Die Singphoniker, mit der berühmtesten aller "Lorelei"-Vertonungen, von Friedrich Silcher, der Text von Heinrich Heine.



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Transkript:

Sendung am 02.01.14, 12.05-13.00 Uhr, BR-KLASSIK Xaver Frühbeis MITTAGSMUSIK EXTRA: Deutsche Volkslieder Männer, die an Felsen fahren - Die Loreley Johann Strauß Vater: Loreley-Rhein-Klänge op.154 Wiener Philharmoniker Ltg: Willi Boskovsky Die "Lorelei" - ist weltweit der Inbegriff von "Rheinromantik". Und ihr Lied ist heute unser Volkslied in "Mittagsmusik extra". Gleich zu Anfang müssen wir erstaunt feststellen, dass diese Lorelei, bei Licht betrachtet, nicht ein Ding ist, sondern gleich vier. Und dazu noch lauter verschiedene. Nummer eins: Die Lorelei ist ein Felsen. 132 Meter hoch, gelegen bei dem Städtchen Sankt Goarshausen, dort ragt er mitten in einer Flusskurve in den Rhein hinein, der an dieser Stelle auch noch außergewöhnlich eng ist, und weil sich der Felsen dort ziemlich breit macht, hat er Jahrhunderte lang empfindlich die Schifffahrt gestört. Die enge Passage macht selbst heute noch immer wieder Probleme. Nummer zwei: Die Lorelei ist eine Dame. Jeder kennt sie, obwohl sie noch keiner je gesehen hat. Angeblich sitzt sie ganz da oben auf diesem Felsen im Rhein und singt. Und weil sie so schön singt, hat sie Jahrhunderte lang unten im Fluss die Schiffer abgelenkt. Drittens ist die "Lorelei" dann noch ein Gedicht, und zwar eins von Heinrich Heine, und viertens und letztens hat der Liedertafel-Spezialist Friedrich Silcher dieses Gedicht vertont. Friedrich Silcher: Lore-Ley Singphoniker Die Singphoniker, mit der berühmtesten aller "Lorelei"-Vertonungen, von Friedrich Silcher, der Text von Heinrich Heine. Eine Jungfrau, die ganz allein mitten im Fluss auf einem hohen Stein sitzt, womöglich halbnackend, auf jeden Fall singend und ihr güldnes Haar kämmend: das ist natürlich eine reine Männerfantasie. In Wirklichkeit machen Frauen sowas nicht, die haben Anderes zu tun,

womöglich sogar Nützlicheres. Und daß die Lorelei das trotzdem macht, das hat sich der Dichter Heinrich Heine ausgedacht. In einem Gedicht, das klingt, als sei es eine alten Volkssage. Aber: das ist es nicht. Es ist aber auch nicht reiner Heine. Sondern: Heine hat dabei ein Vorbild gehabt. Der Mann, auf dessen Fantasie die Figur der "Lorelei" letztendlich zurückgeht, ist der Dichter Clemens Brentano. Man ist damals auf der Suche nach nationaler Identität gewesen, nach den Wurzeln des Deutschtums, und die hat man gesucht in alten Sagen und Märchen. Und wem das Suchen zu mühsam war, der hat einfach ein paar geeignete Sagen und Märchen selbst erfunden, so wie er sich das eben passend vorgestellt hat. Im Jahr 1801, also 23 Jahre vor Heine, hat Clemens Brentano eine Ballade geschrieben, in Versform, der Titel: "Zu Bacharach am Rheine". Das Städtchen Bacharach liegt 10 Kilometer den Rhein flussaufwärts, Brentano hat also ein bisschen danebengezielt, aber das kann man schon verstehen, mit "Sankt Goarshausen" ist einfach kein vernünftiges Versmaß zu machen. Auch hier, bei Brentano, ist die Handlung keine Volkssage, sondern frei erfunden. Und in dieser Ballade taucht jetzt zum ersten Mal in der Literatur eine Dame namens "Lore Lay" auf. Das ist ein Vorname und ein Nachname: Lore und Lay. Brentano bezeichnet Frau Lay als eine "Zauberin", und das löst bei uns zwei Fragen aus. Die Antworten dazu - gibt's nach der Musik. Friedrich Silcher: Loreley Leipziger Streichquartett Ein Gesang aus uralten Zeiten, hier fürs Streichquartett gesetzt von dem Wiener Geiger Moritz Kässmeyer. Gespielt hat das Leipziger Streichquartett. Zwei Fragen hatten wir zu Clemens Brentanos geheimnisvoller Zauberin "Lore Lay". Frage Nummer 1: Woher hat Brentano diesen später so berühmt gewordenen Namen? Wieso heißt die Dame "Lore" und "Lay"? Die Antwort lautet: Das Ganze ist ein Scherz von Brentano, ein kleines Wortspiel. Der Felsen im Rhein nämlich, der trägt von alters her einen Namen, der ganz ähnlich klingt wie "Lorelei", nämlich "Lurlei". Auch hier zwei Bestandteile: "Lur" und "Lei". Was das "Lur" bedeuten soll, darüber streitet man sich, es könnte ein altdeutsches Wort für "murmeln, flüstern" sein. Denn: dieser Felsen ist von allerlei natürlich Gängen und Höhlen durchzogen, die zu altdeutscher Zeit ein seltsames Echo gegeben haben. Offenbar hat der Felsen das Geräusch des Wassers unter ihm zurückgegeben, und das muß sich so angehört haben, als würde der Felsen geheimnisvoll vor sich murmeln. Heute ist das Echo leider kaputt, weil man zusätzliche Höhlen für Straßen und Eisenbahn in ihn hineingegraben hat. Echos sind zarte Wesen.

Was dagegen das "Lei" am Ende des Namens bedeutet, das ist klar. "Lei" heißt so viel wie "Schiefergestein". Der Nachname "Leyendecker" meint einen Dachdecker, der Hausdächer mit Schieferplatten deckt. Der traditionelle Name "Lurlei" des großen Felsens im Rhein bedeutet also höchstwahrscheinlich "Flüsterstein". So einfach ist das. Damit in der Ballade alles passt, hat Brentano mit dem Berg zudem auch noch eine Geschlechtsumwandlung vollziehen müssen, der hat nämlich früher ganz eindeutig "der Lurlei" geheißen. Berge sind männlich. So viel erst mal zum Namen der Zauberin "Lore Lay", erfunden durch Clemens Brentano, unter Verwendung einer alten Flurbezeichnung. Clara Schumann: Lorelei Christopher Maltman, Bariton Graham Johnson, Klavier Es gibt auch noch viele andere Vertonungen des Heine-Gedichts, nicht bloß die berühmte von Silcher. Das grad eben war eine Version von Clara Schumann, mit dem englischen Bariton Christopher Maltman, am Klavier: Graham Johnson. Und jetzt zu Frage Nummer 2: Wieso ist diese Frau Lore Lay eine "Zauberin"? Unter einer "Zauberin" stell ich mir jemanden vor, der geheimnisvolle Sprüche weiß, mit denen er reisende Abenteurer in Schweine verwandeln kann. Aber: Wenn ich Brentanos Ballade lese und auch Heines Gedicht, dann zaubert die Lore Lay da nirgendwo. Was sie jedoch tut, und zwar ausgiebig, das ist: schön sein. Lore Lay ist so schön, dass es allen Männern um sie herum den Kopf verdreht. Das ist an und für sich noch nicht verwerflich. Das Problem ist aber, dass die schöne Lore - in Brentanos Ballade - von den Männern um sie herum keinen nehmen mag. Weil sie nämlich schon einen liebt. Der aber ist leider auf und davon. Das Mannsvolk um sie herum glaubt jetzt offenbar, wenn da an Frau Lays Seite eine Leerstelle ist, könnte doch einer von ihnen den Platz einnehmen. Und weil sie nicht will, ist man in seinem Stolz schwer getroffen. Und behauptet frech, Lore Lay sei eine Zauberin. Wenn so viele - sonst so starke und großartige - Männer wegen einer einzigen Dame den Kopf verlieren, muss ja schließlich Zauberei im Spiel sein, oder etwa nicht? Bei Brentano geht die Geschichte so, dass der Bischof sie wegen der Unruhe, die sie mit ihrer Schönheit unterm Mannsvolk auslöst, in ein Kloster verbannen will. Sie aber geht auf den Felsen im Rhein, Ausschau will sie halten von dort, nach ihrem Liebsten und nach dem Schloss, wo er

gewohnt hat. Und dann stürzt sie - entweder aus Zufall oder auch mit voller Absicht - vor den Augen der ritterlichen Begleitmannschaft vom hohen Felsen in den Rhein hinunter. Womöglich ist sie lieber tot als im Kloster. Das ist die Ballade von der Lore Lay, bei Clemens Brentano. Überraschend vielen Dichtern nach Brentano hat diese seltsame Geschichte gefallen. Sie haben sie aufgegriffen und fortgesponnen und haben sie zu einem "Märchen aus uralter Zeit" erklärt. Dass Brentano sie grade erst erfunden hatte, war da egal. Und als Heinrich Heine - 23 Jahre später- die Geschichte aufgreift, da ändert auch er noch was dran rum, tut ein paar Dinge aus eigener Fantasie dazu und gießt das Ganze in die bis heute bekannte, feste Form. Die Selbstmörderin kehrt an den Tatort zurück. Geisterhaft sitzt sie oben auf dem Felsen, und ist immer noch schön und spielt mit ihren Haaren, und den Schiffern unten verdreht's den Kopf und sie fahren in den Tod. Wenn wir uns das abschließend noch einmal anschauen, das mit den Dichtern und der Lorelei, dann ist das schon eigenwillig. Bei Brentano ist die Lore Lay eine Zauberin, bei Heine eine Art sagenhafte Spukgestalt, bei beiden tut sie eigentlich nicht viel mehr außer schön sein, und die Männer, die leiden da drunter. Wenn also ein Mann den Kopf nach einer Dame verdreht und er dabei in völliger Verwirrtheit sein Lebensschifflein an den Felsen steuert, wo es nicht hingehört, dann ist das sehr unangenehm. Und es ist nur naheliegend, dass man die Schuld dafür nicht bei sich selber sucht, sondern lieber bei jemand anderem. Da bietet sich eine schöne Frau an, die zwar nichts getan hat, aber weil er ohne sie nie an den Felsen gerumst wäre, muss sie das ja wohl verursacht haben. Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen, ist nicht einfach. In früheren, dunkleren Zeiten hat man in solchen Fällen einen Hexenprozess angeregt. Noch viel besser ist das natürlich, wenn das Ganze ein uraltes Märchen ist. Denn dann ist man nicht der einzige Tollpatsch, der der angeblichen "Zauberin" auf den Leim gegangen ist. Seit undenklicher Zeit sitzt sie da oben, seit undenklicher Zeit ist sie schön und die Männer sind ihr Opfer, immer war sie schuld, man ist in guter Gesellschaft, und auch das ist sehr beruhigend. Erstaunlich finde ich, dass keiner fragt, wie's eigentlich den Damen mit so einer Geschichte geht. Es ist nämlich möglich, dass man da eine ziemlich unerwartete Antwort bekommt. George Gershwin: The Lorelei Doris Rhodes with the Joe Sullivan Septet

Doris Rhodes und das Joe Sullivan Septet, mit einer amerikanische Jazz-Lorelei. Offenbar war die Lorelei im Ausland so sehr ein Symbol für deutsche Romantik, dass die Gershwin Brüder in eins ihrer Broadway-Musicals eine "Lorelei"-Arie eingebaut haben. Das Musical spielt in Deutschland, heißt "Pardon my English!", und hier singt kein Schiffer, auch nicht die Lorelei selber, hier singt eine Halbweltdame mit höchst zweifelhaftem Ruf. Und zwar singt sie davon, was für unmoralische, männermordende Anwandlungen die gute, alte Lorelei gehabt hat, und wie sehr sie diese Dame am Rhein deswegen bewundert. Ein Vamp sei sie gewesen, damals schon, in der alten Ritterzeit, eine Vorreiterin und frühe Femme fatale, und so wie die Lorelei gewesen ist, so möchte Gershwins Heldin auch gern sein. Erst nämlich, sagt sie, wird sie gefürchtet, und letztendlich bewundern sie dann doch alle. Erstaunlich, aber so ist das wohl. Kaum vergehen ein paar Jahrhunderte, schon haben sich die Zeiten geändert. Alles wird immer wieder anders, ungewohnt anders, und wer weiß, vielleicht gar nicht unbedingt mal zum Schlechteren. Friedrich Silcher: Loreley RIAS Big Band, Jiggs Whigham * * *