Bachelorarbeit Anforderungen an die Gestaltung einer Leseschrift



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Transkript:

Bachelorarbeit Anforderungen an die Gestaltung einer Leseschrift

Teil 1 Dokumentation der Bachelorarbeit (August 2012) Die theoretische Auseinandersetzung der gestalterischen Anforderungen einer Schrift für optimale Leserlichkeit Teil 2 Gestalterischer Teil der Bachelorarbeit (September 2012) Die Gestaltung einer Schrift mit dem Zweck der Anwendung für Lesetexte

Bachelorarbeit Lisa Krack, im August 2012 Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Design Betreut von Prof. Luc(as) de Groot und Frau Dipl.-Designerin Manja Hallpap

In Erinnerung an meinen lieben Opa, dem witzigsten Mann den ich je gekannt habe. Danken möchte ich meinen Eltern, für die Unterstützung der vergangenen Jahre. Euer, mir so wichtiges, Vertrauen ermöglichte mir ein intensives und erfolgreiches Studium der Gestaltung. Ausserdem danke ich meinen lieben Geschwistern Jona, Sarah und Ina für die zahlreichen aufmunternden Besuche während meines Studiums. Euer Verständnis für mein konzentriertes Arbeiten verhalf mir zu viel Kraft und Durchhaltevermögen. Der größte Dank im Bezug auf die Unterstützung und Hilfe gebührt den Geschwistern Kornemann. Eva, ohne deine unvergleichbare und aufopfernde Unterstützung beim feinschleifen des Textes wäre dieser von jenen Demonstrativpronomen übersäht und wohl nur stockend statt fließend zu lesen und verstehen gewesen. Wolfram, dir möchte ich schon allein für deine bloße Anwesenheit danken, die mir stets ein Gefühl von Sicherheit verleiht. Vor allem dein gutes Zureden hat mir in missmutigen Momenten zum nötigen Selbstvertrauen verholfen. Deine konstruktive Kritik hat mich darüber hinaus vorangetrieben und mich nicht zuletzt zu einem zufriedenstellenden Ergebnis geführt. Das alles und noch so vieles mehr, macht dich für mich unersetzbar.

Kapitel Schaubilder Vorwort Gliederung des Inhaltes 1 FORMGEBUNG 1 Charakteristische Buchstaben 2 Formunterstützende Details 3 Besondere Merkmale der Henri 2 GEBILDE 4 Buchstabenöffnungen, An- und Endstriche Versalien 5 Buchstabenöffnungen, An- und Endstriche Gemeine 6 Kurvengebung Gemeine 7 Gebilde der Versalien 8 Gebilde der Gemeinen 9 Abstammung kleiner von großen Buchstaben 3 DIFFERENZIERUNG 10 Verhältnisse Gemeine zu Versalien 11 An- und Endstriche voneinander abhängiger Gemeine 12 Punzen der Kleinbuchstaben 13 Verhältnis schräger Linien der Gemeinen 4 ZUSAMMENHALT 14 Weißraumverteilung Versalien 15 Punzen der Großbuchstaben 16 Verhältnis schräger Linien der Versalien 17 Verwandtschaft von Großbuchstaben 5 PROPORTIONEN 18 Buchstabenbreiten Gemeine 19 Optisches Ausgleichen von Kleinbuchstaben 20 Grauwert des Schriftbildes 21 Buchstabenbreiten Versalien 22 Grundformen der Buchstaben 23 Formgebung Kleinbuchstaben 24 Plakat, Proportionen der Buchstaben Fazit

12 16 18 29 23 26 29 30 45 33 35 37 40 42 44 46 57 49 50 53 54 58 67 62 63 64 67 68 83 71 72 75, 76 79 80 82 Plakat 85

12 VORWORT Solange ich zurückdenken kann, spielen Buchstaben eine überdurchschnittlich große Rolle in meinem Leben. Schon als Kind waren mir einige der kleinen Buchstaben lieber als andere so mochte ich das kleine a, f und s sehr gerne, das w und x dagegen weniger. Auch die 4, in ihrer geschlossenen Form, ist schon seit jeher meine absolute Lieblingszahl, ohne dass ich vor Beginn meines Studium ahnen konnte, dass dies wohl an ihrer prägnanten Formgebung liegt bildet sie doch als einzige von allen Buchstaben und Zahlen im Inneren ein Dreieck. Schon von Beginn meiner schulischen Karriere an, habe ich gerne mit meiner Handschrift gespielt, wollte sie perfektionieren und habe mir zu diesem Zweck die schöneren Versionen einiger Buchstaben von meinen Mitschülern abgeguckt. So habe ich mir beispielsweise den unschönen Querstrich im großen Z abgewöhnt, den wir in der Grundschule so beigebracht bekamen, aber so schreiben mussten. Das Ausmaß meines Perfektionismus den ich meine Handschirft betreffend an den Tag legte, wurde mir einige Male zum Verhängnis: Da ich bis zum Ende meiner Schullaufbahn in Form von Druckbuchstaben schrieb, weil mir die Schulschreibschrift nicht gefiel, mir dazu aber während des Unterrichts keine Zeit blieb, musste ich ganze Hefte mehrmals neu schreiben die gleichmäßige Gestaltung der Seiten erschien mir einfach wichtiger als deren Inhalt. Aus heutiger Sicht ist meine frühe Leidenschaft für das geschriebene Wort leicht nachzuvollziehen schließlich führte sie mich zum Designstudium und ebnet mir auch hoffentlich meinen weiteren beruflichen Weg zur typografischen Gestalterin und Schriftentwicklerin. Vom ersten Tag meines Studiums an, hat mich alles rund um das Thema Typografie begeistert, am meisten gefielen mir die Details des Werksatzes mit seinen umfangreichen, strengen Regeln. Die Wahl einer Schrift traf ich jedoch stets aus dem Bauch heraus, ohne eine dafür nachvollziehbare Begründung formulieren zu können, weil mir das detaillierte Hintergrundwissen fehlte. Dieses Dilemma ließ mein Interesse an der Schriftentwickelung wachsen, zumal sich mehr und mehr der Wunsch festigte, eine eigene Schrift zu gestalten. Ich belegte also den gleichnamigen Kurs um mehr zu erfahren über die Eigenschaften

13 von Buchstaben, die dem Charakter einer ganzen Schrift zuträglich sind und um möglichst viel über die Formgebung der Buchstaben an sich zu lernen. Aber mit der Begeisterung kam auch das Kopfzerbrechen. So kompliziert hatte ich mir das nicht vorgestellt; Dabei war bzw. ist es für Studenten wie mich, die den schöpferischen Müßiggang im Studium anstreben (was nicht von weniger leidenschaftlichem Interesse zeugt!), ein unfassbares Glück Luc(as) de Groot, als Lehrenden des Kurses Schriftentwicklung, in allen Semestern verfügbar zu wissen auch wenn es mitunter recht einschüchternd wirken kann, sich an einem Schriftentwickler seines Formates messen zu müssen. Vor allem wenn es einem erst einmal nur um die pure Form der Buchstaben geht. Ich höre jetzt noch das Stöhnen der Kommilitonen, wenn Luc(as) gut gelaunt über sein Lieblingsthema, TrueType Hinting, sprechen durfte. Bis heute habe ich, was die technische Seite der Schriftentwicklung angeht so meine Probleme. Beruhigt hat mich jedoch die Aussage meines Lehrenden, dass es Jahre dauern würde, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Um mich auf meine Geschicklichkeit im Entwickeln einer Schrift, nach ersten misslungenen Versuchen, nun noch einmal ausgiebig testen zu können, widmete ich das letzten Semester meines Studiums dem Entwickeln einer Serifenlosen, der Henri. Im Anschluss daran schenkte ihr schließlich die Zeit meiner Bachelorarbeit. Anfänglich sollte der theoretische Teil gar nicht unmittelbar mit der Entwicklung meiner Schrift zu tun haben. Buchstaben und ihre Eigenarten sollte der ursprüngliche Titel heißen und über die menschlichen Züge schreiben, an die mich meine geliebten Zeichen erinnern. Während meiner Arbeit an der Henri wurde mir jedoch zum wiederholten Male bewusst, wie gerne ich eine geordnete Zusammenfassung aus all den vielen Regeln zu Formen und Proportionen der Buchstaben besitzen würde, die ich im Laufe des Studiums querbeet von Luc(as) Tafel abgeschrieben hatte. Hinzu kam, dass mich das von allen Büchern über Schriftgestaltung hilfreichste, nämlich die Anatomie der Buchstaben mit seiner Masse an Inhalt und Form geradezu erschlug. Schon bevor meine Henri ihre Form annahm hatte ich den Wunsch, eine Schrift zu entwickeln, die sich vor allem zum Lesen

14 VORWORT langer Texte eignet. Eine gut leserliche Schrift zu kreiieren, erschien mir auch von daher als logisch, da ich die dazu notwendigen Regeln erst kennen und anwenden wollte, bevor ich damit beginnen könnte, sie zu brechen. So entschied ich letztendlich, mich auch in der Theorie mit den dafür notwendigen Richtlinien auseinanderzusetzen. Während meiner Recherche kristallisierten sich recht schnell fünf grundlegende Voraussetzungen heraus, die bei der Gestaltung einer Schrift, im Hinblick auf ihre optimale Leserlichkeit berücksichtigt werden müssen. Auf Basis dieser Grundregeln gliederte ich die gesamte theoretische Arbeit. So entstanden fünf Kapitel, deren Inhalt jeweils konkrete Richtlinien zur Gestaltung einer Leseschrift ohne Serifen enthalten, die auch anhand von eigenen Beispielen, wissenschaftlichen Studien und Erfahrungswerten etablierter Schriftgestalter und Typografen erläutert werden. Neben Leitsätzen, die die im jeweiligen Kapitel behandelte Grundregel formulieren, dienen die darunter stehenden Schlagworte, die dem Text entnommen sind, dem schnellen Überblick der dort behandelten Themen. Da diese Arbeit außerdem die Funktion hat, die Entwicklung meiner Henri zu präsentieren, enthält sie grafisch aufbereitete Bilder, die die theoretischen Grundregeln direkt am praktischen Beispiel meiner Schrift veranschaulichen. So gehen in meiner Arbeit Theorie und Praxis stets Hand in Hand. Sie richtet sich an alle Schriftinteressierten, die zwar bereits über Grundkenntnisse der Typografie verfügen, denen jedoch der Überblick über die formgebenden Richtlinien im Bezug auf die Gestaltung von Buchstaben fehlt. Die Erkenntnisse, die ich in dieser Arbeit zusammen getragen habe, sollen nicht nur der Formgebung bei der Entwicklung der eigenen Schrift dienlich sein, sondern auch der Fähigkeit, gutgeeignete von weniger gutgeeigneten Schriften für Lesetexte zu unterscheiden. Diesbezüglich möchte ich betonen, dass sich der gesamte Inhalt dieser Arbeit auf das lineare Lesen bezieht. Sie ist frei von allen technischen Weisheiten etwaiger Schriftgestaltungsprogramme, aber auch von jeglichem Anspruch der Vollständigkeit. Ich erinnere an dieser Stelle an das Ziel, eine

15 kompakte Übersicht mit den grundlegenden Richtlinien zur Formgebung einer leserlichen Schrift geben zu wollen. Um ständigen Wiederholung im Text aus dem Wege zu gehen sei zudem gesagt, dass ich den Fokus meiner Arbeit ausschließlich auf die Buchstaben des aufrechten großen und kleinen Alphabetes der lateinischen Schrift gerichtet habe. Alle Aussagen, Überlegungen, Ideen, Richtlinien und Formulierungen beziehen sich ausnahmslos auf die serifenlose Schrift. Diese entsprechen ohnehin unserer heutigen Zeit am meisten und begründet damit neben der Reduzierung des Inhaltes, auch meine Wahl, eine serifenlose Schrift als Leseschrift zu entwickeln. Wichtig zu erwähnen ist mir außerdem, dass meine Schrift noch nicht fertig ist. An allen Ecken und Kurven mangelt es ihr noch an Feinschliff und Eleganz. Sie zu vervollständigen und sie für ihren Auftritt auf dem Laufsteg der Typografie mit einer vollständigen Glyphen-Palette, mehreren Schriftschnitten und allem, was eine Schrift sonst noch benötigt, wird mein zukünftiges Herzensprojekt sein.

16 GLIEDERUNG DES INHALTES Die Anforderungen an die Gestaltung einer Schrift können verschieden sein, je nachdem, für welche Art des Lesens sie gedacht ist und welchen Zweck sie verfolgt. Diese Arbeit widmet sich dem Gestalten einer Schrift unter der Voraussetzung optimaler Leserlichkeit.»Die Leserlichkeit ist ein Maß für die Lesegeschwindigkeit von Text.«¹ Kapitel 1, Über die FORMGEBUNG der Buchstaben Wichtigste Voraussetzung hierfür ist das Erkennen der Buchstaben, je mehr dieser Grundsatz bei ihrer Gestaltung beherzigt wird, desto schneller kann gelesen werden. Das heißt, dass jegliche, absichtlich erzeugte Persönlichkeit der Schrift durch unübliche Formen der Buchstaben unerwünscht sind, da sich der Leser nicht für diese, sondern allein für dessen Inhalt interessiert, welchen er unbeeinflusst von der Schrift lesen und verstehen möchte. Kapitel 2, Über das GEBILDE der Buchstaben Für die Erkennbarkeit eines Schriftbildes hat die geschichtliche Entwicklung gesorgt, in der sich Buchstaben über die Jahrtausende hinweg kontinuierlich weiterentwickelt und so zur ihrer letztendlichen Form gefunden haben. Dadurch haben wir uns an die Architektur der Buchstaben schlicht gewöhnt und können sie deshalb erkennen. So liegt es nahe, dass uns jegliches Abweichen von der Urform, seit dem an dieser keine grundsätzlichen Veränderungen mehr vorgenommen wurden, ungewohnt und deshalb schlechter lesbar erscheint. Um dem angehenden Schriftentwickler jedoch nicht die Lust an seinem zukünftigen Schaffensfeld zu nehmen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ihm ein kleiner Spielraum für seinen Drang nach Kreativität erhalten bleibt. Mit dem Zeichnen der Kurven nach dem eigenen ästhetischen Empfinden beispielsweise oder mit kleinen Details der Formgebung, die sich nicht auf Gewohnheiten zurückverfolgen lassen. 1 Wikipedia Leserlichkeit (Stand: 8. Juni 2012)

17 Kapitel 3, Über die DIFFERENZIERUNG der Buchstaben Neben der Erkennbarkeit ist die Unterscheidbarkeit der Buchstaben wichtigste Voraussetzung für die gute Lesbarkeit einer Schrift. Die Buchstaben müssen also nicht nur in ihrer Gesamtheit funktionieren, sondern auch im Einzelnen als eigenständige, unverwechselbare Zeichen bestehen können. Kapitel 4, über den ZUSAMMENHALT der Buchstaben Andererseits sind Buchstaben jedoch von Natur aus Teamplayer, oder besser gesagt, Eltern, Kinder, Geschwister, Cousinen und Cousins einer großen Familie, deren Verwandtschaft man ihnen auch ansehen sollte. Kapitel 5, über die PROPORTIONEN der Buchstaben Unvorteilhafte Proportionen (im Sinne von zu schlank, zu breit, zu dick, zu dünn) sollten dabei dem Erbgut aller erspart bleiben; der Leser würde zu oft kritischen Auges solchen Buchstaben nachblicken und, im schlimmsten Fall, sogar über sie lästern.

18 1 FORMGEBUNG Erstes Kapitel appelliert an die Züchtigung des Gestalters in seinem eigenen ästhetischen Empfinden. Unsere Aufmerksamkeit gilt schließlich dem Leser, der in seiner Konzentration durch keine unnötigen Assoziationen oder Gefühlsduselei gestört werden will. Wo die neutrale Gestaltung beginnt und endet und wo die emotionale, soll im nun folgenden ersten Kapitel anhand einer Methode des Formen-Erlernens und -Deutens geschildert werden.

1 Neutral emotional: Über die Auswirkungen der Formgebung auf den Charakter der Schrift Eine Leseschrift soll möglichst unauffällig sein und wenige Assoziationen und Gefühle wecken. Urform Gewohnheit Zurückhaltung Proportionen Harmonie Formfunktion Neutralität Herkunftsprinzipien

20 1 FORMGEBUNG Bei der Gestaltung einer Schrift, mit der wir das hauptsächliche Ziel der optimalen Lesbarkeit, auch in größeren Textmengen, verfolgen, ist es zunächst wichtig, nicht von den gewohnten Urformen unserer Zeichen abzukommen. Über Jahrhunderte haben wir uns diese eingeprägt Veränderungen geschahen, bis auf Ausnahmen, nur in ihren Details. Diese Veränderungen ergaben sich vor allem aus den verschiedenen (Schreib-)Werkzeugen, die dabei zum Einsatz kamen und dem vorherrschenden Stilgefühls der jeweiligen Zeit. ¹ Man kann sich nicht anmaßen zu behaupten, dass unsere heutigen Formen die Besten sind damit der formvollendete Schlusspunkt einer langen Entwicklung, allerdings würden elementare Eingriffe in die bereits gewohnte Architektur der Zeichen die Lesbarkeit beträchtlich erschweren. Je gewohnter also die Form der Schrift ist, desto einfacher und folglich schneller wird sie erkannt und verstanden. Außerdem lesen wir nicht, in dem wir Buchstabe für Buchstabe entschlüsseln, sondern in dem wir die in unserem Gedächtnis gespeicherten Buchstabenfolgen auf einen Blick erkennen und somit den Text von Wort zu Wort erfassen. (Ohne darauf näher eingehen zu wollen, sei an dieser Stelle jedoch erwähnt, dass es mittlerweile Anbieter gibt, die die herkömmliche Lesetechnik in Bezug auf Lesetempo mit Verweis auf eine Unterforderung der kognitiven Leistungsfähigkeit ablehnen und in Schnell-Lesekursen wie Turbolesen oder Speed Reading die Rezeption des Textinhaltes durch ganze Wortgruppen oder gar Satzzeilen versprechen.) ² Wesentliche Veränderungen oder außergewöhnliche Konstruktionen der Formen jener Buchstaben, die für den Mengensatz gedacht sind, würden die (meist nicht bewusst wahrgenommenen) Wortbilder verfremden, dabei die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen und folglich den Leser aufhalten. Dementsprechend ist hier die, anfangs erwähnte, Zurückhaltung des Gestalters in seinem eigenen ästhetischen Verständnis gefragt; auch besonders prächtig gestaltete Zeichen verlangen zu viel Aufmerksamkeit. So ist der Leser größerer Textmengen nicht am einzelnen Buchstaben an sich interessiert und lehnt, was diesen betrifft, jegliches Experimentieren ab. ³ 1 Jost Hochuli, Das Detail in der Typografie, S. 10 2 Victoria Hoffmann für ZEIT ONLINE, Artikel Mit neuer Technik schneller lesen, vom 27.08.2010 3 Jost Hochuli, Das Detail in der Typografie, S. 10

21 Stanley Morison, dessen Arbeit als Typograf und Schriftdesigner von intensiven schrift- und druckgeschichtlichen Studien begleitet war und dessen daraus resultierende Erkenntnisse bis heute großen Einfluss auf die Buchtypografie und die Leseschriftform genommen haben, formulierte schon 1929»Die Schriftgestaltung hält Schritt mit dem konservativsten Leser. Ein guter Schriftkünstler ist sich deshalb bewußt, daß ein neuer Schriftschnitt, um erfolgreich zu sein, so gut sein muß, daß nur wenige seine Neuheit erkennen. Wenn die Leser die Zurückhaltung und zuchtvolle Form einer neuen Schrift nicht bemerken, dann ist sie wahrscheinlich gut. Aber wenn meine Freunde finden, der Bogen des kleinen r oder der Abschlußstrich des kleinen e seien recht famos, dann weiß man, die Schrift wäre ohne diese Eigenart besser geworden. Eine Schrift, die sich in der Gegenwart oder gar in der Zukunft durchsetzen soll, darf weder sehr anders noch zu famos sein.«⁴ Auch Hermann Zapf formulierte 1958»Eine gute Werkschrift darf keine störenden Eigenwilligkeiten bei einzelnen Buchstaben haben, alle Buchstaben sollen sich harmonisch zueinander fügen, selbstverständlich im Ausdruck und vor allem mühelos lesbar sein.«⁵ Trotzdem und damit zum Trost einiger, nach dieser Lehrmeinung enttäuschter, Schriftgestalter-Neulinge, wie ich es bin sind Veränderungen nicht grundsätzliche ausgeschlossen»[ ] Damit der Leser bei seinem Lesevorgang nicht gestört wird, gehört es auch zur Normalität der Lesetypografie, dass die Schriftzeichen sich von Zeit zu Zeit leicht verändern. (Anm. d. R. Wie in Zeile 4 dieses Textes schon einmal angerissen) Es liegt den Leseschriften und der normalen Lesetypografie zwar eine Standardform zu Grunde, diese will aber in ihrem engen Rahmen vielfältig variiert sein, soll der Leser nicht ermüden.«⁶ Ich fasse damit an dieser Stelle zum ersten zusammen: Eine Leseschrift soll möglichst unauffällig sein. Trotz der zurückhaltenden Gestaltung von Leseschriften, bringt eine jede ihren eigenen Charakter mit. Jost Hochuli formuliert es als Vermutung in seinen Erörterungen der Fragen, die sich mit Lesbarkeit befassen,»dass Schriften unabhängig von ihrer optischen Lesbarkeit durch ihre Formensprache beim Leser bestimmte Gefühle auslösen und positiv Schaubild 1 (1 S. 23) Schaubild 2 (1 S. 26) Schaubild 3 (1 S. 29) 4 Stanley Morison (1889 1967), First Principles of Typography, 1929 5 Werkschriften, Sonderdruck Stempel AG (aus Philobiblon, 4 1958) 6 H. Andree über Leseschriften für das Museum der Arbeit, Hamburg (2007)

22 1 FORMGEBUNG oder negativ wirken können.«⁷ Damit geht er auf die 1939 von Miles Tinker durchgeführte Studie ein, die aufwändigste Studie die jemals zur Untersuchung der Lesbarkeit von Druckschriften realisiert wurde. ⁸ Er gab den unwissenden Testpersonen einen leicht verständlichen, weder emotional noch sprachlich anspruchsvollen Text zu lesen, der in den damals gebräuchlichen und allgemein bekannten Schriften gesetzt war. Im Ergebnis zeigte diese Studie, dass auch bei gleich guter Lesbarkeit nicht alle Schriften gleichermaßen gut angenommen wurden, da ein Teil der Testpersonen bestimmte Schriften als unsympathisch empfanden. Folglich kann man davon ausgehen (und sollte man bei der Schriftentwicklung beherzigen), dass unabhängig von der optischen Lesbarkeit und ohne die Kenntnis des Inhalts eines Textes, der Charakter einer Schrift beim Lesen mitspricht, sein Ton zum Gesamtklang beiträgt, unterstützend oder störend. ⁹ Aufgrund dieser Erkenntnis hatten es sich Manuel Krebs und Dimitri Bruni, zwei Züricher Gestalter, die für ihren ausgesprochen systematischen und informierten Ansatz in der Typografie bekannt sind, 2007 zum Ziel gesetzt, eine neutrale, zeitlose Schrift zu entwerfen. Auf diese Weise entstand die Replica, die in einem Artikel von dem Magazin form mit Radikal neutral betitelt wurde. Erst nach ihrer Fertigstellung kamen die beiden Gestalter zu der Erkenntnis, dass es eine neutrale Schrift nicht geben kann.»denn jede Schrift hat mehr oder weniger auffällige Eigenschaften sie werden höchstens durch andauernden, alltäglichen Gebrauch unauffällig und somit zeitlos.«¹⁰ Angesichts der Unmöglichkeit eine neutrale Schrift zu gestalten, sollte man gute Kenntnisse darüber besitzen, an welchen Merkmalen der Charakter einer Schrift am stärksten auszumachen ist, um diese bei der eigenen Schriftgestaltung berücksichtigen zu können. Formgebung nach dem stilistischem Herkunftsprinzip Zunächst einmal sind schon die charakteristischen Merkmale einer Schrift der Formgebung nach dem stilistischem Herkunftsprinzip geschuldet. So sollen diese Formprinzipien kurz erläutert werden: 7 Jost Hochuli, Das Detail in der Typografie, S. 56, 60 8 tg8.eu: Miles Albert Tinker & Donald Paterson, Legibility of Print, 1963 9 siehe 7 10 Katharina Altemeier, Artikel Radikal neutral der Zeitschrift Form 228/2009

1 Formgebung (Seite 21) 2 Gebilde (Seiten 45) 1 Der Schweif des Q nimmt bei der Henri einen nahen Bezug zu anderen Teilformen von Buchstaben auf, was zu einem einheitlichen Klang des Schriftbildes beiträgt.

24 1 FORMGEBUNG Schaubild 10 (3 S. 49) Dynamisch Die humanistische Serifenlose ist geprägt von den offenen, dynamischen Formen der Renaissance, deren gemäßigte Kontraste auf die Verwendung der Wechselzugfeder zurückzuführen sind. Merkmale, welche auf ihren allgemeinen Charakter schließen lassen, sind neben den offenen Formen die weichen Rundungen und großen Binnenformen. Diese Eigenschaften sorgen außerdem für ein helles, ruhiges und gleichmäßiges Schriftbild Voraussetzungen für eine gut funktionierende Leseschrift. Statisch Die klassizistische Serifenlose hat die geschlossenen, statischen Formen des Klassizismus, deren Formensprache und Kontraste auf das Schreiben mit der Spitzfeder zurückzuführen sind. Die prägnantesten Merkmale ihres allgemeinen Charakters sind die in sich geschlossenen Formen und ihre nüchterne Erscheinung. Konstruiert Die Formen der geometrischen Serifenlosen sind konstruiert und betonen die Gleichheit der Teilformen. Die Individualität des einzelnen Zeichens wird somit in den Hintergrund gedrängt. Ihr Charakter zeugt von Haltung und Selbstzucht. Auf diesen Formprinzipien ¹¹ basieren die jeweiligen Proportionen und Kontraste der Buchstaben, sowie ihre Breitenverhältnisse, die Qualität von Kurven, ihren An- und Abstrichen und die Form ihrer Punzen ( All diese formbestimmenden Merkmale werden an anderer Stelle noch erläutert werden). Neben der Auswahl dieser charakteristischen Attribute können wir bei der Gestaltung auch mit der Ausformulierung von Details Einfluss auf die Persönlichkeit der Schrift nehmen. Darüberhinaus wird auch der jeweilige Zeitgeist eine, wenn auch unbewußte, Rolle bei der Entwicklung einer Schrift spielen. Wir müssen also wissen, welche Auswirkung eine bestimmte gestalterische Entscheidung auf unsere Schrift haben kann. Während dies ein geübter, erfahrener Schriftentwickler in seinem Bauchgefühl verinnerlicht hat, liegt vor uns ein langer Prozess des Sehen-lernens. So stellt sich die Frage, wie wir unser Auge diesbezüglich schulen können? 11 Stefanie und Ralf de Jong, Schriftwechsel, S. 32

25 Eine hilfreiche Möglichkeit auf dem Weg dorthin kann der von Hans Peter Willberg konzipierte Test sein. Um eine Schrift für einen bestimmten Zweck auszuwählen, veranschaulichte der Typograf und Buchgestalter in seinem Buch Wegweiser Schrift anhand eines Klamottentests, welche Assoziationen eine Schrift bei uns auslöst. In diesem Test lässt er uns das Erscheinungsbild der Schrift mithilfe verschiedener Kleidungsstücke charakterisieren. So kann die Eine beispielsweise mit einem biederen Kostüm, die Andere mit einem eleganten Anzug, die Nächste mit einem freizügigen Sommerkleid beschrieben werden. Auch detailliertere Bewertungen mit verschmutzten Stiefeln, edlen Manschettenknöpfen oder einer Blümchenstickerei sind möglich. Der Umweg über die Auswahl der Kleidung soll zu präziseren Begründungen in der Schriftwahl führen. ¹² Natürlich sind diese Wahrnehmungen hauptsächlich subjektiver Natur. Trotzdem kann diese Herangehensweise auch eine Hilfestellung bei der Entwicklung der eigenen Schrift sein. (So tue ich mich persönlich bei der Formulierung von Assoziationen leichter, indem ich sie mit Charakterzügen oder dem äußeren Erscheinen von Menschen beschreibe.) Ich verwende also den Test nicht, um die Auswahl einer Schrift anhand der mit ihr verbundenen Assoziationen zu begründen, sondern um zu begreifen, welche ihrer Merkmale für die Auslösung eben dieser verantwortlich sind. Nachdem dann die Assoziationen notiert worden sind, wird die Schrift noch einmal intensiv analysiert und vor allem die Details ihrer Buchstaben in Augenschein genommen. Welche könnten ausschlaggebend für die hervorgerufenen Eindrücke sein? Sind es die schrägen Anstriche, die scheinbar über die x- und unter die Grundlinie ragen, welche die Schrift tanzen lassen? Ist es der recht hoch gestellte Querstrich im A, der die Schrift schüchtern wirken lässt? Sind es die ausgeprägt dicken Bäuche aller runden Buchstaben, die der Schrift ihren gemütlichen und sympathischen Anschein verleihen? Und trotz eines guten typografischen und schriftgestalterischen Hintergrundwissens, sind es auch hier wieder subjektive Emotionen, die wir empfinden. Doch durch ein eingehendes Studium, der, (vorallem) für den Mengensatz geeigne- 12 Hans Peter Willberg, Wegweiser Schrift, S. 85

2 1 Formgebung (Seite 21) Die eher unübliche Formgebung des k unterstützt den Charakter der Schrift und fügt sich wunderbar in die Wortbilder ein.

1 FORMGEBUNG 27 ten Schriften und dem Ausrichten unseres besonderen Augenmerks auf die Details der Formmerkmale sowie der durch die Schrift ausgelösten Emotionen, können wir darüber hinaus möglicherweise auch objektive Kriterien ausmachen, die wir bei der Gestaltung unserer eigenen Schrift dann berücksichtigen sollten. So kann dieses Prozedere nicht nur bei der Schriftentwicklung dienlich sein, sondern auch das Erlernen der Sprache der Formen erleichtern. Doch nicht nur das Studieren und Erlernen der Formensprache gehört zu den Grundvoraussetzungen, um eine Schrift mit dem Hinblick auf eine gute Leserlichkeit zu gestalten. Es ist ebenso wichtig, ausreichende Kenntnis über die Entstehung und Entwicklung unserer Schriftgeschichte zu haben. Woher die Formen kommen, woher die Proportionen und Strichstärken? Dabei muss sich der Schriftgestalter nicht nur über die Herkunft der Grundformen und des Gerüsts der Buchstaben im Klaren sein, sondern auch die Proportionen und Strichstärken der Buchstaben dem jeweiligen Schreibstil der Entstehungsepoche zuordnen können. Für eine solche Spurensuche, die uns die Herkunft unserer Schrift in der heutigen Zeit, in der immer seltener handschriftlich geschrieben wird, erklärt, möchte ich auf die entsprechende Fachliteratur der Typografie verweisen. An dieser Stelle sei mir allerdings die Bemerkung erlaubt, dass, gerade wir als nachkommende Generation von Schriftgestaltern, die, typografische Standardwerke wie Lesetypografie oder Anatomie der Buchstaben auf den Markt gebracht haben, nicht nur diese Bücher lesen und bei der eigenen Schriftgestaltung anwenden sollten, obwohl sie natürlich durchaus geeignet sind, unerfahrenen (typografischen) Gestaltern erste Regeln und Wege zu zeigen, mit Schrift umzugehen. Darüber hinaus ist ein tiefergründiges Studium der Schriftgeschichte notwendig, um eine Schrift nicht nur dekorativ oder aufregend, sondern eben auch für Mengentexte gut lesbar gestalten zu können. Oder, wie es Martin Z. Schröder ausdrückt, laufen wir Gefahr unsere Schrift zu einer Bastelei zu degradieren. ¹³ Das Wissen um die Herkunft und Entstehung der Strichstärken, der Anund Abstriche der Buchstaben und ihrer Proportionen, sind gerade bei 13 typografie.info, Rezension zum Buch Lesetypografie (Stand 07.0.707)

28 1 FORMGEBUNG grotesken Schriften von enormer Wichtigkeit. Denn diese scheinen zwar aufgrund ihrer Reduzierung auf das Wesentliche einfacher zu gestalten zu sein, als ihre Vorgänger, die Antiqua-Schriften, doch gerade diese (neue) Nacktheit kann ihr zum Verhängnis werden, wenn ihre Kontraste und Proportionen nicht stimmen. In diesem Zusammenhang hat Spiekermann einmal treffend formuliert:»was uns harmonisch und angenehm erscheint, folgt den Proportionsregeln der Natur.«¹⁴ Dass unnatürliche Formgebungen den Charakter einer Schrift so stark beeinflussen, dass sie das Lesen merklich beeinträchtigen können, wissen wir bereits. Wir müssen unserer Schrift also nicht noch eine doppelte Portion Charakterstärke verleihen, um ihr Persönlichkeit zu geben; das Ausmaß an Charakter, dass dieser bereits durch das Entwerfen der eigenen Buchstaben zuteil wird, sollte nicht unterschätzt werden. Denn»[ ] Wenn Teile der Typografie sich auffallend gebärden, ohne die Hauptsache zu sein sei es durch ihre visuelle Lautstärke, sei es durch besondere Schönheit, stört das beim Lesen.«¹⁵ Außerdem wird beim Entwerfen einer eigenen Schrift ohnehin vieles, was wir schon gesehen und im Unterbewusstsein gespeichert haben, und somit zum größten Teil unbeabsichtigt, mitin die Formgebung einfliessen und ihr eine eigene Sprache verleihen. Neutrale Schriften kann es nicht geben. ¹⁶ Soll es auch nicht. Sie soll nur möglichst wenige Assoziationen und Gefühle wecken. 14 Erik Spiekermann, Über Schrift, S. 33 15 Hans Peter Willberg & Friedrich Forssman, Lesetypografie, S. 68, S. 72 16 Siehe 15

1 Formgebung (Seite 21) 4 Zusammenhalt (Seite 60, 66) 3 Die subtile Schrägstellung der horizontalen Balken führt sich in einigen Buchstaben fort. Durch die Wiederholung in den Wortbildern unterstützt dieses Detail den Zusammenhalt der Zeichen.

30 2 GEBILDE Die optimale Leserlichkeit, eine der wichtigsten Anforderungen bei der Gestaltung einer Schrift, die für Mengentexte geeignet sein soll, erreichen wir also durch gewohnte Formgebung. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Schriftentwicklung soll Zusammenhänge einzelner Zeichen verdeutlichen und zu begründeten gestalterischen Entscheidungen verhelfen. Für ein besseres Verständnis der einzelnen Buchstabenformen, möchte ich im folgenden Kapitel Gebilde den Aufbau derselben im Detail beleuchten.

2 Erkannt, gewohnt und bewährt: Über das Gebilde der Buchstaben Die Architektur unserer Jahrhunderte alten Zeichen müssen nicht neu erfunden werden sie haben sich längst in ihrer Lesbarkeit bewährt. Urform Schriftgeschichte Anatomie Wechselwirkung Rhythmus Grundgerüste Linienzustände Konstruktion Einfachheit Reduzierung

32 2 GEBILDE > Schaubild 7 (2 S. 40) > Schaubild 8 (2 S. 42) > Schaubild 22 (5 S. 80) Von ihrer Entstehung bis heute, war es stets gut möglich, die Schrift ihrer Umgebung und den jeweiligen, aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Buchstaben, gleichweg ob in Stein gemeißelt, auf Pergament geschrieben, auf Papier gedruckt oder digital auf dem Bildschirm leuchtend, funktionieren als Zeichensystem ausnahmslos gut. Es ist die einfache Formensprache und der gleichzeitig hohe Wiedererkennungswert der einzelnen Glyphen, die die Schrift als Kommunikationsmittel so erfolgreich machen. Wie im vorangegangenen Text erläutert sollte bei der Schriftentwicklung die Anatomie ihrer Zeichen nicht wesentlich verändert werden. Manche wurden zwar in ihrer Bauweise modifiziert und ergänzt, andere aus ursprünglichen Varianten anderer Buchstaben zu Eigenständigen entwickelt bis auf wenige Ausnahmen blieben die Grundgerüste jedoch stets dieselben und sollten daher auch weiterhin Bestand haben. Dieser lange, durch viele Kulturen geprägte Weg der Schrift hin zur heutigen Form, soll hier nicht ausführlich beschrieben werden, kurz erwähnt seien an dieser Stelle lediglich die größten Epochen der Schriftentwicklung. Das erste nenneswerte Schriftsystem war dem das griechische Lautalphabet, welches im 9. vorchristlichen Jahrhundert, wahrscheinlich auf Kreta, entstand. Durch die erstmals hinzugefügten Vokale wurde es wesentlich einfacher, das gesprochene Wort schriftlich wiederzugeben. Die Griechen schufen daraus eine geometrisch orientierte Schrift aus Großbuchstaben, die in ihrer Form unserer heutigen Schrift schon sehr ähnlich war. ¹ Im 6. vorchristlichen Jahrhundert gelangte die griechische Monumentalschrift ins heutige Italien, wo sie von den Römern adaptiert und vervollkommnet wurde. Um 100 v. Chr. erreichte die gemeißelte Capitalis Monumentalis den Höhepunkt ihrer Verfeinerung und damit einen Zustand zeitloser Verwendbarkeit, die bis heute das Alter der mittlerweile über 2100 Jahre alten Schrift zu überdecken vermag. Diese Schrift basiert, ähnlich ihrem griechischen Vorbild, auf den geometrischen Grundformen Kreis, Quadrat und Dreieck und gilt als Urform aller weiterer lateinischen Schriften. Formal entsprach sie noch dem griechischen Typus, besaß 1 Max Bollwage Buchstabengeschichte(n), S. 10

3 Differenzierung (Seiten 48) 4 Zusammenhalt (Seiten 66) 4

34 2 GEBILDE > Schaubild 17 (4 S. 51) jedoch bereits 21 modifizierte Buchstaben des römischen Alphabets: A B C D E F Z H I K L M N O P Q R S T V X. ² Hier befand sich das Z noch an siebter Stelle und diente dem griechischen Laut [dz] als Zeichen. Weil es für diese Lautkombination im Latein aber keine Verwendung gab, wurde es schließlich verbannt. Im Gegensatz zum unbrauchbar gewordenem Z musste nun das C für gleich zwei Laute herhalten, welche zunächst nur handschriftlich und ohne im Alphabet aufgeführt zu werden, durch einen Querstrich voneinander unterschieden wurden. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus das G als eigenständiges Zeichen und wurde schließlich als Lückenbüsser für das zuvor ausgemusterte Z in die Reihen seiner Vorfahren aufgenommen. Weitere Veränderungen folgte erst über vier Jahrhunderte später, als die griechische Literatur an Popularität gewann und es verstärkten Bedarf dafür gab, griechische Namen und Fremdwörter in lateinischer Schrift wiederzugeben. Hierfür fehlten Buchstaben, die zwar im griechischen Alphabet vorhanden, aber bei der Adaption durch die Römer nicht mit übernommen worden waren. Also wurden aus dem Griechischen das Y und ein zweites Mal das Z nach geholt. Da sie anfangs jedoch nur als Fremdzeichen dienen sollten, wurden sie ans Ende des Alphabets verbannt. ³ Nun waren es 23 Buchstaben; J, U und W sollten folgen, wussten aber bis zur Renaissance nichts von ihrem Glück, zukünftig gebraucht zu werden. Bis dahin hatten die Buchstaben I und V, wie einst das C, für jeweils zwei Laute herhalten müssen. Letztlich sorgten dann Sprachforscher, Buchdrucker, Schriftsteller und Grammatiker dafür, dass die lautliche Differenz der beiden Buchstaben auch in der Schreibform festgehalten und, nebst ihren einstigen Stellvertretern, im Alphabet als J und U, integriert wurden. Ihnen allen folgte das W, welches, bis zu der Verleihung seiner Eigenständigkeit, als eine Ligatur aus zwei V geschrieben wurde. ⁴ Aufgrund der geometrischen Statik konnte dieses Alphabet jedoch nur schlecht flüssig geschrieben werden und war damit nur bedingt alltagstauglich. Die durch diesen Missstand angestoßene, weitere Transformation beschreibt Otl Aicher so: Die Schreibwerkzeuge, das Material, auf 2 Wolfgang Beinert, typolexikon.de, Paläografie (Stand 08.11.2008) 3 Jessica Hische für ilovetypography.com, Artikel The orgins of abc where does the alphabet come from (Stand 07.08.2010) 4 wikipedia, Lateinisches Alphabet, (Stand 27.07.2012)

3 Differenzierung (Seiten 48) 4 Zusammenhalt (Seiten 56) 5

36 2 GEBILDE dem geschrieben wurde und die Geschwindigkeit, in der man schreiben wollte und lesen sollte, kurzum, der Gebrauch nahm wesentlichen Einfluss auf die Form der Buchstaben. ⁵ Seine endgültige Form erhielt das lateinische Alphabet, wie wir es heute nutzen, erst zwischen 1500 und 1600 n. Chr. ⁶ Auch die Kleinbuchstaben waren hier schon fest integriert sie hatten sich im Laufe der Zeit aus den Großbuchstaben heraus entwickelt, indem diese durch die Flüchtigkeit des Handgeschriebenen ⁷ umgewandelt worden waren. Bevor sie sich jedoch mit ihren Ober- und Unterlängen als eigenständige Mitglieder des Alphabets herausgebildet hatten, blieb es bei handschriftlichen Varianten der Capitalis Monumentalis für Pergament ( Capitalis quadrata und Capitalis Rustica ) und der, mit Griffel auf Wachstafeln oder mit schmaler Rohrfeder auf Papyrus geschriebenen, Cursiva (auch ältere römische Kursive genannt). ⁸ Diese kursiven Varianten dienten zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert als Gebrauchsschriften und entstanden durch das alltägliche Schreiben. So wurden die Formen immer runder und die Bögen immer ausgeprägter, bis sich schließlich lange Schleifen nach oben und unten bildeten, um durch die durchgängige Verbindung der Buchstaben, beim Schreiben nicht absetzen zu müssen. Aus diesem Schreibstil heraus entwickelte sich die jüngere römische Kursive, in deren Schriftbild, neben den ausgeprägteren Ober- und Unterlängen, nun erstmals Kleinbuchstaben erschienen, auch wenn sie noch nicht als solche bezeichnet wurden. ⁹ Über die aus dieser Schrift resultierenden zahlreichen Schriftstil-Varianten etablierte sich, vom Ende des achten Jahrhunderts an, schließlich die karolingische Minuskel. ¹⁰ Der handschriftlichen Interpretation der Versalien verdanken wir also, unter anderem, unseren Kleinbuchstaben. Mit dem Untergang des römischen Reichs verschwand auch das Alphabetentum aus der Bevölkerung für einige Jahrhunderte. Zum Glück für den weiteren Bestand der Schrift, blieben als Reservate, in denen weiterhin lateinisch gesprochen und geschrieben wurde, die Klöster, als Orte der Gelehrsamkeit, sowie die Kanzleien der Königshöfe und die Kanzleien des Papstes. ¹¹ So waren es vor allem die Mönche, die, neben dem Verfassen religiöser Texte, 5 Otl Aicher, typographie (1988) 7 typovia.at, Grundlagen Typografie Minuskel (30.07.2012) 8 Wolfgang Beinert, typolexikon.de, Westeuropäische Schriftgeschichte (Stand 09.02.2012) 9 wikipedia, Ältere römische Kursive (Stand 21.06.2012) 10 wikipedia, Geschichte der Typografie (Stand 26.07.2012) 11 Andreas Böhm & Andreas Seidler, Mediengeschichte (2008), S. 65

3 Differenzierung (Seite 51, 55) 5 Proportionen (Seite 73, 81) 6 1 Die gebogenen Linien aller Buchstaben der Henri verjüngen sich in ihrer Strichstärke zum Scheitel hin. 2 Während der Schwerpunkt der Kurve beim b in der Mitte sitzt, 3 verschiebt sich der Schwerpunkt der Kurve bei u, n und m nach oben, bzw. unten, um einen weichen Übergang in die jeweilige gerade Linie zu gewährleisten. 4 Die Kurve des r ist stark komprimiert. Die Kurven aller Buchstaben der Henri sehen gleich aus, lediglich ihr Schwerpunkt verschiebt sich je nach Buchstabenkonstruktion.

38 2 GEBILDE > Schaubild 5 (2 S. 35) antike Literatur abschrieben und damit, neben ihrem Inhalt, auch das Wissen über die Schrift erhielten. Das fleißige Vervielfältigen führte aber auch zu einem regelrechten Wildwuchs an neuen Schriften mit unterschiedlicher Qualität. So tauchten in den Texten rätselhafte Abkürzungen und kaum lesbare Ligaturen auf. Außerdem wollten die Schreiber auch ihre Virtuosität demonstrieren, was zwar zu wunderschönen Kunstwerken der Buchmalerei führte, der Lesbarkeit jedoch nicht besonders zuträglich war. Durch die Reformationen Karls des Großen (ca. 800 n. Chr.) entstand die Karolingische Minuskel und damit die bis heute gültigen Formen der Buchstaben, mit ihren typischen Ober-, Mittel-, und Unterlängen. Der Wunsch Karls nach einer einfach zu schreibenden und leicht erfassbaren Schrift, hatte zudem klare Buchstabenformen und deutliche Wortabstände zur Folge was damals noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit war. ¹² Die im 14. Jahrhundert n. Chr. einsetzende Renaissance und die Bemühungen ihrer Humanisten, den Geist der Antike wieder aufleben zu lassen, beeinflusste die weitere Schriftentwicklung nachhaltig. Aus der Monumentalschrift der Antike und der Schreibschrift der Mönche schufen sie ein neues Alphabet, welches die Grundlage unserer heutigen Schrift bildet. Mit ihren großen und kleinen Buchstaben verwendet die lateinische Schrift demnach zwei Alphabete unterschiedlicher Herkunft und Struktur. ¹³ Die letzte Einheit ihrer Grundgerüste bildet dabei der Strich, bzw. die Linie, ¹⁴ welche als [ ] rhythmische(s) Gebilde, in dem Geraden, Rundungen, Senkrechte, Waagrechte, Schrägen und Ein- und Ausgangsformen wechselnd wirksam sind. ¹⁵ Folgende Linienzustände und deren Kombinationen sind in unserem konventionellen, aufrechten Alphabet vertreten: Gerade Zeichen (waagrecht-senkrecht) E, F, H, I, L, T, i, ( j), (l), (t) Gerade-diagonale Zeichen / \ (waagrecht-schräg, senkrecht-schräg, waagrecht-gegenschräg, senkrecht-gegenschräg, waagrecht-schräg-gegenschräg, senkrecht-schräg-gegenschräg) 12 Max Bollwage, Buchstabengeschichte(n) (2010), S. 65 ff. 13 Jost Hochuli für die nzz.ch (Neue Zürcher Zeitung), Das Geheimnis der guten Schrift (18.03.2012) 14 Porstmann, Sprache und Schrift (1920), S. 83 15 siehe 13

39 A, K, M, N, Y, Z, k, z Gerade-Gebogene Zeichen )( (waagrecht-rund, senkrecht-rund, waagrecht-senkrecht-rund) B, D, G, J, P, U, a,, b, d, e, f, g, h, ( j), (l), m, n, p, q, r, t, u Diagonal-Diagonale Zeichen / \ (schräg-gegenschräg) (M), V, W, X, v, w, x, y Diagonal-Gebogene Zeichen / \ )( (schräg-rund, gegenschräg-rund, schräg-gegenschräg-rund) Q, Rein-Runde Zeichen )( (rund-rund) C, O, S, c,, o, s Gerade-Diagonal-Gebogene Zeichen / \ )( (senkrecht-schräg-rund, waagrecht-schräg-rund) R, k Diese Einteilung der Buchstaben und Ziffern ist bis heute gültig. Auch gibt es solche, die sich, wie man oben (an den in Klammern gesetzten) sehen kann, nicht so recht entscheiden können, wie ihr Gerüst nun zusammengestellt werden soll. Durch die verschiedenen Kombinationen der Linien können manche Buchstaben gar ein gänzlich neues Gerüst bekommen. Mit den folgenden Erläuterungen möchte ich diesen Sachverhalt etwas detaillierter beschreiben. Varianten einiger Buchstaben-Gerüste Als Beispiel für die wohl deutlichsten Unterscheidungen von Buchstaben-Gerüsten seien die Varianten der Minuskeln a und g genannt. Beide können mittels zweier unterschiedlicher Methoden konstruiert werden: konventionell-doppelstöckig oder vereinfacht (welche hauptsächlich in kursiven Schnitten üblich ist). Erstere kann bei ihrer Verwendung auf die Tugend der Antiqua-Schriften, also die der Unverwechselbarkeit ihrer Buchstaben zurückgreifen. Letztere bedient sich der Einfachheit und Reduzierung der Form des Gerüsts, wie sie in der der Grotesk vorkommt. Weniger spektakulär, aber nicht minder wichtig, sind auch die

7 2 Gebilde (Seite 43, 45) 4 Zusammenhalt (Seite 60)

2 GEBILDE 41 Grundgerüste einiger weiterer Buchstaben, deren Aufbau unterschiedlich erschlossen werden kann. Diese sollte der Gestalter bei der Zeichenwerdung beachten, ohne sich dabei in Neuschöpfungen zu verlieren, sondern sich stattdessen der ihm zur Verfügung stehenden, etablierten Konstruktionen bedienen. Um die Auswahl einer bestimmten Formvariante sinnvoll begründen zu können, seien hier einige grundsätzlich mögliche Vorgehensweisen genannt. Die Wahl der Zeichenkonstruktion lehnt sich unmittelbar an ihre schriftgeschichtliche Herkunft und Entstehung Betrachten wir also die Varianten des kleinen a, so würde die Entscheidung auf das einfache fallen, da es in seiner Form mehr seiner Urform des griechischen Alpha-Zeichens entspricht. Als weiteres Beispiel kann hier auch das G genannt werden, welches in seiner Urform dem C zugrunde liegt und sich nur durch einen zusätzlichen Strich von diesem abgrenzte. Nach dieser Vorgehensweise soll also der Buchstabe G nur aus einem rein-runden Gerüst mit einer senkrecht oder vertikal stehenden Linie bestehen und nicht die Variante gewählt werden, die den großzügigen Bogen durch einen sowohl senkrechten als auch vertikalen verlaufenden Strich stützten. Grundsätzlich setzt die Wahl der Zeichenkonstruktion nach diesem Prinzip das ausgiebige Recherchieren der Ursprungsformen der Buchstaben und ihrer Abhängigkeiten voneinander voraus (z. B. V U W). Die Wahl der Zeichenkonstruktion orientiert sich an den bewährten und in der Entwicklung fortgeschrittenen Buchstaben Bei dieser Herangehensweise prüft man, welche Art der jeweiligen Buchstabenkonstruktion sich bislang bewährt hat. Hat sich überhaupt eine der Varianten bewährt? Die Zusammensetzung des K beispielsweise, in seiner sich gegenseitig bedingenden großen und kleinen Ausführung, erfolgt in vielen Schriften. Die schrägen Linien treffen sich in der optischen Mitte des vertikalen Balkens und ergeben, mit den damit einhergehenden gleichen Weißflächen im oberen und unteren Teil des Zeichens, dabei eine Pfeilform. Ebenso häufig verwendet wird die verschachtelte Variante, bei der sich die untere (gegen-) schräge Linie stützend an die > Schaubild 9 (2 S. 44) > Schaubild 17 (4 S. 67) > Schaubild 14 (4 S. 62)

8 2 Gebilde (Seite 32, 43, 45) 4 Zusammenhalt (Seite 60)

2 GEBILDE 43 obere lehnt, so dass sich der dadurch in der oberen Hälfte entstehende Weißraum vom unteren Weißraum unterscheidet. Demselben Prinzip folgend, sollte dann auch dem R seine Form gegeben werden; trifft die (gegen-) schräge Linie genau in die Ecke, die durch das Zusammentreffen der Kurve und der Geraden entsteht oder verpasst sie diese und prallt etwas nach rechts versetzt auf die gebogene Linie? Welche Variante findet sich häufiger in den zum Lesen gut geeigneten Schriften? Die Wahl der Zeichenkonstruktion wird mit einer vorherrschenden Tendenz zur Vereinheitlichung getroffen Hierbei werden, die Architektur aller Zeichen betreffend, so wenig wie möglich unterschiedliche Linienkombinationen ausgesetzt, woraus weniger komplexe Formgebungen entstehen aus denen wiederum die Vereinheitlichung resultiert. Dieses Vorgehen gilt vorallem für die Schrägen und Bogenformen, die mit möglichst einheitlichen Winkeln und Rundungen gezeichnet werden sollten. Die Wahl der Zeichenkonstruktion wird mit einer vorherrschenden Tendenz zur Differenzierung getroffen Hier sollte, was den Aufbau der Grundgerüste betrifft, die Wahl auf die jeweils komplexeren Varianten fallen. Demzufolge sollten bei dieser Vorgehensweise für beiden Minuskeln a und die offene bzw. die doppelstöckige Variante verwendet werden. Im Grunde sollten hier Varianten wie beispielsweise das kleine l in seiner gerade-rund-kombination gewählt werden, um sich besser vom großen I abzugrenzen. So könnten dann auch dem M zwei gerade, vertikale Stämme an der jeweils äußeren Seite verpasst werden, anstatt sie, wie beim W, liebevoll schräg zu stellen. Bei dieser Vorgehensweise sollte die Entscheidung über die Konstruktion der Linien für die einzelnen Buchstaben jedoch nicht ohne Rücksicht auf Verluste des Charakters der Schrift passieren. Da die Wahl der Linienkonstruktion unmittelbar die Lesbarkeit betriff, sei es erlaubt, die hier erläuterten Herangehensweisen untereinander zu mischen solange dies sinnvoll begründet werden kann. Daher sollte sich der Gestalter darüber im Klaren sein, wo er die für den > Schaubild 7 (2 S. 40) > Schaubild 8 (2 S. 44)

9 2 Gebilde (Seite 41) 4 Zusammenhalt (Seite 60, 61) Die Abstammung der Kleinbuchstaben von den Großbuchstaben

2 GEBILDE 45 Charakter und Authentizität seiner Schrift dienlichen Prioritäten innerhalb der Konstruktion setzen kann. Enthält der Entwurf beispielsweise einen Buchstaben unüblicher Form (bei der Henri ist es das kleine k) muss diese sich nicht zwingendermaßen als störend im Schriftbild auswirken, solange sie sich mit Hilfe der anderen Buchstaben darin integrieren lässt. So kann diese Form für Abwechslung im Schriftbild sorgen und den Leser gar vor dem Ermüden bewahren. ¹⁶ Dabei gilt jedoch zu beachten, dass in diesem Falle die anderen Zeichen weitestgehend mit einer konventionellen Linienkombinationen gezeichnet werden sollten, um dem Leser nicht allzu viel seiner (Lese-)Gewohnheiten zu rauben. An dieser Stelle könnten zu fast allen Zeichen Beispiele ihrer verschieden möglichen Linienkombinationen gezeigt werden; bei den meisten Buchstaben beschränkt sich eine Änderung der gewohnten Anatomie allerdings auf Details, die jedoch dem Gestalter ausreichend Raum für seine individuellen Ideen und kreativen Einflüsse bieten. Unter Berücksichtigung all dieser Kriterien sollte die Zusammenstellung der Linien der Zeichen stets unter dem Aspekt der Leserlichkeit erfolgen, um damit letzten Endes zu funktionieren und sich effizient in die Reihen der Nachbarn einzufügen. Im idealen Falle sollte das Schriftbild von einer»[ ] harmonisch selbstverständlichen Übereinstimmung von Funktion und Form zeugen. Letztere muss zwar dem Zweck entsprechend entwickelt werden [ ] reiner Funktionalismus zur Sicherstellung einer guten Form kann aber nicht genügen.«¹⁷ Schlussendlich sollte die Wahl davon abhängig gemacht werden, welchen Klang man mit seiner Schrift erzeugen möchte, welche Varianten der Linienkombinationen einzelner Buchstaben diesen besser unterstützt und in ihrer Gesamtheit einen authentischen Eindruck vermittelt. Berücksichtigt man all diese Aspekte, hat man Aufgabe genug, um nicht noch zusätzlich die Architektur unserer Zeichen neu erfinden zu wollen.»formveränderung muss sich kontinuierlich im Laufe der Zeit ergeben, so haben sich die der Buchstaben über Jahrtausende hinweg ergeben. Neue Schriften können nicht plötzlich als Form-Erfindung auf die Welt kommen, sie müssen sich allmählich entwickeln.«¹⁸ > Schaubild 1 (1 S. 23) > Schaubild 7 (2 S. 40) > Schaubild 8 (2 S. 42) > Schaubild 3 (1 S. 29) 16 Hans Peter Willberg, Wegweiser Schrift, S. 19 17 Emil Ruder, Typografie, S. 34 18 Hans Peter Willberg, Wegweiser Schrift, S. 19

46 3 DIFFERENZIERUNG Neben der Erkennbarkeit, welcher die gewohnten Grundgerüste unserer Buchstaben zugrunde liegen, ist die Unterscheidbarkeit wichtigste Voraussetzung für eine Schrift, die besonders gut zu lesen ist. Denn die immer wiederkehrenden, gleichen Teilformen bergen auch Verwechselungsgefahren; neben dem funktionieren der Buchstaben in ihrer Gesamtheit müssen dieselben auch als eigenständige, unverwechselbare Zeichen bestehen können.