ANALYSE 1. Satz aus der Klaviersonate op.2, Nr.1, f-moll von Ludwig van Beethoven

Ähnliche Dokumente
ANALYSE Des langsamen Satzes aus der Klaviersonate f-moll op.2, Nr.1 von Ludwig van Beethoven.

Sonatenanalyse (maturaorientiert)

Tripelfuge BWV 1080 ( Die Kunst der Fuge ), Nr.11 von J. S. Bach

ANALYSE Des Menuetts aus der Klaviersonate f-moll op.2, Nr.1 von Ludwig van Beethoven.

Modelle. Sonatenform

Ludwig van Beethoven 2. Klaviersonate op. 2 Nr. 2, Joseph Haydn gewidmet (1796 veröffentlicht)

Wie heißen Teile eines Sonatenhauptsatzes?

Die Kadenz. als Schlusswendung und Formmodell. Kopieren erlaubt

wird sofort noch einmal auf der Dominante wiederholt. Lustige Dreiklangbrechungen,

2. Klausur im LK 11/ Musik Analysieren Sie die Originalkadenz aus dem 1. Satz von Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 und bewerten Sie die

Ludwig van Beethoven "Grande Sonate pathétique c-moll" (Titel original) op.13 (Nr.8), dem Fürsten Lichnowsky gewidmet (1799 veröffentlicht)

Vorlesung 7 Langsamer Satz und Rondo

Letzter Termin vor Weihnachten: Do, , 18.1., 1.2.: Anmeldung zur Klausur Do 25. Januar: KEINE VORLESUNG Klausur: Dienstag,

Wie man "Oberton" spielt

Erinnerung Crashkurs M I. Musiktheorie. Die Kirchentonarten (Modi) Crashkurs M II Was ist neu?

Lehrermaterialien Spielpläne Oberstufe. Georg Friedrich Händel: Passacaglia g-moll (HWV 432)

Musiktheorie. Rolf Thomas Lorenz

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Komponieren lernen. Das komplette Material finden Sie hier: School-Scout.

Praktische Musiklehre

VI. Akkorde 1. Einleitung 2. Dreiklänge

DIE FILES DÜRFEN NUR FÜR DEN EIGENEN GEBRAUCH BENUTZT WERDEN. DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR.

Lösungen zu den Übungsaufgaben in der Mannheimer Bläserschule D3. Tonleitern

Wiederholung. Schematische Überraschung. Dynamische Überraschung. Abbildungsgetreue/wahrheitsgetreue Überraschung. Bewusste Überraschung

550 WK II/22: b-moll

Einige Gedanken zur Reihenfolge der Mittelsätze in Mahlers 6. Sinfonie

Die Sonatenform bei Mozart und Beethoven

Prof. Dr. Ulrich Kaiser Arbeitsheft zur Stilübung Sonate. Unterrichtsmaterialien zur Stilübung. Sonate. des 18. Jahrhunderts

Wie viele Achtelnoten klingen zusammen genommen genauso lange wie eine halbe Note?

Lösung: Non und Sept abwärts, Leitton aufwärts, Grundton fällt eine Quint, wenn im Bass, bleibt in den Mittelstimmen liegen

Der Quintenzirkel. Crashkurs M I: Was ist neu? Musiktheorie Die Tonarten und ihre Vorzeichen

James Bond trifft Ludwig van...

Kolumbus-Vorbereitungsmaterial 2009/2010

11. Akkorde und Harmonie

Abb. 5: Persönlicher Test Multiple Intelligenzen nach Howard Gardner

Diese Analysen sollen als Anregungen zum eigenen Weiterdenken dienen.

INHALT KAPITEL THEMA SEITE CD-NR.

Präludium in Es-Dur. 1 Dies lässt sich nachempfinden, wenn man T. 15 als vorletzten Takt einer Es-Dur-Kadenz

W. A. Mozart: Konzert für Klavier und Orchester. Nr. 20 B-dur KV Satz -

Musiktheorie. Rolf Thomas Lorenz

VII INHALTSVERZEICHNIS. II. Teil. Diatonik. 1. Kapitel 3 Die Funktion der Stufen im Dur-Moll-tonalen System 1. Bezugszentrum 2. Verwandtschaftsgrade 7

Ein kleines Stück Musik-Theorie. Lernquiz zur Vorbereitung auf die Lernzielkontrolle

Johann Sebastian Bach ( ): Triosonate Nr.2 c-moll / BWV 526

Schubert, 9. Sinfonie, 2. Satz

SMS. Bitte übersetzen Sie: Ultima fermata scendete dall autobus, per favore! Beschreiben Sie, was sich hinter einem Ensemble-Schluss verbirgt.

Der 1. Satz (Andante; Typus 2, Thema 2: Typus 1) beginnt über getupften Baßnoten mit einer weitgespannten, achttaktigen Linie im Sopran:

Musiktheorie Abschlusskurs Mittelstufe

GEHÖRÜBUNGSTESTS: Bestandteil der praktischen Prüfungen in allen Fächern

1. Die theoretischen Grundlagen

Meine zweite Klavierschule!

m e z z o f o r t e - Verlag für Musiklehrmittel, CH-6005 Luzern - Alle Rechte vorbehalten -

Genaueres zum Canon alla Decima aus BWV 1080 ( Die Kunst der Fuge )

Abbildung 1: Als wir noch... Homophonie: Es gibt eine Hauptstimme, die anderen Stimmen bilden die Begleitung.

Informationen Test Musiklehre 1

Prüfungsarbeit Leistungsabzeichen SILBER. Prüfungsteil Musiklehre. Neukonzeption Höchstpunktzahl 60 / Mindestpunktzahl 36

FolkwangHochschule Information zur Eignungsprüfung in Musiktheorie

Musiktheorie Kurs U II

Die # ( Kreuz )-Dur-Tonarten und die Reihenfolge ihrer Tonstufen

3. Definitionen Erklären sie den Begriff Akzident. Benennen Sie den Unterschied zwischen generellen und speziellen Vorzeichen.

A P P E N D I X. Weiteres Material:

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Formen durch Komponieren kennenlernen. Das komplette Material finden Sie hier:

Gegenstand, Methode und Gliederung Die vier Sonaten Entstehungszeitraum... 22

Blasmusikverband Thüringen e.v. Testprüfungsbogen für die theoretische Prüfung der Leistungsstufe D2

Notation von Musik die Notenschrift I. Die Tonhöhe

Eignungsprüfung im Fach Musiktheorie

musik analyse.net Periode und Satz von Ulrich Kaiser

Kammermusik mit J. S. Bach

Matura 2012 Musizieren

Akkorde und ihre Funktionen

Eignungsprüfung Musik Lehramt GymGe

Schubert, 4 Impromptus (D 935), Nr. 2 in As-Dur

m e z z o f o r t e - Verlag für Musiklehrmittel, CH-6005 Luzern - Alle Rechte vorbehalten -

122 WK I/6: d-moll I T. 1-6 (d f, noch ohne Motive) II T (f d, zwei Motive und ihre Entwicklung) III T (d d, Motive wieder fallen gelasse

Inhaltsverzeichnis ÜBER DEN AUTOR... 6

QUINTENZIRKEL. Allgemeines

Spiel ein Lied am Klavier

Was ist guter Musikunterricht? Einführende Vorlesung Fachdidaktik Musik / Lernbereich Musik WiSe 2007/08

Komposition im Unterricht am Beispiel eines Barock-Themas

Musikalisches Grundwissen (ab 8. Klasse)

Invention und Fuge Geniale Tastenmusik à la Bach

3 Inhaltsverzeichnis Chordpiano-Workshop Band I. Inhaltsverzeichnis

Improspiel Level 1 Sound Melodie Rhythmus Harmonie

LEISTUNGSABZEICHEN gültig ab

Unterrichtsmaterialien Beethoven (GY, ab 9. Klasse) SWR Sinfoniekonzert Mai 2011

# # b b n # # # # # b b bb. Intonationskunde. Hörbeispiele zum 3. Kapitel : Intonationskunde. Das pythagoreische Komma

Mit CD Seiten Noten als PDF-Datei zum Ausdrucken I N D E R P RAX I S - B A N D 2 DOWNLOAD PDF FILE. SPIELEN UND BEGLEITEN

Neue Jazz-Harmonielehre

Akkorde, Skalen & Modi

Spezifische Formfunktionen mediantischer Harmonik in Sonatenkompositionen W.A. Mozarts 1

Praktische Musiklehre

a) Akkordgriffvariationen

HAYDN CLEMENTI MOZART Ausprägungen der Monothematik

Themen aus dem vierten Satz der 1. Sinfonie Beethovens

Dorian Swing: Wir alle haben ein MOTIV

FORTBILDUNGSVERANSTALTUNG. des REGIERUNGSPRÄSIDIUMS KARLSRUHE

Transkript:

ANALYSE 1. Satz aus der Klaviersonate op.2, Nr.1, f-moll von Ludwig van Beethoven Der erste Satz der Klaviersonate op.2, Nr.1, f-moll von Ludwig van Beethoven (1770-1827) ist, ganz dem Schema der klassischen Sonate verpflichtet, in der Sonatenhauptsatzform komponiert. Exposition: T.1 - T.48, Durchführung: T.49 - T.100 Reprise: T.101 - T.145 Coda: T.146 - T.152. Interessant ist, wie Beethoven die Gegensätzlichkeiten zwischen dem ersten (T.1-8) und dem zweiten (Auftakt zu T.21 - T.28, 1. Viertel) Thema erreicht. Motiv des 1. Themas (Auftakt zu T.1 - T.2): Motiv des 2. Themas (Auftakt zu T.21 - T.22): Ein Vergleich der beiden Themenmotive zeigt, dass es ebenso viele Gemeinsamkeiten (grün) wie Unterschiede (rot) gibt.

Beiden gemein sind der Auftakt, der jeweils am Beginn erklingende gebrochene Akkord (in der Analyse: Teilmotiv a), der punktierte Rhythmus (blau) am Ende (In der Analyse: Teilmotiv b) und die Tonwiederholungen in der Begleitung. Die Unterschiede liegen in der Bewegungsrichtung der Akkordbrechung (in der Analyse: Teilmotiv a Umk.) und des punktierten Rhythmus (in der Analyse: Teilmotiv b Umk.) (1. Thema aufwärts abwärts, 2. Thema abwärts - aufwärts), in der Artikulation der Akkordbrechung (1. Thema staccato, 2. Thema legato) und in der Harmonisierung (1. Thema: Tonika der Grundtonart [moll] vorherrschend, Konsonanz, 2. Thema: Dominante der Paralleltonart [dur] vorherrschend, starke Dissonanz). Die Themen bestehen letztlich aus den gleichen Elementen. Diese werden nur unterschiedlich verwendet. Durch die Gemeinsamkeiten werden die Unterschiede deutlicher, als wenn es gar keine Gemeinsamkeiten gäbe. Diesen Kunstgriff verwendet Beethoven sehr oft. Die strukturellen Unterschiede haben ihre Auswirkungen auf die Aussage (sonst wären sie schließlich überflüssig): Während das erste Thema sehr entschlossen, fast trotzig wirkt und in eine pathetisch gestellte Frage mündet (T.7/8), hat das zweite Thema etwas von banger Unsicherheit. Die Unsicherheit des zweiten Themas wird dadurch hervorgehoben, dass die Tonika (As-dur) nur kurz angedeutet wird und das auch nur als Quartsextakkord. Die Modulation von f-moll (Grundtonart, 1. Thema) nach As-dur (Tonikaparallele, 2. Thema) erstreckt sich vom Auftakt zu T.9 bis T.20 und enthält die im Kapitel über die Sonatenhauptsatzform erwähnte Doppelpunktwirkung (T.16-20), die das zweite Thema vorbereitet. Die mehrfache Wiederholung der freundlichen Subdominant-Doppeldominant-DominantHarmonisierung (in der Grafik oben jeweils rot markiert) lässt Hoffnung auf eine Antwort der vom ersten Thema gestellten Frage aufkommen. Diese Hoffnung wird vom bangen zweiten Thema nicht erfüllt. Die Weiterführung des zweiten Themas (T.26ff) wirkt mit seinem eigenen Motiv (rot) ratlos : 2

Nach und nach steigert sich das Geschehen zu einem Seitengedanken, mit dessen Erklingen die Tonikaparallele zum ersten mal sicher erreicht scheint. Jubelnd verbindet dieser Seitengedanke scheinbar die gegensätzlichen Charaktere der beiden Themen, indem er Elemente des ersten Themas (aufwärts gerichtete Akkordbrechungen, rot) und des zweiten Themas (abwärts gerichtete Akkordbrechung, grün) beinhaltet. Wie ein expressiv-freudiges Resümee folgt die Schlussgruppe. Sie beendet die Exposition. Die folgende Durchführung (Auftakt zu T.49) beginnt mit dem ersten Thema in der Tonikaparallele As-dur. Wie am Beginn der Sonate wird dabei das Themenmotiv einmal in der Dominante wiederholt, allerdings fehlt bei der Wiederholung der gebrochene Akkord (Teilmotiv a, rot). Dadurch erklingt der verzierte punktierte Rhythmus (Teilmotiv b, blau) zweimal nacheinander. So entsteht der Eindruck einer gewissen Unbeschwertheit, ausgelöst durch das freundliche Ende der vorangegangenen Exposition. 3

Durch die harmonische Wendung in den Takten 52-54, die den vorangehenden Takten 49-51 entsprechen, wandelt sich die Unbeschwertheit zurück in die Dramatik vom Beginn des Satzes. Es wird deutlich: Das Problem ist nicht gelöst. In T.55 setzt das bange zweite Thema wieder ein. Obwohl eine Modulation bereits in T.52 begonnen hat, tritt erst von hier an der Vorgang der thematischen Arbeit in den Vordergrund, der für eine Durchführung charakteristisch ist. Von der Ausgangstonart As-dur geht der Weg über b-moll (T.55), und c-moll (T.63) zurück zur Haupttonart f-moll, deren Dominante in T.81 erreicht wird. Interessant ist, wie ab dem Auftakt zu T.74 beide Teilmotive des zweiten Themas auf jeweils zwei synkopierte Töne reduziert werden (Teilmotiv a: grün, Teilmotiv b: blau). So wird eine starke rhythmische Kraft erzeugt und der Vorwärtsdrang verstärkt. Diese Steigerung gipfelt in den Takten 80/81, in denen die vier Akkorde in den Oberstimmen an die entsprechenden Akkorde der Begleitung des ersten Themas erinnern: 4

In T.81 ist mit der Dominante von f-moll (Grundtonart) ein hohes Spannungsniveau erreicht, auf dem das Geschehen bis T.94 verweilt ( Stehenbleiben auf der Dominante : c im Bass). Nach den dramatischen Bewegungen der bisherigen Durchführung wirkt dieser Moment wie ein Zustand banger Erwartung. Die Takte 95-100 führen hin zur Reprise und klären so die Unsicherheit. Das erste Thema erklingt in der Haupttonart f-moll, vertraute Klänge des Sonatenbeginns lassen zunächst etwas Entspannung zu. Die unbeantwortete Frage, die vom ersten Thema schon am Anfang der Exposition gestellt wurde, erhält jedoch in der Reprise durch den veränderten Rhythmus der Begleitung in den Takten 105-108 einen entschlossenen Nachdruck, als ob der Erwartung Ausdruck verliehen werden soll, dass durch die Geschehnisse der Durchführung nun eine Antwort möglich geworden sei. 5

Die Einrichtung (Auftakt zu T.109-T.119), die formal der Modulation in der Exposition entspricht, hat hier keinerlei hoffnungsvollen Ausdruck mehr und lässt erahnen: Das zweite Thema, das ab T.119 nun in der Tonika erklingt, wirkt nun eher wie eine Bestätigung der Aussage der Exposition und nicht wie eine Auflösung des Problems. Alles, was folgt, hat die gleiche Wirkung: nämlich die, sich damit abzufinden, dass es die ersehnte freundliche Lösung nicht geben wird. Erreicht wird das damit, das alle Elemente nun in der Tonika und nicht wie in der Exposition in der Tonikaparallele erklingen. Zum Abschluss bestätigt die Coda mit entschlossenen Akkorden, die den beiden Schlussakkorden der Exposition entlehnt sind, die Aussage der Reprise. 6

7

8

9