Inhaltsverzeichnis. Zusammenfassung in Thesen



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Globalisierung und Islam Visionen und Realitäten - Texte und Thesen - von Abdul Hadi Hoffmann Jahreskonferenz der Gesellschaft für Muslimische Sozial- und Geisteswissenschaftler, Köln Samstag, 25. Januar 2003 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung in Thesen... 1 Globalisierung: einige grundsätzliche Fragen... 2 Globalisierung: Neuer Begriff, altes Phänomen... 2 Die islamische Welt... 3 Das englische Empire... 3 Das portugiesische Beispiel... 3 Globalisierung im wirtschaftlichen Kontext... 4 Globalisierung: keine Naturgewalt, sondern von Menschen gemacht... 5 Die Islamische Alternative... 7 Was einen Anfang hat, hat auch ein Ende... 8 Zusammenfassung in Thesen 1 Globalisierung, d. h. grenzenlos integrierte Wirtschaftsgebiete innerhalb eines zu einer bestimmten Zeit bekannten geographischen Rahmens hat es bereits mehrfach gegeben: die frühe islamische Welt, das portugiesische Weltreich, das englische Empire. Alle diese globalisierten Reiche waren nicht von Dauer. 1 2 Globalisierung heute hat verschiedene Aspekte. Für die freie Bewegung von Menschen gilt sie nicht, für die Bewegung von Gütern ist sie durch Quotenregelungen eingeschränkt, die besonders zu Lasten der weniger entwickelten Länder gehen, im Bereich der Finanzströme ist sie total und inzwischen nicht mehr steuerbar. 3 Durch das Zinsverbot bietet die Religion des Islam eine Grundlage, auf der eine Wirtschaftsordnung konzipiert werden kann, in der Finanzströme and Warenströme gebunden sind und die Zinseszinsvermehrung nicht zum Selbstzweck wird. 1 Murad Hofmann verwendet einen kulturellen Globalisierungsbegriff: Summing up, we can be more specific about globalization, defining it as the historically well-known, basically neutral phenomenon of cultural crossfertilization on a global scale, leading from time to time to the preponderance of a specific culture, without however, ever being uni-directional. (S. 215) und er führt als frühe Gobalisierung an: A famous case of early globalization was the Hellenization of many aspects of Roman culture philosophy, religion and art included once the Roman Empire occupied ancient Greece after the conquest of Corinth in 146 BC. (S. 212), Murad Wilfried Hofmann, Globalization: Another End of History or Just Semantics? In: Encounters 7:2 (2001), The Islamic Foundation, Leicester 2001, pp. 211 222.

4 Die Globalisierung, wie wir sie heute kennen ist keine Naturgewalt, sie ist entstanden aus bewusst getroffenen politischen Entscheidungen. Es ist Zeit, die Finanzströme durch Revision dieser Entscheidungen wieder einer kontrollierbaren Ordnung zu unterwerfen. 5 Die Mitglieder der Gesellschaft Muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler sind aufgerufen, in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit diese Fragen zu thematisieren und durch ihr Engagement dazu beizutragen, eine menschengerechte Weltwirtschaftsordnung zu etablieren. Globalisierung: einige grundsätzliche Fragen Grenzen verschwinden, alles wächst zusammen, die Botschaft von Freiheit, Vielfalt, Lebenslust! Oder eher das Lied von Schutzlosigkeit, Verlust und Niedergang? Diese beiden Aussagen fassen die Spannbreite der Bewertung zusammen, mit der Befürworter und Gegner das Phänomen der Globalisierung belegen. Bevor wir zu einer eigenen fundierten Bewertung kommen, müssen wir uns deshalb zunächst mit einigen grundsätzlichen Fragen auseinandersetzen: - ist Globalisierung wirklich etwas Neues? - Ist Globalisierung ein unabänderliches Phänomen? - Was ist angesichts der Globalisierung zu tun? Eines ist sicher: Ab ca. 1990 macht ein neuer Begriff die Runde: Globalisierung! Sprach bis dahin im internationalen Wirtschaftsdiskurs von Kolonialisierung, Internationalisierung etc. spricht man nun von Globalisierung, wenn man über weltweite wirtschaftliche (und politische) Verflechtungen spricht. Zweifel ist allerdings angebracht, ob es sich dabei wirklich um etwas Neues handelt. Deshalb soll hier zunächst die These vertreten werden, - dass es bereits mehrfach Globalisierungen in den jeweils bekannten geschichtlichen Welten gegeben hat und dass diese alle nicht von Dauer waren, - dass Globalisierung kein unabänderliches Phänomen ist, sondern auf von Menschen gemachten Entscheidungen beruht, die auch wieder rückgängig gemacht werden können. Im Anschluss daran werden einige Handlungsempfehlungen entwickelt, die sich an die Mitglieder der Gesellschaft Muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler richten. Globalisierung: Neuer Begriff, altes Phänomen Wer Geschichtsbücher, besonders Bücher der Wirtschaftsgeschichte durchsieht, kommt schnell zu dem Schluss, dass es bereits mehrfach in der Geschichte Phasen gegeben hat, in denen die

Wirtschaft der zu der betreffenden Zeit bekannten Welt grenzenlos integriert war. Hier einige Beispiele: Die islamische Welt Eine der ersten Phasen von Globalisierung finden wir in der Geschichte der islamischen Welt beschrieben. Das Buch Islamic World in der Reihe der Cambridge Illustrated History stellt fest: The growth of economic production and consumption in the enlarged market of the Muslim world was made possible by three parallel developments. First, the Islamization of the conquered people created a partially homogenous religion, moral and juridical system. Secondly, the Arabization of the army and the administration helped to break down ethnic and national barriers by recruiting local entrants or by the incorporation of the warlike steppe people. Finally the Semitization process was completed through the adoption of Arabic as the universal language of communication, education, literary expression, and government. 2 Das englische Empire In dem Buch Empire: How Britain Made the Modern World schreibt Niall Ferguson: an account of globalisation as it was promoted by the British Anglobalisation, as he puts it. At the beginning this process meant Elizabethan pirates stealing the Spaniard s gold, then it evolved into shipping slaves and making them grow sugar, and in 1688 it was given great impetus by the Anglo-Dutch merger, which taught the English how to finance their Empire with loans and put an end to the Far Eastern rivalry between the two realms of William III. Anglobalisation achieved its most dashing successes in the middle of the 18 th century when the Seven Years War excluded France, a more powerful and populous European power from India and North America. But the same century also saw the greatest imperial loss before 1947, the secession of the American colonies, the most prosperous and lightly taxed communities in the Empire. 3 Das portugiesische Beispiel Jean Ziegler beschreibt in Die neuen Herrscher der Welt nicht nur frühere Epochen von Globalisierung, er stellt auch das portugiesische Beispiel vor: In Wirklichkeit hat es schon seit der europäischen Entdeckung des südlichen Afrika, Australiens, Ozeaniens und Amerikas im 15. und 16. Jahrhundert diverse Formen der Globalisierung, besser gesagt: der Europäisierung der Welt, gegeben. Fernand Braudel hat für diese Epoche den Begriff Weltwirtschaft geprägt und gleichzeitig die Grenzen aufgezeigt, die aus dem Gegensatz zwischen der Entwicklung des Fernhandels durch die reihum die Handelsexpansion und die Finanzströme beherrschenden Stadtstaaten und den Hinterländern mit ihren riesigen Gebieten einer ländlichen Selbstversorgung resultieren. Immanuel Wallerstein hat die von Europa ausgehende kapitalistische Weltwirtschaft anhand ihrer politischen Zersplitterung, dieses Fleckenteppichs von Staaten charakterisiert und analysiert, 2 Islamic World, Cambridge Illustrated History, hrsg: Francis Robinson, Cambridge University Press, Cambridge 1996, S. 127 3 David Gilmour, Rites and wrongs of a mission (Rezension des Buches Empire: How Britain Made the Modern World ) in Financial Times, 4./5. Januar 2003

wie sich diese Ökonomie im 20. Jahrhundert unter dem Imperium der Vereinigten Staaten als der Erbe Europas und unbeeindruckt vom Schock zweier Weltkriege globalisiert hat. Eine der globalisiertesten Gesellschaften, die die Geschichte kennt, war das lusitanische (portugiesische) Vizekönigreich Brasilien. Vom frühen 16. Jahrhundert bis zum zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war das Vizekönigreich nahezu vollständig in den Weltmarkt integriert. Fast die gesamte Zucker-, Kaffee-, Kakao-, Tabak- und Erzproduktion wurde exportiert. Eingeführt wurde im Gegenzug alles, was die herrschenden Klassen für ihr Leben benötigten. Einen Binnenmarkt gab es in Brasilien fast gar nicht, und die interne Kapitalakkumulation war sehr schwach. Die Landwirtschaft gründete sich auf riesigem Latifundienbesitz, die nationale Industrie war stockend. Was das Volk betraf, so war es politisch nicht existent. Das Arbeitskräfteheer rekrutierte sich im Wesentlichen aus Sklaven. Schlussfolgerung Ricuperos: Ein Maximum an Integration der nationalen Wirtschaft in den Weltmarkt führt zu einem Maximum an Destrukturierung der globalisierten nationalen Gesellschaft. 4 Globalisierung im wirtschaftlichen Kontext Bevor wir uns der heutigen Globalisierung widmen, zunächst ein kurzer Überblick auf das, was wir wirtschaften nennen. Menschen haben Bedürfnisse. Menschen arbeiten, um diese Bedürfnisse zu befriedigen, sie stellen Produkte her. Es entstehen Tauschwirtschaften, Märkte (Markt: ökonomischer Ort des Tausches). Geld entsteht als Tauschmittel und als Gegenstand von Wertaufbewahrung. Mit anderen Worten: Menschen schaffen Güter, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ein Hilfsgut, um diese Aktion zu vereinfachen. In dieses System sind nun zwei Fallen und ein Fehler eingebaut: - Menschen sind nie zufrieden, sie wollen immer mehr, die Gier regiert. - Spätestens nach dem Beginn der kapitalistischen Wirtschaftsweise haben sie ein Kriterium geschaffen, mit dem sich wirtschaftlicher Erfolg messen lässt, den Gewinn. Heute müssen wir feststellen, dass das Gewinnstreben regiert, ja, es hat sich verselbständigt. - Der große Fehler besteht darin, dass die Entwicklung nicht im Gleichgewicht verläuft: Als Ergebnis des Prozesses gibt es Reiche oder Wohlhabende einerseits aber auch Arme andererseits, Lohnabhängige hier und Kapitalisten dort. Es gibt die Tendenz zur Monopolisierung. Dagegen haben die Menschen Abhilfe geschaffen: Der einseitigen Macht haben sie Gegenmacht entgegengesetzt, wie z. B. Gewerkschaften. Sie haben der Politik die Aufgabe gegeben, einen Ordnungsrahmen zu schaffen und für sozialen 4 Jean Ziegler, Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, C. Bertelsmann, München 2003, S. 22f.

Ausgleich zu sorgen. Und nach der großen Wirtschaftskrise der zwanziger Jahre haben Regierungen gelernt einzugreifen, wie es z.b. Keynes mit seinem Defizitspending empfohlen hat. Kommen wir nun zur Globalisierung: Muss es bei diesen Defiziten nicht wie ein Traum erscheinen, die Vision zu haben, grenzenlos Waren zu auszutauschen? immer mehr Güter für immer mehr Menschen und natürlich immer mehr Gewinn zu erzeugen? Die Vision einer in diesem Sinne globalisierten Wirtschaft mag für viele eine Verlockung sein, doch leider ist die Realität nicht so. Die wirtschaftstheoretische Entwicklung ist weitergegangen, die wirtschaftpolitische ebenfalls und heute haben wir es mit neuen Fehlentwicklungen zu tun. - Keynes wurde durch Friedman ersetzt, der statt des Defizitspending die Geldmenge als Steuerungselement sieht, - die Lehre von der Deregulierung (so wenig Vorschriften wie möglich) hat sich durchgesetzt, - die Doktrin der Entstaatlichung wurde in westlichen Volkswirtschaften zunehmend umgesetzt. Sie geht davon aus, dass der Markt alles besser als der Staat kann und in diesem Sinne wurden in Deutschland z. B. Post und Bahn privatisiert. - Im weltweiten Maßstab kulminiert diese Entwicklung in der Lehre von der Globalisierung, die seit 1990 zur neuen leading philosophy wird. Und somit haben wir es nun mit den Folgen von Globalisierung, Entstaatlichung und Deregulierung zu tun. Natürlich gibt es auch weiterhin internationale Regeln und Institutionen. Doch eine Institutionen wie z. B. die WTO (World Trade Organisation) zementiert die Ungleichheiten der Weltwirtschaft und hält ein ungerechtes Quotensystem aufrecht. Die Weltbank und der International Monetary Fund sorgen z. B. bei Entschuldungsprojekten dafür, dass die betreffenden Länder sich in die Vorstellungen der globalisierten Welt fügen. Mit anderen Worten die weltweiten Institutionen und ihre Entscheidungen tragen nicht dazu bei, dass die Träume der Globalisierung immer mehr Wohlstand für immer mehr Menschen auch tatsächlich Wirklichkeit werden. Globalisierung: keine Naturgewalt, sondern von Menschen gemacht Wer von Globalisierung spricht kann von vielen unterschiedlichen Feldern sprechen: Informationsströmen, Warenströmen, Finanzströmen, der freien Bewegung und Niederlassungsfreiheit der Menschen und von weltweitem Politikanspruch. In allen diesen Bereichen werden offensichtliche Fehlentwicklungen zwar bemerkt, aber merkwürdiger Weise ist dann schnell die Rede von irgendwelchen Verschwörungen und geheimen Zirkeln in Hinterzimmer oder es wird von der

Globalisierung wie von einer unabwendbaren Naturkatastrophe gesprochen. Dabei handelt es sich bei den gegenwärtigen Folgen der Globalisierung um nichts anderes als um die Folgen menschlicher Fehlentscheidungen, die in den vergangenen 25 Jahren weltweit getroffen wurden. Hans-Peter Martin und Harald Schumann beschreiben diese Kette von Entscheidungen anschaulich in dem Buch: Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand : Was an den Finanzmärkten geschieht, folgt durchaus einer weitgehend nachvollziehbaren Logik und wurde von den Regierungen der großen Industrieländer selbst heraufbeschworen. Im Namen der ökonomischen Heilslehre vom freien, grenzenlosen Markt haben sie seit Beginn der siebziger Jahre systematisch alle Schranken niedergerissen, die ehedem den grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehr regierbar und damit beherrschbar machten. Nun beklagen sie wie ratlose Zauberlehrlinge, dass sie der Geister nicht mehr Herr werden, die sie und ihre Vorgänger herbeiriefen. Die Befreiung des Geldes aus den staatlich verfügten Beschränkungen begann mit der Aufhebung der festen Wechselkurse zwischen den Währungen der großen Industrieländer im Jahr 1973. Bis dahin galten die Regeln des Systems von Bretton Woods. In diesem Bergdorf im US-Staat Wisconsin hatten die Siegernächte des Zweiten Weltkriegs im Juli 1944 einen Vertrag über eine internationale Währungsordnung abgeschlossen, der fast dreißig Jahre lang für Stabilität sorgte. Für die Währungen aller Beitrittsländer galt eine feste Parität zum Dollar, die US-Notenbank wiederum garantierte, Dollar gegen Gold einzutauschen. Gleichzeitig unterlag der Devisenhandel staatlicher Aufsicht, der Umtausch und Transfer großer Beträge waren in den meisten Ländern genehmigungspflichtig. Das System galt als die Antwort auf die chaotischen Entwicklungen der zwanziger und dreißiger Jahre, die in wilden nationalen Abwehrreaktionen, Protektionismus und schließlich Krieg geendet hatten. Die stürmisch expandierende Industrie und die großen Banken sahen die bürokratische Kontrolle jedoch als lästige Bremse an. Die Vereinigten Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und die Schweiz gaben ab 1970 die Kapitalverkehrskontrollen auf. So brach der Damm. Nun handelten die Spekulanten, also Händler, die den Wert der Währungen nach den verschiedenen Anlagemöglichkeiten taxieren, die Wechselkurse unter sich aus. Das Festkurssystem brach zusammen. Gleichzeitig kamen aber auch alle anderen Länder, die noch an Kontrollen festhielten, unter Druck. Ihre Konzerne beschwerten sich, dass ihnen der Zugang zu zinsgünstigem ausländischem Kapital verwehrt war. 1979 haben die Briten die letzten Beschränkungen auf, Japan folgte ein Jahr später. Den rest besorgten der IWF und die Europäische Gemeinschaft. Geleitet vomm festen Glauben an die Wohlstandsmehrung durch grenzenlose Wirtschaftsfreiheit, hoben die EU-Regenten ab 1988 den europäischen Binnenmarkt aus der Taufe. Im Zuge der Umsetzung dieses größten Deregulierungsprogramms der Wirtschaftsgeschichte, wie der EG-Kommissar Peter Schmidhuber es formulierte, gaben auch Frankreich und Italien im Jahr 1990 den Geld- und Kapitalverkehr frei, Spanien und Portugal hielten noch bis 1992 durch. Was die G7, die sieben großen Industrieländer des Westens, für ihre Wirtschaftsräume beschlossen hatten, setzten sie nach und nach auch in der übrigen Welt durch. Dafür war der IWF das ideale Instrument, in dessen Aufsichtsgremien der G-7-Staaten das Sagen haben. Wo immer die IWF-Gewaltigen in den vergangenen zehn Jahren Kredite vergaben, verknüpften sie dies mit der Auflage, die jeweilige Währung konvertibel zu machen und das Land für den internationalen Kapitalverkehr zu öffnen. Erst durch die zielstrebige Politik und Gesetze von zumeist demokratisch gewählten Regierungen und Parlamenten entwickelte sich auf diesem Weg, Schritt für Sachritt, jenes selbständige ökonomische System Finanzmarkt, dem Politikwissenschaftler und Ökonomen inzwischen den Charakter einer Art höherer Gewalt zubilligen. Nun binden keine Ideologie, keine Popkultur, keine internationale Organisation und nicht einmal die Ökologie die Nationen

der Welt enger aneinander als die elektronisch vernetzte, weltumspannende Geldmaschine der Banken, Versicherungen und Investmentsfonds. 5 Die Islamische Alternative Der in Qur an enthaltene ethische Handlungsrahmen für die Menschen umfasst auch Vorschriften zum Wirtschaften. An zentraler Stelle steht dabei das Verbot, zinsen zu nehmen. Es für unsere Betrachtungen zur Frage von Islam und Globalisierung nicht relevant, ob mit diesem Zinsverbot nur das Verbot von Wucherzinsen gemeint ist wie einige glauben - oder ob es ein Verbot jeglicher Zinsen ist. Für Muslime ist auch die Tatsache irrelevant, dass viele Menschen im Westen dieses Gebot für eine über-altete Vorschrift einer mittelalterlichen und unaufgeklärten Religion halten. Im Zusammenhang mit der Frage der Globalisierung der Finanzströme gibt das Verbot des Zinsen einen entscheidenden Hinweis auf eine alternative Wirtschaftsweise und Wirtschaftsordnung. Wichtig ist der dahinter liegende Gedanke, der sich mit dem Zinsverbot verknüpft: - die Menschen sollen ihre Zukunft nicht schon in der Gegenwart verfrühstücken und belasten - und sie sollen eine Geldwirtschaft betreiben, in der der Geldwert an den Warenwert gebunden ist und nicht Geld um des Geldes (Zinses) Willen zum Gut wird: Genau das, was die Essenz der Globalisierung der Finanzströme darstellt, nämlich die grenzenlose Spekulation um hundertstel Prozent, ist bei einer konsequent zu Ende gedachten islamisch geprägten Wirtschaftsordnung nicht denkbar. Nun mag man beklagen, dass die Zahl von Büchern, die sich mit islamisch geprägten Wirtschaftssystemen beschäftigen Legion ist. Ebenso, dass die Muslime den Vorschriften des Qur an in der wirtschaftlichen Alltagsrealität wenig Beachtung schenken. Wichtig ist aber darauf hinzuweisen, dass Muslime in der Frage des Zinsnehmens und Zinsgeben in der Tat unterschiedliche Modelle der Teilhaberschaft entwickelt und umgesetzt haben. Von noch größerer Bedeutung ist es, dass in jüngster Zeit Präsident Mahathir 6 von Malaysia versucht, wieder eine am Goldstandard gebundene 5 Hans-Peter Martin, Harald Schmidt, Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg, 1996, S. 72 ff. 6 Mahathirs eigenes Rezept zur Bekämpfung der Währungskrise in Südostasien 1997 wird von der Deutschen Financial Times ausdrücklich gelobt: Während die Philippinen, Indonesien, Thailand und Südkorea den üblichen Rezepten des Währungsfonds Folge leisten, nimmt Malaysia keine IWF- Kredite auf, um den Dollar-Abfluss zu stoppen. Stattdessen führt Mahathir Kapitalverkehrskontrollen ein, ein in Washington längst verfemtes Mittel. Der Premier überlässt die Währung nicht dem freien Spiel der Marktkräfte, er wertet sie maßvoll ab und koppelt sie dann an den Dollar. Auch ein drastischer Sparkurs auf Kosten der Bevölkerung ist mit Mahathir nicht zu machen. Statt dessen legt er ein Konjunkturprogramm auf. Die Ökonomen des IWF reagieren pikiert. Der Premier, so prophezeien sie, werde die Rache der Investoren schon noch zu spüren bekommen. Reines Wunschdenken, wie sich herausgestellt hat. Fünf Jahre nach der Asienkrise steht Malaysia besser da als die IWF-getreuen Nachbarn. Und die Investoren, die eigentlich in Scharen hätten weglaufen sollen, sind voll des Lobes allen voran die Deutschen. Über 300 deutsche Firmen sind

Finanzwirtschaft aufzubauen und bereits die ersten Golddinare als Münzen geprägt sind. Diese Tatsache ist zugleich ein wichtiger Schritt zu Handlungsempfehlungen, bei deren Durchführung Muslime und Nicht-Muslime sich zur Schaffung eines menschenwürdigeren Wirtschaftssystems zusammenfinden und kooperieren können. Was einen Anfang hat, hat auch ein Ende Die Jahrestagung der Gesellschaft für Muslimische Sozial- und Geisteswissenschaftler, die das Forum dieser Aussagen ist, bringt muslimische Studentinnen und Studenten vieler Fachrichtungen zusammen und ergibt sich die Frage, wie die hier geäußerten Thesen in der Praktik umgesetzt werden können. Dabei muss vor himmelsstürmenden Hoffnungen auf schnelle Veränderung genauso gewarnt werden wie vor düsterer Resignation. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass keine von Menschen gedachte und durchgesetzte Ordnung ewig gedauert hat und alles, was Menschen entschieden haben, auch wieder revidiert werden kann. In der gegenwärtigen Situation können Muslime in sha Allah - dazu beitragen, Veränderungen, zu bewirken, in dem sie z. B.: - im Bereich der Wirtschaftswissenschaften Seminar- oder Doktorarbeiten zu finanzwissenschaftlichen Themen verfassen, die das Thema einer alternativen Finanzwirtschaft zum Inhalt haben, - im Bereich der Wirtschaftspolitik die Gestaltung einer gerechteren internationalen Wirtschaftsordnung thematisieren, - die Rolle von Weltbank und International Monetary Fund nachhaltig und konsequent hinterfragen, - sich auf den Tagungen von Stiftungen und anderen Institutionen dazu äußern, - sich mit Verbänden und Institutionen verbinden, die sich ebenfalls mit dieser Frage befassen, und - selber politisch aktiv werden, um von Grund auf etwas zu ändern. Niemand kann erwarten, Dinge von heute auf morgen zu ändern. Die bestehende Finanzordnung ist in über dreißig Jahren durchgesetzt worden und in den davor liegenden Jahren erdacht worden. Aber wichtig ist, sich beständig daran zu erinnern, dass die Globalisierung der Finanzströme keine Naturgewalt ist, sondern politisch gewollt und dass, was von Menschen entschieden worden ist, auch wieder von Menschen rückgängig gemacht worden ist. inzwischen hier, sagt Rainer Herret, wir sind jetzt der größte Investor Europas. Ralf Südhoff, Financial Times Deutschland, 2. 7. 2002, S. 29.

Last not least: Viele Muslime möchten Nicht-Muslime mit den Inhalten des Islam vertraut machen. Dabei gehen sie oft den Weg, abstrakt die religiöse Botschaft ihrer Religion in einem nicht-religiösen Umfeld zu vermitteln und scheitern dabei. Viel versprechender ist es, Probleme anzusprechen, die Nicht-Muslime und Muslime gemeinsam bedrücken und aus dem Islam heraus entwickelte Alternativen vorzustellen, zu diskutieren und bei einem Konsens zu implementieren. Diese Alternative kann nicht nur zeigen, dass der Islam sich nicht darauf beschränkt, eine spirituelle Botschaft im Hinblick auf eine göttliche Sphäre zu sein, sondern durchaus praktischen Handlungsanweisungen enthält, um die Lage der Menschen auf der Erde mit Gottes Hilfe - menschenwürdiger zu gestalten.