4. Bin ich vielleicht nur ein Gehirn im Tank?



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Transkript:

Virtuelle Realität 4. Bin ich vielleicht nur ein Gehirn im Tank? Unter virtueller, also scheinbarer Realität versteht man eine vom Computer simulierte, als dreidimensional erscheinende Umgebung, in die sich der Benutzer "hineinbegeben" kann. Das "Betreten" und "Durchschreiten" solcher virtuellen Umgebungen erfordert die Verwendung einer stereoskopischen Brille und eines Datenhandschuhs, die beide mit dem Computer verbunden sind. Die Brille besteht aus zwei kleinen Bildschirmen, auf denen dem Betrachter räumlich wirkende Objekte gezeigt werden. Der Benutzer kann sich scheinbar selbst durch den simulierten Raum fortbewegen. Virtuelle Realität Virtuelle Realität Frage Ist es denkbar, dass die Welt, wie sie uns erscheint, nur eine virtuelle Realität ist eine Realität, die uns nur vorgegauckelt wird, die tatsächlich aber gar nicht so ist, wie sie uns erscheint? Descartes ist vielleicht der erste, der diese Möglichkeit eindringlich analysiert hat.

Das Ziel Schon vor Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen habe und wie zweifelhaft alles sei, was ich später darauf gründete, darum war ich der Meinung, ich müsse einmal im Leben von Grund auf alles umstürzen und von den ersten Grundlagen an ganz neu anfangen, wenn ich später einmal etwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften errichten wollte. (AT VII, 17; dt. 63 Hervorh. vom Vf.) Das Ziel Sicheres Wissen = Überzeugungen, die in dem Sinne unbezweifelbar sind, dass sie sich unter keinen Umständen als falsch erweisen können Frage Welche Überzeugungen gehören dazu? Welche nicht? Teilfrage 1 Wie ist es mit Überzeugungen, die auf dem Zeugnis der Sinne beruhen (Wahrnehmungsüberzeugungen)? Erster Zweifelsgrund Alles [ ], was ich bis heute als ganz wahr gelten ließ, empfing ich unmittelbar oder mittelbar von den Sinnen; diese aber habe ich bisweilen auf Täuschungen ertappt, und es ist eine Klugheitsregel, niemals denen volles Vertrauen zu schenken, die uns auch nur ein einziges Mal getäuscht haben. (AT VII, 18; dt. 65) Erster Zweifelsgrund Überzeugungen, die auf Sinneserfahrungen beruhen, sind nicht unbezweifelbar. Denn unter ungünstigen Bedingungen scheinen uns die Dinge manchmal so-und-so zu sein, obwohl sie nicht so sind.

Was ist ein Zweifelsgrund? Zweifelsgründe sind Umstände, in denen alle epistemischen Anhaltspunkte, die wir haben (z.b. die Erfahrungen, die wir machen), dafür sprechen, dass die Dinge so-und-so sind, obwohl die Dinge tatsächlich nicht so sind. Heute nennt man solche Umstände skeptische Alternativen. Beispiel Fritz geht mit seinem Onkel Karl in den Zoo. Dort kommen sie zum Gehege der Zebras, in dem sich einige Tiere befinden, die genau wie Zebras aussehen. Und am Gitter des Geheges steht auch Zebras. Also sagt Karl: Schau mal Fritz; das sind Zebras. Frage Weiß Karl wirklich, dass es sich hier um Zebras handelt? Skeptische Alternative Um sich einen Spaß zu machen, haben die Zoowärter die Zebras gegen Maultiere ausgetauscht, die sie wie Zebras angemalt haben. Einwand gegen den ersten Zweifelsgrund Indessen, wenn uns auch die Sinne zuweilen über kleine und ferner liegende Gegenstände täuschen, so ist doch an den meisten andern zu zweifeln gar nicht möglich, ungeachtet ihres sinnlichen Ursprungs; so z.b., daß ich hier bin am Ofen sitze, meinen Winterrock anhabe, dieses Papier mit den Händen berühre und dergleichen. Mit welchem Recht könnte ich leugnen, daß diese Hände, dieser ganze Körper mein sind? ich müßte mich denn mit gewissen Verrückten vergleichen [ ]. (AT VII, 18f.; dt. 65)

Einwand gegen den ersten Zweifelsgrund Manchmal ist doch völlig klar, dass die Umstände nicht ungünstig sind. Und wenn das der Fall ist, habe ich keinen Grund, meine Wahrnehmungsüberzeugungen anzuzweifeln. Wann ist eine Überzeugung unbezweifelbar? Eine Überzeugung ist unbezweifelbar, wenn es für sie keinen möglichen Zweifelsgrund gibt oder wenn ich ausschließen kann, dass ein möglicher Zweifelsgrund tatsächlich realisiert ist. Zweiter Zweifelsgrund Gut so! aber bin ich denn nicht ein Mensch, der nachts zu schlafen pflegt und dann alles das, und manchmal noch viel Unglaublicheres, im Traum erlebt wie jene im Wachen? Wie oft erst glaube ich gar nachts im Traume ganz Gewöhnliches zu erleben; ich glaube hier zu sein, den Rock anzuhaben und am Ofen zu sitzen und dabei liege ich entkleidet im Bett! (AT VII, 19; dt. 65) Einwand gegen den zweiten Zweifelsgrund Jetzt aber schaue ich sicherlich mit ganz wachen Augen auf dieses Papier. Dieser Kopf, den ich bewege, ist nicht vom Schlaf umfangen. Mit Überlegung und Bewußtsein strecke ich diese Hand aus und empfinde dies auch. So deutlich würde ich nichts im Schlaf erleben. (AT VII, 19; dt. 65/67)

Erwiderung Ja, aber erinnere ich mich denn nicht, daß ich auch von ähnlichen Gedanken in Träumen getäuscht worden bin? Während ich aufmerksamer hierüber nachdenke, wird mir ganz klar, daß nie durch sichere Merkmale der Schlaf vom Wachen unterschieden werden kann, und dies macht mich so stutzig, daß ich gerade dadurch fast in der Meinung zu träumen bestärkt werde. (AT VII, 19; dt. 67) Also Wahrnehmungsüberzeugungen sind nicht unbezweifelbar. Denn wenn ich träume, scheinen mir die Dinge so-undso zu sein, obwohl sie nicht so sind. Und Ich kann niemals Schlafen und Wachen verlässlich voneinander unterscheiden. D.h., ich kann nicht ausschließen, dass dieser Zweifelsgrund tatsächlich realisiert ist. Das ist nicht die ganze Geschichte Hinzu kommen noch jene beiden allgemeinen Zweifelsgründe, die ich neulich anführte. Erstens nämlich kann ich alles, was ich wachend zu empfinden glaube, wohl auch im Schlaf erleben. Nun glaube ich aber nicht, dass das dem Anschein nach im Schlaf Erlebte wirklich von außerhalb von mir liegenden Dingen herrührt, und so sah ich nicht ein, warum ich dies eher von den Empfindungen glauben soll, die ich offenbar im Wachen habe. (AT VII, 77; dt. 187) Der Kern des Traumarguments in der Version der 6. Meditation Wenn wir träumen entsprechen unsere Erfahrungen nicht der Wirklichkeit, weil sie nicht von der Wirklichkeit hervorgerufen werden. Haben wir irgendeinen Grund zur Annahme, dass das im Wachen anders ist?

Welche Überzeugungen werden durch das Traumargument tangiert und welche nicht? Die geträumte Welt hat mit der wirklichen Welt doch vieles gemeinsam. Sie besteht aus ausgedehnten Gegenständen mit einer bestimmten Gestalt und Anzahl, die sich an einem bestimmten Ort befinden und eine bestimmte Dauer haben. Welche Überzeugungen werden durch das Traumargument tangiert und welche nicht? Einige sehr allgemeine Überzeugungen, die sich auf diese einfachen und allgemeinen Dinge beziehen, werden durch die Möglichkeit des Traums also nicht berührt. Und außerdem: Auch im Traum ist die Summe von zwei und drei fünf und die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad. Welche Überzeugungen werden durch das Traumargument tangiert und welche nicht? Bezogen auf die einzelnen Wissenschaften bedeutet das: Die Ergebnisse der Physik, Astronomie, Medizin und aller Wissenschaften, die von der Betrachtung der zusammengesetzten Körper abhängen (AT VIII 20; dt. 69), werden durch die Möglichkeit des Traumes zweifelhaft. Arithmetik, Geometrie und vergleichbare Wissenschaften werden durch diese Möglichkeit aber nicht beeinträchtigt. Dritter Zweifelsgrund Warum aber soll [Gott] es nicht etwa so eingerichtet haben, daß es überhaupt gar keine Erde, keinen Himmel, nichts Ausgedehntes, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt und daß trotzdem alles dies mir genauso wie jetzt da zu sein scheint? Wäre es nicht sogar möglich, daß ich mich irre, sooft ich zwei und drei addiere oder die Seiten des Quadrats zähle oder bei irgend etwas anderem, womöglich noch Leichterem; ganz wie meiner Meinung nach die Leute bisweilen in Sachen irren, die sie aufs allergenaueste zu kennen meinen? (AT VIII 21; dt. 69/71)

Dritter Zweifelsgrund Ich will also annehmen, daß nicht der allgütige Gott, der die Quelle der Wahrheit ist, sondern ein ebenso böser wie mächtiger und listiger Geist all sein Bestreben darauf richtet, mich zu täuschen; [ ] (AT VIII 22; dt. 73) Dritter Zweifelsgrund Wenn es einen ebenso bösen wie mächtigen und listigen Geist gibt, der all sein Bestreben darauf richtet, mich zu täuschen, dann sieht wie es scheint meine epistemische Situation immer so aus, dass alle Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das, was ich glaube wahr ist, obwohl es in Wirklichkeit falsch ist. Und Wie soll ich ausschließen, dass es einen solchen ebenso bösen wie mächtigen Geist tatsächlich gibt? Konsequenz Nicht nur alle Wahrnehmungsüberzeugungen, auch alle Überzeugungen, zu denen wir allein durch rationales Denken gekommen sind, scheinen zweifelhaft zu sein. Denn beim rationalen Denken folgen wir gewissen Regeln. Und der böse Geist kann es doch so eingerichtet haben, dass die Anwendung dieser Regeln immer zu falschen Überzeugungen führt. Konsequenz Auch die Ergebnisse der Arithmetik, der Geometrie und vergleichbarer Wissenschaften scheinen zweifelhaft. Frage Gibt es überhaupt Überzeugungen, die nicht zweifelhaft sind?

Descartes Antwort Ja. Zumindest die Überzeugung, dass ich existiere, ist unbezweifelbar wahr. Aber ich habe in mir die Annahme gefestigt, es gebe gar nichts in der Welt, keinen Himmel, keine Erde, keine Geister, keine Körper: also bin doch auch ich nicht da? Nein, ganz gewiß war Ich da, wenn ich mich von etwas überzeugt habe. Aber es gibt irgendeinen sehr mächtigen, sehr schlauen Betrüger, der mit Absicht mich immer täuscht. Zweifellos bin also auch Ich, wenn er mich täuscht; mag er mich nun täuschen, soviel er kann, er wird doch nie bewirken können, daß ich nicht sei, solange ich denke, ich sei etwas. Nachdem ich so alles genug und übergenug erwogen habe, muß ich schließlich festhalten, daß der Satz, Ich bin, ich existiere, sooft ich ihn ausspreche oder im Geiste auffasse, notwendig wahr sei. (AT VII, 25; dt. 79) Merke In dieser Passage kommt das berühmte Ich denke, also bin ich ( cogito ergo sum, je pense, donc je suis ) nicht vor. Der entscheidende Punkt ist also nicht, dass ich meine Existenz aus meinem Denken ableiten kann. Der entscheidende Punkt ist vielmehr Für die Überzeugung, dass ich existiere, ist selbst der Zweifelsgrund des bösen Geistes irrelevant! Warum? Selbst der böswilligste Geist kann nicht erreichen, dass ich nicht existiere, wenn und solange ich denke, dass ich existiere.

Denn Der Gedanke, dass ich existiere, ist selbstverifizierend. Er muss wahr sein. Denn wenn er nicht wahr wäre, könnte ich ihn gar nicht haben. Aus der Tatsache, dass ich ihn habe, folgt also, dass er wahr ist. Ein anderes Beispiel Auch der Gedanke, dass ich denke, ist selbstverifizierend. Denn wenn ich ihn denke, denke ich natürlich! Warum ist der Gedanke, dass ich existiere, ist selbstverifizierend? Immer wenn jemand sagt oder denkt Ich, bezieht er sich mit dem Wort ich auf sich selbst auf den, der das sagt oder denkt. Wenn jemand denkt Ich bin reich, dann kann daher das, was er denkt, zwar falsch sein; denn es kann sein, dass er nicht reich ist. Es ist aber unmöglich, dass sich das Wort ich in diesem Gedanken auf nichts bezieht. Denn es bezieht sich automatisch auf den, der diesen Gedanken hat. Warum ist der Gedanke, dass ich existiere, ist selbstverifizierend? Wenn jemand denkt Ich existiere, kann er sich daher überhaupt nicht irren. Denn er könnte diesen Gedanken gar nicht haben, wenn er nicht wahr wäre. Auch der Gedanke Ich existiere garantiert also seine eigene Wahrheit. Solange ich diesen Gedanken fasse, kann selbst der böswilligste Geist ihn nicht falsch machen. Descartes selbst sieht das etwas anders Für ihn liegt die Unbezweifelbarkeit des Gedankens Ich existiere darin, dass ich seine Wahrheit klar und deutlich erfasse.

Descartes selbst sieht das etwas anders Ich bin sicher, daß ich [existiere und daß ich] ein denkendes Ding bin; weiß ich also nicht auch, was dazu gehört, damit ich einer Sache sicher bin? Es ist doch in jener ersten Erkenntnis nichts anderes enthalten als eine klare und deutliche Auffassung dessen, was ich behaupte. [ ] Somit darf ich als allgemeine Regel festsetzen, dass alles das wahr ist, was ich ganz klar und deutlich auffasse (valde clare & distincte percipio). (AT VII, 35; dt. 99/101) Descartes Wahrheitskriterium Alles, was ich klar und deutlich erfasse, ist wahr. Problem Ist das wirklich so? Könnte mich ein böswilliger Geist nicht sogar in dem täuschen, was ich mit größter Klarheit und Deutlichkeit erfasse? Sooft diese vorgefaßte Meinung von Gottes Allmacht mir begegnet, muß ich allerdings gestehen, daß Gott, wenn er nur wollte, es leicht zuwege brächte, daß ich mich irrte, selbst in Dingen, die ich mit meinen geistigen Augen aufs klarste zu erschauen meine. Wende ich mich dann aber den Dingen selbst zu, die ich ganz klar wahrzunehmen glaube, dann werde ich jedesmal ganz von ihnen überzeugt, so daß ich unwillkürlich in die Worte ausbreche: Täusche mich, wer es vermag! das wird er doch niemals zuwege bringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, ich sei etwas; oder daß es zu irgendeiner Zeit wahr wäre, daß ich nie gewesen, da ich doch nun wahrhaftig bin; oder auch, daß zwei und drei zusammen mehr oder weniger ergeben als fünf und dergleichen, denn darin erkenne ich einen offenbaren Widerspruch.

Da ich nun sicherlich keine Veranlassung zu der Annahme habe, es sei ein Gott, der mich täuscht; ja da ich nicht einmal sicher weiß, ob es überhaupt einen Gott gibt, so ist der Zweifelsgrund, der sich lediglich auf diese Annahme stützt, sehr schwach und sozusagen metaphysisch. Doch auch diesen letzten Zweifel will ich beseitigen und muß daher, sobald sich Gelegenheit dazu bietet, untersuchen, ob ein Gott ist, und falls er ist, ob er ein Betrüger sein kann. Solange ich nämlich dies nicht weiß, kann ich wohl überhaupt nie über irgend etwas sonst Gewißheit erlangen. (AT VII, 35f.; dt. 101/103) Descartes erster Gottesbeweis Ich finde in mir die Vorstellung (idea) Gottes also die Vorstellung eines Wesens, das alle Vollkommenheiten in sich vereinigt. Außerdem gilt Jede Ursache muss mindestens ebenso viel Realität besitzen wie ihre Wirkung. Bei Vorstellungen gilt sogar Die Ursache einer Vorstellung muss mindestens ebenso viel Realität besitzen wie das, was in dieser Vorstellung vorgestellt wird. Descartes erster Gottesbeweis Die Vorstellung Gottes in mir kann also nur von Gott selbst stammen. Also existiert Gott das Wesen, das alle Vollkommenheiten in sich vereinigt. Und dieser Gott kann kein Betrüger sein; denn das würde seiner Vollkommenheit widersprechen. Text für die nächste Woche René Descartes, Meditationen (3. Med, 13-16, 22-39; 6. Med, 1-14) Olaf Müller, Wer weiß, ob die Wirklichkeit wirklich wirklich ist?