bei der erweiterten Vorstandssitzung der Bundesingenieurkammer in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt in Brüssel am 18. Juni 2009 UThemaU: Umsetzung der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie und der EU- Dienstleistungsrichtlinie im Ingenieurgesetz des Landes Sachsen-Anhalt Aus Anlass der erweiterten Vorstandssitzung der Bundesingenieurkammer in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt in Brüssel am 18. Juni 2009 führte Europaminister Robra u. a. aus: Sachsen-Anhalt ist traditionell eine Region der Ingenieure (z.b. Rudolf Wolf, Hermann Gruson, Hugo Junkers). Später folgten viele Generationen von Ingenieuren, denen wir bis heute den Ruf Magdeburgs als Stadt des Schwermaschinenbaus verdanken. Die enge Bindung der Ingenieure an unsere Region im Herzen Deutschlands und Europas wird auch dadurch unterstrichen, dass der Verein Deutscher Ingenieure 1856 im schönen Harzstädtchen Alexisbad aus der Taufe gehoben wurde. Die Berufsgruppe ist mit ihrem wachen Innovationsgeist auch seit der Neugründung des Landes ein wichtiger Schrittmacher des wirtschaftlichen Aufbaus, z. B. bei Windenergieanlagen. In diesem Jahr begehen wir das 20-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution, der wir nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Wiedervereinigung verdanken. Zur gleichen Zeit stecken wir aber auch in der schwersten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise seit Jahrzehnten. Vor diesem Hintergrund wählten die Bürgerinnen und Bürger vor wenigen Tagen ein neues Europäisches Parlament. Es ist bedauerlich, dass europaweit und auch in Deutschland nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten von ihrem Wahrecht Gebrauch gemacht hat. In Sachsen- Anhalt waren es sogar weniger als 40 %. Das steht in krassem Widerspruch zum deutlichen Kompetenzzuwachs des Europäischen Parlaments. Wir Europapolitiker haben noch viel Informations- und Überzeugungsarbeit zu leisten, damit dieser widrige Prozess stärker in das Bewusstsein der Menschen dringt. Uns liegt daher sehr daran, die Europafähigkeit von Wirtschaft und Verwaltung, Wissenschaft und Forschung sowie Bildung und Ausbildung zu stärken, und ich freue mich, dass auch die deutschen Ingenieurkammern diese Notwendigkeit erkannt haben. Angesichts der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise sage ich in aller Deutlichkeit: Der Rückfall in eine protektionistische, nationalistische Kleinstaaterei wäre keine Lösung. Er würde im Gegenteil die Gefahren vergrößern. Auch unser Wirtschaftsleben in Sachsen-Anhalt ist so stark mit den internationalen Märkten verknüpft, dass Krisenbewältigung international abgestimmte Lösungsansätze voraussetzt. In dieser Situation bewährt sich die Europäische Union gerade auch gegenüber dem amerikanischen Kontinent und Asien: Die Abstimmung der Rahmenregelungen für die nationalen Programme im Europäischen Rat vom Dezember 2008 hat gewährleistet, dass die
2 nationalen Anstrengungen in eine einheitliche Richtung weisen und sich nicht etwa gegenseitig neutralisieren. Europa wird immer noch zu oft mit ausufernder Bürokratie und einem undurchschaubaren Geflecht von Institutionen und zu selten mit unserem eigenen Wirken und den Vorzügen der europäischen Werte- und Kulturgemeinschaft identifiziert. Deshalb setzt sich die Landesregierung in ihrer Europapolitik zum Ziel, einerseits die Interessen unseres Landes nachdrücklich auf europäischer Ebene zu vertreten, andererseits aber auch den Menschen im Land die europäischen Bezüge und Zusammenhänge unseres Handelns bewusst zu machen. Dafür stoßen wir nicht zuletzt vielfältige europäische Projekte überall in Sachsen-Anhalt an, die die Europafähigkeit von Wirtschaft und Verwaltung, Wissenschaft und Forschung, Bildung und Ausbildung nachhaltig stärken. Ein Blick in die Außenwirtschaftsbilanz Sachsen-Anhalts genügt, um die Bedeutung des europäischen Binnenmarktes für unsere Unternehmen zu ermessen. Im Export wie im Import sind die europäischen Staaten unsere wichtigsten Märkte. 2008 gingen 72,6 % aller Ausfuhren des Landes in EU-Länder. Angaben der Kommission zufolge hat der Binnenmarkt seit seiner Gründung 1993 insgesamt mehrere Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen und für einen zusätzlichen Wohlstand von 800 Milliarden gesorgt. Gleichwohl dürfen die Erfolge des Binnenmarktes nicht über seine Schwächen hinwegtäuschen. So hat sich der Dienstleistungssektor langsamer geöffnet als die Warenmärkte. Erst 2006 wurde eine wichtige Richtlinie verabschiedet, die es Unternehmen ermöglicht, vom Ort ihrer Niederlassung aus grenzüberschreitende Dienstleistungen in anderen EU-Staaten anzubieten. Die Dienstleistungsfreiheit war schon von Anfang an ein Ziel der damaligen EWG. Insofern ist die Dienstleistungsrichtlinie ein wichtiger Ansatz zur Umsetzung der seit 1957 in den europäischen Verträgen fixierten Ziele der europäischen Integration und gerade unsere Dienstleister profitieren davon mehr als andere, hatten sich doch viele andere Mitgliedsstaaten weit stärker abgeschottet als die schon immer integrationsfreundliche Bundesrepublik Deutschland. Die Landesregierung erwartet von der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie einen wichtigen Beitrag für das Wirtschaftswachstum und damit die Schaffung von mehr und höherwertigen Arbeitsplätzen, damit ein größerer sozialer Zusammenhalt in Europa verwirklicht wird. Ich begrüße, dass die Hochschule Harz in einem Kooperationsprojekt mit einem IT-Dienstleister aus Dortmund die Chancen und Risiken der Dienstleistungsrichtlinie untersucht, den Umsetzungsstand misst und Kommunen und Ländern bei der Umsetzung hilft. Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt und die Ingenieurkammer arbeiten vom ersten Tage an eng zusammen, um die Rechtsgrundlagen für die Ingenieure in Sachsen-Anhalt zu schaffen und zu festigen.
3 Schon 1991 hat unser Landtag ein Ingenieurgesetz für Sachsen-Anhalt beschlossen, übrigens das erste Ingenieurgesetz in den neuen Bundesländern. Auf dieser Grundlage wurde die Ingenieurkammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet. Die Kammer hat sich unter der Führung des viel zu früh verstorbenen Präsidenten Prof. Klaus Hoppe schnell zu einem kompetenten Ansprechpartner und Ratgeber auch für die Landesregierung entwickelt. Im Zusammenhang mit der gegenseitigen Anerkennung von Hochschuldiplomen und der Erweiterung des Binnenmarktes (Freizügigkeit/Niederlassungsfreiheit) wurde das Ingenieurgesetz 2005 unter konstruktiver Begleitung durch die Kammer novelliert. Die aktuelle Novellierung seit Anfang des Jahres ist das neue Gesetz in Kraft dient der Umsetzung der EU-Richtlinie über die Anerkennung der Berufsqualifikation. Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU erhalten die Möglichkeit, den Ingenieurberuf in einem anderen Mitgliedstaat als dem auszuüben, in dem sie ihre Berufsqualifikation erworben haben. Bei Problemen in der Umsetzung leistet die Landesregierung gerne Hilfestellung. Die Führung der Berufsbezeichnung Ingenieur ist in Europa gesetzlich geschützt. Die Ingenieurkammer Sachsen-Anhalts bescheinigt die Berechtigung dazu Angehörigen anderer EU Mitgliedstaaten nach Prüfung der Voraussetzungen. Von den Hochschulen wird der Titel Ingenieur auch in Deutschland nicht mehr verliehen, die Absolventen dürfen sich allerdings so nennen. Im Zuge des in Deutschland problematisch verlaufenden Bologna-Prozesses, d. h. der Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulwesens, werden auch in der deutschen Ingenieurausbildung vermehrt die akademischen Abschlüsse Bachelor und Master verwendet. Damit steigt die Mobilität der Studierenden, und sie haben bessere Chancen auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Sorgen gab es mit Blick auf die EU-Dienstleistungsrichtlinie reichlich: Stirbt der Beruf des Ingenieurs in Sachsen-Anhalt aus? Geht das weltweit anerkannte Markenzeichen des deutschen Ingenieurs verloren? Diese Befürchtungen sind nicht eingetreten. Auch der Verbraucher in Sachsen- Anhalt wird bei Nutzung von Ingenieurdienstleistungen durch die Berufsbezeichnung Ingenieur für Bachelor- und Masterabsolventen aus EU-Ländern und aus ganz Deutschland vor Scharlatanen geschützt. Dass der Ingenieurberuf auch bei uns ein Markenzeichen bleibt, dafür garantieren das neue Ingenieurgesetz und die anerkannte Kompetenz unserer Ingenieurkammer. Das neue Ingenieurgesetz entspricht allen Anforderungen an die Europafähigkeit, was durch das inzwischen abgeschlossene Normenscreening bescheinigt wird, das auch im Rahmen der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie durchgeführt worden ist. Erleichterungen bei grenzüberschreitenden Ingenieurdienstleistungen sind mit dem neuen Gesetz besonders für Kammermitglieder gegeben. Zugleich gibt es einen Wegfall zahlreicher Hürden zwischen den Bundesländern durch weitere Annäherung der Ingenieurgesetze der Länder.
4 Weniger Bürokratie und grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit durch das neue Ingenieurgesetz können helfen, Wachstums- und Beschäftigungspotenziale zu erschließen. Der Qualitätssicherung und der grenzüberschreitenden Berufsausübung von Ingenieuren dient auch die Schaffung von Listen bei der Ingenieurkammer für diejenigen Ingenieure, an die aufgrund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung besondere Qualifikationsanforderungen gestellt werden. Neue Perspektiven schafft das Gesetz für Studierende ingenieurtechnischer und naturwissenschaftlicher Fachrichtungen in Sachsen-Anhalt. Sie können sich als Interessenten bei der Ingenieurkammer anmelden und bei der Vorbereitung auf eine Kammermitgliedschaft schon Serviceleistungen der Kammer nutzen, z.b. Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen. Absolventen können nach dem Studienabschluss nahtlos Kammermitglied werden und erhalten damit gute Chancen zur Berufsausübung in Sachsen-Anhalt. Das ist ein attraktiver Beitrag zur Überwindung des Ingenieurmangels und zur Ansiedlung junger Ingenieure im Land. Wer in Sachsen-Anhalt eine Ingenieurtätigkeit ausübt, hat zukünftig bei der Ingenieurkammer seine Berufshaftpflichtversicherung nachzuweisen. Das ist eine Absicherung nicht nur der Verbraucher sondern auch der Ingenieure selbst. Für die Kammermitglieder gab es eine solche Verpflichtung schon vorher, so dass jetzt eine Gleichbehandlung gewährleistet ist. Eine analoge Regelung gibt es übrigens auch im neuen Architektengesetz des Landes. Im Zuge der Novellierung ist unser Ingenieurgesetz anwender- und verbraucherfreundlicher gestaltet worden. Ausgewiesene Rechte und Pflichten, klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zeichnen unser neues Gesetz aus. Die gewachsene Rolle der Ingenieurkammer als Körperschaft öffentlichen Rechts und als Institution der Selbstverwaltung kommt stärker als bisher zum Ausdruck. Ich weiß mich mit der Ingenieurkammer Sachsen-Anhalt darin einig, dass wir mit dem neuen Ingenieurgesetz für die Zukunft gut gerüstet sind! In England und Frankreich haben Ingenieurverbände eine lange Tradition, in den anderen EU- Staaten gibt es wie in Deutschland Ingenieurkammern, die im Europäischen Rat der Ingenieurkammern (ECEC) zusammengeschlossen sind. Diese Dachorganisation vertritt die Berufsinteressen auf europäischer Ebene und stärkt die aktive Beteiligung der Ingenieure bei der Erarbeitung europäischer Rechtsvorschriften. Die ECEC hat einen Verhaltenskodex als grundlegenden Qualitätsstandard für alle Ingenieurkammern Europas entwickelt, den auch die Ingenieurkammer Sachsen-Anhalt als Berufsordnung beschlossen hat. Kammern erweisen sich nicht nur unter Zugrundelegung des nationalen Rechts, sondern auch im Rahmen des durch Grundfreiheiten wie der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit geprägten europäischen Binnenmarktes als zukunftsfähig. Aus der europäischen Perspektive sind sie in Selbstverwaltung betriebene Agenturen der Qualitätssicherung. Mehr noch: Kammern sind die
5 Kompetenzzentren der Freien Berufe, die deshalb nicht drauf angewiesen sind, sich gesondert zertifizieren zu lassen, um ihre Seriosität, Kompetenz und Leistungsfähigkeit zu belegen. Das dient nicht nur den Kammerberufen selbst, sondern ist vor allem praktizierter Verbraucherschutz. Das Kammersystem hat große Vorteile nicht nur für das Gemeinwesen und die Verbraucher, sondern auch für die einzelnen Kammermitglieder. Mit dem Kammerstatus sind Ingenieure Mitglieder einer berufsständischen Selbstverwaltung und können die Serviceangebote der Kammer z.b. in der Fort- und Weiterbildung nutzen. Aufgrund der Harmonisierung der nationalen Vorschriften sichert die Kammermitgliedschaft die Berufsausübung der Ingenieure in ganz Europa. Zum anderen garantiert die Vernetzung der europäischen Kammern eine unbürokratische gegenseitige Anerkennung zum Führen der Berufsbezeichnung Ingenieur und ermöglicht bessere Chancen für Freizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit in Europa.