Neues in der Kopfschmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Multimodale Kinderschmerztherapie Chara Gravou-Apostolatou
Zeichnung eines 8 jährigen Kindes
Klassifizierung des Schmerzes Nach der Zeitdauer Akuter Schmerz Chronischer Schmerz Nach dem Entstehungsort z.b. Bauchschmerzen z.b. Beinschmerzen Nach der Pathogenese z.b. Nozizeptorschmerz z.b. Neuropathischer Schmerz Nach der Entstehungsursache z.b. Tumorschmerzen z.b. postoperative Schmerzen z.b. durch Verletzung Goscinny et al. Asterix 1978
Schmerztherapie bei Kindern Auswahl der Medikamente nach pathophysiologischer Schmerzursache und Schmerzstärke Nozizeptorschmerz Neuropathische Schmerzen somatisch NSAR viszeral Metamizol Coanalgetika Antidepressiva Antikonvulsiva lokale Verfahren Opioide
Schmerztherapie bei Kindern Gründe für die gelegentliche Unterversorgung Unzureichende Angst vor einer Wenige Schmerzerfassung Opioidtherapie Dosierungsunsicherheiten Standards für Diagnostik und Therapie
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Epidemiologische Daten Internationaler Trend der Zunahme der Prävalenz von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind ein Risikofaktor für spätere chronische KS (bis zu 50%) und andere Schmerzsyndrome Psychosoziale Risikofaktoren ( familiäre Konflikte, wenig frei verfügbare Zeit, inadäquate Bestärkung der Kopfschmerzerfahrung durch die Eltern ) unkontrollierte Selbstmedikation Gassmann et al. Dtsch Arztebl Int 2009
Risikofaktoren für die Entstehung chronischer Kopfschmerzen bei Kindern Längsschnittstudie, n = 8.800, 7-14 J. 1. Welle 2003 n = 2.952 2. Welle 2006 3. Welle 2009 Prädiktoren? Jungen Streithäufigkeit in der Familie > 1/Wo (1,8-faches Risiko) nur manchmal Freizeit (2,1faches Risiko) Mädchen Elternverhalten bei Kopfschmerzen (1,25-faches Risiko) TV/PC, Bewegung, Freunde: n.s. Gaßmann et al. 2009; Dtsch Arztebl Int; 106(31-32): 509-16
Beeinträchtigungen durch Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen % Ältere stärken beeinträchtigt als Jüngere Mädchen stärker beeinträchtigt als Jungen (> 9J.) Roth-Isigkeit et al. 2005; Pediatrics. 115:e152-e162
Schmerzauslöser bei Kindern und Jugendlichen große Bedeutung von behavioralen und emotionalen Triggern Roth-Isigkeit et al. 2005, Pediatrics 115:e152-e162
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Epidemiologische Daten Primäre Kopfschmerzen: 90% Sekundäre Kopfschmerzen: 10% Häufigkeitsangaben für die Altersgruppe 7-15 Jahre Kopfschmerzerfahrung 75.4-85.0% Migräne 1.0-11.0 % episodische Spannungskopfschmerzen 60-72.3% Zwart et al. Cephalgia 2004; Head-HUNT-Youth, Norwegen, 12-Mo-Prävalenz
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Migräne ohne Aura zeichnet sich im Kindesalter durch folgende Besonderheiten Kürzere Dauer: 1-48 h Lokalisation: oft bifrontal/bitemporal Schmerz ohne pulsierenden Charakter Gastrointestinale Symtome oft im Vordergrund Photo-/Phonophobie aus Verhalten zu erfragen Intensives Schlafbedürfnis; weitgehende Beschwerdefreiheit nach kurzer Schlafzeit
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Migräne mit Aura Aurasymptomekommen im Kindesalter relativ selten vor und nehmen ab der Pubertät an Häufigkeit zu Die Ausprägung der Aurasymptomeunterscheidet sich nicht von jener bei erwachsenen Migränepatienten Dauer einer Aura zwischen 5 und 60 Minuten Bei manchen Patienten kann sich ein "confusionalstate" mit Orientierungsstörung und eventuell auch psychomotorischer Unruhe manifestieren, für den allerdings im Gegensatz zur Epilepsie üblicherweise keine Amnesie besteht
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Spannungskopfschmerz Die Symptomatik des Spannungskopfschmerzes unterscheidet sich nur in wenigen Aspekten von jener des Erwachsenen sie treten als Kopfschmerzen bei kleinen Kindern seltener auf sind kürzer (Dauer: Stunden Tage) zeigen kaum einen Wechsel der Schmerzlokalisation gehen seltener mit Übelkeit einher Ablenkung führt meistens zur Besserung der Sympomatik Prädisponierende Faktoren: Depression, Angststörung, emot. Anspannung, psychosozialer Streß, Schlafdefizit Analgetikaeinnahmenimmt vom Kindes- zum Erwachsenenalter deutlich zu
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Migränevorläufer bei jüngeren Kindern Zyklisches Erbrechen Abdominelle Migräne Komplizierte kindliche Migräne Hemiplegische Migräne Basilarismigräne Ophthalmoplegische Migräne Clusterkopfschmerz absolute Rarität
Breites Spektrum sekundärer kindlicher Kopfschmerzen Intrakranielle RF, erhöhter ICP Vaskulär SHT Wirbelsäule Augen HNO Zahn/Kiefer/Mund Stoffwechsel Chem. Substanzen Psychosomatisch Tumoren der hinteren Schädelgrube/oberen Halsmarkes; Chronisches SDH, Hydrocephalus, Pseudotumor cerebri, Infektion AV-Malformation, Aneurysma/SAB Arterielle Hyper-/Hypotonie Akute/chronische posttraumtische KS HWS-Fehlhaltung, Tumor Fehlsichtigkeit Sinusitis, Zysten, Tumor Infektion, Fehlstellungen Schilddrüsenfunktion, Hypoxie (Schlafapnoen), Anämie, selten neurometabolisch (Stroke-like) Drogen, Medikamente Psychovegetativ, Konversion, Depression
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Pragmatische Therapie der kindlichen Migräne Akutmedikation* 1. Wahl: Ibuprofen 10mg/kg KG 2. Wahl: Paracetamol 15mg/kg KG Sumatriptan nasal 10-20mg 3. Wahl: Zolmitriptan 2,5 mg Zolmitriptan nasal 5mg Almotriptan 12,5mg Rizatriptan 5-10mg Empfehlungen der DMKG, 2008 * Dosisangaben ab dem Grundschulalter
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Pragmatische Therapie der kindlichen Migräne Prophylaxe 1. Wahl: Magnesium 300-400 mg/tag Propranolol 2 mg/kg KG/Tag Metoprolol 1,5 mg/kg KG/Tag Flunarizin 5 mg/tag 2. Wahl: Topiramat 1-3 mg/kg KG/Tag Pestwurz-Extrakt 2x2 Kapseln/Tag ASS 2-4 mg/kg KG/Tag Amitriptylin bis 1 mg/kg KG/Tag 3. Wahl: Valproinsäure 20-30 mg/kg KG/Tag Empfehlungen der DMKG, 2008
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Pragmatische Therapie der kindlichen Migräne Nicht medikamentöse Therapie Aufklärung, Beratung zur Lebensführung Kopfschmerzkalender Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson Schlafhygienische Maßnahmen EMG-Biofeedback Gruppentrainingsprogramme (z. B. nach Denecke/Kröner-Herwig) Kognitive Verhaltenstherapie (z.b. nach Luka-Krausgrill) Empfehlungen der DMKG, 2008
Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen Verfahren mit noch ungeklärten Stellenwert Akupunktur Ernährungsberatung (oligoantigene Ernährung) Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) Homöopathie Hypnose Sporttherapie Verschluss eines offenen Foramen ovale Injektion von Botulinumtoxin Manualtherapie/manuelle Triggerpunkttherapie Empfehlungen der DMKG, 2008
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Alter: Gruppengröße: 6-8 Diagnosen: 10-17 Jahre Spannungskopfschmerzen Migräne Bauchschmerzen Rückenschmerzen
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Interdisziplinäres Assessment (Team/Kind/ Eltern) Multimodale Kinderschmerzgruppe Abschlussgespräch (Team/Kind/ Eltern) Auffrischtag (nach 6Mon.) individuell 9 Wochen 6 Monate Team: Pädiater, Schmerztherapeut, Psychologe, Physiotherapeut
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Therapieelemente Psychologisches Schmerztraining Entspannungstraining (Muskelrelaxion nach Jacobson, Kurzentspannungsübungen, Phantasiereisen) Individuelle Analyse der Schmerztagebücher Edukation (Medikamentenschulung, Ernährung, Schlafhygiene, Alltagsschulung) TENS, Akupressur Körperwahrnehmungsübungen (Dehnungsübungen/Bewegungstherapie) Gemeinsame Pause(therapeutische Kurzkontakte)
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Thema Inhalt Woche 1 Was passiert in meinem Kopf? Informationen über Schmerz RELAX! Entspannungsübung lernen Woche 2 Nicht schon wieder! Erkennen und Vermeiden von Kopfschmerz-Auslösern Woche 3 Schwarzmalen und Hellsehen Schwarzer und bunte Gedanken Woche 4 Aufmerksamkeitsscheinwerfer Ablenkung (Fantasiereise) Woche 5 Ich bin O.K.! Selbstsicherheit (Freunde/Familie) Woche 6 Die Problemlösetreppe Problembewältigung Woche 7 Medikamenten-Manager Medikamente und Ernährung Woche 8 Der Kopfschmerzexperte Wiederholung, Ziele n. Denecke & Kröner-Herwig (2000): Kopfschmerz-Therapie mit Kindern und Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe.
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Fragebögen Deutscher Schmerzfragebogen für Jugendliche Deutscher Schmerzfragebogen für Eltern P-PDI pediatric pain disability index AFS (Angstfragebogen für Schüler) DIKJ (Depressions-Inventar für Kinder und Jugendliche) ISEV-K, ISEV-E (Fragebogen zur Erfassung elterlichen schmerzbezogenen Verhaltens) SES-K, SES-E (Schmerzempfindungsskala) Gruppenbeginn, Gruppenende, 6 Monate, 12 Monate
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Frage: Welche Einrichtung besucht ihr Kind? N 57 Realschule 18% Hauptschule 19,3% Gymnasium 53,1% Berufsschule/Ausbildung 9,6% Frage: Wie viele Tage hast du in den letzten drei Monaten in der Schule gefehlt? 9,4 (0 60) Tage
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Frage: Wie häufig waren Sie beim Arzt/Therapeuten in den letzten drei Monaten? 3,78 (1-32) Termine Frage: Wie viele verschiedene Ärzte/Therapeuten haben Sie bisher aufgesucht? 3,98 (1-10) Ärzte/Therapeuten
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Frage: Wie häufig treten deine Kopfschmerzen auf? N 57 mehrmals pro Monat 4 einmal pro Woche 5 mehrmals pro Woche 14 einmal täglich 10 mehrmals täglich 7 dauernd 17
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Frage: Wie stark waren deine Schmerzen meistens in den letzten 4 Wochen (NRS 0-10): N Gruppenbeginn Gruppenende Signifikanz 57 6,59 6,08 p<.10 N Gruppenbeginn 6 Monate Signifikanz 36 6,72 5,06 p<.01 N Gruppenbeginn 12 Monate Signifikanz 22 6,45 4,05 p<.05 Mittelwerte
Multimodale Kinderschmerztherapie Schmerzwerte (NRS-Skala): Frage: Wie stark waren die Schmerzen ihres Kindes meistens in den letzten 4 Wochen (NRS 1-10)? N Gruppenbeginn Gruppenende Signifikanz 57 6,47 6,08 n.s. N Gruppenbeginn 6 Monate Signifikanz 36 6,19 5,00 p<.05 N Gruppenbeginn 12 Monate Signifikanz 22 6,0 4,84 n.s. Mittelwerte
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen Erfassung der schmerzbedingten Beeinträchtigung in 12 verschiedenen Lebensbereichen (P-PDI): Familienleben, Essen, Freunde treffen, Sport, Schlafen, Fernsehen, Lesen, Hausaufgaben, Schulbesuch, ins Kino gehen, Lieblingsbeschäftigung und ungeliebte Beschäftigungen Frage: Wie oft stören dich Schmerzen im Alltag? N Gruppenbeginn Gruppenende Signifikanz 57 46,67 41,00 p<.01 N Gruppenbeginn 6 Monate Signifikanz 36 48,34 38,32 p<.01 N Gruppenbeginn 12 Monate Signifikanz 22 45,96 34,43 p<.01 (T-Werte / 1: niemals, 2: selten, 3: manchmal, 4: häufig, 5: immer)
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen P-PDI Pediatric Pain Disability Index Fragen an die Eltern: Wie oft stören Schmerzen ihr Kind? N Gruppenbeginn Gruppenende Signifikanz 57 42,80 40,76 p<.10 N Gruppenbeginn 6 Monate Signifikanz 36 44,99 38,21 p<.01 N Gruppenbeginn 12 Monate Signifikanz 22 44,68 35,03 p<.05 (T-Werte / 1: niemals, 2: selten, 3: manchmal, 4: häufig, 5: immer)
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen AFS-Angstfragebogen für Schüler Mehrfaktorieller Fragebogen, der die ängstlichen und unlustvollen Erfahrungen von Schülern Aspekten erfasst Gruppenbeginn Gruppenende N Prüfungsangst 48,21 48,07 57 n.s. Schulunlust 53,37 50,31 57 n.s. Signifikanz Gruppenbeginn 6 Monate N Prüfungsangst 49,38 45,48 36 p<.05 Schulunlust 52,90 49,23 36 p<.01 Gruppenende 12 Monate N Prüfungsangst 45,62 39,9 22 n.s. Schulunlust 51,43 47,52 22 p<.05 (Mittelwert - 2-stufige Skala: stimmt=1, stimmt nicht=0)
Multimodale Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen DIKJ Depressions-Inventar für Kinder und Jugendliche Selbsteinschätzungsfragebogen zur Erfassung der Schwere einer depressiven Störung bei Kindern und Jugendlichen N Gruppenbeginn Gruppenende Signifikanz 57 51,94 51,49 n.s. N Gruppenbeginn 6 Monate Signifikanz 36 51,35 49,30 n.s. N Gruppenbeginn 12 Monate Signifikanz 22 46,83 45,65 n.s. (T-Werte )
Multimodale Kinderschmerztherapie ISEV - Kinder Fragebogen zur Erfassung elterlichen schmerzbezogenen Verhaltens Gruppenbeginn Gruppenende N Signifikanz zuwendend 3,58 3,39 57 n.s. ablenkend 2,51 2,84 57 n.s. bagatellisierend 1,55 1,56 57 n.s. Gruppenbeginn 6 Monate N Signifikanz zuwendend 3,58 3,33 36 p<.05 ablenkend 2,37 2,63 36 p<.05 bagatellisierend 1,50 1,45 36 p<.05 Gruppenbeginn 12 Monate N Signifikanz zuwendend 3,51 3,15 22 p<.05 ablenkend 2,33 2,42 22 p<.01 bagatellisierend 1,42 1,50 22 n.s. (Mittelwerte, 1:nie, 2: selten, 3:manchmal, 4: oft, 5:immer)
Multimodale Kinderschmerztherapie ISEV - Eltern Fragebogen zur Erfassung elterlichen schmerzbezogenen Verhaltens Gruppenbeginn Gruppenende N Signifikanz zuwendend 3,48 3,36 57 n.s. ablenkend 2,59 2,73 57 n.s. bagatellisierend 1,82 1,86 57 n.s. Gruppenbeginn 6 Monate N Signifikanz zuwendend 3,57 3,29 36 p<.05 ablenkend 2,59 2,68 36 n.s. bagatellisierend 1,90 1,84 36 n.s. Gruppenbeginn 12 Monate N Signifikanz zuwendend 3,56 3,22 22 p<.05 ablenkend 2,63 2,49 22 n.s. bagatellisierend 1,82 1,74 22 n.s. (Mittelwerte, 1:nie, 2: selten, 3:manchmal, 4: oft, 5:immer)
Multimodale Kinderschmerztherapie Veränderte Einstellung zum Schmerz Vergrößern Selbstwirksamkeit Reduktion Angst und Hilflosigkeit Bewusstsein für Selbsthilfemöglichkeiten Ich weiß jetzt, was in meinem Kopf los ist, das hat mir sehr geholfen Ich wusste nicht, dass es noch so viele andere Kinder mit Schmerzen gibt
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!