Harninkontinenz der Frau Vortrag von Dr. med. Peter Böhi Chefarzt Gynäkologie und Geburtshilfe Kantonales Spital Altstätten 24.11.2004
Häufigkeit In CH: ca. 400 000 Betroffene, davon sind 75% Frauen Anteil inkontinenter Frauen >65 Jahren in Pflegeheimen: 50-70% Verteilung: 14% Stress-/Belastungsinkontinenz Gemischte Inkontinenz Dranginkontinenz 31% 55%
Stressinkontinenz Definition: Unwillkürlicher Urinverlust infolge passiver, intraabdominaler Druckerhöhung wie bei Husten, Niesen, Pressen ohne nachweisbare Detrusorkontraktionen und ohne Harndrang. Schweregrade: Husten, Niesen, Lachen Abwärtsgehen, Lasten heben Permanter Urinabgang, auch im Liegen
Dranginkontinenz Definition: Unfreiwilliger Urinverlust bei nicht unterdrückbarem Harndrang und unkontrollierbaren Kontraktionen der Blasenmuskulatur bei intaktem Harnröhrenverschluss. Unterteilung: - sensorisch - motorisch - idiopathisch
Dranginkontinenz Sensorisch: Imperativer Harndrang ohne intravesikale Druckerhöhung und ohne nachweisbare Innervationsstörung bei Blasenhypersensibilität. Motorisch: Unwillkürlicher Harnverlust durch nicht unterdrückbare Detrusorkontraktionen bei verminderter zentraler Hemmung des Blasenentleerungsreflexes.
Reflexinkontinenz Reflexblase, neurogene Blase: Urinabgang durch unwillkürliche Detrusorkontraktionen mit fehlender Sensibilität für die Blasenfüllung ohne Harndrang. Ursache: Schädigung des Rückenmarks oberhalb S2-S4.
Weitere Formen Überlaufinkontinenz: Unfreiwilliger Harnverlust bei grossen Restharnmengen und mangelhafter/fehlender Blasenmotorik. Extraurethrale Inkontinenz: Urinaustritt ausserhalb der Harnröhre (Fehlbildung, ektope Uretermündung, Urinfistel).
Anamnese
Anamnese
Anamnese
Abklärungen Klinische Untersuchung (300ml): - Infektzeichen (Nativ und Urinstatus) - Vaginaltrophik - Cystocele, UV-Winkel, suburethral inkl. Urethrocele - Rektocele, Enterocele - Damm, Levatorenschenkel - Uterus (Grösse, Lage, Descensus) - Vaginalstumpf bei St.n. Hysterektomie - Blasenelevationstest - Hustentest (liegend und stehend)
Abklärungen Anamnese Stressinkontinenz Urgeinkontinenz, Pollakisurie, Nykturie, Dysurie Pruritus, Fluor, Dysurie Miktionsbeschwerden, rez. HWI Deszensusbeschwerden Spezifische Abklärungen Hustentest bei voller Blase Urinkultur, Chlamydien, Miktionskalender, ev. Zystoskopie Infektkette Vulva/Vagina/Harnwege, lokaler Hormonstatus, Dystrophie Restharn, Urethrakalibrierung, Zystoskopie Blasenrepositionstest
Abklärungen Perinealsonographie: «Laterales Urethrozystogramm» mit Ultraschall in Ruhe, Pressen und Kneifen (bei 300ml).
Abklärungen Restharnbestimmung: Sonographisch oder durch 1x Katheterisierung Harnuntersuchung: Teststreifen, Sediment, Kultur, ev. Chlamydien-PCR, Ureaplasmen, Mykoplasmen.
Abklärungen Urodynamische Funktionsdiagnostik: Blasenfüllung und -kapazität, urethraler Verschlussdruck in Ruhe und Stress, Miktion (Uroflowmetrie). Zystoskopie: Spiegelung von Blase und Urethra.
Urodynamik Blasendruck: Detrusordruck + Intraabdominaldruck Urethradruck: Ruhedruck + stressbedingte Druckeinflüsse: - Ruhedruck: Muskeltonus, Vaskularisation, Bindegewebe - Stress: Abdomino-vesiko-urethrale Drucktransmission auf periurethrales Widerlager, Urethraknickung (Descensus, Narben) Stressinkontinenz = Blasendruck > Urethradruck bei Belastungen
Eine Trichterbildung im Bereich der proximalen Urethra bewirkt zusätzlich eine Urgesymptomatik! Ein Quetschhahnphänomen erklärt eine «larvierten Stressinkontinenz», welche durch den Blasenelevationstest diagnostiziert werden kann.
Therapie Östrogene lokal: Bei allen postmenopausalen Patientinnen! - Initial Östriol-Crème vaginal 3x/Woche - Bei Puritus vulvae: Zusätzlich äusserlich 1x/d - Nach 4-8 Wochen: Wechsel auf Ovula, nur noch 1x/Woche (oder 1x alle 2 Wochen) Lokale Östrogen-Anwendung macht weder systemische NW noch eine Endometriumproliferation (dh. keine Gestagene nötig) bei entsprechender Dosierung bzw. Präparatewahl.
Oestrogenpräparate
Therapie Stressink. Konservativ: - Lokale Östrogenisierung - Physiotherapie - Arabin-Ringpessar Operativ: - Tension-free vaginal Tape (TVT) - abdominale Koloposuspension (Burch)
Physiotherapie Physiotherapie: Anleitung, die richtigen Beckenbodenmuskeln willkürlich und zeitgerecht zu aktivieren bzw. zu entspannen. Funktionskontrollen durch digitales vaginales Muskeltesting oder Biofeedbackmethoden. - Beckenbodentraining (Wahrnehmung Beckenboden, Aufbau einer guten BB- Aktivität, Kräftigung BB-Boden) - Trainingshilfen (Kugeln, Konen, Ballone) - Elektrostimulation (direkte Nervenstimul.) - Biofeedback (Signal bei BB-Kontraktion)
Physiotherapie
Physiotherapie Elektrostimulation: Durch direkte Stimulation von Nerven über vaginal oder rektal eingelegte Sonden wird die Beckenbodenmuskulatur auftrainiert.
Pessare Pessare: Effektivste Soforthilfe bei Stressinkontinenz und Prolaps. Mit Östrogenen kombiniert sind diese auch ein wichtiger Therapiebaustein bei: - urogenitalen Reizzuständen - Kohabitations-, Miktions- und Narbenbeschwerden - operative Vor- und Nachbehandlung. Anwendung bis Beschwerden nach flankierenden Therapien behoben sind oder eine operative Therapie gewünscht wird.
Pessare Ringpessare: Bei Stressinkontinenz, unterstützen die Urethra und schliessen bei körperlicher Belastung. Dürfen nicht schmerzen bzw. herausfallen. Würfelpessare: Bei Descensus, haften an der Vaginalhaut, dürfen keine Beschwerden verursachen.
Pessare Eine Oestrogenisierung vor und während der Pessar-Anwendung ist Bedingung!
Pessare Ringpessare liegen dem Beckenboden auf, weshalb ein Beckenboden-Training wichtig ist.
Pessare Würfelpessare haften an der Vaginalhaut und können auch bei schaffem Levator ani weitem Introitus angewendet werden.
Operation Ziel: Früher: Kranioventrale Verlagerung des Meatus urethrae internus. Heute: TVT-Prinzip: Schaffung eines Widerlagers im mittleren Abschnitt der Harnröhre. Zugang: In der Regel vaginal mit TVT. Abdominal mit Burch nur noch als Zusatzeingriff bei gyn. Laparotomie.
Operation Operation indiziert, wenn diese vier Bedingungen erfüllt sind: - konservative Therapie ausgeschöpft - Harnverlust stört - operative Heilungschance gut ist - Patientin Eingriff nach Aufklärung über Erfolgschancen und Risiken wünscht
Operation Abdominale Kolposuspension (Burch): Nicht resorbierbares Nahtmaterial, stabile Fixation periostal und in Vaginalfaszie.
Operation Vaginale Schlingenoperation mit TVT: Bei Stressinkontinenz mit hypermobiler Urethra. In Lokalanästhesie bzw. Analgo- Sedation.
TVT
Operation Diaphragmaplastik («vordere Raffung»): Nur bei grosser Zystocele (und zentralem Defekt). Kolpoperineoplastik («hintere Raffung») und Vaginafixation nach Richter: Bei kleinen und mittelgrossen Zystocelen in Kombination mit Schlingenoperation. Streckt die Scheide bzw. Zystocele.
Operation Paravaginal Repair: Bei Zystocele und lateralem Defekt (Rugae erhalten)
Operations-Probleme Rezidiv: Wenn proximale Urethra zu wenig eleviert oder instabil fixiert wird. Destabilisation Beckenboden: Eine hohe und breite Elevation der vorderen Vaginalwand begünstigt Entero- und Rektozelen.
Operations-Probleme Postoperative Miktionsstörung: Wenn Narben, Schlingen und Suspensionen die Urethra bei der Miktion abknicken oder deren Eröffnung behindern (Quetschhahn- Mechanismus zb. bei Bauchpresse) Larvierte Stressinkontinenz: Nach Diaphragmaplastik («vordere Raffung») wegen Zystocele, va. bei periurethralen Raffungen.
Th Urge-Inkontinenz Trink- und Miktionstraining: Ziele sind: - 2000ml Urin pro Tag (1500-3000ml) - 300ml Urin pro Miktion (200-500ml) - Keine Nykturie mehr. Trainingshilfen: - Aus grossen Gläsern trinken - Trinkmenge für den ganzen Tag bereit stellen - Vormittags häufig (2-3dl/h) trinken, abends weniger, um Nykturie zu reduzieren.
Th Urge-Inkontinenz
Th Harnwegsinfekt Unkomplizierter, unterer, nicht rezidivierender HWI: Einmal-Th oder Th über 3d Komplizierte HWI (obere Harnwege, rezdivierende untere HWI, Schwangerschaft): Mindestens 10-14d Therapie. Bei rezidiverenden HWI in >50% Kulturen negativ (nicht kultivierbare Erreger), deshalb bei Reizblase und Urethralsyndrom initial immer Tetrazykline 10-14d Flankierend: Gute vaginale Östrogenisierung, grosse Trinkmengen, gute Intimpflege.
+ Partner-Th!
Th Urge-Inkontinenz Detrusor-relaxierende Medikamente: Reduzieren Urge, Pollakisurie und Nykturie, bis kausalere Therapien (Trink- und Miktionstraining, Infektsanierung und Östrogene) das Krankheitsbild bessern. Akzeptanz (Mundtrockenheit) grösser, wenn mit Nachtdosis begonnen und ev. einschleichend dosiert wird.
Imipramin: Trizyklisches Antidepressivum mit anticholinerger (= Detrusorrelaxierender) und alpha-agonistischer (= Urethra-tonisierenderer) Wirkung.
Therapieübersicht Stressinkontinenz Urgeinkontinenz Östrogenisierung Östrogenisierung Physiotherapie (BB-Tr., Biofeedback, Elektrostim.) Trinktraining, Miktionskalender, Blasendrill Infekttherapie Arabin Ring-Pessare TVT (ev. abd. Kolposus.) Detrusor-relaxierende Medikamente
Fragen?
Zystometrie Füll-Zystometrie: Erfassung der Detrusorfunktion. Beschreibt: - Sensibilität: Erster Harndrang, Unbehagen, Schmerz - Kapazität - Compliance («Dehnbarkeit») - Kontraktiliät («Detrusorkontraktionen»)