Europäisches Strafrecht - Bedeutung und Auswirkung auf die nationale Strafverteidigung. EU Kompetenz, Instrumente, Institutionen, Entwicklungen Julia Victoria Pörschke Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 1 Europäisches Strafrecht Europäisches Strafrecht ist ein eigenständiger strafrechtlicher Forschungsgegenstand. Es handelt sich dabei um eine Rechtsmaterie eigener Art, die sowohl - strafrechtsrelevantes Unionsrecht und regionales Völkerrecht als auch - unions- und regionalvölkerrechtlich beeinflusstes nationales Strafrecht ( europäisiertes nationales Strafrecht ) umfasst Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 2 1
- Unterscheidung zwischen Europäischen Strafrecht im weiteren und Europäischen Strafrecht im engeren Sinne Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 3 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 67 ff. AEUV) - Begriffsklärung - Maßnahmen im Rahmen des RFSR: Abschaffung der Grenzkontrollen im Binnenbereich, die wirksame Überwachung der Außengrenzen, gemeinsame Asyl- und Einwanderungspraxis, Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Art. 82 ff. AEUV) und die polizeiliche Zusammenarbeit (Art. 87 ff. AEUV) - Tendenz: Ungleichgewichtung der einzelnen Komponenten Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 4 2
RFSR insbesondere Gewährleistung der Sicherheit Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege durch Schaffung von Institutionen auf europäischer Ebene z.b. Europol (Art. 87 ff. AEUV), Eurojust (Art. 85 AEUV), Europäische Staatsanwaltschaft (Art. 86 AEUV) gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen (Art. 82 Abs. 1 AEUV) Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Europäischer Haftbefehl Europäische Beweisanordnung Angleichung strafrechtlicher Rechtsvorschriften (Kompetenzen der EU) Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 5 Strafrechtsrelevante Kompetenzen der EU - Strafrechtssetzungskompetenz vs. Strafrechtsharmonisierungskompetenz - Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Gegenstand geteilter Zuständigkeiten (Art. 4 Abs. 2 lit. j AEUV) Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 6 3
Strafrechtsrelevante Kompetenzregelungen innerhalb des AEUV Art. 82 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV: Maßnahmen zur Förderung der Kooperation mitgliedstaatlicher Strafverfolgungsbehörden, Handlungsformen: Richtlinien, Verordnungen, Beschlüsse, etc. Art. 82 Abs. 2 AEUV: Angleichungskompetenz im Bereich des Strafverfahrensrechts, Handlungsform: Richtlinie Art. 83 Abs. 1 AEUV: Angleichungskompetenz im Bereich des materiellen Strafrechts, Handlungsform: Richtlinien Art. 83 Abs. 2 AEUV: Angleichungskompetenz für bereits harmonisierte Bereiche mit Relevanz für das materielle Strafrecht ( Annexkompetenz ), Handlungsform: Richtlinien Art. 325 AEUV: Rechtssetzungskompetenz zum Schutz der finanziellen Interessen der EU durch Verordnungen Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 7 Art. 82 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV (1) Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und umfasst die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den in Absatz 2 und in Artikel 83 genannten Bereichen. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen, um a) Regeln und Verfahren festzulegen, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der gesamten Union sichergestellt wird; b) Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern und beizulegen; c) die Weiterbildung von Richtern und Staatsanwälten sowie Justizbediensteten zu fördern; d) die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strafverfolgung sowie des Vollzugs und der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern. Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 8 4
Art. 82 Abs. 2 AEUV (2) Soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist, können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen. Bei diesen Mindestvorschriften werden die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten berücksichtigt. Die Vorschriften betreffen Folgendes: a) die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten; b) die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren; c) die Rechte der Opfer von Straftaten; d) sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens, die zuvor vom Rat durch Beschluss bestimmt worden sind; dieser Beschluss wird vom Rat einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassen. Der Erlass von Mindestvorschriften nach diesem Absatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, ein höheres Schutzniveau für den Einzelnen beizubehalten oder einzuführen. Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 9 Art. 83 Abs. 1 AEUV (1) Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festlegen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Derartige Kriminalitätsbereiche sind: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Je nach Entwicklung der Kriminalität kann der Rat einen Beschluss erlassen, in dem andere Kriminalitätsbereiche bestimmt werden, die die Kriterien dieses Absatzes erfüllen. Er beschließt einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 10 5
Art. 83 Abs. 2 AEUV: Annexkompetenz (2) Erweist sich die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, so können durch Richtlinien Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf dem betreffenden Gebiet festgelegt werden. Diese Richtlinien werden unbeschadet des Artikels 76 gemäß dem gleichen ordentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren wie die betreffenden Harmonisierungsmaßnahmen erlassen. Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 11 Rechtssetzungskompetenz der EU zum Schutz ihrer finanziellen Interessen (Art. 325 AEUV) Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 12 6
Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen als Strukturprinzip des Europäischen Strafrechts - Instrumente Europäischer Haftbefehl Europäische Beweisanordnung Transnationales Doppelbestrafungsverbot innerhalb der EU Gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen Gegenseitige Anerkennung der Wirkung von Verurteilungen Aufbau eines elektronischen Systems zum Austausch von Informationen über Strafregistereinträge Europaweite Verkehrsfähigkeit von Beweismitteln Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 13 EU-Institutionen im Bereich der Strafrechtspflege - Ziel: Kooperation der Mitgliedstaaten muss gestärkt werden Europol Eurojust Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung ( OLAF ) Europäisches Justizielles Netz (EJN) Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 14 7
Errichtung und Funktion von Europol (1) Durch das Europol-Übereinkommen (EuropolÜ) v. 26. Juli 1995, welches am 1. Oktober 1998 in Kraft trat, wurde ein Europäisches Polizeiamt (Europol) als internationale Organisation mit Sitz in Den Haag errichtet. Nach Art. 4 des Beschlusses des Rates v. 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamtes (ABlEU 2009 Nr. L 121, 37) ist Europol für organisierte Kriminalität, Terrorismus und andere Formen schwerer Kriminalität gemäß dem Anhang zuständig, wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten in einer Weise betroffen sind, die aufgrund des Umfangs, der Bedeutung und der Folgen der Straftaten ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert. Der Anhang listet auf: Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 15 Errichtung und Funktion von Europol (2) illegaler Handel mit Drogen, Geldwäschehandlungen, Kriminalität im Zusammenhang mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, Schleuserkriminalität, Menschenhandel, Kraftfahrzeugkriminalität, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe, Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Raub in organisierter Form, illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenständen Betrugsdelikte, Erpressung und Schutzgelderpressung, Nachahmung und Produktpiraterie, Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit, Geldfälschung, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität, Korruption, illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen, illegaler Handel mit bedrohten Tierarten, illegaler Handel mit bedrohten Pflanzenund Baumarten, Umweltkriminalität, illegaler Handel mit Hormonen und Wachstumsförderern. Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 16 8
Europol erfüllt seine Aufgaben durch Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten Zusammenstellung und Analyse von Informationen und Erkenntnisse ( Intelligence-Arbeit ) Unterrichtung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten über festgestellte Zusammenhänge zwischen Straftaten Unterstützung der Ermittlungsarbeit in den Mitgliedstaaten Einsatz gemeinsamer Ermittlungsgruppen (Joint Investigation Teams JITS ) Unterhaltung eines automatisierten Informationssystems Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 17 Errichtung und Funktion von Eurojust (1) Seit dem 28. Februar 2002 wird die grenzüberschreitende justizielle Kooperation durch die mit Ratsbeschluss vom gleichen Tage errichtete Koordinierungsstelle Eurojust mit Sitz in Den Haag verstärkt, deren Aufgabe vor allem darin besteht, juristische Informationen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten auszutauschen sowie transnationale Ermittlungsverfahren zu koordinieren und zu unterstützen. Dieser Ratsbeschluss wurde durch Ratsbeschluss 2009/426/JI v. 16. Dezember 2008 in einigen Punkten geändert und neu gefasst. Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 18 9
Errichtung und Funktion von Eurojust (2) Der Errichtungsakt sieht vor, dass Eurojust folgende Aufgaben wahrnehmen soll: Förderung der Koordinierung der in den Mitgliedstaaten laufenden Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zwischen den zuständigen nationalen Behörden, Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten, insbesondere durch die Erleichterung der internationalen Rechtshilfe und die Erledigung von Auslieferungsersuchen, Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 19 Errichtung und Funktion von Eurojust (3) Gewährleistung jedweder anderen Unterstützung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten mit dem Ziel, die Wirksamkeit ihrer Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen erfüllen. Darüber hinaus soll Eurojust auf Antrag einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates auch Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen unterstützen, die allein diesen Mitgliedstaat und einen Drittstaat betreffen, sofern mit diesem Drittstaat bereits eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit geschlossen worden ist oder im Einzelfall ein wesentliches Interesse an der Unterstützung besteht. Julia Victoria Pörschke Europäisches Strafrecht? 20 10