DHS-Fachkonferenz Sucht Berlin 2005. Medikamentenmissbrauch und - abhängigkeit. Prof. Dr. Gerd Glaeske



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Transkript:

DHS-Fachkonferenz Sucht Berlin 2005 Medikamentenmissbrauch und - abhängigkeit Prof. Dr. Gerd Glaeske

Basisdaten aus unserem Gesundheitssystem Apotheken (2004) 21.392, 1 pro 3.875 Einwohner (NL 1 pro knapp 10.000 Einwohner) Verbrauch 1,5 Mrd. Packungen, 33 Mrd. Euro (2004) GKV 640 Mio. Packungen, 20,4 Mrd. Euro (2004) Selbstmedikation rund 660 Mio. Packungen, 4,5 Mrd. Euro Rest PKV und andere Arzneimittelmarkt ca. 48.000 verschiedene Arzneimittel

Tabelle 1: Der Arzneimittelmarkt im Jahre 2004 zu Endverbraucherpreisen (BAH, 2004) Status der Arzneimittel (AM) Mrd. Euro +/- % zu 2003 Anteil in % Rezeptpflichtige Arzneimittel 26,72-1 81 Verordnete rezeptfreie AM 1,54-45 5 Selbstmedikation mit rezeptfreien AM aus der Apotheke 4,34 + 10 13 Selbstmedikation mit rezeptfreien AM außerhalb der Apotheke 0,29-4 1 Gesamt 32,89-4 100

Tabelle 2: Der Arzneimittelmarkt im Jahre 2004 nach Packungsmengen (BAH, 2004) Status der Arzneimittel (AM) Mio. Packg. +/- % zu 2003 Anteil in % Rezeptpflichtige Arzneimittel 666-9 45 Verordnete rezeptfreie AM 155-42 10 Selbstmedikation mit rezeptfreien AM aus der Apotheke 581 + 4 39 Selbstmedikation mit rezeptfreien AM außerhalb der Apotheke 82-1 6 Gesamt 1.490-9 100

Tabelle 3: Die meistverkauften Arzneimittel in der Bundesrepublik 2004 (ohne Diabetes-Teststreifen) Rang Arzneimittel Umsatz in Packungen Anwendungsgebiet 1 Paracetamol-ratiopharm 19,5 Mio. Packg. (SM) 2 Nasenspray ratiopharm 17,6 Mio. Packg. (SM) 3 Thomapyrin (coffeinhaltig) 15,7 Mio. Packg. (SM) 4 Olynth 15,2 Mio. Packg. (SM) 5 Bepanthen 14,6 Mio. Packg. (SM) 6 ACC Hexal 14,1 Mio. Packg. (SM) 7 Aspirin 13,7 Mio. Packg. (SM) 8 ASS ratiopharm 12,7 Mio. Packg. (SM) 9 Voltaren 11,2 Mio. Packg. (Rp) 10 Aspirin plus C 11,1 Mio. Packg. (SM) 11 Voltaren Schmerzgel 10,6 Mio. Packg. (SM) 12 Dolormin 9,6 Mio. Packg. (SM) 13 Mucosolvan 9,0 Mio. Packg. (SM) 14 Otriven 7,6 Mio. Packg. (SM) 15 L-Thyroxin Henning 7,8 Mio. Packg. (Rp) 16 Sinupret 7,2 Mio. Packg. (SM) 17 Umckaloabo 6,9 Mio. Packg. (SM) 18 Dulcolax 6,8 Mio. Packg. (SM) 19 Diclofenac-ratiopharm 6,4 Mio. Packg. (Rp) 20 Grippostad C 5,6 Mio. Packg. (SM) Gesamtmenge Packungen 2004 1.492,3 Mio. Packg. (-5,1%) SM = vor allem Selbstmedikation, nicht rezeptpflichtig, Rp = rezeptpflichtig Schmerzen, Fieber Schnupfen Schmerzen Schnupfen z. B. Wundheilung Hustenlöser Schmerzen Schmerzen Rheumatische Beschwerden Schmerzen Rheumatische Beschwerden Schmerzen Hustenlöser Schnupfen Schilddrüsenhormone Erkältung/Nebenhöhlenentzündung Pflanzliches Antibiotikum Abführmittel Rheumatische Beschwerden Grippale Infekte

Tabelle 4: Die umsatzstärksten Arzneimittel in der Bundesrepublik 2004 (ohne Diabetes-Teststreifen) Rang Arzneimittel (Hersteller) Industrieumsatz in Mio. Anwendungsgebiet 1 Sortis (Pfizer) 320 Mio. (rp.) 2 Durogesic (Janssen/Cilag) 234 Mio. (BTM) 3 Pantozol (Altana) 196 Mio. (rp.) 4 Nexium Mups (Astra) 191 Mio. (rp) 5 Plavix (Sanofi) 175 Mio. (rp.) 6 Iscover (BMS) 146 Mio. (rp) 7 Rebif (Serono) 134 Mio. (rp) 8 Viani (Glaxo) 132 Mio. (rp.) 9 Glivec 127 Mio. (rp) 10 Zyprexa 125 Mio. (rp) 11 Omep (Hexal) 118 Mio. (rp.) 12 Betaferon (Schering) 116 Mio. (rp) 13 Enbrel 109 Mio. (rp) 14 Symbicort 108 Mio. (rp) 15 Omeprazol-ratiopharm 104 Mio. (rp) 16 Fosamax (MSD) 103 Mio. (rp) 17 Lantus 96 Mio. (rp) 18 Spiriva 91 Mio. (rp) 19 Simvahexal 90 Mio. (rp) 20 Avonex 88 Mio. (rp.) Gesamtumsatz Pharmaindustrie 2004 20.660 Mio. Euro (+4,1%) SM = vor allem Selbstmedikation, nicht rezeptpflichtig, Rp = rezeptpflichtig Zu hohe Cholesterinwerte Bei starken Schmerzen z.b. Magen-Darm-Geschwüre z.b. Magen-Darm-Geschwüre Mittel gegen Thrombosebildung Mittel gegen Thombosebildung Multiple Sklerose Asthma Krebsarzneimittel Atypischer Neuroleptikum z.b. Magen-Darm-Geschwüre Multiple Sklerose Rheumatoide Arthritis Bei Asthma z.b. Magen-Darm-Geschwüre Bei Osteoporose Analoginsulin COPD Zu hohe Cholesterinwerte Multiple Sklerose

Tabelle 5: Beispiele für Schmerzmittel mit einem möglichen Missbrauchspotenzial (2004) Rezeptpflichtige Mittel (mit Tilidin und Naloxon bzw. Tramadol) Präparat Packungsme nge Nicht-Rezeptpflichtige Mittel (Koffeinhaltig) Präparat Packungsmenge Valoron N 1,9 Mio. Thomapyrin 13,9 Mio. Tramadolor Hexal 1,4 Mio. Vivimed mit Coffein 2,1 Mio. Tramadol-ratio 1,1 Mio. Neuralgin 1,9 Mio. Tramal 1,1 Mio. Titralgan 1,4 Mio. Tilidin 0,8 Mio. Neuranidal 1,2 Mio. Optalidon N 0,8 Mio.

Hintergrund Benzodiazepine - erstes Entzugssyndrom 1961 beschrieben - besonders Ältere und Frauen betroffen - (dauerhaftes) Absetzen sehr schwierig - kurzfristiger, vorübergehender Einsatz (ca. 4 Wochen) empfohlen - keine Evidenz für längeren Gebrauch vgl. Campbell et al. 1999; Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie 2002; Holbrook et al. 2000; Madhusoodanan & Bogunovic 2004; Wolter-Henseler 1999

Tabelle 5: Die meist verkauften Schlaf- und Beruhigungsmittel 2004 (rp = rezeptpflichtig) RangName Wirkstoff(e) Packg. in (Mio.) Missbrauchs-/Abhängigkeitspotenzial 1 Hoggar N Doxylamin 2,4 Eher nicht 2 Zopiclon Ratio rp. Zopiclon 1,2 + (bis ++) 3 Stilnox rp. Zolpidem 1,0 + (bis ++) 4 Noctamid rp Lormetazepam 0,9 +++ 5. Betadorm D Diphenhydramin 0,8 Eher nicht 6. Radedorm rp Nitrazepam 0,7 +++ 7. Zolpidem-ratio rp Zolpidem 0,7 + (bis ++) 8. Ximovan rp Zopiclon 0,6 + (bis ++) 9. Schlafsterne ret. Doxylamin 0,6 Eher nicht 10. Zolpidem Stada rp Zolpidem 0,6 + (bis ++) 11. Lendormin rp Brotizolam 0,6 +++ 12. Flunitrazepam ratio rp Flunitrazepam 0,5 +++ 13. Bikalm rp Zolpidem 0,4 + (bis ++) 14. Remestan Temazepam 0,4 +++ 15. Zopiclon ct rp Zopiclon 0,4 + (bis ++) 16. Planum rp Temazepam 0,4 +++ 17. Rohypnol rp Flunitrazepam 0,4 +++ 18. Zopiclon Stada rp Zopiclon 0,4 + (bis ++) 19. Dalmadorm rp Flurazepam 0,3 +++ 20. Halcion Triazolam 0,3 +++

Tabelle 6: RangName Die meist verkauften Tranquilizer 2004 (alle rp) Wirkstoff(e) Packg. in (Mio.) Mißbrauchs- /Abhängigkeitspotenzial 1. Diazepam-ratiopharm Diazepam 1,9 +++ 2. Tavor Lorazepam 1,3 +++ 3. Adumbran Oxazepam 1,1 +++ 4. Oxazepam-ratiopharm Oxzepam 1,0 +++ 5. Bromazanil-Hexal Bromazepam 0,9 +++ 6. Normoc Bromazepam 0,5 +++ 7. Lexotanil 6 Bromazepam 0,4 +++ 8. Faustan Diazepam 0,4 +++ 9. Lorazepam-neurax Lorazepam 0,4 +++ 10. Tranxilium Dikaliumclorazepat 0,3 +++ 11. Tafil Alprazolam 0,3 +++ 12. Durazanil Bromazepam 0,3 +++ 13. Oxa von ct Oxazepam 0,3 +++ 14. Lorazepam ratio Lorazepam 0,3 +++ 15. Praxiten Oxazepam 0,2 +++

Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Benzodiazepine sind nach wie vor in der Therapie Mittel der Wahl: bei Angst- und Panikattacken, prä-operativ als Muskelrelaxans, als krampflösendes Mittel, auch bei Fieberkrämpfen bei Kindern, auch als Hypnotika Franco Basaglia (1973): Richtig eingesetzt sind Psychopharmaka Mittel der Befreiung, falsch eingesetzt Mittel der Unterdrückung Bestimmungsgemäßer Gebrauch muss im Vordergrund stehen (Zulassungshinweise beachten, z.b. empfohlenen Anwendung 8 14 Tage) Bei der Verordnung bereits möglichen Missbrauch verhindern

Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? GKV-Daten unterschätzen das Problem, viele Verordnungen auf Privatrezept (Unterschiede zwischen GKV-Verordnungen und Herstellerproduktion bis zu 34%) Aufmerksamkeit ist vor allem bei Frauen ab dem 45. Lebensjahr erforderlich, weil es leicht zu Dauertherapien kommt Einzelne Gerichtsverfahren zeigen das Problem für ÄrztInnen bei einer Dauerverordnung mit Abhängigkeitsentwicklung (Bremen 2003) Benzo-Praxen asymmetrisch verteilt Schwerpunktpraxen, 12% verordnen 54% der Menge

... Die Verschreibung der Benzodiazepine auf einem Privatrezept ist eine gängige Praxis, der Arzt belastet sein Budget nicht, die Krankenkasse hat keine Möglichkeit der Kontrolle, und der Patient kommt auf jeden Fall wieder zum Arzt, um sein Medikament zu bekommen....

Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Informationen über Abhängigkeit schon immer defizitär Nebenwirkungsmeldungen selten, Regulationen oftmals zu spät, Low-Dose-Dependency als neue Kategorie Nicht konsequent genug bei Wirkstofffamilien: Tranquilizer, Hypnotika oder Muskelrelaxantien vom Benzodiazepin-Typ Mangelnde Herstellerverantwortung: Bei AN 1 (rp. seit Beginn der 70er Jahre wegen Abhängigkeit bei Jugendlichen) wurde der Hinweis auf psych. Abhängigkeit nicht erwähnt (RO LI 2003) Werbung mit geringer Abhängigkeitsproblematik bei neuen Schlafmitteln (Zolpidem (BTM wie Benzos), Zopiclon, Zaleplon) oder Hinweise pflanzliche Alternativen

Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Neue Hinweise über Entzugserscheinungen bei Antidepressiva ernst nehmen, vor allem bei Wirkstoffen wie Paroxetin (z.b. Seroxat), Fluvoxamin (z.b. Fevarin), Fluoxetin (z.b. Fluctin), Sertralin (z.b. Zoloft) u.a. (DTB 2000) Zwar keine substanzbedingte Abhängigkeitsgefahr, aber evtl. Erklärung für die Schwierigkeit, die Einnahme zu beenden Insgesamt besteht geschätzt bei 6 8% aller Verordnungen ein Abhängigkeitspotential, Mißbrauchspotential deutlich höher Pychotrope Arzneimittel besonders im Mittelpunkt, aber auch Mittel mit somatischen Auswirkungen nicht unterschätzen (Abführmittel, lokale α-sympathomimetika u.a.)

Arzneimittelversorgung (DDD p.c.) für Frauen und Männer Unterschiede (%) nach Indikationsgruppen (Quelle AVR) Mehrverbrauch an DDD je Versicherter gegenüber dem anderen Geschlecht 1995 (gesamte Bundesrepublik) Schilddrüsentherapeutika Migränemittel Venentherapeutika Mineralstoffpräparate Antihypotonika Hypnotika/Sedativa Psychopharmaka Diuretika Kardiaka Ophthalmika Antihypertonika Durchblutungsförd. Mittel Analgetika/Antirheumatika Vitamine Antidiabetika Dermatika Beta-Rezeptorenbl./Ca-Antag./ACE-Hemmer Magen-Darm-Mittel Koronarmittel Antitussiva/Expektorantia usw. Antibiotika/Chemotherapeutika Antimykotika Karies- u. Parodontosemittel Rhinologika Lipidsenker Broncholytika/Antiasthmatika Gichtmittel Urologika 27 25 23 21 19 17 15 13 11 9 7 5 3 1 Männer Frauen 0 50 100 150 200 250 Mehrverbrauch in %

Einnahme von Medikamenten in den letzten 6 Wochen (Befragung von 174 Mädchen und 125 Jungen im Alter von 13 bis 16 Jahren; nach A. Butt-Behrmann, 2004, Publikation 2005); Angaben in % Weiblich Männlich Täglich / 1-2 mal pro Woche Täglich / 1-2 mal pro Woche Erkältungs-/Grippemittel 14,2 5,6 Kopfschmerzmittel 18,8 4,0 Mittel gegen Allergien 11,8 13,6 Mittel für die Lunge / Bronchien 7,8 9,6 Herz-Kreislaufmittel 7,1 - Beruhigungs-/Schlafmittel 5,4 - Anregungsmittel 1,8 - Schlankheitsmittel 5,4 - Mittel zur Verdauungsförderung 2,9 - Schmerzmittel 19,4 1,6 Mittel gegen Magenbeschwerden 6,0 - Vitaminpräparate 17,0 12,1 Mittel gegen Menstruationsbeschwerden 18,2 -

Kinder, Jugendliche und Arzneimittel Arzneimittel sind schon frühzeitig Begleiter für Kinder und Jugendliche verordnet und gekauft Die Arzneimitteleinnahme ist auffällig unterschiedlich Alter und Geschlecht Vor allem Schmerzmittel sind im Rahmen der Pubertät häufig angewendete Arzneimittel Umbruchphasen vor allem bei Mädchen: Menstruation als Anzeichen von Frauwerden Unterdrücken, nicht wahrnehmen wollen, die Umwelt nichts merken lassen? Identitätsprobleme? Auch andere Arzneimittel spielen in der Alltagsbewältigung eine wichtige Rolle

Kinder, Jugendliche und Arzneimittel Anforderungen in Schule und Umwelt schaffen Stress Bewältigung auch über Arzneimittel und andere Stoffe Kinder und Jugendliche bekommen leiden wegen dieser Imbalance zwischen eigenen Wünschen / Möglichkeiten und äußerem Rollendruck immer mehr an Krankheiten von Erwachsenen (Stress-Modell von Lazarus) Schlafprobleme, Nervosität, Spannungskopfschmerzen als äußere Anzeichen Coping -Strategien mit Arzneimittel nach dem Beispiel von Erwachsenen Verantwortung und Information als Prävention!

Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Evaluationen im Rahmen von Versorgungsforschung belegen Unter-, Über- und Fehlversorgung bei Frauen Über- und Fehlversorgung mit Psychopharmaka, v.a. Antidepressiva, Beruhigungsmittel und Tranquilizer Assoziation schwach ( The Feminization of Tranquilizers ) und unausgeglichen (hystería) psychosomatische Dysregulation Abhängigkeitsproblematik bei 1,4 Mio. Menschen, davon 2/3 Frauen, v.a. Benzodiazepine, Migräne- und Schmerzmittel Dauerverordnung wegen Entzugsvermeidungsverhalten, allerdings mit falschen Hypnotika, langwirksame und zu hoch dosiert (Staurodorm, Dalmadorm, Radedorm, Rohypnol)

Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Verordnungen von Hypnotika und Sedativa 2001 DDD je Versicherter nach Alter und Geschlecht im Gesamtmarkt 35 30 DDD je Versicherter Frauen 29,6 31,8 Männer 25 20 20,8 15,9 15 12,6 10 7,3 8 5 0 0,5 0,6 0,1 0,2 0,6 0,8 1,2 1,6 2,2 3,5 4,2 unter10 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 über 79 Altersgruppen

Arzneimittelabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Begleitung von Menschen mit lange bestehender Abhängigkeit Ambulanter Entzug - durch wen? Qualitätssichernde Maßnahmen erforderlich Umstellen auf langwirksame Derivate, z.b. Diazepam Ausschleichen ca. 1 Monat pro Einnahmejahr Behandlung der Grunderkrankung (Depression, Schmerzen, Panikattacken)

Arzneimittelabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Auswirkungen, Prävention (cave: kurative Medizin) Medikamentenabhängigkeit ernst nehmen Qualität der medizinischen Versorgung am allgemein anerkannten Kenntnisstand orientieren (SGB V, 2, 12 und 70) AMR-Anforderung Pkt. 19: langfristige Verordnung (über mehr als 2 Monate) von Tranquillantien und Hypnotika bedarf strenger Indikationsstellung und der Begründung in der ärztlichen Dokumentation. Wer macht, wer prüft das? AMR-Anforderung Pkt. 23: Wiederholung und Anwendungszeit...Dabei ist auf Arzneimittelmissbrauch im Sinne einer Gewöhnung oder einer Arzneimittelabhängigkeit zu achten.

Arzneimittelabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Richtlinien beachten: Strenge Indikationsstellung, i.d.r. keine Verschreibung an Patienten mit Abhängigkeitsanamnese Kleinste Packung, niedrige Dosierung, persönlich aushändigen Therapiedauer vorher vereinbaren, Weiterbehandlung prüfen Ausschleichen nach längerer Anwendung begleiten Aufklärung der PatientInnen, z.b. Mittel nicht an Dritte weiterzugeben Unabhängige Informationen beachten, Abhängigkeitsfälle melden (Arzneimittelkommissionen, BfArM)

Aktuell: Arzneimittelabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Flunitrazepam auch in der 1 mg Form BTM-Rezept-pflichtig, z.b. keine Ärztemuster mehr erlaubt Andere BZD sollen folgen (z.b. Flurazepam oder Nitrazepam) Richtlinie der sächsischen Landesapotheker- und ärztekammer zur Verordnung von Benzodiazepinen an Suchtkranke (Sächs. ÄBl September, 2004, S. 429) Trotz umfangreicher Informationen und Leitlinien (verordnen) einzelne Ärztinnen und Ärzte gehäuft bendzodiazepinhaltige Arzneimittel betäubungsmittelabhängigen Personen besonders beliebt ist Flunitrazepam (Rohypnol)..

Arzneimittelabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Woran erkennbar? Zeichen von Medikamentenabhängigkeit Sie müssen eine bestimmte Menge an Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln einnehmen, um sich wohl zu fühlen oder bestimmte Belastungen zu bewältigen. Körperliche und seelische Beeinträchtigungen treten auf, sobald Sie die Medikamente nicht bekommen. Ein drängendes Verlangen nach Ihrem Mittel treibt sie um. Die früher beruhigende Wirkung des Mittels schlägt in eine anregende um. Sie merken, dass sich Ihre Wahrnehmungen und Ihr Verhalten verändern

Arzneimittelabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Woran erkennbar? Zeichen von Medikamentenabhängigkeit Sie sind zittrig oder völlig teilnahmslos, haben Blackouts oder Halluzinationen. Die Beziehungen zu anderen Menschen werden Ihnen immer gleichgültiger. Sie beginnen sich selbst und andere zu beschwindeln, indem Sie die tatsächliche Menge des Konsums verheimlichen bzw. geringer angeben. Sie versuchen mit den verschiedensten Methoden Ihr Medikamente zu bekommen: Sie belügen Ärzte und Apotheker, fälschen Rezepte, legen Vorräte an. Sie spüren deutlich, dass Sie den Konsum Ihrer Arzneimittel nicht mehr aus eigener Kraft aufgeben können bzw. bei der Versuchen dazu scheitern Sie immer wieder.

Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Auswirkungen und Präventionsmöglichkeiten Verantwortlichkeiten klar Konsequenzen finden kaum statt Gegenöffentlichkeit : Unabhängige Informationen sind notwendig, um Defizite in Qualität und Evidenz auszugleichen Leitlinien (DMP Sucht!) für Arzneimittel mit Abhängigkeitsund Mißbrauchspotential entwickeln und verbindlich machen, auch Benzodiazepine sind nach wie vor unverzichtbar! Sanktionen nicht scheuen Benzodiazepinschwerpunktpraxen bringen andere in Misskredit Hamburger Modell!! Gezielte Versorgungsforschung fördern zum Schutz der Patientinnen und Patienten, nicht zu lange und zu hoch dosiert

Fazit Medikamentenabhängigkeit nur eine Nebenwirkung? Medikamentenabhängigkeit wird noch weniger ernst genommen als somatische Nebenwirkungen Praxisbindung?? Unauffällige Sucht, vielfach Konsequenz der Medikalisierung des Alltag und der Nemesis der Medizin (I. Illich, 1995) Soziale Iatrogenesis verschärft die Abhängigkeit an die Medizin als Lösungsangebot Medikamentenabhängigkeit wird zum Signal für diese Fehlentwicklung Die etablierte Medizin hat sich zu einer ernsten Gefahr für die Gesundheit entwickelt und so lange sie Patienten abhängig (von ihr) macht, wird sie es auch bleiben! Wir brauchen auch den anderen Blick auf die Medizin