BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG Nr. 58-2 vom 4. Juni 2008 Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, in der Debatte zur Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom und Konsequenzen vor dem Deutschen Bundestag am 4. Juni 2008 in Berlin: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Künast, da Transparenz ein Mittel ist, um die schwierige Frage zu beantworten: Wie können wir den Notwendigkeiten des Schutzes von Grundrechten im Allgemeinen und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung also Datenschutz im Besonderen Rechnung tragen?, will ich Ihnen nicht verschweigen, womit wir uns gerade beschäftigt haben. Da Sie den Wolf im Schafspelz mit Grimms Märchen in Verbindung gebracht haben und wir Zweifel daran hatten, ob das zutreffend ist, haben wir nachgeforscht. Jetzt kann ich Ihnen sagen, dass das falsch ist. Wie das meiste, was Sie gesagt haben, war auch das Zitat falsch. Ich will Ihnen aber sagen, was richtig ist. Es stammt aus Matthäus sieben, Vers 15. Darin wird vor falschen Propheten gewarnt, die im Schafspelz daherkommen und inwendig reißende Wölfe sind. So ist es. Genau so sind Sie mir gerade ein wenig vorgekommen. Die Richtlinie der Europäischen Union, die umzusetzen die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist wir haben das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nicht aus
- 2 - Jux und Tollerei gemacht, sondern weil das Vorgaben einer Richtlinie der Europäischen Union sind, stammt vom 15. März 2006. Solche Richtlinien werden nicht als Schnellschüsse vorgelegt; da gibt es eine lange Vorbereitung. Das heißt, sie ist schon zu der Zeit, als Frau Künast ehrenwertes Mitglied der Bundesregierung war, erarbeitet, vorbereitet und zur Entscheidung gebracht worden. Reden Sie doch nicht falsches Zeugnis gegenüber Ihrer eigenen Vergangenheit! Eine weitere Bemerkung, unabhängig von dem konkreten Fall, der sehr schlimm ist. Herr Kollege Bürsch, in der Tat habe ich in dieser Woche erklärt: Der Satz Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser ist gefährlich. Ich finde schon, dass eine freiheitliche Ordnung ich habe das nicht im Zusammenhang mit dem Datenschutz gesagt, sondern das grundsätzlich gemeint auch auf Vertrauen beruht. Wenn alles nur mit Kontrolle geht, kommen wir zu einem totalen Überwachungsstaat. Freiheitliche Verfassungen leben von Voraussetzungen, die sie selber nicht so leicht gewährleisten können. Dazu gehört ein hinreichendes Maß an Vertrauen. Deswegen ist der Schaden so groß, wenn das Vertrauen gerade auch durch Verantwortungsträger und Eliten verletzt wird. Wir haben Gesetze. Wo Menschen sind, wird gegen Gesetze auch verstoßen. Frau Kollegin Piltz hat zu Recht aus der Bibel zitiert: Wer unter Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Frau Kollegin, Sie haben nur den Fehler gemacht, anschließend Steine zu werfen. Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie ohne Sünde sind? Ich fürchte, nein, Frau Kollegin Piltz, Sie kommen mir nämlich ziemlich menschlich vor. Der Sinn einer Debatte besteht doch darin, dass man auf das eingeht, was zuvor gesagt worden ist. Sonst macht eine Debatte schließlich keinen Sinn. Auch das ist ein Teil von Kommunikation. Ich möchte folgende Bemerkung machen, weil das in der Debatte bisher noch nicht gesagt worden ist: Für die Kontrolle der Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen ist nicht nur und nicht in erster Linie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz zuständig; da wären seine fünf Mitarbeiter völlig überfordert. Der Vollzug der Gesetze ist gemäß Grundgesetz in der Regel Sache der Länder. Die Bundesländer
- 3 - sind für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen zuständig. Es gibt Verwaltungseinrichtungen, die versuchen, die Einhaltung dieser Bestimmungen zu gewährleisten. Trotzdem wird dagegen verstoßen. Dieser Fall muss uns natürlich Anlass geben, darüber nachzudenken, was man daraus lernen kann. Ich finde, es war richtig, dass der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Dr. Beus, nach Bekanntwerden des Vorfalls in der vergangenen Woche die Vertreter der Branche zu einem Treffen eingeladen hat. Es ist gut, mit den betroffenen Verbänden und Unternehmen das sind die, die es am besten wissen müssten darüber zu reden, was man tun kann, um die Wahrscheinlichkeit, dass gegen solche Gesetze verstoßen wird, zu verringern. Ich kann verstehen, dass manche Unternehmen gesagt haben, dass sie im Augenblick nicht gemeinsam mit diesem Unternehmen auftreten möchten, sich lieber fernhalten. Es bleibt ihnen allerdings nicht erspart, sich im Sinne einer sachkundigen Beratung Gedanken darüber zu machen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Kollege Bürsch, wir müssen Konsequenzen ziehen. Es liegt viel Arbeit vor uns. Wir müssen mit den Betroffenen reden. Damit kann man nicht schnell genug anfangen. Wir werden aber keinen Schnellschuss machen. In dem Gespräch haben wir verabredet, dass die Telekom, die mit der Beauftragung des früheren Bundesrichters Dr. Schäfer und anderen Maßnahmen wichtige Schritte auf dem Weg zur eigenen Aufklärung unternommen hat, den anderen Unternehmen und den Verbänden ihre Erkenntnisse zur Verfügung stellt. Diese Erkenntnisse werden mit der Bundesnetzagentur, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und dem Datenschutzbeauftragten erörtert. Danach werden wir im Beratungsprozess vorangehen und die notwendigen Entscheidungsgrundlagen erarbeiten. Es ist zu berücksichtigen, dass der Datenschutz bei Telekommunikationsunternehmen noch sensibler zu handhaben ist als bei anderen Unternehmen, die auch gegen den Datenschutz verstoßen können, weil die Telekommunikationsunternehmen mit den vielen Daten umgehen müssen. Nach der Architektur unseres Grundgesetzes müssen wir den Schutz der Daten gewährleisten und den Zugriff darauf rechtlich be-
- 4 - grenzen, und zwar auch gegenüber staatlichen Sicherheitsorganen. Deswegen ist dieses Thema besonders sensibel. Zusätzliche institutionelle Vorkehrungen können getroffen werden. Der Gesetzgeber muss gegebenenfalls Schlussfolgerungen ziehen. Das machen wir zügig und intensiv, aber sorgfältig. Daran wird gearbeitet. Neben dem Spaß an den neuen Telekommunikationstechnologien gibt es auch eine große Besorgnis. Aufgrund des ungeheueren Fortschritts im Bereich der Telekommunikationstechnologien gibt es viel mehr Kommunikation, übrigens auch im Reiseverkehr. Deswegen sind fälschungssichere Ausweise wichtig. Am Flughafen Frankfurt zum Beispiel starten und landen jährlich 40 Millionen Passagiere. Das Reiseaufkommen nimmt ungeheuer zu. Das ist eine Frage der Mobilität, der Globalisierung und des technischen Fortschritts. Der Umfang an Kommunikation nimmt enorm zu. Es ist hier ein Rechenspiel angebracht worden zu der Datenmenge, die entsteht, wenn jeder täglich einen Telefonanruf tätigt, eine SMS und eine E-Mail verschickt. Das ist ja wahr. Auf der anderen Seite ist das Mehr an Daten eine wichtige Grundlage unseres unglaublichen technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts. Wie sollen 6,5 Milliarden Menschen auf dieser Erde leben, wenn wir keinen technischen und wissenschaftlichen Fortschritt haben? Trotzdem gibt es Probleme, an deren Lösung wir jeden Tag arbeiten. Infolge von mehr Kommunikation entstehen mehr Daten. Demnächst werden wir vielleicht eine Debatte darüber führen, ob sichergestellt ist, dass die Banken mit den Daten vernünftig umgehen. Die Daten sind notwendig, damit Sie wissen, wie viel Geld Sie auf Ihrem Konto haben und wer darauf zugreift. Als Innenminister muss ich sicherstellen das ist meine, aber auch Ihre Aufgabe, dass niemand auf Ihr Konto zugreift, der dazu nicht befugt ist. Deswegen muss ich Ihnen beispielsweise eine sichere Identifizierung ermöglichen. Auf der anderen Seite wird dann wiederum die Sorge geäußert, ob das nicht übertrieben ist. Das ist ein Zielkonflikt, den wir aushalten müssen.
- 5 - Wir sollten es uns nicht zu leicht machen. Wir sollten aber auch keine Debatte führen, die in der Öffentlichkeit Verunsicherung erzeugt. Sonst beklagen wir diese anschließend und machen uns gegenseitig einen Vorwurf daraus. Natürlich ist es in der Menschheitsgeschichte wir haben die Bibel schon viel zitiert: seit Adam und Eva und der Vertreibung aus dem Paradies schon immer so gewesen, dass jeder Fortschritt ambivalent ist. Er ist Fluch und Segen zugleich. Der technische Fortschritt ist ein großes Glück. Wir arbeiten daran, wir setzen auf Forschung und Innovation. Anders werden wir unseren Platz in der globalisierten Welt nicht behalten können. Aber wir müssen verantwortlich damit umgehen. Ängste zu schüren, wird uns nicht in die Lage versetzen, verantwortlich Schlussfolgerungen zu ziehen und immer wieder aus auch schmerzlichen Erfahrungen zu lernen. Die offene Gesellschaft beruht auf dem Wissen, dass Fehler geschehen, aber auch auf der Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, sie zu korrigieren und immer wieder neu darüber zu diskutieren. Aber das Prinzip, Debatten nach dem oberflächlichen Regelwerk von Political Correctness zu tabuisieren, bewirkt keinen Fortschritt, keine Sicherheit, von Grundrechten nicht und auch nicht von menschlicher Freiheit. Deswegen werbe ich für eine tabufreie Debatte, die sensibel ist und keine Ängste schürt, sondern unsere Verantwortung als Mitglieder des höchsten Verfassungsorgans ernst nimmt. Sie wissen, dass mein Ministerium und ich mit Hochdruck an der Modernisierung des Datenschutzrechtes arbeiten. Wir legen zum Beispiel einen Gesetzentwurf zum Scoring vor, weil wir das Problem bei den Auskunfteien haben. Daran arbeiten wir intensiv. Um die Chance, die Sie mir durch Ihre Zwischenfrage mit der Genehmigung der Präsidentin eröffnet haben, nicht exzessiv zu nutzen, sage ich nur Folgendes: Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Herr Schaar, hat gesagt, und zwar öffentlich, wir hätten zurzeit endlich wieder einen Innenminister, dem der Datenschutz wichtig sei, bei seinen Vorgängern sei das nicht der Fall gewesen. * * * * *