1. Pressemitteilung 2. 2. Einführung, Auszug aus dem Katalog 5. 3. Text aus dem Museumsjournal 13



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Transkript:

Inhalt 18. März 14. Juni 2015 1. Pressemitteilung 2 2. Einführung, Auszug aus dem Katalog 5 3. Text aus dem Museumsjournal 13 4. Aktueller Forschungsstand aus dem Sepik-Gebiet 15 5. Drei Fragen an den Kurator 18 6. Vermittlungsprogramm 21 7. Daten & Fakten 24 8. Partner & Sponsoren 25 Anlagen: Informationen: Copyrightliste Katalog Selbstdarstellung Wall Ausstellungen 2015 Flyer Seite 1 / 25

1. Pressemitteilung 18. März 14. Juni 2015 Maske Museum der Kulturen Basel Öffnungszeiten Mittwoch bis Montag 10 19 Uhr, Di geschlossen, an den Feiertagen geöffnet Veranstalter Berliner Festspiele. Eine Ausstellung des Musée du quai Branly, Paris. In Zusammenarbeit mit und Museum Rietberg, Zürich. Kuratoren Philippe Peltier (Musée du quai Branly), Markus Schindlbeck Kommunikation Leitung: Dr. Susanne Rockweiler Presse: Christiane Zippel T +49 30 254 86 236, F +49 30 254 86 235 presse@gropiusbau.de Organisation: Katrin Mundorf T +49 30 254 86 112, F +49 30 254 86 107 organisation@gropiusbau.de Partner Wall, visit Berlin, Alexa, DB Medienpartner Tagesspiegel, Where Berlin Erstmals stehen Kunstwerke aus Ozeanien im Zentrum einer Ausstellung des. Sie kommen aus einem Gebiet am Mittel- und Unterlauf des Flusses Sepik in Papua-Neuguinea. Etwa 220 Kunstwerke von zwölf Leihgebern - die bedeutendsten Museen Europas sind beteiligt - werden zu sehen sein. Die Ästhetik der Kunst der Sepikregion hat schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts europäische Wissenschaftler und Künstler fasziniert. Berlin war mit Basel ein Zentrum der Sepik-Forschung. Zwar sprachen ethnologische Entdecker früh von 'Kunst des Sepik' doch die Kunstwelt war zurückhaltend, formulierte eher Theorien des 'Primitivismus' - noch bis weit in die 1980er Jahre. Die grosse Ausstellung Primitivism in 20th Century Art: Affinity of the Tribal and the Modern (1984) des Museum of Modern Art in New Seite 2 / 25

York erinnerte an diese lange Diskussion. Heute ist es selbstverständlich, jene als primitivistisch deklarierten Kunstwerke, so auch die der Sepikregion, aus ihrer eigenen ästhetischen Qualität heraus zu betrachten und zu beurteilen. Dazu bietet diese Ausstellung Gelegenheit. Die Sepikebene ist ein großes Wasser- und Sumpfgebiet. Entlang des Sepik, der sich über fast 1200 Kilometer erstreckt, leben Gruppen von Menschen, die über hundert verschiedene Sprachen sprechen. Allein am Mittel- und Unterlauf des Sepik werden über neunzig verschiedene Sprachen gesprochen. Man darf sich also die Region des Sepik nicht als ein relativ homogenes Siedlungsgebiet vorstellen. Kaum war der Sepik entdeckt, der dann 1886 von den deutschen Kolonisatoren Kaiserin Augusta-Fluss genannt wurde und nach damaliger Nomenklatur in die Bismarck-See mündete, erregte die höchst elaboriert gestaltete materielle Kultur die Aufmerksamkeit von Sammlern und Museumsleuten aus aller Welt. Die Taten der Ahnen haben die Welt der Menschen geschaffen. Ihre Verwandlungen manifestieren sich in der Umwelt und in den kulturellen Zeugnissen. Die Ahnen, so denkt man, haben das breite Flussbecken des Sepik geschaffen, auf dessen Uferdämmen die Wohnhäuser und die Männerhäuser stehen. Von zentraler Bedeutung sind die Tanzplätze vor den Männerhäusern; auf ihnen treten die Ahnenfiguren auf und erinnern an die Taten der mythischen Zeit. Die Tänzer verkörpern mit ihrem reichen Schmuck und ihren farbenprächtigen Maskenfiguren diese Ahnen und werden eins mit ihnen. Beim Durchschreiten verschiedener Räume eines Dorfes spiegelt deren Ordnung die soziale Organisation wider: eine deutliche Trennung zwischen der Welt der Frauen und derjenigen der Männer, zwischen einer öffentlichen Sphäre, wo jeder frei ist, sich zu bewegen, und einer Sphäre, die den initiierten Männern vorbehalten ist. Die Frauen sind innerhalb des Dorfes vor allem den Wohnhäusern zugeordnet, die Gegenstände sind sichtbar. Die Männer hingegen sind auf die großen Männerhäuser und die Tanzplätze ausgerichtet. Die Gegenstände sind verborgen und geheim und werden nur bei den Riten sichtbar. Im Vordergrund der hier gezeigten Auswahl an ethnologischer Kunst steht auch deshalb das Motiv der menschlichen Figur, die allen Kulturen gemeinsam ist: der oder die Gründer-Ahnen von Siedlungen, menschlichen Gemeinschaften und ihrer natürlichen Umwelt. In den Gesellschaften des Sepik zeigt sich diese Ahnenfigur nicht unmittelbar. Sie entschlüsselt sich immer nur stückweise in ihrer ganzen Komplexität. Der Verlauf der Ausstellung wird den Besuchern erlauben, die unterschiedlichen Formen und Variationen zu verstehen, unter denen sich diese Ahnenfiguren manifestieren, beginnend mit ihren mehr öffentlichen Formen bis hin zu jenen eher geheimen. Die Werke faszinieren wegen ihrer überaus reichen Verzierung auf kleinen und großen Gegenständen und durch die Vermischung der in Europa strikt getrennten Gattungen (Malerei, Skulptur) des Gestaltens: Eine Kombination von Skulpturen in Menschenform und Oberflächenverzierung, von Ornamenten auf Seite 3 / 25

Palmblattstielen und Zeremonialhäusern, von modellierter, figürlich ausgestalteter Keramik, genutzt zur Aufbewahrung oder Zubereitung von Nahrungsmitteln. Zu sehen ist ein großes Auslegerboot und ein Einbaum, reich verzierte Pfosten von Männerhäusern, gewaltige Schlitztrommeln, kräftige Ahnenfiguren und prächtig geschmückte Maskengestalten. Die Flussebene ist ein Mosaik von linguistischen Gruppen. Die etwa neunzig Sprachen erklären zu einem Teil auch die Verschiedenheit der hergestellten Objekte. Neben dem Reichtum an Riten tritt eine bemerkenswerte Fülle von Objekten, deren formale Gestaltung häufig überraschend, faszinierend und exotisch wirkt. Der Sepik war lange Zeit von den europäischen, amerikanischen und australischen Entdeckern und Reisenden übersehen worden. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde seine Mündung entdeckt und der Fluss von einem deutschen Schiff ( Ottilie ) befahren. Es sollte jedoch noch Jahre dauern bis wissenschaftliche Expeditionen organisiert wurden. Vor allem große deutsche Institutionen bereiteten Forschungsreisen vor, so von Hamburg aus 1909 und von Berlin aus 1912-13. Das damalige Königliche Museum für Völkerkunde in Berlin richtete eine umfassende interdisziplinäre Expedition aus, deren Ergebnisse teilweise erst heute veröffentlicht werden können. Einer der Protagonisten dieser Forschungen entdeckte die Quellen des Sepik-Flusses, als schon der Erste Weltkrieg 1914 auch in der Südsee ausgebrochen war. Australien eroberte und übernahm 1914 die deutsche Kolonie Deutsch- Neuguinea (1899-1914). Diese Ausstellung, hundert Jahre nach jener Berliner Expedition veranstaltet, leistet einen wichtigen Beitrag, auch dieses große Berliner Unternehmen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, denn erst seit dieser mehrjährigen Expedition ist das Sepikgebiet eine der bedeutendsten Regionen der ethnographischen und wissenschaftlichen Forschungen in der Südsee geworden. Schon 1911 erkannte ein Berliner Museumsmitarbeiter den außerordentlich hohen ästhetischen Wert der Schnitzwerke vom Sepik. In der Folge haben zahlreiche Sammler aus der ganzen Welt diese Werke auf den immer abenteuerlichen Reisen auf dem Fluss und seinen zahlreichen Nebenarmen eingetauscht und erworben. Bald wurden die Masken, Figuren und Malereien Teil der Kunstgalerien, die in den zwanziger Jahren in Europa und später auch in Amerika die Kunst der Primitiven neben der Kunst der Moderne anboten. Die Schnitzwerke vom Sepik waren so Teil des Bildinventars, das den Künstlern der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Verfügung stand. Sie waren aber auch Anlass für zahlreiche weitere Forschungen, die im Verlauf dieses Jahrhunderts noch stattfinden sollten, um nähere Auskünfte über die Bedeutung und Ikonographie von Objekten zu erhalten. Die Ausstellung zeigt eine Synthese dieses Kunstgebietes, die auch die Forschungsreisen der letzten fünfzig Jahre auswertet. Seite 4 / 25

2. Einführung, Auszug aus dem Katalog 18. März 14. Juni 2015 Philippe Peltier und Markus Schindlbeck Kuratoren der Ausstellung in Paris und Berlin Sepik: ein kurzes Wort wie ein Peitschenknall. Seit langem ist es in unserer Fantasie fest verankert und wird es auch in Zukunft bleiben. Es ist eines der Wörter, die ferne Länder und mythische Orte heraufbeschwören in diesem Fall das Tiefland im Norden Neuguineas. Erkunden kann man den Sepik auf tausenderlei Weise. Ganze Generationen haben ihn beim Lesen gemeinsam mit Entdeckern und Abenteurern im Geist befahren oder in wissenschaftlichen Arbeiten kennengelernt, etwa denen von Margaret Mead oder den noch spezifischeren von Gregory Bateson. Andere kennen ihn aus Museen, allen voran deutschen Sammlungen wie der in Berlin. Angesichts der unerwartet reichen Schätze in den Vitrinen entdeckten sie verblüfft Gegenstände, die ebenso einfallsreich wie fantastisch geformt sind und mit einer permanent überbordenden Mischung aus Aggression, Verführung und Sexualität die Fantasie anheizen. Für einige Reisende wurde dieser Mythos Wirklichkeit. Sie fuhren den Fluss hinauf, der in vielen Schleifen träge durch das riesige äquatoriale Tiefland strömt. Sie entdeckten einen Ort, an dem das Licht zugleich stumpf und gleißend ist und von Stunde zu Stunde farblich variiert. Einen Ort, an dem das Tal in der Regenzeit überschwemmt wird und sich in einen gewaltigen Sumpf verwandelt, aus dem bewaldete Inselchen ragen. Stundenlang sahen sie vom Einbaum aus die oft monotonen Landschaften vorüberziehen, verirrten sich in den Fahrrinnen, steuerten zwischen haushohen Schilfwänden oder mitten durch üppige, tiefgrüne Vegetation hindurch. Sie sahen in der Ferne die Silhouette der Hügel als Vorboten der Berge oder etwas näher die drei Hügel, die auf der spiegelnden Fläche des Chambri-Sees zu treiben scheinen. Sie fürchteten die Moskitos. Manche sahen zu ihrem Bedauern zwar keine Krokodile oder Beuteltiere, aber alle entdeckten die Dörfer an den Ufern. Sie lernten ihre Bewohner kennen, manche lebten sogar bei ihnen. Sie verfielen ihrem Lächeln und ihrer Gefälligkeit, und wer ein wenig Tok Pisin beherrschte die mit Deutsch, Englisch und lokalen Begriffen durchsetzte Kreolsprache, bekam auch Kostproben ihres Humors. Man kann den Sepik nicht nur auf tausenderlei Art erkunden, sondern auch völlig unterschiedlich über ihn sprechen. Er hat unzählige Facetten, und schon der Blick auf einen Sprachatlas dieser Region enthüllt ein Mosaik aus Sprachen, die allesamt papuanischen Ursprungs sind. Einige Sprachgruppen beschränken sich auf ein einziges Dorf mit 300 oder 400 Einwohnern, andere sind riesig und in mehrere Untergruppen gegliedert. Diese Sprachen deuten auf eine sehr lange Besiedlung des Gebietes hin, sind jedoch nicht unbedingt untereinander verwandt. Insgesamt zählt man rund 90 Idiome in der Ebene des Sepik und des Ramu. Stellt man sich nun vor, dass jede dieser Gruppen über eigene Traditionen und Formen verfügt, kann man Seite 5 / 25

ermessen, wie viele Variationen möglich sind und wie schwierig eine Klassifizierung und genaue Kenntnis dieser Region ist. Ebenso wie die Sprachen zeigen auch Gegenstände Identitäten an, aber sie unterliegen Veränderungen und Verschiebungen ihres Status oder ihrer Verwendung. Objekte und Formen wandern, werden ausgetauscht, andernorts für andere Zwecke benutzt. Für dieses Phänomen des Austauschs und der Transformation finden sich in der ethnografischen Literatur erstaunliche Beispiele. So werden etwa Schildpattreife mit und ohne Ritzmuster an der Küste (wo man sie herstellt) als Armreif getragen, am Mittelsepik jedoch auch horizontal an der Rückseite der großen Masken oder an der Brautkleidung befestigt. Ein weiteres Beispiel sind Malu-Bretter. Aus der Literatur weiß man, dass die Sawos am mittleren Sepik sie verwendeten, doch in den 1930er-Jahren sammelte Gregory Bateson einige davon bei den Iatmul, die allerdings nicht mehr wussten, wofür sie dienten; zuvor hatte Otto Schlaginhaufen (1879-1973) 1909 im Dorf Singrin unweit der Flussmündung mehrere Exemplare erworben. Dieses Beispiel ist verwirrend, denn nach Auffassung Batesons zeigt es, dass der Sepik von zahllosen Gruppen bevölkert ist, die mit einer gewissen Zahl von Kulturelementen spielen und sie nach Belieben zusammentragen. Er meinte zudem, dass die Gegenstände, wenn sie ihre Attraktivität verlieren, zugleich ihre durch Gebrauch vorgegebene Bedeutung einbüßen das heißt man kann sie einfach wegwerfen oder durch andere ersetzen, die man für effizienter hält. Wie er ebenfalls belegt, besteht nicht immer eine Korrelation zwischen einem Objekttyp und einer Sprachgruppe, was manche naiv annahmen. Auch wenn man angesichts all dieser gemeinsamen Elemente von einem Sepik-»Raum«sprechen kann, sind vom Austausch dennoch nur bestimmte Gegenstände in einem begrenzten räumlichen Gebiet betroffen. Bei weitem nicht alle Gruppen stehen im Austausch miteinander. Das galt vor allem in Zeiten, als Kriege und Kopfjagden an der Tagesordnung waren. Douglas Newton schrieb dazu augenzwinkernd:»auch wenn man die Tragweite dieser Kontakte nicht allzu hoch bewerten sollte, wusste zweifellos schon vor der Kolonialzeit jede Gruppe von der Existenz mehrerer anderer Gruppen was allerdings nicht bedeutet, dass die Menschen an der Küste die Wochenbilanz der Kopfjäger am May River verfolgt hätten.«(newton 1990) 1. Angesichts dieser Vielfalt an Kulturen und Ausdrucksformen beschränken wir uns für unser Projekt auf das Tiefland. Die Grenzen dieses Bereichs festzulegen ist eine komplexe Aufgabe. Seit der Entdeckung des Flusses versuchten vor Ort forschende deutsche Gelehrte (darunter Otto Reche, Adolf Roesicke, Walter Behrmann und Richard Thurnwald) anhand verschiedener Kriterien wie beispielsweise der Form der Männerhäuser Kulturräume abzustecken. Je nach Epoche und berücksichtigten Kriterien variierten diese Grenzen. Die von uns festgelegten geografischen Grenzlinien sind nicht frei von Willkür, basieren jedoch auf einigen Besonderheiten. Eine davon ist geografischer Natur: Behandelt wird die vom Fluss gebildete riesige Sumpfebene, in der man sich überwiegend mit Einbäumen fortbewegt. Das Gebiet ist reich an Ressourcen. Es gibt Fische im Überfluss und zahlreiche Sagopalmen, die das Grundnahrungsmittel der Bevölkerung liefern. Der erwirtschaftete Nahrungsmittelüberschuss gestattete es den Menschen, komplexe Zeremonialzyklen wie die Initiation der Knaben zu entwickeln, die Anlass zur Herstellung zahlreicher Gegenstände und Güter gaben. Die andere Besonderheit hängt Seite 6 / 25

mit der Besiedlung des Raumes zusammen. Das Gebiet von der Mündung des Sepik oder den Ufern des Ramu-Unterlaufs bis zum Hunstein-Gebirge (dem am weitesten stromaufwärts gelegenen der von uns berücksichtigten Gebiete) war kontinuierlich vergleichsweise dicht besiedelt. Auf den Hügeln jenseits des Hunstein-Gebirges leben weniger Menschen, die den Gruppen im Quellgebiet des Flusses kulturell näher zu stehen scheinen. Dagegen pflegen die Dörfergruppen entlang den Ufern der rechten Zuflüsse des Sepik einen regen Austausch mit den Siedlungen am Fluss, sodass wir sie einbezogen haben. Die größten Schwierigkeiten bot die Grenze am linken Sepik-Ufer. Wir entschieden uns dafür, die in den Hügeln nördlich der Sawos und der Kwoma lebenden Gruppen auszuschließen, obwohl sie üblicherweise den Sepik-Gruppen zugerechnet werden. Die Kontakte zwischen dem Fluss und diesen Gebieten sind belegt und die Bevölkerungen weisen zweifellos viele kulturelle Übereinstimmungen auf. Allerdings würden Reichtum und Charakter ihrer künstlerischen Produktion, die seit den grundlegenden Arbeiten von Phyllis Kaberry, Margaret Mead oder Anthony Forge durch zahlreiche richtungsweisende Studien in diesem Gebiet nachgewiesen sind, eine eigene Ausstellung nötig machen. Das Gleiche gilt für den nördlichen Küstenraum. Da dieser sehr früh mit den Kolonisatoren in Berührung kam, hätte die dortige Kunst eine eigenständige Ausstellung verdient, die minutiös die vorwiegend deutschen alten Quellen erforscht. Auch wenn die alten Quellen und die neueren stilistischen Studien vermuten lassen, dass die Gesellschaften an der Nordküste von der Humboldt- bis zur Hansa-Bucht ein Kontinuum bilden, haben wir die Küstenzone zwischen letzterer und der Murik-Lagune berücksichtigt, denn sie schließt die an der Sepik-Mündung und am Unterlauf des Ramu siedelnden Gruppen ein. Diese nehmen eine Brückenfunktion ein und weisen viele Gemeinsamkeiten mit den Kulturen am Fluss auf. Vorgeschichte Die Geschichte der Bewohner des Sepik-Gebiets beginnt in einer prähistorischen Zeit, über die wir nur sehr wenig wissen. Auf ihre Entstehung vor 14000 Jahren werden frühe Spuren von Menschen datiert, die in einer Höhle bei Serapa nördlich des Flusses gelebt haben. Damals begannen weltweit die Gletscher der letzten Eiszeit zu schmelzen. Die beiden Flüsse Sepik und Ramu konnten nicht schnell genug mit ihren Ablagerungen einen Wall gegen das hereinbrechende Meereswasser bilden, sodass noch vor 6000 Jahren das Sepik-Becken bis über den mittleren Sepik hinauf eine salzwasserhaltige Meeresbucht bildete. Als das Becken später durch Flussablagerungen wieder aufgefüllt und das Meer zurückgedrängt worden war, blieb der Chambri-See als Überrest dieses Binnenmeeres zurück. Die in den mündlichen Überlieferungen der Sepik-Bewohner festgehaltene Geschichte reicht über mehrere Generationen vielleicht bis ins 17. Jahrhundert oder weiter zurück. Darin wird von Verlegungen von Dörfern und von Migrationen berichtet, von Kriegszügen, von der Einrichtung von Tauschbeziehungen zwischen Dörfern und zuletzt von den Begegnungen mit weiß-häutigen Fremden, die den Fluss heraufkamen. Diese Erforschung begann Ende des 19. Jahrhunderts. Kolonial- und Forschungsgeschichte 1886 sichteten der deutsche Kapitän Eduard Dallmann und der Naturforscher Otto Finsch an der Nordküste erstmals die Mündung des Sepik-Flusses, den sie nach der Gemahlin des deutschen Kaisers Wilhelm I.»Kaiserin-Augusta-Fluss«nannten. Im Zuge der kolonialen Aufteilung von Interessenssphären beanspruchte das Deutsche Reich den Nordosten von Neuguinea. Die Verwaltung des Gebietes übernahm die Neu Seite 7 / 25

Guinea Compagnie, die an der Küste Handels- und Verwaltungsstationen sowie Plantagen errichtete. Schon 1899 ging die Verwaltung direkt an das Deutsche Reich über. Vorerst richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Inselgebiet des Bismarck- Archipels und das Küstengebiet von Nordost-Neuguinea. Bis auf wenige Fahrten den Sepik-Fluss hinauf blieb das Innere des Sepik-Gebiets unberührt, wenn auch über den einheimischen Tauschhandel schon manche Güter über die Sepik-Mündung oder über das Küstengebirge vordrangen. Fahrten flussaufwärts wurden unternommen, um junge Männer für die Arbeit auf Plantagen zu rekrutieren, gleichzeitig wurde für die im Aufbau befindlichen Museen in Deutschland gesammelt. Im Jahr 1913 wurde am unteren Flusslauf bei Angoram eine erste deutsche Verwaltungsstation eingerichtet. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges übernahmen die von Australien ausgesandten Militärs die Stationen der deutschen Kolonialverwaltung, und bis zur Errichtung des Völkerbundmandats im Jahr 1921 wurde eine militärische Verwaltung eingesetzt. Danach baute die australische Mandatsverwaltung ihre Herrschaft nach kolonialrechtlichen Vorgaben aus. Neben Angoram am Unterlauf wurde 425 Kilometer von der Mündung entfernt in Ambunti ein weiterer Verwaltungsstützpunkt errichtet. Mit Besuchen ihrer Patrouillen versuchten die australischen Beamten, die Kriege zwischen den Dörfern zu unterbinden. Bis auf jene im Mündungsgebiet behielten die Dörfer weitgehend ihren traditionellen Charakter. Dennoch hatte sich das Leben der männlichen Bevölkerung einschneidend geändert, war ihnen doch von nun an Krieg und Kopfjagd von der Verwaltung verboten worden. Immer mehr junge Männer folgten den Anwerbern für die Arbeit auf Plantagen an den Küsten und auf den Inseln des Bismarck-Archipels und verließen so für mehrere Jahre ihre Dörfer. Die Plantagenarbeiter brachten bei ihrer Rückkehr die ersten westlichen Güter in die Siedlungen mit, etwa Eisenwerkzeuge, Stoffe, westliches Geld und Metallgefäße. Das Ausbleiben der Kopfjagdzüge ermöglichte aber auch verstärkte Handelsreisen in benachbarte Dörfer, sodass von der Küste her vermehrt Muschel und Schneckenschalen eingeführt wurden, die den zierenden Teil mancher Gegenstände veränderten. Aber auch der Import von neuen Farben wie Grün oder Blau verlieh mancher Schnitzerei ein neues Aussehen, während die als Ersatz für die Steinklingen nun erhältlichen Hobelklingen aus Stahl die Schnitzarbeit erleichterten. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und die Besetzung zahlreicher Dörfer durch japanische Soldaten, die am 18. Dezember 1942 schließlich auch an der Küste bei Wewak gelandet waren, brachten für die Bevölkerung neue Belastungen. Während der folgenden drei Jahre lernten sie die Gräueltaten kennen, die sogenannt zivilisierte Nationen untereinander bei Kriegen ausübten. Das Dorf Timbunke wurde für Hilfe an alliierte Piloten kollektiv bestraft: An die 100 Männer wurden vor den Augen der gesamten Bevölkerung erschossen. Die besonders prekäre Lage der japanischen Soldaten, die zunehmend von Nachschub abgeschnitten waren, führte für die Bevölkerung zu Zwangsarbeit und zu unvorstellbarer Grausamkeit. Zahlreiche junge Männer, die 1942 fernab von zu Hause auf Plantagen arbeiteten, wurden von der australischen Armee für Hilfsdienste rekrutiert. Sie trugen bei ihrer Rückkehr die Kenntnis der Umgangssprache Tok Pisin, das melanesische Pidgin, in ihre Heimatdörfer. Seite 8 / 25

Nach dem Ende des Krieges im September 1945 ließ die Fülle der mit den Soldaten der amerikanischen Alliierten darunter zahlreiche Afroamerikaner angekommenen Waren Vorstellungen aufblühen, gemäß denen die reiche Ausstattung der Weißen von den gemeinsamen Ahnen eigentlich für alle bestimmt sei. So fanden in den 1950er-Jahren zahlreiche Kultbewegungen großen Zustrom, weil viele den prophezeiten Umschwung und damit den direkten Zugang zu Gütern (cargo) und Dienstleistungen aller Art nicht verpassen wollten daher die Bezeichnung»Cargo- Kult«. Das nun zum UNO-Mandatsgebiet gehörende koloniale Territorium New Guinea wurde von der australischen Verwaltung mit der australischen Kolonie Papua zu einer in die Unabhängigkeit zu führenden Verwaltungseinheit Papua-Neuguinea zusammengefasst. Grundlegende Reformen des Gesundheitswesens und des Schulsystems wurden umgesetzt. Allerdings erfolgte erst sehr spät, nämlich in der Schlussphase ab 1968, der Aufbau eines auf Respekt vor den eigenen Überlieferungen basierenden Staatsverständnisses. Diese Entwicklung trug dazu bei, dass zahlreiche Rituale wie Initiationen und Totenfeste bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind. Die 1975 ausgerufene Unabhängigkeit beendete eine fast einhundertjährige Kolonialzeit, und wiederum war die Erwartungshaltung, die sich nun vonseiten der Dorfbewohner am Sepik auf die eigene Verwaltung und Regierung richtete, sehr groß. Der neue Staat konnte dem kaum gerecht werden. Wohl beginnt sich neuerdings der Tourismus als einst hervorragende Einnahmequelle der Dorfbevölkerungen zu erholen. Inzwischen bedrohen in das Land gerufene Großkonzerne aber an vielen Orten das Ökosystem Neuguineas, insbesondere im Küstenbereich und am Sepik-Oberlauf, aber auch technologische Neuerungen wie die Verwendung von Mobilfunk und Reformen des Landrechts führen zu tiefgreifenden Veränderungen der Gesellschaften in diesem tropischen Gebiet. Will man verstehen, wie die Zeugnisse für Kunst und Kulturen des Sepik-Gebiets in Europa bekannt geworden sind, ist es unerlässlich, sowohl die Geschichte der Missionierung als auch jene der Erforschung dieser Region knapp zu skizzieren. Sie sind unentwirrbar miteinander verknüpft, nicht zuletzt weil sich alle Post und Nachschubverbindungen auf dieselben Dienstleister stützen mussten. Als besonders zuverlässige Schiffskapitäne und später Piloten erwiesen sich dabei oft die tropentauglichen Patres des SVD-Ordens. Der von Arnold Janssen 1875 gegründete, nach seinem Sitz im niederländischen Steyl als»steyler Mission«bekannte Orden begann seine Missionsarbeit in China, andere Missionsziele lagen in Südamerika und Afrika. 1895 wurden die Patres Eberhard Limbrock, Joseph Erdweg und Franz Vormann nach Neuguinea beordert. Sie erreichten die Insel im August 1896 und ließen sich in der Nähe von Aitape (Berlinhafen) auf Tumleo nieder. Von dort aus gründeten sie mehrere Missionsstationen an der Küste und auf vorgelagerten Inseln. Die Verbindung konnte nur mit Schiffen aufrechterhalten werden. Das eigentliche Hauptquartier entstand östlich am Naturhafen von Sek (Alexishafen), etwas nördlich des kolonialen Verwaltungszentrums in Friedrich-Wilhelms-Hafen, dem heutigen Madang. 1913 wurde am Sepik, unterhalb von Angoram, die Missionsstation Marienberg gegründet. Unter Pater Franz Kirschbaum (1882 1939), der 1903 in den Orden eingetreten war, wurde Marienberg zum ersten Zentrum für die Erschließung des Sepik-Stromgebiets. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges befand sich der deutsche Seite 9 / 25

Ethnologe Richard Thurnwald auf einer Erkundungstour im Quellgebiet des Sepik- Stroms. Er erreichte zusammen mit einheimischen Helfern im Einbaum reisend schließlich die Station Marienberg, der er dann vom australischen Militär als Internierter zugewiesen wurde. Generell wendeten die ersten Patres ganz im Sinne ihres Gründers sowie des wissenschaftlich motivierten Pater Wilhelm Schmidt, dem Gründer des ordenseigenen Anthropos-Instituts, viel Zeit auf für das Erlernen der einheimischen Sprachen, für die geografische Erkundung des Gebietes in ihrem Einflussbereich und die Niederschrift ethnografischer Beobachtungen. Leider sind nur wenige dieser wertvollen frühen Quellen publiziert worden, etwa die Texte von Pater Franz Vormann über die Sprachen und von Pater Joseph Schmidt über dessen Einsichten in die Kultur der Murik-Dörfer nahe der Sepik-Mündung. Von Kirschbaum stammt eine wichtige Sammlung aus dem Sepik-Gebiet, die er 1924 für die Missionsausstellung in Rom zusammengetragen hat und die sich heute im Vatikan befindet. Weitere Missionsstationen am Sepik wurden in unmittelbarer Nähe großer Dörfer angelegt, so 1932 in Timbunke, 1933 in Kambot und 1934 in Marui. Noch vor den Erkundungsfahrten der Missionare zeitigten die ersten Befahrungen des Sepik-Stroms neben landeskundlichen Erkenntnissen und den ersten Kartierungen nur flüchtige Begegnungen mit Einheimischen, da wenig Zeit an Land verbracht wurde. So fuhren 1886 der Astronom Carl Schrader und der Mediziner Max Hollrung mit der»ottilie«bis zum Hunstein-Gebirge. Beteiligt an der Expedition waren außerdem der Landeshauptmann von Schleinitz, der Vizekonsul Wilhelm Knappe, Richard Parkinson als Landeskenner der ersten Stunde sowie Carl Hunstein und Kapitän Rasch. In vier Tagen dampften sie ca. 200 Seemeilen den Fluss hinauf, bis sie wegen Untiefen nur noch mit einer Barkasse zweieinhalb Tage weiterfahren konnten. Der äußerste erreichte Punkt lag 300 Seemeilen von der Mündung entfernt. Auf dieser Reise, die vom 29. Juli bis 10. August 1886 dauerte, wurden erstmals das eigentliche Flussbecken und das südlich davon liegende Gebirge entdeckt, die Nebenflüsse blieben jedoch noch unbekannt. Das änderte sich erst 1887 bei einer gut vorbereiteten zweiten Reise: Am 28. Juni erreichte man die Mündung des Sepik, acht Tage lang fuhr man flussaufwärts und errichtete ein erstes Lager beim Dorf Tzenab am oberen Sepik. Später folgte ein zweiter Forschungsplatz bei Malu, am Endpunkt der Fahrt mit der»ottilie«. Mitglieder dieser Reise waren die Wissenschaftler Schrader, Hollrung und Hunstein sowie zusätzlich Carl Schneider als Geologe. Am 7. November trat man die Rückreise an. Von dieser Fahrt stammen unsere ersten Mitteilungen über die Dörfer am mittleren Sepik. Auch am Sepik haben schon frühe Besucher Gegenstände erworben, um sie zu Hause an ein Museum zu übergeben. Eine wichtige Rolle spielte hierbei das Königliche Museum Berlin. Zahlreiche Kolonialbeamte und Handelstätige wetteiferten im Sammeln von Gegenständen. Als erster bearbeitete Konrad Theodor Preuss (1897/98) vom Berliner Museum die künstlerischen Darstellungen aus dem nördlichen Kaiser-Wilhelm-Land, bald gefolgt von seinem Museumskollegen Felix von Luschan, der schon 1911 eine stationäre Feldforschung für das Studium der Sepik-Kunst forderte. In der Tat sind erst mit den von Museen ausgesandten Expeditionen gezielt Sammlungen angelegt und danach zumindest teilweise auch veröffentlicht worden. Bedeutend waren etwa die Veröffentlichungen für das Museum in Dresden von Otto Schlaginhaufen, der zusammen mit Richard Neuhauss 1909 kurz den Sepik befahren hatte, dann vor allem der Band von Otto Reche, der zuvor als Teilnehmer der Hamburger Südsee-Expedition mithalf, in ungefähr zehn Tagen mehr als 900 Objekte Seite 10 / 25

zu sammeln; bereits 1913 erschien sein reich illustriertes Werk»Der Kaiserin-Augusta- Fluss«. Als Unternehmung zum Sammeln für unterschiedliche Wissenschaftszweige war die große Expedition des Berliner Museums für Völkerkunde in den Jahren 1912/13 angelegt. Daran nahmen neben dem Leiter und Technikern des Museums der Botaniker Carl Ledermann, der Arzt und Zoologe Josef Bürgers, der Chemiker und Anthropologe Adolf Roesicke, der Geograf Walter Behrmann sowie der Jurist und Ethnologe Richard Thurnwald teil. Wiewohl erste Forschungsberichte rasch vorlagen, wurde der Inhalt der Sammlungen erst durch die 1966 bis 1969 erschienenen Veröffentlichungen von Heinz Kelm und durch eine Neuaufstellung von 1970 im Dahlemer Museumsbau einem größeren Kreis bekannt. Von den späteren Forschungen sind vor allem jene von Gregory Bateson und Margaret Mead in den 1930er-Jahren zu nennen, denen wir die ersten detaillierten Monografien, aber auch bedeutsame Sammlungen verdanken. Sie setzten damit auch das Werk der Sammler George Dorsey und Alfred Buell Lewis für das Field Museum of Natural History in Chicago fort. Für Frankreich ist noch die Expédition de la Korrigane zu nennen. Die dabei erworbenen Objekte gingen unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg an das Musée de l Homme. Ausstellung und Katalog Zahlreiche weitere Sammlungsreisen fanden in den 1920er und 1930er-Jahren statt, weitere nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1970er-Jahre. Auch auf manche dieser Reisen lassen sich einige Objekte zurückführen, die in die Auswahl dieser Ausstellung aufgenommen worden sind. Die Ausstellung soll jedoch weniger die Geschichte der Sammeltätigkeit aufzeigen als vielmehr den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten dieser Kulturen. Der Katalog umfasst zwei Teile: Der erste enthält Berichte über ethnologische Feldstudien seit den 1970er-Jahren. 2 Dabei sind allerdings nicht alle der rund dreißig in dieser Region ansässigen Sprachgruppen berücksichtigt. Hätten wir diesen Versuch unternommen, wären wir an den realen Gegebenheiten gescheitert, da riesige Gebiete am Sepik noch vollkommen unerforscht sind. Auch in Bezug auf einige Gesellschaften bleiben viele offene Fragen, nicht zuletzt nach Einzelheiten ihrer materiellen Kultur. Die hier zusammengestellten Texte spiegeln diese Situation. Die Region des mittleren Sepik ist dabei das am besten erforschte Gebiet. Anstelle eines globalen Überblicks über die untersuchten Gesellschaften stellen die Autoren jeweils einen Aspekt dessen vor, was man in der Gesamtschau als die»sepik-kultur«bezeichnen könnte. Der Leser erhält Einblick in die Themen und Analysemethoden, die seit der Grundlagenforschung der Zwischenkriegszeit den ethnologischen Ansatz für diese Region erneuerten bis hin zu den Arbeiten des Ethnologen Andrew Moutu, der selbst von dort stammt. All diese Arbeiten knüpfen an Texte an, die in dem Band Sepik Heritage Tradition and Change in Papua New Guinea (Carolina Academic Press 1990), der nach wie vor die beste Zusammenfassung zu dieser Region bietet, zusammengestellt sind. Seite 11 / 25

Den zweiten Teil bildet der Katalog der Exponate in der Reihenfolge ihrer Ausstellung. Bei der Festlegung dieser Gruppierung und Abfolge legten wir eine ebenso simple wie augenfällige Beobachtung zugrunde, auf die sich schon die ersten Forschungsreisenden beriefen: Die Dörfer am Sepik sind strikt unterteilt. Der Bereich der Familienhäuser, in dem meist Gruppen gleicher Abstammung die gleichen Quartiere bewohnen, erstreckt sich rings um Flächen Plätze oder Wege für die prunkvollen großen Gebäude, die den Männern vorbehalten sind. Der Leser ist eingeladen, durch ein solches Dorf zu spazieren und darin verschiedene Gegenstände zu entdecken. Das Dorf selbst ist eine Fiktion, da die jeweils in einem Bereich versammelten Objekte aus verschiedenen Regionen stammen. Da es uns nicht um eine stilistische Untersuchung der Werke aus dem Sepik-Raum geht, sondern um Fragen zur Funktion dieser Gegenstände 3, wurden sie nach ihrem Aufbewahrungsort innerhalb des Dorfes klassifiziert. Man beginnt mit Objekten, die mit dem Leben am Fluss zu tun haben, geht dann ins Dorf und in ein Familienhaus hinein und entdeckt das Reich der Frauen. Zu diesen Familienhäusern gehören die Behausungen der Klan-Oberhäupter, in denen man die großen Ahnenskulpturen aufbewahrt. Schließlich erkundet der Leser die Männerhäuser. Diese bilden das»nervenzentrum«des Zeremoniallebens; hier werden die Gegenstände für die teils geheimen Rituale der Männer und die Initiation der Knaben aufbewahrt. Bei diesen oft mehrmonatigen 4 Initiationsriten kamen die großen Ahnenfiguren zum Zuge, aber auch Musikinstrumente, die als Stimme der Ahnen galten. Erst durch die Initiation erhielten die Jungen Zutritt zur Welt der Männer, durften durch Vermittlung der Gegenstände in Kontakt mit den Ahnen treten und Rituale beherrschen, von denen Wohlstand und Ansehen der Gruppe abhingen. In der Sepik-Ebene sind die Ahnen stets präsent und manifestieren sich in der Natur in vielerlei Gestalt. Der für uns Abendländer verwirrendste Aspekt daran ist vermutlich, dass jeder Dorfbewohner, sei es Mann oder Frau, selbst zum Ahnen werden kann. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben, wenn auch sie zu den Ahnen gehören, gestalten sie die mythologische Zeit neu. 1 Originalversion:»Though we should not exaggerate the extent of such contacts, even in the pre-colonial past certainly every group knew of several other groups which is not to say that coastal peoples followed the weekly headhunting scores of the May River.«; Newton 1990, XVI. 2 Auf eine Vereinheitlichung der Schreibweisen einheimischer Begriffe in allen Berichten wurde verzichtet. 3 Die stilistische Analyse der Region erfolgte bereits 1936 durch Felix Speiser. 1960 wurde sie von Alfred Bühler und 1984 von Christian Kaufmann verfeinert. Solche Analysen dienten als Leitfaden für die seltenen Sepik-Ausstellungen der letzten Jahre, z. B. 1964 in Frankfurt/Main, 1971 in Chicago oder 1985 in Basel und Schaffhausen. 4 Auch heute noch werden sie in einigen Dörfern am Mittel-Sepik praktiziert, doch beschränkt sich ihre Dauer auf die Schulferien. Seite 12 / 25

3. Text aus dem Museumsjournal 18. März 14. Juni 2015 Markus Schindlbeck Kurator Die Ausstellung im präsentiert über 200 Kunstwerke aus dem Gebiet des Sepik-Stromes in Papua-Neuguinea. Der Sepik, von deutschen Forschern in der Kolonialzeit 1886 erstmals erkundet, hat die nachfolgenden Reisenden auf unterschiedlichste Weise fasziniert: als Sucher nach Gold, als Krokodil- und Paradiesvogeljäger, als Verkünder von christlichen Lehren und als Kolonialherren, die den Weg für die Anwerbung von Plantagenarbeitern ebneten und die einheimische Kriegsführung unterbanden. Die Dörfer am Sepik und ihre Bewohner begeisterten aber auch bald die europäischen Sammler, die vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Fluss befuhren und eine Fülle von Gegenständen als Ausdruck einheimischen Kunstschaffens entdeckten. Auf wissenschaftlichen Expeditionen, die anfangs der geographischen und wirtschaftlichen Erschließung dienten, aber auch auf von Museen in Hamburg, Berlin oder Chicago ausgerichteten Reisen wurden die ersten Sammlungen in der deutschen Kolonialzeit vor 1914 angelegt, die das Sepik-Gebiet zu einer der bekanntesten Kunstregionen der Welt gemacht haben. Berühmte Ethnologen wie Gregory Bateson und Margaret Mead führten hier nach dem Ersten Weltkrieg während der australischen Kolonialzeit ihre bahnbrechenden Feldforschungen durch und sammelten gleichzeitig für ihre Institutionen in New York und Cambridge. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Sepik-Gebiet erneut ein Schwerpunkt ethnologischer Forschungen und Sammlungsreisen, vor allem von Museen und Universitäten in der Schweiz und in Frankreich. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als noch keine europäischen Zahlungsmittel eingeführt waren, die Ethnographica im Tausch gegen Baumwollstoffe oder Eisenwerkzeuge erworben wurden - für die Indigenen damals unbekannt und daher wertvoll - zahlten spätere Sammler nach dem Ersten Weltkrieg für die ethnographischen Gegenstände in australischer Währung. Die Bewohner des unteren und mittleren Sepik hatten sehr schnell das Interesse der Europäer an ihren Schnitzwerken bemerkt, so dass sie einerseits schon kurz nach ersten Kontakten den Sammlern ihre Gegenstände anboten, andererseits aber auch Gegenstände zurückhielten, wie Schmuck aus Schneckenschalen, sakrale Musikinstrumente oder andere mehr verborgene Objekte. Die Ausstellung soll den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten der Kulturen am Sepik aufzeigen. Dazu führt ein idealtypischer Weg der Ausstellung vom Fluss aus in ein Dorf zu den Wohnhäusern und den dort versammelten Gegenständen und der Lebenswelt von Frauen, Kindern und noch nicht initiierten Männern. Danach öffnet sich der Rundgang zum Tanzplatz und den ihn beherrschenden Bau des Männerhauses, ja in sein Inneres und zu den dort aufbewahrten sakralen Objekten. Masken und Musikinstrumente für die Initiation leiten hinüber in die Welt der initiierten Männer, die früher erst als Krieger ihren Platz in der Gesellschaft fanden. Die in der Ausstellung gezeigten Gegenstände stammen Seite 13 / 25

überwiegend aus der Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Objekttypen wie Kanu, Paddel, tönerne Herdschalen, Bambusflöten und vieles andere sind jedoch auch heute noch in den Dörfern am Sepik vorzufinden. Am Beginn des Rundgangs werden zwei große Boote gezeigt: Der Rumpf eines großen seetüchtigen Auslegerbootes und ein langer Einbaum, beides Zeugnisse für die ausgedehnten Handelstätigkeiten. Die Ausrüstung eines Wohnhauses am mittleren Sepik besteht auch heute noch aus den eingehandelten tönernen Herdschalen und weiteren Vorrichtungen, die insbesondere der Aufbewahrung von Nahrung dienen. Berühmt sind die u.a. dazu genutzten prächtigen Aufhängehaken, die oft auch Ahnen darstellen. Nicht nur das Wissen über verborgene Gegenstände, sondern mündliche Überlieferungen und die Deutungen der Welt der Ahnen waren der Schatz einzelner Männer einer Gemeinschaft. Zentral waren und sind die gewaltigen Männerhäuser, die zu den architektonischen Meisterleistungen der Südsee zählen. Mittelpunkt der Ausstellung sind daher große Pfosten von Männerhäusern, aber auch Schlitztrommeln, deren Schall weit über die Dörfer hinaus zu hören ist. Wenn heute die Männerhäuser viel von ihrer ursprünglichen Ausstattung verloren haben, so üben sie weiterhin eine Faszination aus, die wir von europäischen Sakralbauten kennen: Sie sind geheimnisvoll, oft dunkel, nur mit Respekt zu betreten und immer noch Aufbewahrungsort von Speeren, Masken, Trommeln, und Flöten. In manchen Dörfern dienen die Männerhäuser heute als Attraktion für die nicht sehr zahlreichen Touristen, die die dort ausgestellten Schnitzwerke kaufen sollen. In allen Gesellschaften am Sepik gibt es eine Kluft zwischen der Männer- und der Frauenwelt. Eine weitere Trennlinie verläuft innerhalb der Männergesellschaft zwischen denen, die initiiert sind, und denen, die noch lernen. Die mächtigsten, direkt mit den Ahnen eines Klans verknüpften Gegenstände dürfen ausschließlich Männer handhaben, die eine gewisse Stufe des esoterischen Wissens erreicht haben. Es handelt sich um Masken, Skulpturen, Musikinstrumente, Steine, Knochen oder polierte Muschelschalen. Diese heiligen Objekte tragen Namen, die niemals öffentlich ausgesprochen werden. Musikinstrumente sind in ihrem Klang in vielen Fällen die Verkörperung von Ahnen, so dass nur die Initiierten den Zugang zu ihrer Spielweise erhalten, ja das Erlernen der verschiedenen Instrumente wie Flöten, Schlitztrommeln, Schwirrhölzern oder anderen Schallgeräten ist Teil der einzelnen Initiationsstufen. Neben den die Welt der Männer bestimmenden Gegenständen des Krieges, der Jagd und der Arbeit in den Pflanzungen wird in der Ausstellung vor allem die wandelbare Gestalt der Ahnen präsentiert, die sich in dem Schmuck der Tanzenden äußert. Große Masken zeigen durch ihre Form deutlich das Prinzip der Hülle, das am Sepik vielen Erscheinungen zugrunde liegt. Dadurch wird der Vorgang der Verwandlung betont, denen die äußeren Dinge unterliegen. Nach den Überlieferungen der Bewohner vom mittleren Sepik haben die tanzenden Ahnen den Flusslauf des Sepik geschaffen, so wie heute ihre Nachfahren auf den Tanzplätzen vor den Männerhäusern die prächtigen Maskenkostüme tragen und ihre Ahnen verkörpern. Seite 14 / 25

4. Aktueller Forschungsstand aus dem Sepik-Gebiet 18. März 14. Juni 2015 Markus Schindlbeck, Berlin, März 2015 Die ab dem 18. März im Berliner zu sehende Ausstellung Tanz der Ahnen. rückt Kunstwerke aus Ozeanien erstmals nach langer Zeit wieder in den Mittelpunkt. 220 Kunstwerke sind zu sehen - die bedeutendsten Museen Europas sind beteiligt. Sie stammen überwiegend aus dem Gebiet am Mittel- und Unterlauf des Flusses Sepik und zeigen den aktuellen Forschungsstand hinsichtlich der Untersuchungen zu Ritual, ikonographischer Interpretation und historischer Rekonstruktion von Kulturen, deren Diversität auch in Papua-Neuguinea einmalig ist. Berlin war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Zentrum der Sepik-Forschung. 1886 sichteten der deutsche Kapitän Eduard Dallmann und der Naturforscher Otto Finsch an der Nordküste von Neuguinea erstmals die Mündung des Sepik-Flusses, den sie nach der Gemahlin des deutschen Kaisers Wilhelm I. "Kaiserin- Augusta-Fluss" nannten. Die Neu Guinea Compagnie, die die Verwaltung des Gebietes bis 1899 übernahm, führte die ersten wissenschaftlichen Expeditionen den Fluss hinauf aus. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden die ersten großen Sammlungen für die Museen in Berlin, Hamburg und Chicago angelegt. Vor allem die sehr große Sammlung für das Berliner Museum, von dem Berliner Adolf Roesicke zusammengetragen, mit ihren zahlreichen Alltagsgegenständen, aber auch mit ihren Masken und Schnitzereien, hat dazu beigetragen, dass dieses Gebiet von Neuguinea später ein wichtiger Ort für ausgedehnte ethnologische Forschungen werden sollte. Im Jahre 1913 wurde die erste katholische Missionsstation am Sepik in Marienberg errichtet. Gerade die Missionare des SVD-Ordens (Societas Verbi Divini) haben wesentliche Materialien zur Ethnographie des Sepik-Gebietes beigetragen, bis in die rezente Zeit, als vor kurzem eine Sammlung von Mythen des Missionars Hans Zgraggen (1932-2013) veröffentlicht wurde. So gehen nicht nur Sammlungen von Gegenständen, sondern auch von Fotografien und Dokumenten auf die jahrelange Anwesenheit der Missionare unterschiedlicher Nationalitäten zurück. Weltweit berühmt wurde der Sepik durch die Forschungen von Gregory Bateson (1904-1980) und Margaret Mead (1901-1978) in den 1930er Jahren, vor allem zu den Themen Ritual, Persönlichkeit, Gender und Kindererziehung. Beide haben jedoch auch ethnographische Sammlungen angelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte vor allem das Museum für Völkerkunde in Basel zusammen mit dem Ethnologischen Seminar der Universität Basel zu einem Zentrum der Sepik-Forschung werden. Während anfangs noch Sammlungsreisen im Vordergrund standen, erkannte Seite 15 / 25

man bald die Notwendigkeit längerer stationärer Feldforschung, um die für die Sammlungen notwendigen Hintergrundinformationen zu erhalten, wie es schon Felix von Luschan 1911 und Adolf Roesicke vom Berliner Museum als Zielsetzung formuliert hatten. Vor allem die Dörfer am mittleren Sepik erhielten nun detaillierte Monographien. Dem Sepik-Oberlauf wurde insgesamt weniger ethnologische Aufmerksamkeit geschenkt, was mit der geringeren Attraktivität für den europäischamerikanischen Kunstmarkt und der schwereren Zugänglichkeit zusammenhängt. Vereinzelt wurden aber auch hier in den 1960er und 70er Jahren von australischen, britischen, französischen und US-amerikanischen Ethnologen Forschungen durchgeführt. Eine Zusammenführung all dieser rezenten Forschungen fand in zwei von der Wenner-Gren Foundation finanzierten Symposien (Basel 1984, Mijas 1986) statt. Das Summer Institute of Linguistics hat neben anderen Linguisten aus Australien ebenfalls an zahlreichen Orten des Gebietes Sprachuntersuchungen ausgeführt. Da der Sepik-Unterlauf schon sehr früh durch den westlichen Einfluss und die Missionare verändert wurde, haben wir heute besonders für die Kulturen am unteren Sepik Lücken in der ethnographischen Information, die auch neuere Forschungen nicht mehr ausfüllen konnten. In dem letzten Jahrzehnt, von 2004-2010 hat ein Projekt am Oberlauf des Sepik unter der Leitung des Australiers Barry Craig versucht, das vorhandene Wissen über materielle Kultur, Ethnographie und Sprachforschung zusammenzuführen. Dabei entstand eine umfassende Datenbank mit Informationen zu über 11.000 Gegenständen in Museumssammlungen. Eine vergleichbare Arbeit zu den Kulturen am unteren und mittleren Sepik steht noch aus, auch wenn in den Vorbereitungen zur Ausstellung Tanz der Ahnen ebenfalls eine Datenbank mit mehreren Tausend Objekten entstanden ist. Wie wichtig heute diese Informationen auch für die Bevölkerung vom Sepik sind, hat Isaac Suafia, vom Oberlauf des Sepik stammend, deutlich formuliert: Das hilft uns zu verstehen wie unser Volk in der Vergangenheit gelebt hat. Aber auch die von Margaret Mead besuchten Orte wie Chambri am mittleren Sepik haben durch die Forschungen von Nicolas Garnier über Ritual und Kunst erneute Aufmerksamkeit bekommen. Die Frage nach der Korrelation zwischen sprachlicher und kultureller Vielfalt und ihrer gegenseitigen Abhängigkeit hat in diesen rezenten Projekten von Linguisten und Ethnologen eine herausragende Rolle gespielt. Das Sepik-Gebiet mit über 200 Sprachen stellt in Neuguinea einen besonderen Fall der Diversität und Fragmentierung dar. Da sehr viele dieser Sprachen heute durch die Einflüsse von außen bedroht sind, ist es eine besonders dringende Aufgabe, diese oft nur noch von Wenigen gesprochenen Sprachen zu dokumentieren und ihre Kulturen, auch mit ihren Veränderungen, festzuhalten. Aber auch die in den Museen lagernden Kulturgüter aus dem mittleren und unteren Sepik-Gebiet sind trotz vieler Vorarbeiten, wie z.b. in dem vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Projekt aus den 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Erfassung der materiellen Seite 16 / 25

Kultur der Iatmul, in ihrem gesamten Umfang erst partiell bearbeitet worden. Besonders die schon dokumentierte reiche mündliche Überlieferung, vor allem vom mittleren Sepik, wird erst in den kommenden Jahren zu einer Veröffentlichung gelangen. Seite 17 / 25

5. Drei Fragen an den Kurator 18. März 14. Juni 2015 1. Vielerorts wird über Provenienzforschung gesprochen Woher stammen die ausgestellten Objekte? Die Gegenstände der Ausstellung stammen alle von europäischen Museen, dabei ist ein größerer Teil aus dem ehemaligen Museum für Völkerkunde Basel und dem ehemaligen Museum für Völkerkunde in Berlin. Weitere Gegenstände sind aus München, Stuttgart, Frankfurt, Köln, Bremen, St. Augustin, Dresden, Lübeck, Rom, Paris, Cambridge, Leiden. Es befinden sich keine Gegenstände aus privaten Sammlungen dabei. Bei der Auswahl der Gegenstände wurde sehr darauf geachtet, dass man eine möglichst genaue Provenienz nachvollziehen kann, d.h. man genau feststellen kann, aus welchem Ort und von welchem Sammler der Gegenstand stammt. Dies war jedoch nicht in allen Fällen immer möglich. Die Sammlungen aus Berlin, aber auch aus Dresden und Lübeck teilweise, gehen auf eine größere Expedition zurück, die vom Berliner Museum 1912-13 ausgerichtet wurde. Damals war das Sepik-Gebiet vor allem in dem Bereich seiner Nebenflüsse noch terra incognita. Das bedeutet, dass es auch noch keine westlichen Zahlungsmittel gab, wie dies in anderen Teilen Neuguineas, die damals unter deutscher Kolonialverwaltung standen, durchaus schon der Fall war. So konnte man z.b. in Neuirland bestimmte Gegenstände schon 1910 nur gegen Geld erwerben. Am Sepik hingegen wurden vor 1914 die Gegenstände im Tausch erworben, meistens Eisenwaren, weil diese den höchsten Wert für die Indigenen darstellten. Zahlreiche Gegenstände, die die Europäer erwerben wollten, konnten sie allerdings auch nicht sammeln, weil die Indigenen sie nicht hergeben wollten, wie z.b. bestimmte Schmuckgegenstände. Man kann also mit Recht sagen, dass die Gegenstände im Tausch erworben wurden. Dies änderte sich für Sammlungsreisen nach 1920, als es nur noch möglich war, gegen australische Währung Gegenstände zu erwerben, dies betrifft vor allem die Sammlungen aus Basel, aber auch aus Leiden, Cambridge und Paris. 2. Lange Zeit dominierte in ethnologischen Museen ein eurozentristischer Blick; in den letzten Jahrzehnten distanzierte sich die Wissenschaft davon. Sie selbst sind im Schwarzwald geboren, in Sizilien aufgewachsen und waren für zwei längere Expeditionen in Neuguinea. Von welchem Blick haben Sie sich beim Konzipieren der Ausstellung leiten lassen? Es gibt heute ein Nationalmuseum in der Hauptstadt von Papua-Neuguinea, dessen Ausstellungen sich nicht grundsätzlich von denen in westlichen Museen unterscheiden. Vor Kurzem wurde eine kleinere Ausstellung zum Sepik in Cambridge gezeigt, die von Seite 18 / 25

einem Ethnologen aus Papua-Neuguinea gemacht worden ist. Auch diese unterschied sich nicht im Wesentlichen von bisherigen westlichen Ausstellungen. Die Ausstellung ist einerseits sicherlich auch unter dem westlicheuropäischen Gesichtspunkt der Kunst, der ästhetischen Herangehensweise, zu sehen. Andererseits haben die Kuratoren der Ausstellung, die über lange Jahre der Feldforschungserfahrung in Papua-Neuguinea verfügen, in die Konzeption der Ausstellung zentrale ethnische Sichtweisen einfließen lassen, besonders in der Behandlung der Frage nach der Präsenz der Ahnen und ihrer Geheimnisse, so dass die Ausstellung eben nicht nur eine Kunstausstellung ist, wie sie eine beliebige Galerie auch hätte machen können. Nur das Wissen von der multivokalen Bedeutung einzelner Gegenstände kann diesen heute gerecht werden. Dieses Wissen kann man nicht in einem beliebigen Kunstbuch nachlesen. Dazu benötigt man lange Partizipation im Alltag und im sakralen Bereich, um eine den indigenen Vorstellungen nahekommende Bewertung der Gegenstände ausführen zu können. Die Ausstellung vermittelt zudem die wissenschaftlichen Kenntnisse, die sich in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ergeben haben, um sie in eine Zusammenschau zu führen. Eine Ausstellung heute sollte vor allem den Respekt gegenüber diesen Werken im Einzelnen hervorheben und sie nicht zu beliebigen Instrumenten ideologischer Vorstellungen degradieren oder zu Spielereien von so genannten zeitgenössischen Künstlern, wie dies in den letzten Jahren in einigen europäischen Museen geschehen ist. Gerade in Ländern wie Neuseeland oder auch in Kanada ist heute deutlich, dass die Indigenen einen Respekt vor den Werken ihrer Vorfahren erwarten, die sich in den Sammlungen befinden. Die Ausstellung wird hierfür ein Beispiel sein. 3. Am Ausstellungskonzept des Humboldt-Forums wird derzeit noch gearbeitet. Kann die Ausstellung den Besuchern eine Vorstellung geben was sie im Humboldt-Forum erwartet? Die Ausstellung hätte man in die 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkrieges- Ausstellungen einbauen können, ist doch der letzte Teilnehmer der großen Kaiserin- Augusta-Fluss-Expedition erst bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges von seinen Entdeckungsfahrten vom Oberlauf des Sepikstromes zurückgekommen, um dann von den Australiern inhaftiert zu werden, so dass seine für Berlin bestimmten Sammlungen beschlagnahmt wurden. Teile davon kamen erst in den zwanziger Jahren nach Berlin. Von den jetzt in Dahlem gezeigten Gegenständen aus dem Sepik-Gebiet, die erstmals 1926 im neu eröffneten damaligen Museum für Völkerkunde, unmittelbar neben dem von heute, gezeigt worden sind, in sehr großen prächtigen Vitrinen, und die dann ebenso zahlreich auch nach 1970 in Dahlem zu sehen waren, werden nur Bruchteile im Humboldt-Forum zu sehen sein, weil dort für die Sammlungen zu wenig Platz und weil auch die nötige Finanzierung für entsprechende Vitrinen nicht vorhanden ist. Die Ausstellung wird daher wohl zum letzten Mal in Berlin auf diese große und sehr wertvolle Sammlung im Detail eingehen können und sie in ihrer vielgefächerten Bedeutungsstruktur dem Publikum nahe bringen. Die Ausstellung basiert auf langjährigen wissenschaftlichen Expeditionen und Feldforschungen von Ethnologen, wie sie heute in den Institutionen wie den Museen nicht mehr möglich sind. Jedoch nur diese können das Material liefern, um die Sammlungen zum Sprechen zu bringen. Daher wird die Ausstellung auch einen Anstoß dazu bieten, diese langjährige Seite 19 / 25

Tradition der Museen wieder aufzugreifen und neue Inhalte zu erschließen, wenn all die Spiegelungen des Eigenen und die Betonung auf Zeitgenössisches offenstellen werden, dass wahre Inhalte erst einen Weg ergeben. Seite 20 / 25