Festrede von Frau Justizministerin Uta-Maria Kuder anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Rostocker Anwaltvereins am 7. November 2013 in Rostock Es gilt das gesprochene Wort! Anrede, im Namen der Landesregierung gratuliere ich dem Rostocker Anwaltverein ganz herzlich zu seinem historischen Jubiläum. Vor nunmehr über 100 Jahren, genau genommen am 03. November 1913, wurde der Anwaltverein hier in Rostock gegründet. Seither vertritt er die Interessen seiner Mitglieder zugunsten der rechtssuchenden Bürger. Heute ist er der größte Anwaltverein unseres Landes Mecklenburg- Vorpommerns. Das 100-jährige Bestehen des Anwaltvereins hier in Rostock ist ein ganz besonderes Datum für Ihren Berufsstand, aber auch für das Zusammenwirken der Organe der Rechtspflege. Denn eines verbindet die Anwaltschaft und die Justiz unseres Landes ganz besonders: Ihr gemeinsamer Auftrag, das geltende Recht durchzusetzen. An dieser Stelle möchte ich mich daher stellvertretend bei Ihnen, Herr Doose-Bruns, für ein vertrauensvolles Miteinander der Rostocker Anwaltschaft und unserer Justiz bedanken. ein solcher Festakt ist sicher Anlass genug, einmal die Bedeutung der Rechtsanwaltschaft, ihre Verantwortung und ihre Stellung in unserem Rechtssystem in den Blick zu nehmen. Und wer könnte es treffender und eindrucksvoller beschreiben, als unsere Bundesverfassungsrichter. In einem Beschluss aus dem Jahre 2007 heißt es: (BVerfG, Beschluss vom 15.03.2007, 1 BvR 1887/06) Die anwaltliche Berufsausübung, die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnet ist, unterliegt unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts. Wesensmerkmal Ihrer Tätigkeit ist danach der Grundsatz der freien Advokatur. Dies bedeutet Freiheit vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung. Dabei betont Deutschlands höchstes Gericht zu Recht, dass diese garantierte Unabhängigkeit nicht nur dem Interesse des Rechtsanwalts oder des einzelnen Rechtssuchenden diene.
Auch das Bedürfnis der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege wird geschützt. Die freie Anwaltschaft ist ein unverzichtbares Fundament unseres demokratischen Rechtsstaats. Auf diese Entwicklung können wir mit Recht stolz sein. Bis dahin war es jedoch ein langer Weg. 2 Erlauben Sie mir daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass ich Sie auf eine Reise in die Vergangenheit mitnehme. Also zurück zu den Anfängen. Der Beruf des Rechtsanwalts blickt nämlich auf eine weite Tradition zurück. Bereits im antiken Griechenland war die Gerichtsrede neben der politischen und der feierlichen Rede eine der drei rhetorischen Ausdrucksformen. Grundsätzlich oblag es jedem Privatmann seine Verteidigungs- oder Anklagerede selbst zu halten. Da nicht jedem gleich lag, die richtigen Worte zu finden, entwickelten sich schließlich Berufsredner. Das Schwergewicht der Aufgabe des Berufsredners lag dabei nicht in der Rechtskenntnis. Vielmehr musste er die Kunst der Rhetorik beherrschen, um die Entscheidung des Richters zu beeinflussen. In Deutschland wird die Tätigkeit eines Rechtsanwalts erstmals im Sachsenspiegel von 1225/1226 beschrieben. Auch nach diesem ältesten bekannten deutschen Rechtsbuch war zunächst jedermann befähigt, sich selbst zu verteidigen. Fehler einer Rede gingen jedoch zu Lasten des Angeklagten. Es war daher ratsam, sich für seine Verteidigung vor Gericht eines sogenannten Fürredners zu bedienen. Erst am Ende der Verhandlung durfte die Partei dann auf Frage des Richters entscheiden, ob sie die Rede ihres Fürsprechers für sich gelten lassen wollte. Und anders als heute war jeder gerichtsfähige Mann auf Anordnung des Richters verpflichtet, das Amt eines Fürsprechers zu übernehmen. In dieser Zeit entwickelten sich dann Sprichwörter wie dieses: Ein Fürsprech ist ein Ritter des Rechts. Ich nehme an, dies würden Sie auch heute gerne für sich gelten lassen. Bereits im Spätmittelalter wurden wesentliche Grundwerte des anwaltlichen Berufsrechts im Schwabenspiegel festgelegt, die zum Teil auch heute noch gelten. Dazu gehören etwa die Verschwiegenheitspflicht als entscheidendes Element der Vertrauensbeziehung und das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten. Mit der Rezeption des römischen Rechts wurde dann das Gerichtsverfahren professionalisiert und die Funktion des Fürredners mit ausgebildeten Juristen besetzt. Ihr beruflicher Alltag hat sich in den vergangenen 100 Jahren des Bestehens des Anwaltsvereins Rostock und sogar den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Und das in jeglicher Hinsicht. So hat etwa die Fachanwaltsausbildung an Bedeutung und Vielfalt gewonnen. Hervorzuheben sind weiterhin der Wegfall der Singularzulassung an den Oberlandesgerichten und des Zweigstellenverbotes. Auch über das Werbeverbot von Rechtsanwälten wird heute kein Wort mehr verloren. Zudem wurde Ihnen die Möglichkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren eröffnet. Dies sind nur einige Zeichen des Wandels. Es sind viele berufsständische Regelungen gefallen. Selbst die Amtsrobe ist nicht mehr an jedem Gericht in Deutschland Pflicht.
3 der vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Grundsatz der freien Advokatur ist nicht nur Ihr Recht, sondern auch Ihre Verpflichtung. Letzteres scheint manchmal jedoch in den Hintergrund zu treten. Dabei hat der Rechtsanwalt eine doppelte Verantwortung, gegenüber sich und seinen Mandanten einerseits, andererseits aber auch gegenüber dem Gemeinwohl. Diese Verantwortung darf bei aller Veränderung und bei dem neuen Dienstleistungsverständnis niemals vergessen werden. mit den vorgenannten Veränderungen haben sich in den vergangenen Jahren auch neue Betätigungsfelder eröffnet. Mediation: Insbesondere gewinnt die außergerichtliche Konfliktbeilegung eine immer größere Bedeutung. Viele von Ihnen haben sich bereits zu Mediatoren ausbilden lassen. Ich freue mich, dass gerade hier in Rostock sowohl von der außergerichtlichen Konfliktbeilegung als auch von dem Angebot der Mediation an den Gerichten rege Gebrauch gemacht wird. Das ist natürlich auch maßgeblich dem Einsatz des Anwaltvereins hier in Rostock und der Rostocker Anwaltschaft zu verdanken. In unserer Gesellschaft besteht ein verstärktes Bedürfnis, alternative Formen der Konfliktbewältigung zu praktizieren. Dies gilt nicht nur für Großprojekte. Die Erfahrung gerade im Landgerichtsbezirk Rostock zeigt, dass die Menschen der Mediation positiv gegenüberstehen. Da werden Sie mir sicherlich zustimmen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Die außergerichtliche Mediation stärkt die Eigenverantwortung der Bürger in der Zivilgesellschaft. Sie verbessert die Streitkultur und sie entlastet die Gerichte. Es ist mir deshalb ein besonderes Anliegen, dass wir diese Entwicklung weiter befördern. Der Bundestag hat zuletzt das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung beschlossen. Von diesem Gesetz erhoffe ich mir, dass es neue Impulse in diese Richtung setzt. Darüber hinaus sind in diesem Sommer auf Europäischer Ebene die Alternative Dispute Regulation, kurz ADR-Richtlinie und die ODR, d.h. die Richtlinie zur Online-Streitbeilegung verabschiedet worden. Diese sind nun in deutsches Recht umzusetzen. Das bedeutet aber auch, dass neue Regularien und Institutionen zur verpflichtenden vorgerichtlichen Streitschlichtung bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen zu schaffen sind. Die Überlegungen zur Umsetzung stecken noch in den Kinderschuhen. Ich bin jedoch überzeugt, dass auch diese Entwicklungen Ihre Tätigkeit beeinflussen und langfristig verändern werden. Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz: Ein weiteres wichtiges Gesetzesvorhaben der letzten Bundesregierung, hat sicher nicht nur mein Haus mit Interesse verfolgt und begleitet. Auch für Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, war es ein zentrales Thema. Sie werden es sich denken: Ich
spreche über das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Eine erneute Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung war mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung dringend notwendig. Ich weiß jedoch, dass viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die beschlossene lineare Anhebung noch nicht als ausreichend ansehen. Bitte bedenken Sie jedoch, meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Medaille hat zwei Seiten. Im Gesetzgebungsverfahren wurde schon darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Regulierung anwaltlicher Gebühren zwei Zielen dient. Einerseits erkennt das Gebührenrecht an, dass qualifizierter und unabhängiger Rechtsrat nur auf einer gesicherten materiellen Grundlage erfolgen kann. Zugleich soll das Gebührensystem jedoch gewährleisten, dass qualifizierte Beratung auf allen Rechtsgebieten zur Verfügung steht und jedermann einen effektiven Zugang zum Recht hat. Das machte es erforderlich, die Gebührensätze moderat anzupassen. Insgesamt denke ich, kann man feststellen: Mit dem Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz wurden die gegenläufigen Interessen weitgehend harmonisiert. 4 wir müssen auch einen Blick in die Zukunft wagen. Denn auch in den nächsten nicht einmal 100 sondern nur 10 Jahren wird sich Ihre Tätigkeit wahrscheinlich weiter erheblich wandeln. Ich nenne nur Begriffe wie Qualitätssicherung, IT-Unterstützung, Dienstleistungsorientierung oder Europäisierung und Internationalisierung. Wir werden auch in den nächsten Jahren erleben, wie sich Rechtsanwälte weiter spezialisieren, wie sie mobiler werden bzw. werden müssen und sich noch stärker europäisch ausrichten. Ganz wesentlich werden Veränderungen im Anwaltsberuf in den nächsten Jahren jedoch durch den Umgang mit neuen technischen Entwicklungen geprägt sein. Ich denke hier an den Elektronischen Rechtsverkehr. Der Bundestag hat das Gesetz zur Eröffnung des Elektronischen Rechtsverkehrs noch in der gerade vergangenen Legislaturperiode beschlossen. Dies eröffnet neue technische Möglichkeiten. Es ist aber auch mit weiteren Herausforderungen verbunden. Mein Haus wird sich intensiv mit den damit zusammenhängenden Fragen und technischen Anforderungen beschäftigen. Dabei baue ich auch auf eine Zusammenarbeit mit Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu der ich Sie hiermit gerne einladen möchte. Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik: Unabhängig von den aktuellen Diskussionen um Live-Übertragungen von Verhandlungen kommt auch durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren Neues auf Sie zu. Die Möglichkeit zur audio-visuellen Beteiligung von Parteien, Prozessvertretern, Zeugen oder Sachverständigen wird erweitert. In Mecklenburg- Vorpommern soll zunächst eine umfassende Prüfung der technischen Anforderungen und Möglichkeiten erfolgen. Entsprechend haben wir von der sogenannten Opt-Out- Möglichkeit des Gesetzes Gebrauch gemacht. Damit trat das Gesetz noch nicht am 1. November 2013 in Kraft. Vielmehr soll zunächst die bestmögliche und wirtschaftlichste Lösung ermittelt werden. Sodann wird das Gesetz schnellstmöglich auch bei uns
umgesetzt werden. Es wird zu beobachten sein, wie sich Gerichtsverfahren durch diese Möglichkeiten verändern. Um diese und weitere gesetzlich oder tatsächlich eintretende Veränderungen des Anwaltsberufes und der gerichtlichen Tätigkeit sachgerecht regieren zu können, brauchen wir auch die Diskussion mit Ihnen und Ihrer Standesvertretung. 5 Anwaltliche Beratungsstellen: Meine sehr geehrten Damen und Herren Rechtsanwälte, ich möchte heute in einem weiteren und mir persönlich sehr wichtigen Punkt mit Ihnen in einen erneuten Dialog eintreten. Es geht mir um die Anwaltlichen Beratungsstellen bei uns in Mecklenburg-Vorpommern. 1996 gab es die ersten anwaltlichen Beratungsstellen. Nachdem ich das Amt übernommen habe wurde das Konzept der Anwaltlichen Beratungsstellen 2008 neu ausgerichtet und belebt. Mit zahlreichen Anwaltvereinen konnten neue Verträge abgeschlossen werden. Derzeit gibt es zehn Anwaltliche Beratungsstellen im Land, die zugunsten der Rechtssuchenden eine erste Beratung anbieten. Die Beratungsstellen werden von vielen sehr engagierten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten - insbesondere im östlichen Teil des Landes - erfolgreich betrieben. Die Beratungsstelle in Schwerin weist jedoch den höchsten Zulauf und Beratungsbedarf auf. Ein besonderes Anliegen von mir ist es, auch im Landgerichtsbezirk Rostock eine Beratungsstelle zu eröffnen. Ich der Vergangenheit ist mein Haus mit diesem Vorschlag bereits mehrfach an den Anwaltverein Rostock herangetreten. Zuletzt geschah dies im Jahr 2011 auf Anregung der damaligen Direktorin des Amtsgerichts Güstrow und Initiative dort tätiger Anwälte. Ihre Mitgliederversammlung hat den Abschluss eines entsprechenden Vertrages mit dem Justizministerium jedoch abgelehnt. Vielleicht hat sich Ihre Einstellung hierzu inzwischen geändert. Ich darf daran erinnern: Die Anwaltschaft ist ein Organ der Rechtspflege. Das verdeutlicht, dass Sie, sehr geehrte Damen und Herren, eben nicht nur Dienstleister sind. Sie nehmen vor allem auch eine Aufgabe wahr, die sich zwingend am Gedanken des Gemeinwohls zu orientieren hat. Und die Erfolge der Beratungsstellen im Land zeigen doch, dass es in der Bevölkerung ein erhebliches Bedürfnis für diese Form der anwaltlichen Erstberatung gibt. Offenkundig scheuen viele Rechtssuchenden den Schritt in eine Anwaltskanzlei. Den Besuch der Anwaltlichen Beratungsstelle im örtlichen Amtsgericht oder - wie im Falle von Malchin - im Rathaus hingegen nicht. Ich appelliere daher an Ihre Verantwortung und Stellung in der Rechtspflege. Ich würde mich sehr freuen, sehr geehrter Herr Doose-Bruns, wenn wir hierzu in ein neues Gespräch eintreten könnten. ich habe diese Rede damit begonnen, das oberste deutsche Gericht zu zitieren. Lassen Sie mich am Schluss meiner Rede mit ein paar Zeilen von unserem größten deutschen Dichter Johann Wolfang von Goethe aus seinem Faust vortragen: Kein größer Unrecht wird Juristen angethan, als wenn ein jeder Recht erweiset jedermann. Weil Ihnen
Unrecht recht, wenn Unrecht wo nicht wär, wär zwar ihr Buch voll Recht, ihr Beutel aber leer. 6 In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen und uns einen schönen Abend mit guten Gesprächen.