Zwischen Traum und Wirklichkeit : die FRBR-Theoretisierung und einige FRBR-Anwendungen

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Transkript:

1/1 94. Deutscher Bibliothekartag 2005 Treffpunkt Standardisierung 15. März 2005, Düsseldorf Zwischen Traum und Wirklichkeit : die FRBR-Theoretisierung und einige FRBR-Anwendungen Patrick Le Bœuf, Bibliothèque nationale de France Chair of the IFLA FRBR Review Group Dia 1: Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Es ist mir zugleich eine Ehre und ein Vergnügen, Ihnen heute das FRBR-Modell zu präsentieren. In dieser Präsentation möchte ich einige theoretische Aspekte des Modells betonen, aber auch konkrete Beispiele von tatsächlichen Anwendungen dieser theoretischen Struktur zeigen. Dia 2: Zuerst möchte ich die FRBR-Entitäten in 5 Bildern und mit Hilfe von Beispielen aus dem alltäglichen Leben präsentieren. Es kann interessant sein, auch das zu erklären, was FRBR nicht ist, denn man hat davon so viel gesprochen, dass sich auch einige Unstimmigkeiten ausgebreitet haben. In Wirklichkeit gibt es so vieles, das FRBR nicht ist, dass Sie sich vielleicht wundern werden, wozu diese vieldiskutierte Sache dienen kann. FRBR ist aber kein Ende ich wage sogar zu behaupten, dass es nur ein Anfang ist. Der Anfang von was? Was wird es nach FRBR geben? Dia 3: Die alltägliche Sprache ist äusserst vieldeutig. Ein einziges Wort kann zahlreiche verschiedene Bedeutungen haben. Auch ein Wort wie das Wort Buch, das in Bibliotheken so oft vorkommt, kann mindestens 4 Bedeutungen haben. Die erste FRBR-Entitäten-Gruppe kann uns helfen, diese 4 Bedeutungen zu analysieren. Oft sagt man zum Beispiel: Heute habe ich mir ein Buch gekauft. Grundsätzlich ist ein Buch ein physischer Gegenstand. Das hat mit unserem Begriff von Exemplar zu tun. In der FRBR- Sprache sagt man item. Oft benützt man das Wort Buch auch als ein Synonym zu Veröffentlichung, zum Beispiel in solchen Sätzen wie Haben Sie bitte dieses Buch?, wenn man zu seinem Buchhändler geht. Wenn man ein Buch bestellt, bestellt man kein bestimmtes Exemplar, das man im voraus kennt, sondern irgendein Exemplar von einer bestimmten Veröffentlichung. In der FRBR-Redeweise heisst das aber nicht Veröffentlichung, sondern manifestation, denn das Modell berücksichtigt nicht nur Veröffentlichungen, sondern alle Art von Materialien, die in einer Bibliothek verfügbar sein können. Ein Verfasser kann auch sagen: Ich habe ein Buch geschrieben. Dann ist das Wort Buch ungefähr ein Synonym zu Text. Die Sprache, in der dieser Text verfügbar ist, ist ein wichtiges Attribut dieses Textes. FRBR sagt aber nicht Text, sondern expression also Ausdruck. Ausdruck von was? Was drückt man durch einen Text aus? Derselbe Verfasser kann noch Übersetzungen von seinem Text als sein Eigentum anerkennen, auch wenn er nicht fähig ist, die Zielsprachen zu sprechen. Er kann auch diese Übersetzungen als sein Buch bezeichnen. Denn dieses Buch ist sein Werk, unabhängig davon, wie dieses Werk auch ausgedrückt werden kann. Dia 4: Die zweite FRBR-Entitäten-Gruppe zielt darauf, diese Frage zu beantworten: Wer hat das gemacht? das heißt: Wer hat dieses Werk geschaffen? Wer hat diesen Text übersetzt? Wer ist für diese Veröffentlichung verantwortlich? usw. Das kann eine einzige Person oder eine Gemeinschaft sein.

2/2 Dia 5: Gleicherweise dient die dritte FRBR-Entitäten-Gruppe dazu, die Frage Wovon ist in diesem Werk die Rede? zu beantworten. Es kann in einem Werk von einem anderen Werk die Rede sein oder von einem besonderen Ausdruck eines Werkes oder von einer besonderen Veröffentlichung oder gar von einem besonderen Exemplar. Es kann auch von einer Person oder von einer Gemeinschaft die Rede sein. Alle Entitäten aus den zwei ersten Gruppen gehören also auch zu der dritten Gruppe. Es gibt aber noch vier andere Entitäten, die nur zu dieser Gruppe gehören: Begriff, Gegenstand, Ereignis und Ort. Dia 6: Die vier Entitäten aus der 1. Gruppe sind miteinander durch strukturelle Beziehungen verbunden: das Werk ist durch eine expression verwirklicht, die expression ist durch eine manifestation verkörperlicht, die manifestation ist durch ein item exemplifiziert. Es gibt auch Verantwortlichkeitsbeziehungen zwischen Entitäten aus der 2. Gruppe und Entitäten aus der 1. Gruppe: ein Werk wird von einer Person oder Gemeinschaft erschaffen, eine expression wird von einer Person oder Gemeinschaft verwirklicht, eine manifestation wird von einer Person oder Gemeinschaft erzeugt, ein item wird von einer Person oder Gemeinschaft besessen oder modifiziert. Schliesslich gibt es eine Thema- Beziehung zwischen allen Entitäten und der einzigen Entität Werk: in einem Werk ist die Rede über etwas. Dia 7: Es gibt aber noch andere Arten von Beziehungen: mereologische Beziehungen zwischen einem Ganzen und den verschiedenen Teilen jenes Ganzen ; intellektuelle Beziehungen zwischen Werken (ein Werk kann als die Folge zu einem anderen Werk erdacht werden), oder zwischen expressions desselben Werks oder verschiedener Werke (eine bestimmte Übersetzung kann auf einer bestimmten Version eines textuellen Werkes basieren), oder zwischen einem Werk und einer expression eines anderen Werks (ein Lied kann eine bestimmte Version eines Textes vertonen); Reproduktionsbeziehungen zwischen manifestations (ein Faksimile-Nachdruck von einer originalen Veröffentlichung), zwischen items (eine Mikroform von einem Exemplar), oder zwischen einer manifestation und einem item (das bestimmte Exemplar, auf dem ein Faksimile-Nachdruck basiert); usw. Dia 8: Kann man behaupten, dass FRBR eine Norm ist? Meiner Meinung nach, nein. Und nicht nur meiner Meinung nach. Auch Tom Delsey, der eine grosse Rolle in der Entstehung des Modells gespielt hat, hat gesagt, dass FRBR nicht als eine Vorschrift beabsichtigt war. Keinesfalls sagt FRBR einem, was man machen sollte, oder wie man es machen sollte. FRBR ist nur eine Analyse von dem, was wir uns anstrengen, zu tun. Gleicherweise ist FRBR keine ISBD. In FRBR sagt man nicht, wie die Daten-Elemente zu strukturieren sind. Man sagt auch nicht, wie die Daten-Elemente anzuzeigen sind. Tatsächlich hat FRBR nicht denselben Zweck, nicht denselben Bereich, wie die ISBDs. FRBR ist breiter und abstrakter. Dia 9: Kann man mit FRBR direkt eine Datenbank erstellen, als ob es ein Datenmodell wäre? Nein, glaube ich, weil die in FRBR definierten Attribute zu generell sind, um damit das Modell implementieren zu können, ohne es vorher verfeinert zu haben. Zum Beispiel findet man kein Detail die verschiedenen Titel betreffend, die wir in unseren Katalogen so sorgfältig differenzieren: FRBR sagt nur, dass ein Werk einen Titel hat, eine expression einen Titel hat, eine manifestation einen Titel hat

3/3 Noch weniger könnte man sagen, dass FRBR ein Format ist. Nebenbei möchte ich hier bemerken, dass die meisten Systeme, die das FRBR Modell implementieren, Formate anwenden, die auf der XML-Sprache basiert sind. Soviel ich weiss, gibt es nur eine Ausnahme: ein Italiener, Roberto Sturman, hat ein System entwickelt, für das er ein MARC-ähnliches Format geschaffen hat, das alle Attribute des FRBR-Modells wörtlich übernimmt. Aber auch in diesem Fall war es nötig, jedes Attribut mit einem Qualifier zu begleiten, wiederum weil die FRBR-Attribute viel zu generell sind. Dia 10: Wenn FRBR weder eine Norm, noch ein Datenmodell, noch ein Format ist, fragen Sie sich vielleicht, wozu diese seltsame Sache überhaupt dienen kann... Tatsächlich übt FRBR einen gewissen Einfluss auf die Normierung auf der internationalen Ebene aus. Ausserdem gibt es schon ein paar Systeme, Prototypen und Projekte, die das Potential des FRBR-Modells für bibliographische Information zeigen. Dia 11: Auf der internationalen Ebene kann man 2 Initiativen erwähnen, die beide von der IFLA gefördert werden. Basierend auf zwei Kapiteln aus dem FRBR Final Report, in denen einige der ISBD-Elemente als entbehrlich erachtet worden sind, hat die ISBD Review Group beschlossen, dass diese ursprünglich obligatorischen Elemente fakultativ sein sollen. Darüber hinaus gibt es Pläne für die Entwicklung eines internationalen Katalogisierungsregelwerkes. Der erste Schritt in diese Richtung geschah vor zwei Jahren in Deutschland, als das erste IFLA Meeting of Experts on an International Cataloguing Code im Sommer 2003 in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main stattfand. Der Zweck dieser Reihe von Zusammentreffen ist es, zu bestimmen, ob solch ein internationales Katalogisierungsregelwerk überhaupt machbar ist, und, wenn es der Fall ist, auf welchen Grundsätzen es basieren sollte. Die FRBR-Begriffe und die FRBR-Terminologie sollen die ganze IME-ICC-Reihe inspirieren. Die FRBR-Entitäten sind auch in den Frankfurter Katalogisierungsprinzipien den aktualisierten Pariser Prinzipien, die auf der Website der Deutschen Bibliothek verfügbar sind, erwähnt. Dia 12: Auch die AACR sollen revidiert werden. Es ist geplant, dass die AACR3 2007 erscheinen. In AACR3 werden die FRBR-Entitäten sehr häufig erwähnt werden. Eine Problematik, die in AACR3 angegangen wird, ist die der GMDs, General Material Designations die allgemeinen Materialbenennungen. Wie kann die FRBR-Analyse uns helfen, sie kohärenter zu machen? Es kann sein, dass die AACR3 zwei Ebenen in den GMDs erkennen werden: Inhalt und Medium, also die Werk-Ebene und die expression/manifestation -Ebene. Zum Beispiel könnte man solche GMDs haben, wie: cartographic resource : print, cartographic resource : threedimensional, cartographic resource : digital. Dia 13: Die allererste Implementierung des Modells in einer wirklichen Datenbank gibt es in Australien. Der Name dieser Datenbank ist AustLit Gateway, wobei AustLit eine Abkürzung von Australian Literature ist. Tatsächlich ist AustLit Gateway eine Datenbank, die ausschliesslich literarische Texte von australischen Verfassern oder über Australien berücksichtigt. 8 Universitätsbibliotheken und Australiens Nationalbibliothek führten dieses Projekt zwischen 1998 und 2002 durch. Das AustLit Gateway ist kein Katalog ich meine: der Zweck dieser Datenbank besteht nicht in der Lokalisierung von Exemplaren, obgleich man gelegentlich Auskunft über gewisse Bibliotheksammlungen finden kann. Eher ist AustLit Gateway eine Art online literaturgeschichtliche Enzyklopädie. AustLit Gateway ist werkzentriert, das heisst: man findet dort entweder Webseiten (biografische Datensätze ), die einem Verfasser gewidmet sind, oder Webseiten, die Auskunft über

4/4 ein einzelnes Werk geben. Solche Webseiten listen alle expressions und manifestations auf, unter denen das Werk im Laufe der Zeit verfügbar gewesen ist. Das Datenmodell, auf dem AustLit Gateway gebildet worden ist, ist aber nicht das echte, originale FRBR, sondern ein hausgemachtes Modell, das von den FRBR inspiriert ist. Dia 14: Hier sieht man, zum Beispiel, den Werk-Datensatz für den Roman Lilian s story. This work has appeared in at least 3 different versions : es fällt auf, dass das Wort expression sorgfältig vermieden worden ist, da die meisten Benutzer der Datenbank es wahrscheinlich nicht verstehen würden. Die erste expression, bzw Version, obgleich nicht explizit erwähnt, besteht im abstrakten textlichen Inhalt der ersten Veröffentlichung in Sydney, 1985. Die zweite Veröffentlichung verkörpert einen etwas veränderten Inhalt, also eine neue expression. Zwei weitere Veröffentlichungen haben genau denselben Inhalt wie die zweite Veröffentlichung; es gibt also 3 manifestations für die zweite expression des Werkes. Die dritte und bis weiteres letzte expression des Werkes ist eine italienische Übersetzung. Es wird aber nicht präzisiert, ob diese Übersetzung auf der ersten oder zweiten Fassung basiert. Dia 15: In der zeitlichen Reihenfolge war Virtua die zweite konkrete Implementierung des FRBR- Modells. Virtua entstand schon, bevor es FRBR implementierte. VTLS Inc. brachte 2002 die Version 41 des Virtua-Systems heraus. Es ist jene Version, in der die FRBR implementiert sind. In Virtua kann man MARC Datensätze in FRBR-Entitäten aus der ersten Gruppe aufspalten. Es ist aber nicht immer nötig, Datensätze aufzuspalten. Die meisten Veröffentlichungen verkörpern die einzige Fassung eines Werks, und werden nie wieder neu herausgegeben werden. Virtua ermöglicht es also, in derselben Datenbank aufgespaltene Datensätze und traditionelle, flache Datensätze zu haben. Natürlich könnten die Katalogisierer auch von Anfang an aufgespaltene Datensätze machen. Die theoretische Basis, auf der dieses System gebildet worden ist, besteht aus Tom Delseys Mapping zwischen dem Format MARC21 und dem FRBR-Modell. Dieses Mapping ist auf der Webseite der Library of Congress verfügbar. Der theoretische Rahmen bleibt aber grundsätzlich das ISBD-Paradigma. Seit ein paar Monaten ist es auch möglich, aufgespaltene Datensätze wieder flach und ISBD-artig zu machen. Dia 16: In diesem Beispiel kann man sehen, wie Virtua Mozarts Gran Partita behandelt. Am Gipfel des FRBR-Baumes gibt es den Einheitstitel für das Werk. Dann werden alle expressions aufgelistet: verschiedene Tonaufnahmen mit verschiedenen Orchestern und Dirigenten, bedruckte Partituren, handschriftliche Partituren. Unter jeder expression findet man eine Kurzbeschreibung jeder manifestation dieser expression. Wenn man auf solche Kurzbeschreibungen klickt, wird die volle Beschreibung das heißt, der traditionelle bibliographische Datensatz angezeigt. Dann kann man auf Request klicken, um Auskunft über die items zu bekommen. Dia 17: VTLS ist äusserst zuversichtlich, nicht nur, was Virtua betrifft, aber auch was die Zukunft des FRBR-Modells im Allgemeinen betrifft. Für Vinod Chachra, einen der wichtigsten Entscheidungsträger in VTLS, soll FRBR allmählich die traditionellen OPACs ganz ersetzen und sich in der Zukunft jeder Bibliothek wiederfinden. Dia 18:

5/5 Und jetzt zu einem anderen Beispiel mit mehreren Projekten, die OCLC im Bereich der FRBR-Applikationen durchführt. Der FictionFinder -Prototyp, der, wie sein Name es ahnen lässt, nur fiktionale Werke behandelt, ist verfügbar auf dem Web (<http://fictionfinder.oclc.org>). Das xisbn-projekt zielt darauf ab, dass die ISBN von allen Veröffentlichungen, die verschiedene expressions desselben Werkes enthalten, miteinander verbunden werden, damit man die ganze Liste der ISBN bekommt, wenn man eine ISBN vorlegt. Open WorldCat benutzt das xisbn-projekt und erlaubt es, eine bibliographische Referenz aus WorldCat auf Google oder Yahoo zu finden, und dann die ganze Reihe der durch xisbn verbundenen Veröffentlichungen zu durchblättern. Das OCLC-Forschungsteam hat festgestellt, dass unsere traditionellen Datensätze es nicht ermöglichen, die Expression -Ebene präzise genug zu identifizieren. Aus allen Attributen, die der FRBR Final Report für die Entität expression definiert, wird nur das Attribut Sprache beibehalten. Es ist also nur möglich, eine Reihe von expressions zu identifizieren und zu behandeln, nicht eine einzelne expression. Dia 19: Auf diesem FictionFinder-Beispiel sieht man alle Kriterien, die für eine Recherche verfügbar sind: Exact Title, Title, Author, Fictitious Characters, Imaginary Places, Settings, Fiction Categories, Summaries, Subjects, Literary Forms, Special Forms (das ist: Braille, grosse Schrift, usw.). Eine Recherche nach Kafka als Verfasser gibt 134 Hits. Ich habe hier den Werk-Datensatz für den Prozess ausgewählt. Dieser Datensatz zeigt an, dass 173 Versionen, in 21 Sprachen, verfügbar sind. In diesem Kontext weist das englische Wort version nicht auf die Entität expression hin, sondern auf die Entität manifestation -: eigentlich entstehen 173 Ausgaben des Prozesses, nicht 173 Fassungen. Am Ende des Datensatzes für das Werk findet man die Liste der Sprachen, in denen dieses Werk verfügbar ist, und die Zahl der Veröffentlichungen in jeder Sprache. Zum Beispiel kann man hier sehen, dass es in WorldCat 41 Ausgaben des Prozesses auf deutsch gibt. Dia 20: Nachdem man auf den Namen einer Sprache geklickt hat, werden Kurzbeschreibungen für alle Ausgaben in dieser Sprache angezeigt. Wenn man auf eine Kurzbeschreibung klickt, wird der entsprechende Datensatz komplett angezeigt, in einem neuen Fenster. Dann kann man ein item finden, so nah wie möglich vom Orte, wo man wohnt. Dia 21: xisbn wurde durch den FRBRisierung-Algorithmus ermöglicht, den ein OCLC Forschungs- Team entwickelt hat. Um den xisbn Dienst zu benützen, braucht man nur die Adresse <http://labs.oclc.org/xisbn/> einzugeben und eine ISBN. Zum Beispiel schlägt die Webseite Learn more about xisbn vor, die ISBN einer Ausgabe von Frank Herberts Dune einzugeben. Dann bekommt man die Liste der ISBN der anderen Ausgaben desselben Werks, auf englisch und in anderen Sprachen. Vielleicht werden Sie denken, dass man mit einer reinen ISBN-Liste nicht viel machen kann... xisbn ist aber nur eine Stufe zu anderen Diensten. Dia 22: xisbn ist ein wichtiges Element in OCLC s Open WorldCat, ein OPAC, der die bibliographische Information aus dem Deep Web herausholt, um sie auf Google und Yahoo, und auch auf den Webseiten der online Buchhändler, sichtbar zu machen. In Google kann man zum Beispiel beide Ausdrücke da vinci code und find in a library eingeben (es gibt auch andere Arten, den Open WorldCat Dienst zu benützen). Dann bekommt man die bibliographische Beschreibung einer Ausgabe von Dan Browns Roman. Diese bibliographische Beschreibung enthält einen Link zu Other editions of item. Folgen wir diesem Link.

6/6 Dann bekommt man eine Liste von Kurzbeschreibungen aller anderen Ausgaben desselben Werks. Diese Liste basiert auf dem xisbn Dienst. Jede Kurzbeschreibung trägt einen Link zu einem vollständigeren Datensatz zum Beispiel, folgen wir dem Link zu einer Ausgabe der spanischen Übersetzung dieses Werks. Dia 23: Der kürzlich erneuerte OPAC der RLG, das RedLightGreen heisst, ist keine echte Implementierung des FRBR-Modells, aber FRBR hat auf dieses Projekt einen gewissen Einfluss ausgeübt. Desgleichen wurde dieser OPAC vom Google-Paradigma beeinflusst. Die Entität expression wird hier ganz und gar nicht berücksichtigt; aber es ist möglich, wie bei den OCLC-Projekten, Klassen von expressions nach dem Sprachekriterium zu bestimmen. Dia 24: Genauso wie bei Google kann man alle Termini einer Suchanfrage durcheinander in einem einzelnen Recherche-Feld eingeben. In diesem Beispiel habe ich ganz einfach die zwei Wörter metamorphosis kafka geschrieben. Der RedLightGreen-OPAC hat den Einheitstitel für Kafkas Verwandlung an der ersten Stelle eingereiht ein sehr befriedigendes Ergebnis! Unter diesem Einheitstitel sind 109 Veröffentlichungen in 12 Sprachen zwischen 1915 und 2002 versammelt wunderbar! Aber leider sind nicht alle Ausgaben der Verwandlung hier versammelt. Weiter unten kann man noch mindestens 17 andere Ausgaben finden, die der Algorithmus nicht als Ausgaben desselben Werkes erkannt hat. Hier wird der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit besonders deutlich! Ein Algorithmus kann nicht alles tun, und die menschliche Analysefähigkeit wird immer unentbehrlich sein. Die Ergebnisse des RedLightGreen-OPACs sind zwar sehr gut, aber unsere Datensätze sind leider nicht gut genug, um dieses Werkzeug hervorragend zu machen. Auch wenn ein System ausgezeichnet wäre, würde es mit schlechten Daten nur schlechte Ergebnisse erhalten. Dia 25: Wenn man auf den Einheitstitel für die Verwandlung klickt, wird die vollständige Beschreibung einer Ausgabe angezeigt. Wenn man auf die Zahl der Ausgaben klickt, wird die ganze Liste der Ausgaben angezeigt. In dieser Liste hat jede Kurzbeschreibung einen Hyperlink zum vollständigen Datensatz für die entsprechende Ausgabe. Dia 26: Die letzte Implementierung, die ich heute Ihnen zeigen möchte, wurde in der Library of Congress verwirklicht. Sie heisst FRBR Display Tool ( Werkzeug für die FRBR-Anzeige ). Das Ziel war es, Datensätze für verschiedene manifestations desselben Werkes hierarchisch anzuzeigen. Diese Hierarchie hat 3 Ebenen: Die erste Ebene entspricht dem Werk-Begriff, von einem Einheitstitel identifiziert. Die zweite Ebene entspricht der Typologie der expressions, die zwei Daten-Elemente identifizieren: der Typ des Datensatzes und die Sprache. Die dritte Ebene besteht in einer Kurzbeschreibung der manifestations, mit der Möglichkeit, durch einen Hyperlink den vollständigen Datensatz anzuzeigen. Dia 27: Hier sieht man zum Beispiel einen Teil der hierarchisch geordneten Liste der Werke der Eudora Welty. Hier haben wir 2 expressions und 3 manifestations von einem Werk, das durch den Einheitstitel The optimist s daughter identifiziert wird. Genauso wie beim FictionFinder und bei RedLightGreen werden die expressions nicht individuell identifiziert, sondern nach ihren generellen Eigenschaften sortiert: Form und Sprache. Für jede unterschiedliche Veröffentlichung bekommt man einen kurzen Satz, der einen Link zum Katalog der Library of Congress enthält (weil die ursprüngliche Liste der Datensätze aus der Library of Congress stammte). Dia 28:

7/7 FRBR ist kein Ende, sondern ein Anfang. Es bleibt noch viel zu tun. Andere Projekte werden das Modell noch verbreiten und verbessern und weiter präzisieren. Dia 29: FRBR behandelt nur bibliographische Datensätze. Kurz nach der Veröffentlichung des FRBR Final Report hat die IFLA festgestellt, dass auch für Normdatensätze ein begriffliches Modell nötig ist. Deshalb wurde die FRANAR-Gruppe 1999 gegründet. FRANAR ist die Abkürzung für: Functional Requirements And Numbering of Authority Records. Allmählich aber hat die Gruppe begriffen, dass es zwei ganz verschiedene Dinge waren, Normdatensätze zu modellieren und zu nummerieren. Das Modell für Normdatensätze wird also jetzt nur FRAR Functional Requirements for Authority Records genannt. Im August wird dieses Modell Thema der IFLA sein. Dia 30: Die FRBR Review Group wurde 2002 gegründet (am Anfang nur als Arbeitsgruppe). Diese Gruppe hat ihre eigene Website (<http://www.ifla.org/vii/s13/wgfrbr/wgfrbr.htm>) und Diskussionsliste (frbr@infoserv.inist.fr). Die Gruppe wird Anfang Mai dieses Jahres ein Zusammentreffen haben, das nach praktischen Aspekten orientiert sein wird: welche Probleme haben diejenigen gehabt, die das Modell implementieren wollten? Welche praktischen Empfehlungen könnte man für diejenigen formulieren, die ein internationales Katologisierungsregelwerk erarbeiten? Dia 31: Vor 2 Jahren hat die FRBR Review Group noch Arbeitsgruppen gegründet, unter anderem eine für die Entität expression und eine für die Harmonisierung von FRBR und CIDOC CRM. Die Arbeitsgruppe für die Entität expression soll diese Entität, die oft für besonders rätselhaft gehalten wird, erklären. Zum Beispiel stellt man häufig solche Fragen wie: Wann hat man ein neues Werk, und wann hat man nur noch eine neue expression desselben Werks? Das CIDOC CRM ist ein begriffliches Modell für Museumsinformation. Es wäre also interessant und nützlich, FRBR und CRM zu harmonisieren. Die Arbeitsgruppe, die zu diesem Zweck gegründet worden ist, hat als vorbereitende Aufgabe schon angefangen, FRBR in die object-oriented Formalisierung zu übersetzen. Wenn das fertig sein wird, wird FRBR ohne Zweifel nicht mehr zu erkennen sein! Dia 32: Zusätzlich zur FRBR Review Group hat die IFLA noch andere Projekte im Bereich der Modellierung des bibliographischen Universums. Die FRBR Review Group hatte zwischen 2002 und 2004 eine Arbeitsgruppe, die sich mit den continuing resources beschäftigte, und sich fragte, ob das FRBR-Modell für solche Ressourcen wirklich passt. Schliesslich war die Antwort: Nein. Solche Ressourcen sollen also von Grund auf modelliert werden. Dann kann man untersuchen, wie man das resultierende Modell und das FRBR- Modell gliedern könnte. Letztes Jahr wurde beschlossen, eine Studiengruppe über Thema-Beziehungen zu begründen. Das Ziel ist es, noch ein weiteres Modell zu erschaffen, das die Schlagwortkatalogisierung berücksichtigen würde. Es gibt also noch viel über die Modellierung unseres bibliographischen Universums zu lernen. Man sollte aber doch nicht verzweifeln! Die Forschung muss immer weitergehen. Die Zukunft erwartet uns! Dia 33: Zum Schluss möchte ich nur sagen: dass FRBR in unserem alltäglichen Leben und unserer alltäglichen Arbeit noch nicht verfügbar ist (mit der Ausnahme vom Virtua-System); dass man FRBR dennoch schon heute im bibliographischen Web sehen kann, dank dem Open WorldCat des OCLC;

8/8 und dass es in der Zukunft vielleicht möglich sein wird, eine einzelne Recherche gleichzeitig in Bibliotheken und Museen durchzuführen, dank der Harmonisierung zwischen FRBR und CIDOC CRM. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.