Schlagworte: Kieferorthopäde, Behandlungsbedarf, Kieferorthopädische Indikationsgruppen, Kostenübernahme, Krankenkasse, Kassenleistung



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Transkript:

SG Landshut, Urteil v. 09.04.2014 S 1 KR 45/13 FdV Titel: Krankenversicherung Normenketten: SGB V 13 III, 23 IV, 29 I, 92 I 2 Nr. 2 12 SGB V 29 Abs.1 SGB V SGB V 13 III, 23 IV, 29 I, 92 I 2 Nr. 2 92 Abs.1 SGB V Leitsatz: 1. Kieferorthopädische Behandlung, Behandlungsbedarf, Kieferorthopädische Indikationsgruppen (KIG), Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die Kieferorthopädische Behandlung. (amtlicher Leitsatz) Schlagworte: Kieferorthopäde, Behandlungsbedarf, Kieferorthopädische Indikationsgruppen, Kostenübernahme, Krankenkasse, Kassenleistung Tenor I. Unter Abänderung des Bescheides vom 28.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2010 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kosten in Höhe von 4.031,05 zu erstatten, die im Zusammenhang mit der kieferorthopädischen Behandlung durch den Zahnarzt Dr. C. in der Zeit vom Frühjahr 2010 bis Ende 2012 entstanden sind. II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Tatbestand Streitig ist, ob die Beklagte die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung durch den Zahnarzt Dr. C. in Höhe von 4.031,05 übernehmen muss. Mit Behandlungsplan vom 05.06.2009 beantragte der Fachzahnarzt für Kieferorthopädie Dr. P. bei der beklagten Krankenkasse Kostenübernahme für eine KFO-Behandlung der Klägerin. Als Diagnose wurde angegeben: Sagittal unterentwickelter Oberkiefer sowie Makrogenie mit frontalem Kopfbiss und Kreuzbiss 22. Frontal offener Biss, Platzmangel in beiden Kiefern mit Engständen, ausgeprägte 3D-Asymmetrien der Zahnbögen und MLV. Skel. Kl. III bei neutralem Wachstumsmuster und divergierenden Kieferbasen. Die Beklagte ließ den eingereichten Behandlungsplan gutachterlich durch Frau Dr. G. überprüfen (Stellungnahme vom 25.06.2009). Diese hat den Behandlungsplan nicht befürwortet, da sie eine Planung mit Dekompensation und symmetrischer Ausformung der Kieferbögen mit Multibracketapparatur und kieferchirurgischem Eingriff zur Korrektur der Bisslage für erforderlich hält. Mit Schreiben vom 28.07.2009 lehnte die Beklagte hierauf den Antrag auf Kostenübernahme ab. Mittels KFO-Behandlungsplans des Zahnarztes Dr. C. vom 21.09.2009 beantragte die Klägerin erneut KFO- Behandlung ohne chirurgische Intervention. Die Gutachterin Frau Dr. G. vertrat erneut die Auffassung, dass durch die vorgesehene kieferorthopädische Behandlung kein ausreichender Behandlungserfolg erzielt werden könne (Stellungnahme vom 22.10.2009).

Auf Antrag des behandelnden Zahnarztes Dr. C. wurde hierauf ein KFO-Obergutachten gem. 23 Abs.4 Ersatzkassenvertrag - Zahnärzte (EKVZ) von Prof. Dr. G., T., eingeholt. In seinem Gutachten vom 01.02.2010 bestätigte Prof. Dr. G. im Ergebnis die Meinung der Vorgutachterin, dass bei der Klägerin die Indikation für eine kombinierte kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung vorliege; eine Behandlung ohne operativen Eingriff lasse keine wesentliche funktionelle Verbesserung erwarten. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2010 lehnte die Beklagte hierauf eine Kostenübernahme endgültig ab. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. In der Klagebegründung vom 20.12.2010 führt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Wesentlichen aus: Die kieferorthopädische Behandlung werde entsprechend der Planung des Dr. C. durchgeführt. Bei der Klägerin seien 4 Zähne extrahiert worden. Mittels einer festen Spange werde nunmehr versucht, das Gebiss im Ober- und Unterkiefer zu verziehen, um so die skelettale Asymmetrie des Kiefers auszugleichen. Die von den Gutachtern der Beklagten angeregte kieferchirurgische Maßnahme, welche über die bloßen damit verbundenen Beschwerden hinaus auch mit erheblichen Risiken für die Klägerin verbunden sei - bei Freilegung der Nerven im Kieferbereich sei als Folge sogar eine einseitige Gesichtslähmung möglich - könne auf diese Weise vermieden werden. Der bisherige Verlauf der Behandlung sei sehr gut. Der Biss der Klägerin habe sich bereits deutlich verbessert. Es sei daher mit einer erheblichen funktionellen Verbesserung nach Abschluss der Behandlung zu rechnen. Entsprechend einem Antrag der Klägerin wurde mit Beschluss vom 20.06.2011 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Mit Schreiben vom 23.01.2013 wurde vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Abschluss der Behandlung mitgeteilt und Fortsetzung des Verfahrens beantragt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13.06.2013 gab die Klägerin an, die KFO-Behandlung sei nunmehr abgeschlossen, sie müsse allerdings noch sogenannte Exzenter für den Ober- und Unterkiefer tragen. Dies diene der Stabilisierung der Zähne. Die Kaufunktion habe sich subjektiv klar verbessert. Sie könne jetzt auch wieder normal abbeißen, was früher wegen des fehlenden Zahnschlusses im Vorderzahnbereich nicht möglich gewesen sei. Sie habe keinerlei Beschwerden im Kiefergelenk oder mit den Zähnen. Mit Schriftsatz vom 08.08.2013 führte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin weiter aus: Bei keiner kieferorthopädischen Behandlung könne, jedenfalls in schwierigen Fällen, ein bestimmter und langfristiger Erfolg garantiert werden. Die von der Beklagten empfohlene und favorisierte Variante wäre ein schwerwiegender und langwieriger Eingriff gewesen, verbunden mit einem enormen Risiko. Vor diesem Hintergrund müsse es dem Patienten möglich sein, sich für eine weniger weitreichende Behandlung zu entscheiden, die nicht an den Ursachen, sondern an den Symptomen ansetzt. Insgesamt seien der Klägerin durch die kieferorthopädische Behandlung bei Dr. C. Kosten in Höhe von 4.614,09 entstanden. Abzüglich der Kosten für das Obergutachten und der Mehrkosten für zahnärztliche Füllungstherapie sowie Keramikbrackets ergebe sich ein Betrag in Höhe von 4.031.05, der von der Beklagten zu erstatten sei. Nach Auffassung der Beklagten (Schriftsatz vom 22.08.2013) ist nicht entscheidend, ob der erreichte Zustand medizinisch zufriedenstellend ist; maßgebend sei vielmehr die negative Prognose vor Beginn der Behandlung. Selbst wenn die Behandlung dann wider der Prognose erfolgreich gewesen sein sollte, könne dies nicht zu einer nachträglichen Änderung der Entscheidung führen.

Mit Beweisanordnung vom 23.10.2013 ernannte das Gericht Dr. Dr. H.TH. D., Arzt und Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, Gutachter für das Fachgebiet Kieferorthopädie der BLZK, zum gerichtlichen Sachverständigen und beauftragte ihn mit der Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung der Klägerin. In seinem Gutachten vom 12.12.2013 stellte Dr. Dr. D. fest, dass die durchgeführte kieferorthopädische Behandlung zweifelsfrei zu einer wesentlichen Verbesserung gegenüber dem vor Beginn der Behandlung bestehenden Zustand geführt habe. Es handle sich um eine voraussichtlich dauerhafte Verbesserung, sofern in der noch andauernden Retentionsphase eine weiterhin konsequente Compliance der Klägers gewährleistet bleibe. Es sei nicht zu bestreiten, dass aufgrund der erheblichen skelettalen Abweichungen bei der Klägerin eine kieferchirurgisch-kieferorthopädische Kombinationsbehandlung grundsätzlich als das Mittel der Wahl anzusehen gewesen sei. Unter idealen Voraussetzungen und bei fortlaufend gesicherter Mitarbeit/Compliance des Patienten könne jedoch auch bei primär nicht aussichtsreich erscheinenden, ausschließlich kieferorthopädischen Behandlungen, ohne kieferchirurgische Intervention individuell ein sehr akzeptables und funktionell befriedigendes Kompromissergebnis erreicht werden. Ein zwingendes Erfordernis zum kieferchirurgischen Eingriff habe nicht bestanden, weil eine kieferorthopädische/orthodontische Behandlung ohne kieferchirurgischen Eingriff mit dem Ziel eines die Gebisssituation deutlich verbessernden Kompromissergebnisses ( Kompensation statt Korrektur ) möglich gewesen sei. Die Beklagte führte gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen insbesondere 12 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) ins Feld und bezweifelte die Nachhaltigkeit der Behandlungsmaßnahme. Es sei keine Korrektur der Gebisssituation erfolgt, sondern nur eine erneute Kompensation. Sofern sich die Klägerin für das Kompromissergebnis entschieden habe, sei dies ihr gutes Recht. Ob dieser Kompromiss von der Solidargemeinschaft zu finanzieren ist, sei eine andere Frage. Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2010 zu verurteilen, an die Klägerin 4.031,05 für die kieferorthopädische Behandlung bei Dr. C. in der Zeit vom Frühjahr 2010 bis Ende 2012 zu bezahlen. Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag, die Klage abzuweisen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die von den Beteiligten im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze, auf das schriftliche Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Dr. D., sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Entscheidungsgründe Die von der Klägerin erhobene Anfechtungs-/Leistungsklage ist zulässig. Sie ist auch begründet. Die beklagte Krankenkasse ist verpflichtet, der Klägerin die Kosten der kieferorthopädischen Behandlung durch den Zahnarzt Dr. C. in der geltend gemachten Höhe zu erstatten. Rechtsgrundlage hierfür ist 13 Abs.3 Satz 1 Alternative 2 SGB V. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch Kosten für die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die beklagte Krankenkasse hat den über den behandelnden Zahnarzt Dr. C. gestellten KFO-Behandlungsplan zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin war daher

gezwungen, die notwendige Behandlung privat vorzufinanzieren. Hierdurch sind Kosten in mindestens der geltend gemachten Höhe entstanden. Gem. 29 Abs.1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach 92 Abs.1 SGB V befundbezogen die objektiv überprüfbaren Indikationsgruppen, bei denen die in Abs.1 genannten Voraussetzungen vorliegen. In den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 226 vom 03. Dezember 2003, in Kraft getreten am 01. Januar 2004) wird in Abschnitt B 2. festgelegt: Zur vertragszahnärztlichen Versorgung gem. 29 Abs.1 SGB V i. V. m. Abs.4 gehört die gesamte kieferorthopädische Behandlung, wenn bei ihrem Beginn ein Behandlungsbedarf anhand der befundbezogenen kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) - Anlage 1 zu den Richtlinien - festgestellt wird. Eine Einstufung mindestens in den Behandlungsbedarfsgrad 3 der Indikationsgruppen ist dafür erforderlich. Die Klägerin besaß aufgrund der gesetzlichen Vorschriften und Vorgaben Anspruch auf die beantragte kieferorthopädische Behandlung. Nach den überzeugenden Feststellungen im fachzahnärztlichen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Dr. D. bestand bei der Klägerin zweifelsfrei die Notwendigkeit für eine (nochmalige) kieferorthopädische Behandlung. Ursache hierfür war eine vererbte skelettale Dysgnathie des progenen Formenkreises mit skelettal offenem Biss sowie eine skelettal bedingte Diskrepanz der Zahnbogenbreiten. Die Gebissfunktion war erheblich eingeschränkt. Die Funktion des Abbeißens war nicht möglich, die Kaufunktion insgesamt erheblich eingeschränkt. Durch die Kiefer- und Zahnfehlstellungen war auch die Artikulation erheblich beeinträchtigt. Ohne erneute kieferorthopädische Behandlung drohten sich die vorliegenden Funktionsstörungen weiter zu verstärken. Es bestand auch keine Aussicht auf eine erfolgreiche Beseitigung der erheblichen Funktionsstörungen durch allgemein-zahnärztliche Maßnahmen. Wie der gerichtliche Sachverständige weiter ausführte, war die kieferorthopädische Behandlung - wie vorgenommen - zwar nicht geeignet, die vorliegende Erkrankung vollständig zu heilen, aber sie war in jeder Hinsicht geeignet, eine mit anderen zahnärztlichen Behandlungsmöglichkeiten nicht erreichbare Linderung/Kompensation sowohl der skelettalen Anomalie als auch der ausgeprägten Zahnfehlstellungen zu bewirken, eine wesentliche Linderung der durch die Erkrankung verursachten Beschwerden zu erreichen und auch eine Verschlimmerung abzuwenden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des 24 Abs.1 SGB V sind damit offenbar erfüllt. Die Beklagte stützt sich bei ihrer Entscheidung im Wesentlichen auf die Stellungnahmen der Gutachterin Dr. M. G. sowie auf das KFO-Obergutachten gem. 23 Abs.4 Ersatzkassenvertrag Zahnärzte des Prof. Dr. Dr. G. Frau Dr. G. beschränkt sich in ihren Stellungnahmen vom 25.06. und 22.10.2009 im Wesentlichen auf die Feststellung, die geplante kieferorthopädische Behandlung ohne chirurgische Maßnahmen widerspreche den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Eine nähere Erläuterung hierzu wird nicht gegeben. Der Obergutachter Prof. G. befürwortete den eingereichten Behandlungsplan ebenfalls nicht, da ohne Dysgnathiechirurgie keine wesentliche funktionelle Verbesserung zu erwarten sei ; es sei lediglich eine kosmetische Verbesserung im Oberkieferfrontzahnbereich möglich. Demgegenüber steht aufgrund des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Dr. D. zweifelsfrei fest, dass die streitige kieferorthopädische Behandlung zu einer wesentlichen Verbesserung im Vergleich zu dem vor Beginn der Behandlung bestehenden Zustand geführt hat. Es ist eine beachtliche Kompensation der ehemals sehr ausgeprägten skelettalen/basalen Anomalie und eine weitgehende Korrektur der dentoalveolären Anomalie erreicht worden mit einer Beseitigung der Kreuzbisse, des frontoffenen Bisses, der

Inkompatibilität der Zahnbögen und der Mittenabweichungen. Die stark gestörte und instabile Oklussion sowie die schwer beeinträchtigte kau- und neuromuskuläre Funktion wurden ebenfalls weitgehend beseitigt/geheilt. Durch das Ergebnis der Behandlung wurde die Einschätzung des Obergutachters offensichtlich widerlegt. Ebenso eindeutig widerlegt wurde vom gerichtlichen Sachverständigen der Einwand der Beklagten (die hierbei offensichtlich eine Formulierung der Gutachterin Dr. G. aufgreift), eine Kostenübernahme würde gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des 12 SGB V verstoßen. Der gerichtliche Sachverständige Dr. Dr. D. hat überzeugend dargelegt, dass die Behandlung notwendig und auch zweckmäßig war. Damit war sie auch wirtschaftlich im Sinne des 12 SGB V. Mehrkosten, die auf den Wünschen der Klägerin beruhen, wurden aus den Gesamtkosten der Behandlung herausgerechnet und sind von der eingeklagten Summe nicht umfasst. Die Beklagte verkennt Bedeutung und Reichweite des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Vorliegend geht es nicht um eine - nicht anerkannte Behandlungsmethode, die auch bei erfolgreichem Einsatz nicht zur Kassenleistung wird, sondern um einen nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst und den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen durchgeführte kieferorthopädische Behandlung. Dass die vom Zahnarzt Dr. C. in Abstimmung mit der Klägerin gewählte Vorgehensweise im konkreten Fall zumindest vertretbar war, wurde vom gerichtlichen Sachverständigen ebenfalls bestätigt. Die von der Beklagten ins Feld geführte Verpflichtung zur Durchführung einer kieferchirurgischkieferorthopädischen Kombinationsbehandlung gibt es bei minderjährigen Versicherten nicht. Im Ergebnis argumentiert die Beklagte, als würde es sich um eine Erwachsenen-KFO-Behandlung handeln, die nur für Versicherte mit schweren Kieferanomalien in Betracht kommt, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert. Nach Auffassung der Kammer bestehen auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die von der Beklagten im vorliegenden Fall vertretenen Rechtsauffassung. Es verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht des Versicherten und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG), ihm nur dann den Schutz der Solidargemeinschaft zu gewähren, wenn er zu Behandlungszwecken einem schwerwiegenden operativen Eingriff zustimmt, ohne dass dieser Eingriff zur Erreichung des Behandlungszieles zwingend notwendig ist. Die auf Basis einer falschen prognostischen Beurteilung getroffene Entscheidung war daher aufzuheben. Über die Frage, ob die Kosten eines - im Ergebnis falschen - Obergutachtens auf die Beklagte überwälzt werden können, musste die Kammer nicht entscheiden, da diese Kosten von der Klägerin nicht geltend gemacht wurden. Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf 193 SGG.