Richtlinien für die Erteilung einer Bewilligung für die selbständige Berufsausübung in Psychotherapie I. Grundsätze Wer im Kanton Thurgau den Beruf einer selbständig tätigen Psychotherapeutin oder eines selbständig tätigen Psychotherapeuten ausüben will, bedarf einer Bewilligung des Departements für Finanzen und Soziales. Die für die Bewilligungserteilung massgebenden Voraussetzungen sind in 58 ff. der Verordnung des Regierungsrates über Berufe des Gesundheitswesens vom 17. August 2004 (nachfolgend RRV) festgelegt. Diese Richtlinien dienen der Fachkommission zur Gewährleistung einer einheitlichen Begutachtungspraxis. Abweichungen von den Richtlinien sind nur in konkret begründeten Fällen möglich. In diesen Grenzen kann bei der Beurteilung der Anforderungen an die spezielle Weiterbildung auch das bei Beginn der Ausbildung geltende Ausbildungscurriculum der gewählten Methode mitberücksichtigt werden. Damit soll Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern mit weiter zurückliegenden Weiterbildungen die Zulassung zur Berufsausübung nicht von vornherein versagt sein. II. Richtlinien für die Beurteilung der Fachkenntnisse 1. Grundausbildung ( 58 Ziff. 1 RRV) Grundsätzlich baut die Ausbildung in Form einer speziellen Weiterbildung zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten auf einer Grundausbildung auf. Die Bestimmungen des 58.1. legen das fachliche Niveau fest, das der Weiterbildung in Psychotherapie zugrunde liegen muss. Als Grundausbildung wird ein Studienabschluss in Psychologie als Hauptfach oder in einer entsprechenden Fächerverbindung an einer schweizerischen oder vergleichbaren ausländischen Hochschule verlangt. Als entsprechende Fächerverbindung gilt hierbei das Studium in einem gleichwertigen humanwissenschaftlichen Fachbereich verbunden mit einem Studium der Psychologie im Nebenfach. Gesuchsteller mit einem Studienabschluss mit Psychologie im Nebenfach haben sich auch auszuweisen über Kenntnisse betreffend: Einführung in die Psychologie vergleichende Neurosenlehre die verschiedenen psychotherapeutischen Schulen Entwicklungspsychologie 1
Psychodiagnostik Diese Punkte werden durch die schulspezifischen Angebote nicht ersetzt. 2. Psychopathologie ( 58 Ziff. 2 RRV) Damit die in der Verordnung verlangten Kenntnisse über seelische Störungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als ausreichend anerkannt werden, ist der Nachweis eines Studiums der Psychopathologie während mindestens zwei Semestern (4 Stunden/Woche) zu erbringen. 3. Berufspraktikum ( 58 Ziff. 3 RRV) Die praxisorientierte spezielle Weiterbildung hat sich in der Regel über mindestens zwei Jahre zu erstrecken (Teilzeitpraktika entsprechend länger). Das Praktikum kann während der Grundaus- und/oder Weiterbildung absolviert werden. Anerkannt werden Praktika, bei denen mindestens 3 Monate der praktischen Weiterbildung in einer psychiatrischen Klinik oder Poliklinik absolviert wurden. Die restliche Zeit kann in Anstellung oder Assistenz bei einer Fachärztin oder einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und/oder bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten absolviert werden, der die Bestimmungen des 58 Ziff. 1. bis 4. RRV erfüllt. Die fachliche Kontrolle während des Praktikums muss belegt werden. 4. Spezielle Weiterbildung in Psychotherapie ( 58 Ziff. 4 RRV) Die spezielle Weiterbildung zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten sollte sich über mindestens fünf Jahre erstrecken und ohne grössere Unterbrechungen absolviert werden. Ein Jahr praktische Tätigkeit gemäss 58 Ziff. 3 RRV wird hierbei angerechnet. Die spezielle Weiterbildung hat sodann bezogen auf Wissen (Theorie), Anwendung der gewählten Methode auf die eigene Person (Selbsterfahrung, z. B. Lehranalyse) sowie 2
bezogen auf andere Personen unter fachlicher Kontrolle (Supervision, z. B. Kontrollanalyse) und bezogen auf eigene psychotherapeutische Praxis in einer wissenschaftlich anerkannten Psychotherapiemethode zu erfolgen, deren Wirksamkeit ein breites Anwendungsgebiet umfasst und die nicht nur für einzelne Klienten oder Patientengruppen indiziert ist. Es ist somit erforderlich, dass Theorie und Praxis innerhalb der gleichen Methode absolviert werden. Im Einzelnen werden folgende Anforderungen gestellt: a) Wissen Die Theorievermittlung in der gewählten Therapiemethode hat in der Regel während wenigstens 400 Stunden zu erfolgen. Die absolvierten Veranstaltungen müssen unter Angabe des Inhalts und der Lernform schriftlich testiert sein. b) Selbsterfahrung Die Anwendung der gewählten Therapiemethode auf die eigene Person ist in Intensität und Dauer durch die Methode begründet. Als Minimum werden 300 Sitzungen erwartet, wovon mindestens 100 Einzelsitzungen sein müssen. Einzelsitzungen werden mit 50 Minuten, Gruppensitzungen mit 90 Minuten verrechnet. Die absolvierten Sitzungen sind unter Angabe des Settings durch eine schriftliche Bestätigung nachzuweisen. Die Selbsterfahrung hat bei in der gewählten Methode anerkannten Lehrtherapeutinnen und/oder Lehrtherapeuten zu erfolgen. Über deren Anerkennung wird einzelfallweise im Rahmen des Gesuches um Bewilligung der Berufsausübung entschieden. Für die Anerkennung sind folgende Kriterien massgebend: Ärztinnen und Ärzte: Erfüllung der Anforderungen von 58 Ziff. 2 bis 4RRV in der entsprechenden Weiterbildungsrichtung und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung, oder Fachärztin oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, mit dem Nachweis von 300 Stunden Selbsterfahrung sowie 250 Stunden Supervision innerhalb einer Methode und Nachweis von mindestens fünf Jahren Berufserfahrung. 3
Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten ohne Arztdiplom: abgeschlossene psychotherapeutische Ausbildung gemäss 58 RRV in der entsprechenden Ausbildungsrichtung und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung. c) Supervision Die Kontrolle der Anwendung der gewählten Therapiemethode auf andere Personen muss mindestens 250 Sitzungen umfassen, wovon mindestens 100 Einzelsitzungen sein müssen. Einzelsitzungen werden mit 50 Minuten, Gruppensitzungen mit 90 Minuten verrechnet. Die absolvierten Sitzungen sind unter Angabe des Settings durch eine schriftliche Bestätigung nachzuweisen. Nicht anerkannt wird Intervision. Ebenfalls nicht anerkannt wird Supervision innerhalb der Arbeitsstelle, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht, welches die Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte. Die Supervisorin und/oder der Supervisor müssen in der gewählten Methode anerkannt sein. Über deren Anerkennung wird einzelfallweise im Rahmen des Gesuches um Bewilligung der Berufsausübung entschieden. Für die Anerkennung sind folgende Kriterien massgebend: Ärztinnen und Ärzte: Erfüllung der Anforderungen von 58 Ziff. 2 bis 4 RRV in der entsprechenden Ausbildungsrichtung oder Fachärztin oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Nachweis von 300 Stunden Selbsterfahrung sowie 250 Stunden Supervision innerhalb einer Methode. In beiden Fällen notwendig ist sodann ein Nachweis über eine Graduierung zur Ausübung von Supervision in der entsprechenden psychotherapeutischen Methode durch einen Fachverband oder ein Institut der entsprechenden Methode, sowie eigenes wissenschaftliches Arbeiten, beispielsweise in Form von Artikeln, Büchern, Vorträgen oder klinischen Falldarstellungen, sowie mindestens fünf Jahre Berufserfahrung. 4
Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten ohne Arztdiplom: Erfüllung der Anforderungen von 58 RRV Ziff. 1 bis 4 RRV, sowie Nachweis über eine Graduierung zur Ausübung von Supervision in der entsprechenden psychotherapeutischen Methode durch einen Fachverband oder ein Institut der entsprechenden Methode, sowie eigenes wissenschaftliches Arbeiten, beispielsweise in Form von Artikeln, Büchern, Vorträgen oder klinischen Falldarstellungen, sowie mindestens fünf Jahre Berufserfahrung. d) Ausbildungsgänge Die Weiterbildung zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten muss in einer genügenden Qualität durchgeführt werden, damit sie anerkannt wird. Im Einzelfall kann im Rahmen eines Gesuches um Bewilligung der Berufsausübung ein Weiterbildungsgang im Hinblick auf seine Anerkennung überprüft werden. Für die Anerkennung eines Weiterbildungsgangs sind folgende Kriterien massgebend: 1) Weiterbildungen, die an Institutionen oder innerhalb von Fachverbänden abgeschlossen wurden, welche die Charta für die Ausbildung in Psychotherapie von der Schweizerischen Konferenz der Ausbildungsinstitutionen für Psychotherapie und der psychotherapeutischen Fachverbände unterzeichnet haben, und ohne Vorbehalte aufgenommen wurden, und/oder Mitglied der Schweizer Charta für Psychotherapie sind, werden als vollständige Weiterbildungen anerkannt, wenn die Unterzeichnung bzw. der Beitritt der weiterbildenden Institution 5 Jahre vor dem Abschluss der Weiterbildung liegt. 2) Für alle übrigen weiterbildenden Institutionen und/oder ausbildenden Fachverbände gelten kumulativ folgende Kriterien: die weiterbildenden Institutionen und Fachverbände verlangen und überprüfen den Nachweis einer Grundausbildung im Sinne von 58 Ziff. 1 RRV (Ziffer II. Pt. 1. dieser Richtlinien), die weiterbildenden Institutionen und Fachverbände legen ein Ausbildungscurriculum vor, die weiterbildenden Institutionen und Fachverbände qualifizieren die Absolventen ihrer Ausbildungsgänge und bestätigen deren Qualifikation. Diese Qualifikation kann an instituts- oder fachverbandsunabhängige Instanzen delegiert werden, die weiterbildenden Institutionen und Fachverbände weisen die Qualifikation ihrer Lehrpersonen nach. Die weiterbildenden Institutionen und Fachverbände werden anerkannt, wenn sie über mindestens vier qualifizierte Lehrpersonen ver- 5
fügen. Als Lehrpersonen gelten Fachpersonen, welche die unter II. 4 b, c) (Seite 3) dieser Richtlinien formulierten Kriterien erfüllen und eine einschlägige Fortoder Weiterbildung zur Lehrperson nachweisen. Die Ausbildungsinstitutionen und Fachverbände legen eine Liste der von ihnen zugelassenen Lehrpersonen mit Angabe deren Funktion vor, die weiterbildenden Institutionen und Fachverbände, welche eine integrale psychotherapeutische Weiterbildung zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten vermitteln, sollten eine Ausbildungsdauer von mindestens fünf Jahren, inklusive einem Berufspraktikum im Sinne von Ziffer II. 3 dieser Richtlinien, vorsehen. Sie sollten ihre Ausbildungsinhalte in der Regel selbst anbieten und überprüfen. Die Vermittlung bestimmter Weiterbildungsinhalte (Wissen und Teile der Selbsterfahrung) können hierbei, wenn methodisch begründet, auch an andere Institutionen (z. B. Universitäten, andere Ausbildungsinstitute) delegiert werden. Die delegierende Institution ist verantwortlich für die Qualität der delegierten Weiterbildungsinhalte. III. Richtlinien für die Tätigkeit der Fachkommission 1. Zur Ausübung ihrer Begutachtungstätigkeit kann die Fachkommission unmittelbar Rücksprache mit den Gesuchstellern oder den Gesuchstellerinnen nehmen und von diesen auch weitere Unterlagen und Ausweise einfordern. Damit die Lehrpersonen sowie die Ausbildungsgänge bezüglich ihrer Anerkennung beurteilt werden können, kann die Fachkommission die erforderlichen Angaben im Einzelfall mittels Fragebogen einholen. 2. Das Departement entscheidet, ob einem Gesuchsteller oder einer Gesuchstellerin die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung erteilt werden kann oder nicht. Die Fachkommission ist indessen befugt, einen Gesuchsteller oder eine Gesuchstellerin direkt auf ungenügend erfüllte Anforderungen hinzuweisen. Hierbei kann sie den Gesuchsteller oder die Gesuchstellerin auch einladen, die ihrer Ansicht nach notwendigen Nachqualifikationen beizubringen. Sie hat den Gesuchsteller oder die Gesuchstellerin aber darauf aufmerksam zu machen, dass es ihm oder ihr frei steht, vom Departement eine formelle Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen zu verlangen und so einen rekursfähigen Entscheid zu erwirken. Nach Überprüfung durch und im Einverständnis von Herrn Regierungsrat Dr. Ph. Stähelin, Departement für Finanzen und Soziales, Kanton Thurgau, mit Schreiben vom 30. April 1998 anerkannt und bestätigt. Angepasst an die Fassung vom 17. August 2004 am 1. Juni 2007. 6