte entwickelt, aber auch Sprachkompetenzen und Wissen über Migrantenengagement bereitgehalten. 12

4. Das Projekt Integriert durch Engagement 4.1 Projektidee und Projektbausteine Eine vielfältige Bürgergesellschaft leben! Eine Bürgergesellschaft, in der Menschen mit den verschiedensten Hintergründen in unterschiedlichen Engagementformen Verantwortung übernehmen, mit gestalten und teilhaben. An dieser Vision möchte auch die mitarbeiten und eine solche Bürgergesellschaft Schritt für Schritt mit aufbauen. Wie eingangs erwähnt startete im Januar 2010 die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen das Projekt Qualitätsentwicklung von Freiwilligenagenturen im Bereich Migration. Ermöglicht wurde das Projekt durch eine Förderung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus Mitteln des Bundesministeriums des Inneren (BMI). Am Projekt beteiligt waren die, Tatendrang München und das Freiwilligen Zentrum Fürth. Die widmete sich im Projekt Integriert durch Engagement insbesondere drei Handlungsfeldern. Erstens ging es um den Aufbau eines interkulturellen Freiwilligenteams, zweitens um kultursensible Beratung und Öffentlichkeitsarbeit und drittens um die interkulturelle Öffnung von Einsatzfeldern. Mit dem Aufbau eines interkulturellen Freiwilligenteams war das Ziel verknüpft, der FreiwilligenAgentur ein interkulturelleres Gesicht zu verleihen. Dafür wurden Freiwillige gewonnen, geschult und eingearbeitet. Das Freiwilligenteam arbeitete in der Beratung von Freiwilligen und Organisationen mit. Das Team unterstützte die FreiwilligenAgentur außerdem bei ihren Aktionen und Projekten. 13

Damit hatte das Freiwilligenteam einen zentralen und bereichsübergreifenden Stellenwert und wurde nicht nur auf Betreuungs- und Beratungstätigkeiten für andere Migrantinnen und Migranten reduziert. Dem Freiwilligenteam gehörten Frauen und Männer mit mexikanischen, iranischen, chinesischen und deutschen Wurzeln an. Bei der interkulturellen Öffnung von Einsatzfeldern ist die FreiwilligenAgentur Münster auf zwei Ebenen tätig. Neu aufgebaut hat sie Anfang 2011 einen Sprachhelferpool, der ehrenamtliche Sprachhelferinnen und helfer koordiniert, die Migrantinnen und Migranten mit sprachlichen Barrieren in Gesprächssituationen helfen. Die Hilfe bezieht sich auf Alltagssituationen wie beispielsweise den Elternsprechtag in der Schule, den Gang zu Behörden, den Terminen in der Beratungsstelle oder den Besuch beim Arzt. Ziel war es, ein Tätigkeitsfeld zu schaffen, das Migrantinnen und Migranten Möglichkeiten eröffnet, ihre Ressourcen für freiwilliges Engagement zu nutzen. Gleichzeitig ist es für die deutschen Einrichtungen eine große Hilfe beim Umgang mit Menschen mit geringen Deutschkenntnissen. Über 30 Frauen und Männer haben sich inzwischen als Sprachhelferinnen und - helfer zur Verfügung gestellt, und erste Organisationen nutzen das Angebot. Außerdem berät die FreiwilligenAgentur das hauseigene Seniorenhilfeprojekt Von Mensch zu Mensch bei der interkulturellen Öffnung mit dem Ziel, in Zukunft auch hier Migrantinnen und Migranten zu erreichen. Das Projekt Integriert durch Engagement wird während der gesamten Projektlaufzeit durch gezielte interkulturell sensible Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Dazu gehören spezielle Flyer, die Erweiterung der Internetseiten sowie die Präsenz in städtischen Gremien und Netzwerken und der Kontakt mit Migrantenorganisationen. Erprobt werden in diesem Zusammenhang auch Infoveranstaltungen zum bürgerschaftlichen Engagement in Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil, die die Menschen vor Ort erreichen und die Anlaufstellen im Stadtteil vernetzen. 14

4.2 Projektergebnisse Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die interkulturelle Schwerpunktsetzung auf fruchtbaren Boden fällt. Auch die Infoveranstaltungen wurden von den Bewohnerinnen und Bewohnern im Stadtteil rege angenommen. Sehr gute Erfahrungen machte die FreiwilligenAgentur mit dem Freiwilligenteam. Dieses wurde so geschult und eingesetzt, dass es nicht auf Kunden mit Migrationserfahrung beschränkt handelte, sondern selbstverständlich alle Tätigkeitsbereiche mit allen Zielgruppen wahrnahm. Durch diese Überkreuzungen soll aufgezeigt werden, dass die Überwindung zunächst selbstverständlich angenommener sozialer Grenzen nicht nur möglich ist, sondern die Regel sein sollte. Durch die Aufnahme der Mitglieder des Freiwilligenteams als Ansprechpartner/innen auf der Kontaktseite des Internetauftritts wurde der zusätzlich ein interkulturelles Gesicht gegeben. Der Sprachhelferpool ist ein attraktives Einsatzfeld für Freiwillige und wird bereits von vielen Organisationen genutzt. Die Rückmeldung der Organisationen hat gezeigt, dass viele Migrant/innen doch schon mehr oder weniger Deutsch sprechen können, aber eine helfende Person die Gesprächssituation ungemein erleichtern würde und Missverständnissen vorgebeugt werden könnte. Bei der Akquise ist die FreiwilligenAgentur dann auf großes Interesse auch seitens der Sprachhelfer gestoßen, die ihre Bi- oder Trilingualität gerne für andere zur Verfügung stellen. Beide Elemente, der Sprachhelferpool und das interkulturelle Freiwilligenteam, sollen über die Projektlaufzeit hinaus bestehen bleiben und sichern somit nachhaltig die interkulturelle Öffnung der. 15

4.3. Ausblick Die Durchführung des Projektes Integriert durch Engagement war ein guter Einstieg, Handlungsfelder, Teile der Einrichtung oder einzelne Projekte interkulturell zu öffnen bzw. transkulturell zu verbinden. Das Freiwilligenteam sorgte für die transkulturellen Aspekte, mit der Beratung des Stadtteilprojektes Von Mensch Zu Mensch machte das Projektteam Erfahrungen bei der interkulturellen Öffnung eines hauseigenen Projektes. Mit dem Sprachhelferpool erschloss die Freiwilligenagentur ein neues Einsatzfeld für Migrant/innen. Zu Erwähnen ist auch die starke Vernetzung der Freiwilligenagentur Münster mit bestehenden kommunalen Akteuren der Integrationsarbeit. Dass die Qualitätsentwicklung in Bereich Migration zunächst an drei Standorten modellhaft durchgeführt werden musste, zeigt, dass die interkulturelle Öffnung von Freiwilligenagenturen noch ganz am Anfang steht, jedoch für die Zukunft auch an anderen Standorten angedacht wird. Zumindest dokumentiert die rege Teilnahme vieler anderer Freiwilligenagenturen aus dem Bundesgebiet an den Schulungen Interkulturelle Öffnung diesen Umstand. Zur gleichberechtigten Teilhabe von noch mehr Menschen mit einer anderen ethnischen Herkunft sind allerdings noch mehr Anstrengungen nötig. 16

Literatur/ Quellen: Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa) e.v. (2011): Unterwegs! Anregungen zur interkulturellen Öffnung von Freiwilligenagenturen. Leitfaden für die Praxis. Autorin: Anne Schaarschmidt unter Mitarbeit von Nilgün Dalar-Sezer, Behare Dinaj, Christa Elferich, Felix Trejo, Andrea Evers. Berlin. Grosch,H., Groß, A. & Leenen, W.R. (2000): Methoden interkulturellen Lehrens und Lernens. Herausgegeben von der ASKO Europa Stiftung. Saarbrücken. Handschuck, Sabine/ Schröer, Hubertus (2003): Interkulturelle Orientierung und Öffnung von Organisationen. Strategische Ansätze und Beispiele der Umsetzung. Hofstede, Geert (2010): Cultures and Organizations. Software oft he mind. New York et.al. Mecheril, Paul (2010): Kompetenzlosigkeitskompetenz. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen. In: Auernheimer, Georg: Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Wiesbaden. 3. Auflage: 15-34. Schroer, Hubertus (2007): Interkulturelle Öffnung. Statement für den Workshop des Gesprächkreises Migration und Integration der Friedrich-Ebert- Stiftung zum Thema Chancengleichheit in Betrieben und Verwaltungen Empirische Befunde und strategische Optionen. Berlin. http://www.fes.de/wiso/pdf/integration/2007/14_schroer_230407.pdf Sievers, Isabel Marie (2005): Eine transkulturelle Perspektive in der Migrationsforschung Soziokulturelle Kompetenzen. In: Datta, Assit (Hrsg.): Transkulturalität und Identität. Bildungsprozesse zwischen Exklusion und Inklusion. Frankfurt a.m.: 165-181. Stadt Münster (2008): Leitbild Migration und Integration Münster. www.muenster.de 17