Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa

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Transkript:

... Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa Béla Galgóczi und Bruno S. Sergi... Europäisches Gewerkschaftsinstitut

Béla Galgóczi ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Gewerkschaftsinstitut, Brüssel, und Redakteur der Zeitschrift SEER Journal for Labour and Social Affairs in Eastern Europe. Bruno S. Sergi ist Professor an der Universität von Messina, Italien. Er ist außerdem Mitglied des Redaktionsbeirates der SEER Journal for Labour and Social Affairs in Eastern Europe. Brüssel, 2012 Herausgeber: ETUI aisbl, Brüssel Alle Rechte vorbehalten Das ETUI erhält finanzielle Förderung von der Europäischen Union. Die Europäische Union ist nicht verantwortlich für jegliche weitere Nutzung der Informationen dieser Publikation.

Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa Inhalt Einleitung...5 Allgemeiner Überblick...5 Wirtschaftliche Entwicklungen...6 Wirtschaftliches Gleichgewicht...9 Arbeitsmarkt- und soziale Entwicklungen...9 Zusammenfassung... 12 Literaturangaben... 12 Weitere Literaturhinweise... 13 Europäisches Gewerkschaftsinstitut 3

Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa Einleitung Diese Broschüre gibt einen allgemeinen Überblick über die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Fakten und Entwicklungen einer Region, die fast ein Jahrzehnt lang von der Entwicklung in Europa abgeschnitten war und nun den Anschluss wieder findet, wenngleich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in den einzelnen Ländern. Die Region, mit der wir uns hier beschäftigen, wird auch als westlicher Balkan bezeichnet und schließt die nicht EU-Mitglieder des früheren Jugoslawiens und Albanien mit ein. Die Länder befinden sich in unterschiedlichen Stadien des EU-Integrationsprozesses: Kroatien ist Beitrittsland, das am 1. Juli 2013 der EU beitreten wird; die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, Montenegro und Serbien haben Kandidatenstatus, und Albanien, Bosnien-Herzegowina und der Kosovo sind potentielle Kandidatenländer. 1 Ihr unterschiedlicher Status zieht auch Unterschiede in der Verfügbarkeit von Informationen nach sich, sodass Daten aus verschiedenen Quellen zusammengetragen werden mussten. Dadurch ist zwar die Datenkompatibilität eingeschränkt, doch der Leser erhält einen allgemeinen Überblick und diese Länder werden greifbarer. Für ein leichteres Verständnis wurden verschiedene andere Länder zum Vergleich herangezogen, insbesondere Deutschland und Polen, in machen Fällen auch Griechenland. Darüber hinaus werden auch Daten für die EU27 zum Vergleich angegeben. Einem allgemeinen Überblick folgt die Darstellung der wichtigsten wirtschaftlichen Entwicklungen, einschließlich des BIP-Wachstums, der Staatsfinanzen und der wesentlichen Struktur der Wirtschaft. Den Schwerpunkt bilden die sozialen Entwicklungen, wie Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Löhne und Gehälter und Einkommensungleichheit. Soweit Daten verfügbar sind, werden auch Informationen zum Bildungsabschluss gegeben. Allgemeiner Überblick Tabelle 1 zeigt eine Momentaufnahme der Länder der Region auf der Grundlage von Daten von 2010. Dabei fällt die Heterogenität der Region ebenso auf wie ihr Abweichen von der Situation in Kerneuropa und, mit Ausnahme von Kroatien, auch von Mittel- und Osteuropa, das hier von Polen als dem größten Land vertreten wird. Das Pro-Kopf-BIP (bei Kaufkraftparität, KKP) illustriert das allgemeine Entwicklungsniveau der Länder. Der Kosovo, Albanien und Bosnien-Herzegowina sind mit einem Einkommensniveau zwischen 21 und 28 Prozent des EU27-Durchschnitts die ärmsten Länder der Region. Serbien, die EJR Mazedonien und Montenegro sind Länder mit mittlerem Einkommen, das zwischen 35 und 42 Prozent des Pro-Kopf-BIPs der EU27 beträgt (unter Berücksichtigung von Kaufkraftunterschieden). Kroatien, das am 1. In den Tabellen und Abbildungen werden folgende Länderkürzel verwendet: AL (Albanien), BiH (Bosnien- Herzegowina), HR (Kroatien), XK (Kosovo), MK (EJR Mazedonien), ME (Montenegro) und RS (Serbien); zum Vergleich bezeichnet DE (Deutschland), GR (Griechenland), PL (Polen) und EU27 die heutige EU. Europäisches Gewerkschaftsinstitut 5

Béla Galgóczi und Bruno S. Sergi stärksten entwickelte Land der Region, erreicht ein mit Polen vergleichbares Einkommensniveau, das bei 62 Prozent des Durchschnitts der EU27 liegt. Große Unterschiede gibt es bei den durchschnittlichen Monatslöhnen. Hier wurden Kaufkraftunterschiede nicht berücksichtigt und die Daten weisen die Durchschnittslöhne in nationaler Währung aus, umgerechnet in Euro zum Marktwechselkurs (Montenegro und der Kosovo verwenden den Euro, ohne zur Europäischen Währungsunion zu gehören). Albanien hat mit weniger als einem Zehntel des EU27-Durchschnitts das bei weitem niedrigste Durchschnittslohnniveau. Das Lohnniveau von Serbien, der EJR Mazedonien und Bosnien-Herzegowina liegt bei einem Siebtel bis einem Fünftel des EU- Durchschnitts. Montenegros Lohnniveau ist mit dem der ärmeren MOE- Länder (im Baltikum) vergleichbar, während das Lohnniveau in Kroatien höher ist als in Polen und den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas. Tabelle 1 Südosteuropa, Fakten und Zahlen auf einen Blick, 2010 Land Bevölkerung (am Jahresende in Millionen) BIP reale Veränderung in % BIP pro Kopf zu KKP (Euro) 2010 Jährl. Inflationsrate (Verbraucherpreise) Arbeitnehmervergütung monatlich, Euro Albanien 3,2 3,6 6 800 3,5 246 Bosnien-Herzegovina 3,8 0,7 6 500 2,1 622 Kosovo 4,4 1,2 15 100 1,1 1054 Kroatien 2,1 3,9 (a) 5 080 (c) 4,7 (b) n,a, EJR Mazedonien 2,1 1,8 8 600 1,6 491 Montenegro 0,6 2,5 10 200 0,5 715 Serbien 7,3 1,8 8 500 6,8 461 Deutschland 81,8 3,7 28 700 1,2 2910 (b) Griechenland 10,8 3,5 21 500 4,7 2300 (b) Polen 38,1 4,0 15 300 2,7 883 EU-27 501 1,9 24 400 2,1 2776 Quellen: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (2011). (a) Daten der Europäischen Kommission. (b) IWF Weltwirtschaftsausblick Datenbank. (c) CIA Factbook 2012. Abgesehen von Kroatien hat sich Südosteuropa von der Krise erholt und weist ein dynamischeres Wachstum auf als die EU27. Die Inflation, ein wichtiger Indikator für wirtschaftliche Stabilität, ist allgemein moderat, nur in Serbien fällt sie höher aus. Wirtschaftliche Entwicklungen Wirtschaftswachstum Die wichtigste Messgröße für die wirtschaftliche Entwicklung ist das Wachstum des BIP, vor allem in Bezug auf die EU27, wenn wir die wirtschaftliche Konvergenz besonders berücksichtigen wollen. Eine wichtige Aussage der Abbildung ist, dass alle Länder trotz der wirtschaftlichen und politischen Instabilität der Region in der ersten Hälfte des Jahrzehnts und 6 Europäisches Gewerkschaftsinstitut 2012

Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa trotz der Auswirkungen der Wirtschaftskrise 2008-2010 erheblich aufgeholt haben. Serbien, Albanien und Montenegro konnten ein äußerst dynamisches Wachstum verzeichnen und haben ihr Pro-Kopf-BIP fast verdoppelt. Die Entwicklung Kroatiens verlief annähernd parallel zu der Polens, wobei sie von einem etwas höheren Niveau 2010 ausgegangen war und etwas niedriger abgeschlossen hat (Polen ist das einzige EU-Land, das während der Krise nicht in eine Rezession gefallen ist). Abb. 1 Die Messgröße der wirtschaftlichen Konvergenz: Pro-Kopf-BIP zu KKP (Euro), 2000-2010 35 30 Pro-Kopf-BIP zu KKP (in EUR) 2000 Pro-Kopf-BIP zu KKP (in EUR) 2005 Pro-Kopf-BIP zu KKP (in EUR) 2010 25 20 15 10 5 0 AL BiH HR MK ME RS DE GR PL EU-27 Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (2011). Während Abb. 1 die wirtschaftliche Konvergenz verdeutlicht, zeigt Abb. 2 die nationale wirtschaftliche Entwicklung unter Verwendung realer Wachstumsraten des BIP und der Industrieproduktion in nationaler Währung. Das größte Wirtschaftswachstum hatte Albanien, das niedrigste die EJR Mazedonien. In Bezug auf die Konvergenz sind, wie in Abb. 1 dargestellt, alle Länder schneller gewachsen als die EU27 und, bis auf Kroatien und die EJR Mazedonien, auch als Polen. Die industrielle Produktion ist vor allem in Albanien und Bosnien-Herzegowina besonders schnell gewachsen (beide Länder haben hier Polen überholt), während sie in Kroatien, Serbien und der EJR Mazedonien nur leicht anstieg. In Montenegro ist die Industrieproduktion in diesem Jahrzehnt hingegen zurückgegangen, obwohl die Wirtschaft insgesamt ein erhebliches Wachstum zu verzeichnen hat. Eine Quelle des Wirtschaftswachstums waren ausländische Direktinvestitionen (ADI), die auch zur Modernisierung der Wirtschaftsbasis eines aufholenden Landes beitragen können. Tabelle 2 zeigt die Entwicklung der ADI als Teil des BIP in ausgewählten Ländern Südosteuropas. Europäisches Gewerkschaftsinstitut 7

Béla Galgóczi und Bruno S. Sergi Abb. 2 Reales Wachstum des BIP und der Industrieproduktion in ausgewählten Ländern, 2010 (2000=100) 250 200 BIP Industrieproduktion 150 100 50 0 Al BiH HR MK ME RS PL EU-27 Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (2011). Obwohl die Daten eine erhebliche Zunahme an ADI ausweisen jedoch von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau ausgehend, blieben die Dynamik und der Anteil der ADI am Ende des Zeitraums hinter denen der neuen mittelund osteuropäischen Mitgliedstaaten zurück. Die einzige Ausnahme bildet Montenegro, zugleich das einzige Land der Region mit einer rückläufigen Industrieproduktion. Dies zeigt deutlich, dass die ausländischen Investitionen nicht in die Industrie geflossen sind, sondern eher in den Sektor der nichthandelbaren Güter, wie Immobilien und Dienstleistungen. Tabelle 2 ADI-Zuflüsse in Prozent des BIP, 2000 2010 Land/Jahr 2000 2005 2010 Al 6,78 12,48 36,67 BiH 19,66 27,54 42,50 HR 13,10 32,74 56,68 MK 15,05 35,88 47,98 ME 138,18 RS 46,51 YU (ME+RS) 8,87 20,03 Quelle: UNCTAD, Weltinvestitionsbericht (2011). Wirtschaftliches Gleichgewicht Die Staatsverschuldung, die das Epizentrum der zweiten Welle der Wirtschaftskrise in Europa bildet, ist in Südosteuropa mit 24,46 Prozent des BIP in der EJR Mazedonien bis 58,2 Prozent in Albanien relativ niedrig geblieben, mit Durchschnittswerten ähnlich wie in Mittel- und Osteuropa (IWF 2011). 8 Europäisches Gewerkschaftsinstitut 2012

Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa Im Hinblick auf die Außenbilanz weist die Leistungsbilanz der südost europäischen Länder insbesondere in der Boomphase vor Ausbruch der Krise hohe Defizite auf, wie in Tabelle 3 dargestellt. Hierin ähneln sie den Staaten des Baltikums, die während der Krise in Europa sehr gelitten haben und allgemein nicht sehr wettbewerbsfähig sind. Besonders alarmierend ist die Situation in Montenegro, wo das Zahlungsbilanzdefizit auf der Höhe des Wirtschaftsbooms 40 Prozent des BIP erreicht hat und auch 2010 noch gefährlich hoch war. Die hohen ausländischen Direktinvestitionen des letzten Jahrzehnts gepaart mit dem Rückgang der Industrieproduktion sind ein deutliches Anzeichen für eine nicht tragfähige Investitionsblase in Montenegro. Obwohl Albanien ein anhaltend hohes Zahlungsbilanzdefizit aufweist, scheint es die Situation eher in den Griff zu bekommen. Andere Länder scheinen ihre hohen Zahlungsbilanzdefizite bereits vorher korrigiert zu haben. Tabelle 3 Zahlungsbilanz in Prozent des BIP Land 2000 2005 2007 2010 Albanien 4,7 9,0 10,5 11,8 Bosnien-Herzegowina 7,1 17,1 10,7 6,1 Kroatien 2,3 5,3 7,2 1,1 Mazedonien 2,7 2,5 7,1 2,2 Montenegro 8,5 40,2 25,1 Serbien 0,7 8,8 17,7 7,2 Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (2011). Arbeitsmarkt- und soziale Entwicklungen Die meisten Wirtschaftsindikatoren der südosteuropäischen Länder sind für den durchschnittlichen europäischen Beobachter offenbar nicht schockierend, doch mit der Beschäftigung verhält es sich anders. Betrachtet man zum Beispiel die Beschäftigungs- und Arbeitslosigkeitsrate des Kosovo, so könnte man meinen, die Daten wurden vertauscht: eine Beschäftigungsrate von 26,1 Prozent und eine Arbeitslosigkeit von 45,4 Prozent im Jahr 2009 scheinen nicht von dieser Welt zu sein. Doch ist dies die Realität des Kosovo, wie aus den Abb. 3 und 4 hervorgeht. Die Arbeitsmarktindikatoren der anderen Länder sind etwas weniger schockierend, obwohl die Beschäftigungsrate im Allgemeinen wesentlich niedriger ist als in der EU. Besonders niedrig ist sie in Bosnien-Herzegowina und der EJR Mazedonien (s. Abb. 3), doch selbst in Kroatien, dem Land, das noch am besten abschneidet, liegt sie unter dem niedrigsten Wert in der EU. Europäisches Gewerkschaftsinstitut 9

Béla Galgóczi und Bruno S. Sergi Abb. 3 Beschäftigungsquote (Altersgruppe 15 64), 2000 2009 80 70 60 2000 2009 50 40 30 20 10 0 AL BiH HR XK MK ME RS DE GR PL EU-27 Quelle: Eurostat (2011). Wie Abb. 4 verdeutlicht, liegt die Arbeitslosenquote in der Region (mit Ausnahme von Kroatien) deutlich über dem Durchschnitt der EU27. Neben dem Kosovo weisen auch Bosnien-Herzegowina (24,1 Prozent) und die EJR Mazedonien (43,3 Prozent) besonders hohe Werte auf. Außer für Kroatien weisen die Entwicklungen des letzten Jahrzehnts auch nicht auf eine nachhaltige Verbesserung der Situation hin; dies alles zu einer Zeit, in der die Region ein bedeutendes Wirtschaftswachstum erreicht hat und in diesem Bereich zu den stärker entwickelten Ländern Europas aufschließen konnte. Abb. 4 Arbeitslosenquote, 2000-2009 60 2000 2009 50 40 30 20 10 0 AL BiH HR XK MK ME RS DE GR PL EU-27 Quelle: Eurostat (2011). 10 Europäisches Gewerkschaftsinstitut 2012

Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa Im europäischen Kontext wurde schon oft auf das Phänomen des Wachstums ohne Beschäftigung hingewiesen, insbesondere im Zusammenhang mit Mittel- und Osteuropa, doch Sieger im negativen Sinne ist hier zweifellos Südosteuropa. Obwohl es in der Wirtschaft insgesamt deutlich wahrnehmbare Anzeichen für eine Normalisierung gibt, gilt dies leider nicht für den Arbeitsmarkt. Schauen wir uns hingegen die Lohnentwicklung in der Region an, so sind Anzeichen einer Konsolidierung zu erkennen. Die Lohndynamik für diejenigen, die Arbeit haben ist beeindruckend, wie Tabelle 4 verdeutlicht. Serbien und Montenegro, die auch einen vergleichsweise ausgewogenen Arbeitsmarkt aufweisen, sind mit Reallohnzuwächsen von 145 Prozent (RS) bzw. 95 Prozent (ME) führend. Unter den südosteuropäischen Ländern, für die Daten zur Verfügung standen, verzeichnet nur Kroatien einen Reallohnzuwachs unterhalb des Durchschnitts der EU27 im letzten Jahrzehnt, doch ist das Lohnniveau in Kroatien außerordentlich hoch für die Region. Tabelle 4 Monatslohn pro Arbeitnehmer, 2010 Land Euros % (EU27=100) Reallohn-Index 2009 (2000=100) 246 8,9 n,a, BiH 622 22,4 n,a, HR 1054 38,0 121 MK 491 17,7 159 ME 715 25,8 195 RS 461 16,6 245 Pl 883 31,8 125 EU27 2776 100 134 Anmerkung: Daten für Südosteuropa beziehen sich auf den durchschnittlichen Bruttomonatslohn. Quelle: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (2011). Mit dem Gini-Index wird die Abweichung der Verteilung der Einkommen von Individuen oder Haushalten von einer perfekt gleichen Verteilung gemessen. Ein Gini-Index von Null steht für vollständige Gleichheit jeder hat das gleiche Einkommen -während ein Index von eins (100 auf der Perzentilskala) vollkommene Ungleichheit der Einkommensverteilung bedeutet (eine Person erhält das gesamte Einkommen eines Landes, alle anderen erhalten nichts). Selbst wenn der Wert einer statistischen Einkommensungleichheit für Länder mit extremen Arbeitsmarktbedingungen fragwürdig ist, gibt Abb. 5 doch einen Überblick für das Jahr 2008. Überraschenderweise (oder auch nicht) stehen die südosteuropäischen Länder selbst im europäischen Vergleich relativ gut da. Die EJR Mazedonien ist der einzige wirkliche Ausreißer. Serbien und Montenegro erreichen jedoch bessere Werte als Deutschland oder der Durchschnitt der EU27, jedenfalls bezogen auf die reguläre Wirtschaft. Europäisches Gewerkschaftsinstitut 11

Béla Galgóczi und Bruno S. Sergi Abb. 5 Einkommensungleichheit, Gini-Index 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 AL BIH HR MK ME PL RS DE EU27 Quelle: Weltbank, BIH: 2006, für DE und EU27 Eurostat. Zusammenfassung Dieser kurze Überblick über die wirtschaftliche und soziale Lage Südosteuropas zeigt in den meisten Ländern eine alarmierende Arbeitsmarktsituation, obwohl es erste Anzeichen einer Konsolidierung in der Wirtschaftsleistung der Region gibt. Positive Lohnentwicklungen und positive Ergebnisse der konventionellen Messung von Einkommensungleichheit verdeutlichen lediglich, dass weite Teile der Wirtschaft im Dunkeln liegen. Darin liegt die größte soziale Herausforderung für die Region. Literaturangaben CIA (2012) World Factbook, unter: https://www.cia.gov/library/publications/ the-world-factbook/geos/kv.html Europäische Kommission (2011) AMECO online databasis, im November 2011 aktualisierte Fassung, unter: http://ec.europa.eu/economy_finance/ db_indicators/ameco/zipped_en.htm Eurostat (2011) Pocketbook on the enlargement countries, 2011 edition, unter: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ity_offpub/ks-gm-11-001/ EN/KS-GM-11-001-EN.PDF Internationaler Währungsfonds (2012) World Economic Outlook Database, unter: http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/data/assump.htm UNCTAD (2011) World Investment Report, unter: http://www.unctad-docs. org/files/unctad-wir2011-full-en.pdf Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (2011) wiiw Handbook of Statistics 2011: Central, East and Southeast Europe, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche: Wien. 12 Europäisches Gewerkschaftsinstitut 2012

Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Südosteuropa Weitere Literaturhinweise Ehrke, M. (Hrsg.) (2010) Export-led Growth Central European Experiences: Magic Formula for the Western Balkans? Belgrad: Friedrich Ebert Stiftung, unter: www.fes.rs/pubs/2011/pdf/31.export%20-%20led%20 Growth.pdf Bejakovic, P. und Meinardus, M. (Hrsg.) (2011) Equity vs. Efficiency Possibilities to Lessen the Trade-off in Social, Employment and Education Policy in South-East Europe, Sofia: Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Bulgarien. SEER Journal for Labour and Social Affairs in Eastern Europe (2011), Inequality in South-East Europe, Ausgabe 2011/2, Brüssel: ETUI. FES Belgrad (2010) Development and Perspectives of the textile and Metal Industries in SEE, unter: http://www.fessoe.de/english/2010 (activity 35) SEER Journal for Labour and Social Affairs in Eastern Europe, The Metal and Textile Industries in South-East Europe, Ausgabe 2011/3, Brüssel: ETUI. Europäisches Gewerkschaftsinstitut 13