Dieter Stopper, 36, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer und dipl. Geophysiker Leiter der DAV-Sicherheitsforschung Evolution von Arva 1 Antenne digital Opto 3000 von Barryvox 2 Antennen digital/analog Wie lösen Spezialisten eine Mehrfachverschüttung? von Chris Semmel und Dieter Stopper Die Statistik zeigt, dass Mehrfachverschüttungen bei Lawinenunfällen häufiger vorkommen als bisher angenommen. Die Lokalisierung der Opfer gestaltet sich dann in aller Regel weit schwieriger als die Suche nach einem einzelnen Verschütteten. Die DAV-Sicherheitsforschung hat ein Versuchsfeld vorbereitetet und die verschiedenen Gerätehersteller eingeladen, ihre Spezialisten zu schicken, um eine Mehrfachverschüttung unter praxisnahen Bedingungen zu lösen. Über das doch etwas überraschende Suchergebnis der Spezialisten berichten Chris Semmel und Dieter Stopper. Foto: A. Schöllhorn 22
f1 plus von Ortovox 1 Antenne analog m2 von Ortovox 1 Antenne analog mit digitalem Display x1 von Ortovox 2 Antennen digital/analog Tracker DTS von Backcountry Access 2 Antennen digital Allgemein Der Schweizer Manuel Genswein hat eine vom Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos sorgsam gepflegte Datenbank auf die Häufigkeit von Mehrfachverschüttungen hin ausgewertet (s. bergundsteigen 4/02, S. 59). Mehr als die Hälfte (61%) aller Ganzverschütteten (keine sichtbaren Teile) auf Schitour waren in eine Mehrfachverschüttung involviert. Deshalb ist es von großer Bedeutung, ob und wie mit den heutigen LVS-Geräten eine solche Mehrfachverschüttung erkannt werden kann und ob eine schnelle Ortung der Verschütteten möglich ist. Aus diesem Grund hat die DAV-Sicherheitsforschung alle namhaften Hersteller und Vertreiber von LVS-Geräten zu einem Versuch auf das Zugspitzplatt eingeladen. Ziel war es, folgende Fragestellungen zu klären: Wie lösen die Spezialisten mit ihren Geräten eine Mehrfachverschüttung? Wo ergeben sich für die Spezialisten Schwierigkeiten? Besteht ein Konsens bezüglich der Suchstrategie unter den Herstellern und Spezialisten? Was kann für die Praxis gefolgert werden? Versuchsaufbau Vier LVS-Geräte wurden als Sender in einem Schneefeld von 50 x 60 Meter positioniert. Jedes Gerät wurde von einem mit Decken ausgestopften Seesack überdeckt und in einer Tiefe zwischen 1,4 Meter und 1,8 Meter vergraben. Drei der vier LVS-Geräte lagen relativ dicht beieinander. Der vierte Sender hatte einen Abstand von mindestens 35 Metern zu den anderen drei Sendern. Aufgabe war es, innerhalb von 25 Minuten die über den LVS-Geräten liegenden Seesäcke zu sondieren, die in etwa die Größe eines menschlichen Rumpfes hatten. Die Antennenlage von Gerät #4 war senkrecht. Alle übrigen Sender sind waagrecht positioniert worden. Zudem lagen die Antennen von Gerät #2 und #3 auf einer Geraden. Ergebnisse Nur ein einziger Spezialist konnte die gestellte Mehrfachverschüttung zu 100% lösen. Alle anderen haben entweder nicht bemerkt, dass es sich um vier Sender handelte oder sie konnten nicht alle Sender in dem vorgegebenen Zeitrahmen genau lokalisieren. Evolution Der Spezialist der Firma Nic Impex konnte mit dem "ARVA Evolution" drei der vier verschütteten Sender (in der Reihenfolge #1, #4, #2) innerhalb von 24 Minuten sondieren. Die verbleibende Minute wurde zum weiteren Absuchen des Feldes genutzt. Nach Beobachtung der Mitarbeiter der Sicherheitsforschung war beim Sondieren kein klares System ersichtlich, was sicher zum erheblichen Zeitaufwand bei der beitrug. Zudem wurde wiederholt zwischen einer erneuten LVS- (Eingabeln) und dem Sondieren gewechselt. Die Suchstrategie zur Lösung der Mehrfachverschüttung war das rechtwinklige Entfernen nach Lokalisation des ersten Verschütteten, um so einen weiteren Sender "einzufangen" und dem neuen Sender mittels im Feldlinienverfahren nahe zu kommen. Bei der Dreifachverschüttung konnten mit dieser Strategie nur zwei Sender lokalisiert werden (#2 und #4). Es muss angemerkt werden, dass der Spezialist durch einen versehentlich am Feldrand eingeschalteten Sender eines Mitbewerbers gegen Ende der Suchzeit möglicherweise irritiert wurde. Der Störsender befand sich am Feldeingang in ca. 40 Meter Abstand zum nächstgelegenen verschütteten Gerät (Sender #1). Opto 3000 Der Spezialist der Firma Mammut konnte mit dem "BARRYVOX Opto 3000" alle vier Sender innerhalb von 13,5 Minuten (in der Reihenfolge #1, #2, #3, #4) lokalisieren. Die verbleibenden 11,5 Minuten nutzte der Spezialist um das Feld noch einmal systematisch in Mikrosuchstreifen nach weiteren Sendern abzusuchen. Der Vertreter von MAM- MUT arbeitete in allen Suchphasen lehrbuchmäßig, vor allem bei der und beim Sondieren. Eine sehr gute Leistung. Zur Lösung der Mehrfachverschüttung nutzte der Spezialist zusätzlich den Analogton und arbeitete mit einem Kopfhörer. Seine Strategie bestand nach der Einschätzung der Situation (durch die Distanzanzeige und den Analogton) in sehr engen Mikrosuchstreifen (Breite ca. 1 Meter). f1 plus Der erste Spezialist der Firma Ortovox konnte mit dem "f1 plus" von den vier Sendern drei Sender (in der Reihenfolge #1, #4, #2) innerhalb von 18 Minuten sondieren. Die verbleibenden sieben Minuten wurden zum Absuchen des Feldes nach weiteren Sendern genutzt. Von der Dreifachverschüttung im unteren Teil des Testfelds hat er zwei Sender lokalisiert. Nach Beobachtung der Mitarbeiter der Sicherheitsforschung arbeitete der Spezialist bei der wenig systematisch (Gerät bei der mehrfach in der Achse gedreht, wiederholtes Umschalten der Suchentfernung/Lautstärke, kurze erste Achse beim Eingabeln, unsystematisches Sondieren, wiederholtes Wechseln von Eingabeln und Sondieren). Die Mehrfachverschüttung im unteren Feldbereich wurde über die Strategie "rechtwinkliges Entfernen" vom gefundenen Sender und "Einfangen und Verfolgen" des nächsten Senders angegangen. m2 Der zweite Spezialist der Firma Ortovox konnte mit dem "m2" zwei der vier Sender (#3, #4) genau sondieren, bei den übrigen zwei Chris Semmel, 38, Berg- und Skiführer, dipl. Sportlehrer, Mitglied im DAV-Lehrteam Hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Sicherheitsforschung des DAV 23
Fotos: K. Schrag 24 Sendern (#1, #2) lag er mit der Sonde knapp neben den "Verschütteten". Nach 18,5 Minuten waren die vier Sonden (in der Reihenfolge #1, #2, #3, #4) verteilt. Die verbleibenden 6,5 Minuten wurden zur Suche nach weiteren Sendern auf dem Suchfeld verwendet. Bei der Arbeit mit der Sonde war kein systematisches Vorgehen erkennbar. Der Spezialist wendete zum Lösen der Mehrfachverschüttung keine Mikrosuchstreifen an, sondern entfernte sich vom gefundenen Sender, schwenkte sein Gerät, bis er mehrere Signale empfangen konnte und versuchte dann durch ein Rückschalten störende Signale auszublenden. Das Erkennen aller vier Sender war gut, leider konnten zwei Sender nicht exakt sondiert werden. x1 Der dritte Spezialist von Ortovox konnte mit dem "x1" zwei der vier Sender (in der Reihenfolge #4, #1) mit dem jeweils ersten Sondenstich innerhalb von 18 Minuten lokalisieren. Die verbleibenden sieben Minuten wurden zur nach weiteren Sendern auf dem Feld genutzt. Die Sender #2 und #3 der Mehrfachverschüttung im unteren Teil des Versuchsfelds wurden nicht bemerkt. Angaben des Spezialisten: "Im Bereich des zweiten gefundenen Geräts (#1) hatte ich den Eindruck, dass dort knapp daneben noch ein drittes Gerät liegen müsste." Der Eindruck der Sicherheitsforschung: Zur wurde sehr viel Zeit benötigt, wobei jeweils nur ein Sondenstich zum Lokalisieren der "Verschütteten" benötigt wurde. Sehr gut war die Systematik bei der. Der Spezialist legte die Sonden kreuzförmig als optische Hilfe aus. Problematisch erscheint der Sicherheitsforschung, dass er im Bereich der Dreifachverschüttung keine Mehrfachverschüttung erkennen konnte. Beim Sender #1, der separat und mindestens 35 Meter von den anderen Sendern entfernt lag, vermutete der Spezialist hingegen eine Mehrfachverschüttung. Eine Strategie zur Lösung der Mehrfachverschüttung konnte daher nicht beobachtet werden. Tracker DTS Der Spezialist der Firma Backcountry Access konnte mit dem "Tracker DTS" drei von vier Sendern innerhalb von 14,5 Minuten mit jeweils einer Sonde lokalisieren. Er löste die Dreifachverschüttung (in der Reihenfolge #4, #3, #2) im unteren Suchfeld, hat aber den vierten Sender (#1) im oberen Feldbereich nicht gefunden. Die verbleibenden 10,5 Minuten nutzte er, um im unteren Bereich des Lawinenfeldes weitere Sender zu suchen. Der Vertreter der Firma gab an: "In meiner Vorstellung hatte ich am Beginn der Suche den oberen Bereich schon ausreichend abgesucht." Tatsächlich hatte er den oberen Feldbereich nicht systematisch abgesucht - ein Mangel in der Suchorganisation. Die untere Dreifachverschüttung wurde hingegen gut gelöst. Als Systematik zur Lösung der Mehrfachverschüttung verwendete der Spezialist den "Spezialmodus" des Gerätes, durch den nach Ortung des ersten Senders alle weiteren empfangenen Sender im Empfangsbereich angezeigt werden können. Nach Empfang eines weiteren Senders wurde wieder im Feldlinienverfahren die durchgeführt. Suchstrategie Die Eigeneinschätzung der Teilnehmer bezüglich zurückgelegter Suchwege, Fundorte und Lokalisationsreihenfolge der Sender wich zum Teil erheblich von den Beobachtungen der Sicherheitsforschung ab. Dies zeigt, unter welchem Stress sich selbst in einer gestellten Verschüttungssituation Suchende befinden. Um so wichtiger ist eine im Vorfeld klare und systematische Suchstrategie. - - Die hier verwendeten Begriffe der drei Suchphasen weichen von der IKAR-Terminologie "Primäre Suchphase" und "Sekundäre Suchphase" - letztere aufgeteilt in Grob- und Feinsuche - ab. Wir halten hingegen die Bezeichnung "", "", und- "" aus folgenden Gründen für treffender: Auf die ohne Signal folgt die Ortung, bei der der Suchende ein Signal gezielt verfolgt. Die beinhaltet unserer Meinung nach auch das Sondieren des Opfers und endet mit der punktgenauen Ortung (Sondenstich). Optimierung der Nach einer Auswertung aller Schweizer Lawinenunfälle in den Jahren 1995-2000 durch das SLF wurden zirka 28% der Ganzverschütteten bei der Kameradenrettung mittels LVS nur noch tot geborgen. Die Überlebensrate von etwa 72% ist wesentlich höher als in den vorherigen Jahren, kann aber unserer Meinung nach noch gesteigert werden. Die Schweizer Statistik der Überlebenden von Lawinenunfällen zeigt eines deutlich: Wer schnell geborgen wird, hat bessere Überlebenschancen! Die DAV-Sicherheitsforschung hat deshalb neben dem LVS-Versuch auf dem Zugspitzplatt weitere Suchzeiten aus über 30 Feldversuchen bei der Fachübungsleiterausbildung gesammelt und verglichen. Fazit: Für die wurde im Schnitt mehr als doppelt soviel Zeit benötigt wie für die und zusammen. Um Zeit einzusparen, macht es Sinn, vor allem die (Eingabeln und Sondieren) zu optimieren. Wichtige Qualitätsmerkmale bei der sind: Sobald die Entfernungsanzeige eindeutig zunimmt (bzw. die Lautstärke abnimmt), umkehren und beginnen Langsam und exakt arbeiten (vgl. Airport Approach) LVS-Gerät bei der knapp über der Schneeoberfläche führen LVS-Gerät horizontal halten und nicht mehr verdrehen
1 60 m 35 m #3: Ortovox m2 1,4 m Verschüttungstiefe 50 m 4,8 m #1: Tracker DTS 1,8 m Verschüttungstiefe #2: Ortovox f1 focus 1,4 m Verschüttungstiefe 2,4 m #4: Mammut Barryvox 1,6 m Verschüttungstiefe senkrechte Antennenlage Hauptachse lang genug (3-5 Meter), um nicht am ersten Maximum "hängen" zu bleiben Den Punkt, der mit dem VS-Gerät ermittelt wurde, mit Schistöcken oder Sonden markieren und systematisch Sondieren Ist der Verschüttete sondiert, Sonde beim Ausgraben stecken lassen Systematik zur Lösung von Mehrfachverschüttungen Die beim Versuch auf dem Zugspitzplatt beobachteten Strategien unterschieden sich zum Teil wesentlich voneinander (Mikrosuchstreifen, Spezialmodus und direktes Verfolgen des nächsten Signals sowie rechtwinkliges Entfernen vom ersten Sender). Auch die Hersteller geben in ihren Bedienungsanleitungen für ihre LVS-Geräte unterschiedliche Empfehlungen an. Für die Ausbildung der LVS-Suche bei Mehrfachverschüttungen, die vor dem Hintergrund der überraschenden Häufigkeit an Dringlichkeit gewinnt, wäre eine einheitliche - für alle Geräte kompatible - Suchstrategie wünschenswert. In der Diskussion nach unserem Versuch, an der alle Spezialisten (mit Ausnahme der Vertreter der Firma Ortovox) teilnahmen, sowie auf Basis einer späteren Zusammenfassung konnte folgender "common sense" als geeignete und für jedes Gerät praktikable Methode gefunden werden: Den Punkt markieren, an dem erstmals eine Mehrfachverschüttung erkannt wird und sich einen Überblick verschaffen: Wie viele Verschüttete werden in welcher Richtung und in welcher Entfernung angezeigt? 2 1 Der Versuchsaufbau am Zugspitzplatt: Auf einem Schneefeld von 50 x 60 Meter wurden vier LVS-Geräte unterschiedlichen Fabrikats als Sender in einer Tiefe zwischen 1.4 und 1.8 Meter eingegraben. Gerät #2, #3 und #4 lagen relativ eng beieinander. #4 war als einziges Gerät senkrecht eingegraben, die Antennen von #2 und #3 lagen auf einer Achse. Gerät #1 war mindestens 35 Meter von den anderen entfernt. Die von den Herstellern entsandten Spezialisten starteten im linken oberen Eck und hatten 25 Minuten Zeit, einen ca. torsogroßen Seesack über den vergrabenen Geräten zu sondieren. 3 2 Bei der können wir den "Airport Approach" befürworten (s. bergundsteigen 4/02, S. 59). Eine zweite Achse (Eingabeln) nach dem "Landeanflug" halten wir zudem für sinnvoll. 3 Beim systematischen Sondieren werden die Skistöcke gekreuzt auf den ermittelten Verschüttungsbereich gelegt. Von der Mitte her nach außen gehend wird dann systematisch an den angegebenen Punkten senkrecht zur Schneeoberfläche sondiert (Abstand der Sondierpunkte 30-40 cm). 25
Bei "Anzahl, Richtung und Entfernung" denken wir nicht an exakte Werte (Grad oder Meter) sondern an grobe Informationen, wie z.b. "mindestens zwei Verschüttete", "einer links, näher und der zweite rechts vom Standort", "etwas weiter entfernt" usw. Bei der Information, dass mehrere Verschüttete auf engem Raum liegen, empfehlen wir die Anwendung von Mikrosuchstreifen als Basistaktik. Nach deren Lokalisation muss zum Punkt des Erstempfangs zurückgekehrt werden um die nach weiteren Verschütteten fortzusetzen. Darüber hinaus existieren gerätespezifische Spezialmethoden (Spezialmodus und direktes Verfolgen weiterer Signale sowie das rechtwinklige Entfernen). Eines wurde durch den Versuch auf der Zugspitze und die Tests der Fachübungsleiter sehr deutlich klar. Jedes Gerät ist nur so gut, wie sein Anwender. Und ein vollautomatisches LVS-Gerät gibt es nicht! Wer im Ernstfall seinen Partner schnell orten und bergen will, muss üben und Mehrfach- sowie Tiefverschüttungen lösen können. Es liegt an uns erstes gesuchtes Gerät zweites gesuchtes Gerät drittes gesuchtes Gerät viertes gesuchtes Gerät Evolution 30 30 170 280 0 120 20 110 0 500 100 80 60 - - - Opto 3000 30 30 27 103 0 50 60 105 0 0 205 30 30 30 30 75 f1 plus 60 23 145 160 0 222 80 176 34 150 40 2 408 - - - m2 30 30 80 95 75 10 145 5 10 120 60 20 50 250 150 2 x1 30 30 257 2 11 420 318 2 420 - - - - - - - Tracker DTS 30 20 60 10 0 140 170 10 30 70 130 200 0 630 - - Der Zeitaufwand aufgeschlüsselt pro "Verschütteten" und Suchabschnitt. Die Gesamtzeit war auf 25 Minuten begrenzt. Wir möchten darauf hinweisen, dass die Tabellenwerte keine allgemeingültigen Aussagen zulassen, da es sich lediglich um einen einzelnen Versuch handelte. Auch können die Ergebnisse nicht direkt auf die Geräte bezogen werden, da die Handhabung der Geräte stark personenabhängig ist. 26