Spieglein FOtOs Ariko inaoka Weltweit werden immer häufiger Zwillinge geboren. Warum ist das so? Und was ist dran an den Mythen über diese ganz besondere Beziehung? Das wollte auch die Fotografin Ariko Inaoka wissen sie porträtiert seit Jahren die eineiigen Zwillingsschwestern Hrefna (links) und Erna (rechts). Spieglein 54 55
ErnA wurde kurz vor HrEfnA EntbundEn. 56 57
manchmal ziehen sich ErnA und HrEfnA genau gleich An ohne Es vorher zu wissen. 58 59
Erst später ErkEnnEn sie die EigEnE person. zunächst für ihr geschwisterchen, zwillinge HAltEn ihr spiegelbild ErnA (links) und HrEfnA JónAsdóttir wohnen mit ihren EltErn in reykjavík und sind HEutE 14 JAHrE Alt. Eineiige Zwillinge überleben in der Embyronalentwicklung eher als mehreiige Zwillinge. hallo EinEiigE und zweieiige zwillinge treten Ab der 12. schwangerschaftswoche in KOntaKt mit- EinAndEr. Ab der 14. woche berühren sie ihr geschw isterchen HäufigEr Als sich selbst. das gute: zwillinge beruhigen sich AucH gegenseitig im mutterleib. Zwillinge Hält doppelt wirklich besser? zwillinge HAltEn ihr spiegelbild zu nächst für ihr geschwisterchen, Erst später ErkEnnEn sie die EigEnE person. zwillingsgeburten 2010 in deutschland 11 573 7 weitere mehrlinge 258 drillinge zwillinge galten bei den indianern des AltEn peru Als beweis für eheliche untreue. Eineiige Zwillinge riechen fast gleich. starker bund: ROmulus und Remus gründeten der sage nach rom. später tauchten sie bei star trek Auf: Als planeten der romulaner. QuEllEn: givaudan schweiz, statistisches bundesamt, studien der tu braunschweig und der universität padua: foto: gregor schuster/getty images Erna Wie unterscheidest du dich von deiner Schwester? Ich bin einen Zentimeter größer als sie. Ich habe nicht so viele Narben an der Hand wie sie. Wir hatten beide schon mal den gleichen Traum, in dem eine Katze namens Tumi aufgetaucht ist, und zwei Pferde, die hießen Harpa und Spirit. Ich kann ihr alles erzählen. Wir können mehr miteinander teilen als andere Geschwister, weil wir genau gleich alt sind. Deine Lieblingsspeisen? Schokoladenmilch und Eis mit Keksstücken. Orangensaft und Lambæri, ein isländisches Lammgericht. Ich male, nähe, stricke und mache manchmal Sudoku- oder Kreuzworträtsel. Und ich fahre gern mit dem Rad. Ein bisschen vor Spinnen und vor Aufzügen, die nicht besonders vertrauenswürdig aussehen. Worin seid ihr euch besonders ähnlich? Was findet ihr besonders schön am Zwillingsdasein? Was machst du am liebsten? Vor was hast du Angst? Wir haben beide Muttermale, die genau die gleiche Form haben. Meines ist aber an der linken Wade, Ernas am rechten Arm über dem Ellbogen. Dass ich mich immer auf sie verlassen kann und dass ich nie allein bin. Was willst du später mal werden? Designerin oder Architektin. Designerin oder Architektin. Hrefna Ich schaue abends gern Filme mit meiner Familie. Tagsüber male ich gern und stricke. Oder ich spiele draußen. Vor großen Käfern, die krabbeln, wie Kakerlaken. Und davor, dass meiner Familie etwas passieren könnte. 60 61
interview JuliA rothhaas Herr Spinath, eine von 85 Geburten ist heutzutage eine Zwillingsgeburt. Warum gibt es immer mehr Zwillinge? Wir vermuten, dass es zum einen am zunehmenden Alter der Mütter liegt, zum anderen an den Hormonbehandlungen. Dadurch steigt der Anteil der zweieiigen Zwillinge. Die Zahl der eineiigen bleibt hingegen relativ konstant. Welche Faktoren aber die Teilung eines Eis auslösen, was dann zur Schwangerschaft mit eineiigen Zwillingen führt, ist heute noch nicht geklärt. Gibt es überall auf der Welt ähnlich viele Zwillingspaare? Nein, in Asien ist die Rate zum Beispiel tendenziell niedriger, in Schwarzafrika hingegen viel höher. Deutschland liegt im guten Mittelfeld. Wir vermuten, dass dies auch mit den Ernährungsgewohnheiten zu tun hat. Proteinreiche Nahrung etwa beeinflusst die Wahrscheinlichkeit, Zwillinge zu bekommen. ihre ähnlichkeit AusnutzEn? das machen die schwestern nicht, sagen sie.»zwillinge rühren in uns etwas an«immer im Doppelpack: ein Gespräch mit Zwillingsforscher Frank M. Spinath darüber, wo auf einmal die ganzen Zwillinge herkommen, was sie für die Wissenschaft so besonders macht und wie ähnlich sie sich wirklich sind. Sie arbeiten seit Jahren mit Zwillingen. Warum sind sie so wichtig für die Forschung? Mit ihrer Hilfe können wir zeigen, welchen Einfluss Gene und Umwelt auf uns haben. Bei einem Menschen allein bekommt man beides nicht auseinander, bei Zwillingen hat man jedoch die direkte Vergleichbarkeit: Zweieiige teilen sich im Durchschnitt fünfzig Prozent des Erbmaterials, eineiige sind für eine gewisse Zeit sogar wie geklont. Also immer, wenn sich in Studien Eineiige in einem Merkmal deutlich ähnlicher sind als Zweieiige, überwiegt der genetische Einfluss. Wir wissen heute, dass die Gene viel entscheidender sind als lange gedacht. Die Familie spielt also keine große Rolle? Wir Menschen sind kein unbeschriebenes Blatt, wenn wir auf die Welt kommen, aber es gibt auch keine klare Blaupause, die sagt, wer wir werden. Natürlich spielen Umwelteinflüsse innerhalb und außerhalb der Familie eine Rolle. Die reine Wahrnehmung eines Kindes, von der Mutter benachteiligt zu werden, kann sich zum Beispiel auf seine Entwicklung auswirken. Auch, wenn die Mutter meint, alle Kinder gleich zu erziehen es gibt genug Potenzial für Unterschiede. Welche Rolle spielt die Epigenetik? Die Epigenetik gilt als Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen, denn sie bestimmt mit, unter welchen Umständen welches Gen angeschaltet und eventuell wieder ausgeschaltet wird. Dieser Forschungszweig ist noch jung, könnte aber zeigen, dass auch unser Lebensstil das Erbgut und das der nächsten Generation nachhaltig beeinflusst. Es gibt eine interessante Studie: Menschen, die im Mutterleib einen strengen Hungerwinter erleben mussten, litten später deutlich öfter an Diabetes. So, als wäre der Organismus im Mutterleib auf Mangelversorgung programmiert worden, der dann in einer foto: privat Gesellschaft, die dem Überfluss frönt, zu viel davon einfordert. Aber noch mal: Die Gene sind nie alleinverantwortlich. Welches Ergebnis aus der Zwillingsforschung hat Sie in den letzten Jahren überrascht? Wir haben herausgefunden, dass der Einfluss der Gene auf unsere Intelligenz im Laufe des Lebens relativ kontinuierlich ansteigt. Im frühen Kindesalter erklären genetische Unterschiede gerade mal 25 Prozent, mit Schuleintritt wird das bereits deutlich mehr. Hat die Entschlüsselung des menschlichen Genoms Ihre Arbeit verändert? Für uns Zwillingsforscher ist das weniger wichtig als für Molekulargenetiker. Diese suchen nach den genauen DNA-Abschnitten und Genen, die für unser Verhalten oder Erleben wichtig sind. Welche Bereiche das genau sind, wissen sie jedoch oft noch nicht. Bei zahlreichen Merkmalen, etwa der Persönlichkeit, sind die Ergebnisse daher bisher eher ernüchternd. Sie führen an Ihrer Universität mehrere Zwillingsstudien durch. An was arbeiten Sie derzeit? Wir untersuchen etwa die Wichtigkeit des Selbstkonzepts, wie man also seine Fähigkeiten selbst einschätzt. Dafür führen wir eine Studie mit Grundschulkindern durch. Wir fragen Zwillinge, wie gut sie sich im Lesen oder Kopfrechnen finden. Das Ergebnis: Nicht der Einfluss der Eltern ist entscheidend dafür, wie sehr wir uns etwas zutrauen, sondern genetische Faktoren. Zudem haben wir vor, auch Geschwister und Eltern von Zwillingen einzubeziehen. Dafür planen wir eine Erhebung mit 4000 Familien. Das wird recht aufwendig, auch, weil wir die vielen Kontakte über Meldeämter einholen müssen. Aber nur so können wir auch diejenigen ansprechen, die von sich aus nicht an einer solchen Studie teilnehmen würden. Was kann man von Zwillingen noch lernen? Sind sie vielleicht sozial kompatibler, weil sie von Anfang an mit jemandem zusammen sind? Nein, aber Zwillinge erreichen zumeist einen Grad an Vertrautheit, den kein anderer erlebt. Gerade Eineiige betonen, dass es niemanden sonst gibt, der ihnen so nahe steht, nicht mal der Partner. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass Zwil linge, die einander nicht ausstehen können, an unseren Studien meist nicht teilnehmen. Es gibt nämlich durchaus Paare, die ihre Situation als unerträglich und belastend empfinden, weil sie sich in ihrer Individualität infrage gestellt sehen. Allein die Aufmerksamkeit, die Zwillinge bekommen, ist für manche unangenehm. Ist damit denn die Außenminister- und Innenminister-Rolle gemeint, die besagt, dass einer offener ist, der andere lieber im Hintergrund steht? So etwas mag es geben, aber Zwillinge sind sich in den meisten Dingen ähnlicher als Nicht-Zwillinge. Häufig gibt es das Phänomen des Kontrasteffekts: Man neigt dazu, Zwillingsgeschwister miteinander zu vergleichen. Somit entsteht ein scheinbarer Unterschied, den die beiden aufgedrückt bekommen: Du bist schüchtern, du nicht. Damit erleichtert man sich die Unterscheidung, wird ihnen jedoch nicht gerecht. Wird Zwillingen häufiger Unrecht getan? Durch Gespräche mit eineiigen Zwillingen habe ich mitbekommen, dass Eltern durch das Gefühl, man müsse Unterschiedlichkeiten einführen, nachhaltig Spuren hinterlassen können. Den Erstgeborenen wird oft mehr Verantwortung zugeschoben, was sie bis ins Erwachsenenalter prägen mag. Was verrückt ist, denn oft werden Zwillinge per Kaiserschnitt geholt. Da ist es reiner Zufall, welches Kind zuerst da ist. Verhalten sich Zwillinge im Mutterleib anders als Einlinge? Es wurde eine Zeit lang darüber diskutiert, wie sich die Nähe im Mutterleib auf die Kinder auswirkt. Ob bei Eineiigen eine innere Eihaut zwischen den Kindern liegt oder nicht, und wie sehr sie um Platz und Ressourcen kämpfen müssen. Viele Schwangerschaften sind anfangs eine Mehrlingsschwangerschaft. Man spricht dabei vom Phänomen des Vanishing Twin, wenn also einer der Föten früh abstirbt, wodurch es gar nicht erst zu einer Zwillingsgeburt kommt. Daraus werden diese unheimlichen Geschichten über Menschen, die später den Fötus ihres Bruders im Bauch entdecken. Das ist der extremste Fall. Es gibt auch Geschichten, in denen der verbleibende Zwilling behauptet, er habe stets ein Gefühl von Verlust oder Schuld gespürt. Und sich das nie erklären konnte, weil er nichts von dem anderen Zwilling wusste. All dies spielt aber im wissenschaftlichen Bereich keine Rolle, weil es Einzelfälle sind. Man hört auch ab und zu von Zwillingen, die nicht zusammen aufwachsen, sich später durch Zufall treffen, und siehe da: Sie haben ein nahezu identisches Leben geführt. Die Idee ist charmant: Zwei Personen mit demselben Erbgut werden in unterschiedlichen Welten groß, weil sie zur Adoption freigegeben wurden, und werden sich trotzdem ähnlich. Dummerweise sind auch diese Studien oft nicht belastbar, weil es nur kleine Stichproben sind. Und die Parallelität ist oft eher Zufall oder eine Folge von Überinterpretationen. Und was ist mit der Aussage: Wenn ein Zwilling stirbt, stirbt bald der andere? Ich denke, dass hier ebenfalls die nachträgliche Deutung eine größere Rolle spielt als das tatsächliche Phänomen. Wenn man auf die Suche geht, findet man in jeder Beziehung irgendeine Begegnung, bei der wir denken: Mensch, das ist ja ein Ding! Und bei Zwillingen wird die Interpretation noch mystischer. Wenn sich eineiige Zwillinge so ähneln: Haben sie identische Fingerabdrücke? Nein. Das klingt merkwürdig, weil die genetische Information ja zunächst identisch ist. Aber zu welchem Zeitpunkt sich die befruchtete Eizelle teilt, hat Einfluss auf die Ähnlichkeit der Fingerabdrücke. Es können also Unterschiede entstehen, obwohl das Ausgangsmaterial sich so sehr ähnelt. Begehen Eineiige hingegen ein Verbrechen, kann man anhand der Blutspur nicht sagen, wer es war. Das Gleiche gilt bei Vaterschaftstests: Kommen beide als Vater infrage, bleibt offen, wer tatsächlich der Vater des Kindes ist. Zwillinge werden also immer ein wenig geheimnisvoll bleiben. Zwillinge rühren in uns etwas an: die Sehnsucht nach dem perfektem Partner ebenso wie die Angst, nicht individuell zu sein. Stellen Sie sich einfach mal vor: Heute Abend finden Sie auf Ihrem Anrufbeantworter eine Nachricht, die besagt, dass Sie eine eineiige Schwester haben, von der Sie bisher nichts wussten. Wie würde man einem Treffen mit ihr entgegensehen mit Neugier und Freude oder mit großer Angst? Schließlich würden Sie sich fragen müssen: Was, wenn sie genauso ist wie ich? frank m. spinath (43) ist professor für differentielle psychologie und psychologische diagnostik An der universität des saarlandes. 62 63