Entwicklung und Förderung von Kindern Wie sieht die optimale Erziehung von 0-6 Jahren aus? Prof. Dr. Rainer Dollase Universität Bielefeld, Abt. Psychologie CDU Stadtverband Gütersloh Gütersloher Brauhaus, 23.4.2008
Gliederung 1. Gibt es eine natürliche, optimale Erziehung? 2. Optimale Betreuung, Bildung und Förderung von 0 bis 3 Jahren in Institutionen 3. Optimale Elementarerziehung (von3 bis 6 Jahren)
1. Gibt es eine natürliche, optimale Erziehung?
Zwei gleichberechtigte Mechanismen: Lernen durch Bindung an erwachsene Bezugspersonen Selbständiges Lernen und Aufnehmen von Information, selbständiges Ausprobieren
Ein Modell - Wie wächst ein Mensch auf? (1) 1. Ziel der Entwicklung: ein realistisches Bild von der Welt und sich selbst haben - und damit wirksam im eigenen Interesse handeln können 2. Kinder und Jugendliche entwickeln sich nach einem evolutionären Programm - Tricks der Evolution sind die Angewiesenheit auf Bezugspersonen und die angeborene Selbständigkeit in der Informationsaufnahme 3. Kinder und Jugendliche nehmen alle Informationen auf, die sie für relevant und richtig halten - Glaubwürdigkeit der erziehenden Erwachsenen ist also wichtig
Ein Modell -Wie wächst ein Mensch auf? (2) 1. Kinder und Jugendliche sind sowohl zur selbständigen Erkundung der Umwelt als auch auf das Lernen durch Bezugspersonen und andere programmiert 2. Sie lernen deshalb selbständig und durch Anleitung/Anregung von Bezugspersonen und Gleichaltrige 3. Manche Fakten,Probleme, Denkweisen können Kinder und Jugendliche nicht durch selbständiges Lernen oder durch Gleichaltrige erlernen 4. Fremdgesteuerte Lern- und Bildungsprozesse sind deshalb genauso normal wie selbstgesteuerte 5. Die Bewertung, was sinnvoll im Sinne der besseren Daseinsbewältigung ist, trifft das Kind. Glaubwürdigkeit der Informationsquelle ist entscheidend.
Von der Weisheit der Evolution... (Bowlby et al.) Der Nesthocker Mensch ist von Natur aus mit Beziehungsfähigkeit ausgestattet die braucht er, um einen Erwachsenen zu animieren, für ihn zu sorgen und von ihm zu lernen der kleine Mensch kann zunächst nur zu wenigen Menschen engere Beziehungen aufnehmen zu seiner Hauptversorgungsperson entwickelt er eine besondere Bindung (Monotropie)
Wie entsteht eine sichere Bindung und welche Folgen hat sie? Durch prompte und angemessene Befriedigung der Bedürfnisse des kleinen Kindes entsteht eine sichere Bindung die über eine Zwischenstufe der Satellitenbeziehung zu Selbständigkeit, Urvertrauen, psychischer Widerstandsfähigkeit (Resilienz) und zur selbständigen Regulation von Frust und Angst führt sichere Bindung ist wichtig für eine gesunde Entwicklung
Weder alle Eltern noch alle ErzieherInnen können intuitiv die sichere Bindung zum Kind erreichen - es gibt vier Bindungstypen 1. sichere Bindung 2. unsicher - vermeidende Bindung 3. unsicher - ambivalente Bindung 4. unsicher - desorganisierte Bindung (Deutsche Eltern erreichen je nach Studie nur in 40% die sichere Bindung)
Hauptaussage: Unsichere Bindung im Kleinkindalter (bis ca. Ende 2. Lebensjahr) ist ein Risiko für Kinder Deshalb ist die Furcht, dass Fremdbetreuung zu unsicherer Bindung führt, immer mal wieder aktuell
Was haben Eltern vom sicher gebundenen Umgang mit kleinen Kindern... Sie verändern sich selbst psychisch und sozial zum Positiven (retroaktive Sozialisation) Das Risiko für Fehlentwicklungen beim Kind wird etwas geringer Auch langfristig steigt die Chance, das Bindung ein Wert bleibt
2. Optimale Betreuung, Bildung und Förderung von 0 bis 3 Jahren in Institutionen
BulFert 1,60 1,55 Niedersachsen 1,50 Fertilität (Eurostat99) 1,45 1,40 1,35 1,30 1,25 1,20 1,15 1,10 Bayern NRW Rheinland Pfalz Baden Württemberg Hessen Schleswig Holstein Bremen Saarland Hamburg Sachsen Brandenburg Berlin Thüringen Meck Pomm Sachsen Anhalt,00 10,00 20,00 30,00 40,00 50,00 60,00 KITA U3
Fazit Im Osten ist die Erwerbsbeteiligung der Frauen höher (10-25%), die Krippenversorgung deutlich höher (bis über 50%) und die Geburtenrate niedriger (1,2 vs. 1,4)
Was wollen Eltern in xyz? Wichtigkeit von Zielen in Schulnoten, N= 152, März 2007 Betreuung zu ungewöhnlichen Zeiten Stadtteilarbeit Elterncafe etc. Seniorenmitarbeit Migranten Elterntreff Koope Beratungsstellen Elternkurse U3 Angebote Erziehungsberatung Sprachförderung Vorbereitung auf Schule B B B B B B B B B B B B 1 1,5 2 2,5 3 3,5 B Note
Aufgabe: trotz Fremdbetreuung muss unsichere Bindung vermieden werden
weitere Bedingungen... Fremdbetreuung bei doppelter Erwerbstätigkeit (keine Lehrerhaushalte) ist unschädlich, wenn... akzeptable Gründe für die Erwerbstätigkeit vorliegen der Beruf als attraktiv empfunden wird die Arbeitsbedingungen und - zeiten kompatibel sind die Gesamtbelastung sowohl im Beruf als auch zuhause erträglich ist wenn Väter und Mütter beide eine positive Einstellung zu beiden Kontexten haben wenn Väter zuhause ebenso engagiert sind wie Mütter wenn das Temperament des Kindes easy ist wenn die Fremdbetreuung von hoher Qualität ist
Es kommen Aufgaben auf alle an der U3 Betreuung beteiligten Gruppen zu: Kinder, Eltern, ErzieherInnen, Träger, Arbeitnehmer, Land
Aufgaben für Kinder Erste Stressbewältigung Anpassungsreaktion leisten - nicht alle Kinder sind dazu gut geeignet (Temperament) neue Beziehungen aufbauen (Betreuungsbeziehungen) der selteneren Individualisierung anpassen (Gruppennachteil) allgemein: mit Stress fertig werden (Cortisol und Herzrate) nicht alle Kinder werden positiv mit diesem Stress fertig
Die neuen Temperamentsdimensionen* 1. Aktivität- Passivität 2. Regelmäßigkeit biologischer Funktionen vs. Unregelmäßigkeit 3. Annäherung - Vermeidung (Hemmung) 4. Anpassungsvermögen 5. Sensorische Reizschwelle (hoch - niedrig) 6. Stimmungslage (negative - positive Emotionalität) (7. Intensität,später we#efa$en) (8. Ablenkbarkeit 9. Ausdauer = zusammengelegt) 7. Aufmerksamkeit/Ausdauer * nach Zentner, M. Die Wiederentdeckung des Temperaments, Fischer TB,1999
Aufgaben für Eltern Hohes investment trotz U3 Betreuung Trotz Vollzeitbetreuung bleiben noch rund 40-50h wöchentlich in der Familie, die trotz U3 Betreuung gefüllt werden müssen Notwendigkeit, eine sichere Beziehung aufzubauen und aufrechtzuerhalten Betreuung für Notfälle (Krankheit des Kindes oder längere berufliche Abwesenheit) Kompensation der in Gruppen fehlenden Individualisierung
Ich entscheide mich für vorübergehenden oder vollständigen Ausstieg aus dem Beruf Nachteil: weniger Geld, verzichte auf Wohlstand, weiß nicht, ob dieses Opfer tatsächlich mit einem gelungenen Nachwuchs belohnt wird, weiß nicht ob ich wieder einsteigen kann, wie meine Zukunft wird Projektion: Materialisten auf Kosten der Kinder
Ich entscheide mich für Weiterarbeit trotz Kinder Nachteil: ich muß trotzdem ein hohes investment nach Dienst leisten, bin unsicher, wie mein Kind wird, bin doppelt belastet Projektion: Die machen es sich aber bequem
Übrigens: Die kognitive Anregung in der Familie könnte besser sein als in einer optimal geführten Einrichtungen, z.b. in bildungsnahen Schichten. (Einrichtung = Gruppennachteil) Förderung = f(gefälle zwischen den kognitiven Milieus in Einrichtung und Familie)
Aufgaben für ErzieherInnen Neue pädagogische Orientierungen Bereitschaft zur Annahme und Realisierung von Bezugsbetreuung (ganztags, Kontinuität) Aufbau einer Erziehungspartnerschaft mit den Eltern eine Reihe von personalen Voraussetzungen (Sensibilität, Geduld etc.) Fähigkeit zum Gruppenmanagement und zu multitasking
Aufgaben für Träger und Land Plätze und notwendige Infrastruktur kosten Geld Minimalstandards für Betreuungsrelationen sichern Forschung anregen und fördern Aufwand für Eingewöhnungsprogramme, Elternbildung Ausbildungskonzeptionen formulieren und Ausbildung organisieren, Fortbildung, Supervision Familienhelferinnen, Tagesmütter, Netzwerke für Betreuung qualifizieren Land: für eine Vielfalt von Angeboten sorgen
Qualitätsstandards (Minimal) National Association for the Education of Young Children Alter ErzieherIn : Kind 0-1 1:3 1-2 1:5 2-3 1:6 3-4 1:8 4-5 1:10 5-6 1:15
Aufgaben für Arbeitgeber Teilzeitarbeit Flexibilisierung der Arbeitszeit Generosität bei Betreuungsnotfällen von Eltern Angebot an Kinderbetreuung für eigene MitarbeiterInnen, die Eltern sind
3. Optimale Elementarerziehung (von3 bis 6 Jahren)
HEAD START Head start = Kopfstart, Frühstart verursacht durch Sputnikschock Millionenprogramm zur frühkindlichen Bildungs- und Intelligenzförderung Beginn: Ende der 60er Jahre
HEAD START - Resumee Gut: entwicklungspsychologisches Konzept statt fachdidaktisches Gut: situationsorientiertes Lernen Gut: Teamplanung und Fortbildung Gut: Gruppen mit max.20, zwei BetreuerInnen Gut: partnerschaftliche Elternarbeit Gut: für Kinder in slums (low income families)
Vorverlagerung schulischen Arbeitens in den Head Start Programmen nicht positiv - besser: kindergartenähnliches, ganzheitliches, situationsorientiertes Arbeiten Also: keine Schulvorbereitung im Kindergarten
Ähnliche Begriffe Child initiated (Initiativen gehen vom Kinde aus) Kindorientierte Pädagogik Developmentally appropriate Education (entwicklungsangemessenes Lernen) Didaktisierung der Situation Situationsansatz Integrierte Lerngelegenheiten
Kennzeichen guter Tagesstätten Pierrehumbert et.al.(2002),international Journal of Behavioral Development, 385-396 Kennzeichen Erreichbarkeit Anregung Festigkeit Warmherzigkeit Autonomie Leistungsanregung Gute Organisation Engl.Ausdruck availability stimulation firmness warmth autonomy achievement organisation Beispiel Erzieherin auch erreichbar, wenn sie beschäftigt ist Das Kind ist meist beschäftigt Die Erzieherin ist konsequent Die Erzieherin geht positiv und warmherzig mit dem Kind um Die Erzieherin respektiert Bedürfnisse des Kindes Es sind Lerngelegenheiten vorhanden Spielgelände ist sicher
Puhani & Weber 2005 Untersuchung der früh-(ca. mit 6) und später (ca. mit 7)eingeschulten Kinder anhand der IGLU Daten und anderer Datensätze Späteingeschulte im 4.Schuljahr deutlich besser
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