die neuen Welteroberer



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Welt der Wirtschaft die neuen Welteroberer Text: Ines Zöttl und Ruth Fend Seit Generationen ernährt der Reisanbau die Menschen in. Aber längst hat sich die Volksrepublik aufgemacht in eine neue Zukunft. Die Firma Haier ist heute die Nummer eins unter den Haushaltsgeräteherstellern. LDK, Yingli und Trina ringen in der Solarindustrie um den Platz an der Sonne. Und Pearl River Piano dominiert den Weltmarkt für Klaviere. Dawin Meckel/OSTKREUZ Haier, Tata, Etihad, Alibaba in großem Tempo wachsen in Schwellenländern Unternehmen zu multinationalen Konzernen heran. Längst greifen sie westliche Rivalen wie Siemens und Lufthansa auch auf den Stammmärkten an. Capital stellt die spannendsten globalen Angreifer in den kommenden Monaten in einer Serie vor 28 Capital Ausgabe 09/2014 29

Seine Waschmaschine sei verstopft mit Dreck, beschwerte sich der Käufer. Ein Techniker fuhr zum Kunden. Der chinesische Bauer, so stellte sich heraus, hatte nicht seine schmutzige Kleidung gewaschen, sondern die Ernte des Tages: einen Sack Kartoffeln. Man kann sich vorstellen, was das Personal von Bosch oder Miele zu dem Vorfall gesagt hätte. Der Chef von Haier reagierte anders. Er ließ seine Arbeiter ein Gerät entwickeln, die beides kann: Gemüse und Hosen waschen. Später brachte er eine Maschine auf den Markt, die dank Plastikverkleidung auch im Garten nicht rostet. Dann eine, die sibirische Temperaturen aushält. Und ein Modell, an dessen Schläuchen sich Mäuse und Ratten die Zähne ausbeißen. 1984 war Zhang Ruimin mit 36 Jahren Chef eines Unternehmens geworden, das am Ende schien: Qingdao General Refrigerator, ein Hausgerätehersteller in der Küstenstadt Qingdao besser bekannt als Tsingtao, einstige Kolonie des Deutschen Reichs. Der Betrieb war nach Jahrzehnten kommunistischer Misswirtschaft finanziell reif für den Schrottplatz. Zhang nahm die Herausforderung an. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen, das heute Haier heißt, weltweit Produkte für 29,5 Mrd. Dollar verkauft und einen Gewinn von 1,76 Mrd. Dollar gemacht. Unter den Hausgerätemarken sind die Chinesen heute Nummer eins. Der Konzern exportiert in über 100 Länder; er hat 66 Handelsgesellschaften, 143 330 Verkaufsstellen, 24 Industrieparks und 70 000 Angestellte weltweit. Eine spektakuläre tektonische Verschiebung hat die globale Unternehmenslandschaft erfasst: Firmen aus Schwellenländern wachsen zu 30 multinationalen Konzernen heran, die den angestammten Riesen im Westen Konkurrenz machen. Manchmal verdanken sie ihren Erfolg dem Rohstoffreichtum vor Ort, mal dem Boom in der Heimat, meist einfach der eigenen Entschlossenheit: Haier ist Vorbild für eine ganze Generation von Unternehmen, denen die eigenen oft riesigen Märkte zu klein geworden sind. Im September erlebt die Welt ein Fanal dieses Umbruchs: Der chinesische Online-Händler Alibaba will an die Börse gehen, und zwar nicht in Asien, sondern an der Wall Street es dürfte der größte Tech-Börsengang seit dem Debüt von Facebook 2012 mit 16 Mrd. Dollar werden. Als der ehemalige Englischlehrer Ma Yun Alibaba vor 15 Jahren startete, betrat er ziemliches Neuland. Heute beherrscht der E-Commerce-Gigant, eine Kreuzung aus Amazon, Ebay und Paypal, den chinesischen Markt. Den Börsengang nimmt Capital zum Anlass, in den kommenden Ausgaben das Phänomen der neuen Welteroberer näher zu beleuchten: wer sie sind, wer sie führt, welche Branchen und Märkte sie erobern. Den Auftakt macht Alibaba (siehe Seite 36), es folgen Unternehmen wie die Fluggesellschaft Etihad, der mexikanische Mobilfunkanbieter América Móvil oder der Pharmakonzern Sun Pharma aus Mumbai. Seit 2006 stellt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) 100 Global Challengers vor, die das Zeug zum globalen Marktführer haben. Sie kommen aus, Indien und Brasilien, aber längst auch aus Mexiko, Südafrika oder Ägypten. Sie stammen aus Branchen, wo man sie nicht ver- Nicht nur Absatzmarkt Viel ist in den vergangenen Jahren darüber geschrieben worden, dass sich die Gewichte in der Weltwirtschaft verschieben. Die Traditionskonzerne in Europa und Amerika begriffen das zunächst nur als Verheißung: Die neuen Märkte würden sie von Kosten und Konjunktursorgen erlösen. In den Schwellenländern kann man billig produzieren und viel verkaufen. Von einem Absatzmarkt mit 1,35 Milliarden Chinesen schwärmten deutsche Firmenchefs: für Autos, Maschinen, Pumpen, Klimaanlagen, Uhren, Babynahrung. Eine wachsende Mittelschicht hungere nach Konsum. Und es stimmt ja auch: 3,27 Millionen Autos hat Volkswagen 2013 in abgesetzt, während in Deutschland der Absatz auf 642 000 Fahrzeuge schrumpfte. Die Dax-Konzerne verdienten nach einer Untersuchung der Münchner Managementberatung EAC 2012 schon jeden neunten Euro im Reich der Mitte. Anfangs haben die Platzhirsche ihr Revier vergrößert. Noch zur Jahrtausendwende wurde an der Spitze der globalen Unternehmenswelt Reise nach Jerusalem mit den immer gleichen zwei Dutzend Firmen gespielt, sagt Mauro Guillén, Professor an der Universität Pennsylvania und Co-Autor des Buches Emerging Markets Rule. Als das US-Magazin Forbes 2003 zum ersten Mal seine Rangliste der Global 2 000 veröffentlichte, kamen 60 Prozent der 2 000 führenden Firmen aus nur drei Industrienationen: USA, Japan und Großbritannien. Amerika allein stellte 40 Prozent der Global 2 000. Capital Ausgabe 09/2014 Kate Peters/INSTITUTE, Getty Images Im Callcenter der Firma Haier ging eines Morgens ein merkwürdiger Anruf ein. mutet: Wer hätte etwa gedacht, dass ein IT-Dienstleister aus Indien einmal den US-Giganten IBM oder Hewlett-Packard (HP) gefährlich werden könnte? Doch Tata Consultancy Services (TCS) schiebt sich unaufhaltsam nach vorn. In der Börsenkapitalisierung haben die Inder HP überholt. Ein Jahrzehnt später ist der Anteil der US-Konzerne auf unter 30 Prozent gesunken. Um die drei Spitzenplätze rangeln nun die Industrial and Commercial Bank of, die Construction Bank und die Agricultural Bank of. Doch es ist nicht nur Geld, das die Welt beherrscht der weltgrößte Bonbonproduzent sitzt in Argentinien: Arcor aus der Provinz Córdoba. Brasiliens JBS hält den Rekord bei Fleisch. Die mexikanische Cemex führt im Zementmarkt. Die Bäckerei Grupo Bimbo aus Mexiko-Stadt fegte die amerikanische Institution Sara Lee Corporation vom Markt und steht auf Platz eins. Aspen Pharmacare aus Südafrika ist der größte Generika-Hersteller der südlichen Hemisphäre. Und die größte Pianofortefabrik der Welt sitzt nicht mehr in New York oder Berlin, sondern im Perlflussdelta: Pearl River Piano baut jährlich 100 000 Klaviere und Flügel. Die Welt erlebe den größten Wandel seit 200 Jahren, seit der industriellen Revolution, erklärte Antoine van Agtmael vor Jahren. Er weiß, wovon er spricht. Als der Weltbank-Ökonom 1981 vorschlug, einen Fonds aus Unternehmen der Dritten Welt aufzulegen, erntete er Kopfschütteln. Agtmael erfand den Begriff Schwellenländer heute legen Brasilien Im entlegenen Norden leben noch mehrere Hunderttausend Ange hörige indigener Völker. Jenseits der dichten Wälder des Amazonas wird Brasilien aber zur modernen Indus trienation mit immer mehr Weltkonzernen. So ist JBS heute der größte Fleischverarbeiter der Erde. Vale ist einer der drei führenden Bergbaumultis, Embraer der viertgrößte Flugzeughersteller. Top Five der Forbes Global 2 000 -Liste der größten Konzerne weltweit 01 Industrial and Commercial Bank of 02 Construction Bank 03 Agricultural Bank of 04 JP Morgan Chase USA 05 Berkshire Hathaway USA selbst Kleinanleger in solchen Fonds an. Trotzdem würden die F irmen, die die Basis dieser Ökonomien formen, immer noch als drittklassig, bestenfalls zweitklassig angesehen, klagte Agtmael in seinem 2007 erschienenen Buch The Emerging Markets Century. Doch die Schwellenunternehmen haben das vergangene Jahrzehnt genutzt: Sie sind auf lokalem Boden gewachsen, haben nicht nur kopiert, sondern dazugelernt. Ihre Heimatmärkte sind zum Sprungbrett geworden. Haier-Chef Zhang warf sich auf den hoch umkämpften US-Markt, kaum hatte er erobert: Meine Philosophie war immer: Spiel Schach nur gegen den Meister, verkündet er selbstbewusst. Der Kampf um Marktanteile findet auf mehreren Schauplätzen statt: in den eigenen Wachstumsregionen, auf Drittmärkten und in der Heimat der etablierten Konzerne, die sich nun gegen die Parvenüs verteidigen müssen. So wie Siemens, der Traditionskonzern, der sich 1863 als einer der ersten Europäer zum Multi na tional aufschwang: mit der Gründung eines Kabelwerks im englischen Woolwich. Gut anderthalb Jahrhunderte später ist Verteidigung angesagt. Zum Beispiel in der Sparte Power Trans m ission, 31

dern. Können die mehr als zusammenschrauben und kopieren? Asbeck überreichte Shi Zheng rong, dem Chef der chinesischen Suntech, ein altes kaputtes Feuerzeug mit Mao-Emblem aus seinen Studententagen. Ihr könnt doch alles da drüben, sagt er. Reparier mal! Nach zwei Tagen war das Feuerzeug wieder in Deutschland: repariert. Und es spielte nun die Internationale. Die Herausforderer setzen immer mehr auf Innovation Durchschnittsforschungs ausgaben der 100 Global Challengers, Mio. Dollar pro Unternehmen 295,5 300 250 der Energieübertragung. Noch vor drei bis vier Jahren war das Geschäft in den Emerging Markets sehr lu krativ, sagt Commerzbank-Analyst Ingo Schachel. Heute sei die Lage für Siemens nicht mehr komfortabel. Die Erträge sind kollabiert. Ein solcher Preisverfall ist ein sicheres Anzeichen, dass New comer den Markt erobern. Schachel sieht Siemens insgesamt zwar noch in einer guten Position. Doch müsse sich der Konzern weiterentwickeln, um nicht von der Konkurrenz aus Fernost aus dem Rennen geworfen zu werden. An anderer Stelle ist das bereits passiert: Siemens war bis vor wenigen Jahren einer der führenden Anbieter für Handymasten. Dieses Geschäft ist heute weg. 2013 zog Siemens nach Milliardenverlusten die Reißleine und verabschiedete sich aus Nokia Siemens Networks (NSN). Binnen fünf Jahren haben zwei Emporkömmlinge aus Asien den Markt auf den Kopf gestellt: die Telekommunikationsausrüster Huawei und ZTE. Mit 21 000 Yuan (heute 2 500 Euro) hatte CEO Ren Zhengfei 1988 Huawei in Shenzhen gegründet. Den aktuellen Geschäftsbericht beginnt der heute 69-Jährige, der die Öffentlichkeit meidet, mit einer Fabel: die von der Schildkröte und dem 32 Industriearbeiter gibt es noch immer zu Abermillionen. Aber auch in der virtuellen Wirtschaftswelt hat die Volksrepublik Großbetriebe aufge baut. Huawei ist der zweit größte Netzwerkanbieter der Welt, auch dank Staatshilfen in Milliardenhö he. Bald geht der Internetkonzern Alibaba in New York an die Börse beim wohl spannendsten IPO des Jahres. Die Schildkröte gewann am Ende das Rennen, schreibt Ren. Huawei ist wie eine große Schildkröte Hasen, die um die Wette laufen. Die Schildkröte gewann am Ende das Rennen, schreibt Ren. Huawei ist wie eine große Schildkröte. Die Schildkröte ist heute nicht nur der zweitgrößte Netzwerkanbieter der Welt, sondern auch drittgrößter Smartphone-Hersteller hinter Samsung und Apple. Ganz aus eigener Kraft ist sie allerdings wohl nicht ans Ziel gekrochen. Die EU-Kommission argwöhnt, dass der Staat Huawei und ZTE mit Subventionen in zweistelliger Milliardenhöhe unterstützt hat. Der Verdacht betrifft nicht nur diese eine Branche: s Solarindustrie bekam Kreditlinien, Steuervorteile und durfte sogar Land unter Marktpreis kaufen. 2013 verhängte die EU Strafzölle gegen Exporteure von Solarmodulen wegen Dumping. Huawei sieht sich noch schlimmeren Vorwürfen ausgesetzt: Westliche Staaten fürchten, mit dem Netzwerkausrüster die Spionage frei Haus zu bekommen. Doch es wäre zu einfach, die Erfolgsgeschichten auf staatliche Intervention zu reduzieren. Die Chinesen haben einfach aufgeholt. Eine Anekdote aus der Solarbranche macht das deutlich: Auf der Intersolar, dem Branchentreff der Solarindustrie, wollte Frank Asbeck, Chef von Solarworld, 2008 die chinesischen Konkurrenten herausforcapital Ausgabe 09/2014 Maurice Weiss/OSTKREUZ Was Droht Deutschland? Die Herausforderer kommen aus 17 Ländern der Welt. Und viele dieser Unternehmen investieren zunehmend in Innovation, sagt Peter Ullrich, Globalisierungsexperte bei BCG. Von 2007 bis 2011 haben sich ihre jährlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung verdreifacht. Huawei hat eine europäische Forschungs- und Entwicklungszen trale in München aufgebaut und re krutiert in Zeitungen und online junge Ingenieure. Chinesische Firmen hätten begriffen, dass sie die besten Leute von den besten Universitäten brauchen, um übermorgen die besten Erfindungen zu machen, sagt Philipp Sandner, Projektmanager an der Technischen Universität München und Mitgründer des Patentvermarkters Munich Innovation. Und damit wachse auch ihre Attraktivität als Arbeitgeber. Heute zu Siemens, morgen zu Huawei, mutmaßt er. Die Zahl der Patentanmeldungen aus wächst rasant. Mehrere Universitäten halten heute weitaus mehr Patente als jede deutsche Hochschule, so Sandner. So wie die Tsinghua-Universität in Peking, die schon als das MIT von gilt. Nach einer aktuellen Studie der UN World Intellectual Property Organisation (WIPO) steigt die Qualität der Anmeldungen. Ganz vorne mit dabei: Foxconn, hierzulande dafür bekannt, dass seine Arbeiter zu schlechten Bedingungen iphones montieren. Es ist auch eine Überlebensfrage. Denn die Löhne in 230,6 200 181,7 140,8 150 100 90,6 50 0 07 08 09 10 11 Quelle: Boston Consulting Group Indien Mit dem Nano, dem billigsten Au tomobil der Moderne, hat Tata weltweit Furore gemacht. Indiens führender Mischkonzern kann aber mehr als nur Autos bauen. Zur Grup pe gehören Stahlfabriken, Kraft werke oder Tata Consultancy Services, ein IT-Dienstleister mit fast 10 Mrd. Euro Jahresumsatz. steigen, und die Billigproduktion wandert ab. Viele der Unternehmen, die mit Niedriglöhnen groß geworden sind, müssen nun die Wertschöpfungskette hochklettern. Deutschland, könnte man meinen, hat von solchen Herausforderern wenig zu befürchten. Es hat ja seine Hidden Champions, die Weltmarktführer aus der Provinz. Einer davon sitzt in Ennepetal, am südlichen Rand des Ruhrgebiets. Er ist der führende Lieferant für geschmiedete Fahrwerks- und Motorenkomponenten, und zu seinen Kunden gehören BMW, VW, Volvo und Ford. Die Firma heißt: CDP Bharat Forge. Sie wurde 1839 gegründet als Carl Dan. Peddinghaus. 2004 übernahm der indische Konzern Kalyani den Betrieb und verleibte sich auch gleich noch die CDP Aluminiumtechnik im sächsischen BrandErbisdorf ein. Bharat Forge hatte sich entschlossen, ThyssenKrupp die Führung streitig zu machen. Die Übernahmen begründete Patriarch Baba Kalyani damals nicht mit deutscher Wertarbeit, sondern mit Vorurteilen gegen Indien: Theoretisch können wir in Pune alles so gut herstellen wie in Ennepetal und billiger, sagte er in einem Interview. Aber kein Kunde sei bereit, kritische Komponenten allein aus Indien zu beziehen. Das Made-in-India-Etikett bleibt ein Problem. Leute wie Kalyani sind angetreten, das zu ändern. Hinter den aufstrebenden Firmen stehen oft starke Unternehmerfamilien, sagt BCGMann Ullrich. Sie haben sich in ihren Heimatländern eine starke Machtposition aufgebaut, denken global, sind bereit, mit ihren Profiten etwas zu riskieren. Und anders als in vielen westlichen Konzernen treffen die Alleinherrscher ihre Entscheidungen allein: schnell und fokussiert. Dass der Eroberungsfeldzug dabei auch zu stürmisch sein kann, hat das Beispiel Suzlon gezeigt: Der indische Hersteller von Windkraftanlagen übernahm 2007 den Hamburger 33

im Juni Forbes Asia. Tatsächlich ist es genau das, woran es den Aufsteigern noch mangelt. Die Welt kennt Kellogg s und Kodak, nicht Haier oder Huawei. Wenige haben es zu solcher Berühmtheit gebracht wie das mexikanische Corona Extra, das es erst zur Yuppie- und dann zur globalen Massenmarke schaffte. Von den 100 wertvollsten Marken der Welt, die die Beratungsgesellschaft Interbrand auflistet, kommen nur zehn aus Asien und zwar ausschließlich aus Südkorea oder Japan, Firmen wie Samsung und Toyota. Im Konsumgüterbereich tun sich Firmen aus den Emerging Markets häufig schwer, ins Premiumsegment Top 10 der Markenanmeldungen Lange war vor allem Werkbank für ausländische Konzerne. Doch immer öfter meldet es eigene Marken an und hat schon Südkorea überholt Singapur Südkorea Taiwan Japan Großbritannien Deutschland Hongkong USA Frankreich 500 000 400 000 300 000 200 000 100 000 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Quelle: Thomson Compumark BCG 100 Global Challengers Anzahl der Angreifer pro Branche Langlebige KOnsumgüter Kurzlebige Konsum g üter: Lebensmittel und Getränke (8), Pharmazeutika (4) Roh- und Grundstoffe: Fossile Brennstoffe (9), Bergbau und Metalle (6), Stahl (4) Dienstleistungen: Telekommunikation (5), Fluglinien (5), Bau und Ingenieursdienstleistungen (5) InDustriegüter: Maschinenbau (9), Automobilzulieferer (9), Chemie (7), Mischkonzerne (5) 2006 2008 2009 2011 2013 Quelle: Boston Consulting Group 34 aufzuschließen, sagt Ullrich. Markenführung, Produktdesign in diesen Bereichen liegen westliche Firmen meist vorne, und die kulturelle Dominanz des Westens ist groß. Vom Reputationseffekt profitiert auch die deutsche Autoindus trie. Zwar hat man hier mit Sorge beobachtet, wie chinesische Hersteller über Joint Ventures und Zukäufe Spitzentechnologie erwarben etwa als der chinesische Autobauer Geely 2010 Volvo übernahm. Im Februar investierte Dongfeng Motor über 1 Mrd. Dollar als Teil eines Rettungspakets in Peugeot-Citroën; wenige Tage zuvor hatte Wanxiang die Assets des bankrotten US-Sportwagenherstellers Fisker ersteigert. Doch das waren strauchelnde Firmen. ausnahme: Autoindustrie Selbst Jahrzehnte der Zusammenarbeit mit europäischen Autobauern haben bislang nicht zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Hersteller geführt. Selbst im Heimatmarkt tun sie sich außerhalb ihrer Joint Ventures mit ausländischen Partnern schwer. Die Exporte der chinesischen Autobauer gingen 2013 sogar um vier Prozent zurück. Für dieses Jahr erwarten wir noch Schlimmeres, sagt Jochen Siebert von der Beratung JSC Automotive in Schanghai. In verloren die lokalen Marken Anteile an ausländische Wettbewerber, die zusammen mehr als 70 Prozent des Marktes halten. Den Kunden dort fehlt das Vertrauen in die heimischen Produzenten. Bei Qualität, Service und Markenführung hinken sie stark hinterher, sagt Siebert. Allerdings: In Afrika und Teilen Lateinamerikas sind die Chinesen stark. Denn dort sind einfache Modelle ohne allzu viel elektronischen Schnickschnack gefragt. Solche, die man an der Straße selbst reparieren kann. Der indische Autobauer Tata zeigt, dass es dabei nicht bleiben muss. Er hat mit dem Tata Nano nicht nur das billigste Auto der Welt gecapital Ausgabe 09/2014 Getty Images onkurrenten Repower Systems K und geriet danach in Schieflage. Auch die Familie Kalyani musste Turbulenzen überstehen. Ihr gehören 47 Prozent von Bharat Forge; der 65-jährige Baba und sein 38-jähriger Sohn Amit führen die Firma. Die Finanzkrise hatte das Unternehmen hart getroffen, 2010 brachen die Umsätze um 40 Prozent ein. Doch die Kalyanis haben die Durststrecke mit Diversifizierung überstanden. Amit will nun anpacken, was seinen Vater bislang weniger inte ressierte: den Aufbau einer starken Marke. Wir haben die Substanz, aber wir müssen lernen, sie zu verpacken, sagte der Nachwuchstycoon schaffen. Er hat auch die Nobelmarken Jaguar und Land Rover von JLR zum Erfolg geführt, an denen sich zuvor Ford und BMW vergeblich versucht hatten. Ohne Ratan Tata gäbe es JLR nicht mehr, bekannte JLRChef Ralf Speth vergangenes Jahr. Im Maschinenbau, urdeutsche Exportdomäne, ist der Anteil chinesischer Firmen am Weltmarkt BCG zufolge von 23 Prozent 2008 auf 37 Prozent 2012 gestiegen ein Plus von über 50 Prozent binnen vier Jahren. Beim Großanlagenbau von Kraftwerken oder Raffinerien sind die Südkoreaner den Deutschen auf den Fersen. Die Finanzkrise haben die Chinesen genutzt, um Technologieführer in Serie zu schlucken. So wie der Baumaschinenhersteller Sany die Firma Putzmeister aus Aichtal. Von solchen Deals bekommt der deutsche Kunde bislang wenig mit: In den Regalen lagern Produkte, die er kennt. Noch kommt das Gros der Herausforderer aus der Industrie. Doch 400 Jahre, nachdem die Britische Ostindien-Kompanie nach Asien ausgriff, geht die Globalisierung heute in beide Richtungen. Nirgendwo kann man diese Verschiebung besser beobachten, als auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos nicht nur weil immer mehr Teilnehmer aus Schwellenländern kom- Mexiko Für europäische und US-Konsumgü terhersteller wie Coca-Cola, Pepsico oder Nestlé ist das Land mit seinen 120 Millionen Einwohnern einer der wichtigsten Absatzmärkte über haupt. Doch die Mexikaner haben auch selbst Weltmarken zu bieten. Corona Extra etwa machte sich einst international einen Namen als Yuppie-Bier und ist heute das meist importierte Bier der USA. Auch beim Brot sind die Mexikaner Nummer eins in den Vereinigten Staaten. Die Bimbo Bakeries USA, ein Tochterunternehmen der Grupo Bimbo aus Mexiko-Stadt, kon trolliert sechs der beliebtesten zwölf Brotmarken. Die Konzernmutter macht fast 14 Mrd. Dollar Umsatz. men. Es sind die Partys am Abend. Klar, die Empfänge von Deutsche Bank und Google sind wichtig. Längst aber lädt auch Tata Consultancy Services ein, in diesem Jahr in ein übergroßes, gut beheiztes Igluzelt, etwa fünfmal so groß wie das, was Eon einst in den Schnee stellte. Bei indischem flying buffet war die Kulisse eine stolz verpackte Botschaft: Wir sind da. Und wir werden größer. Einst spottete der Nordamerika-Chef des US-Haushaltsgeräteherstellers Whirlpool, Haier werde in den USA keinen Fuß auf den Boden kriegen. Zhang aber setzte auf eine Marktlücke: kompakte Kühlschränke, die in Studentenbuden passten. Von einer Strategie des trojanischen Pferdes spricht Guillén: aus der Nische in den Massenmarkt. Nicht immer gelingt das. Einzelne Unternehmen kommen und gehen, sagt Guillén. Aber das ändert nichts. Die Unternehmenswelt in 20 Jahren wird sehr anders aussehen. Als Haier-Chef Zhang 1984 ins Amt kam, schien die Zukunft seiner Firma düster. Seine Arbeiter produzierten vor allem Ausschuss. Irgendwann reichte es dem Chef. Er ließ 76 defekte Geräte in der Halle aufstellen. Dann nahm er einen Vorschlaghammer und hieb auf die Neuware ein. Das war nie wieder nötig. 35

Die neuen WeltErob ere S Das Krokodil ist hungrig e r ie F o l g T e x t : C l au d i a Wa n n e r 36 Getty Images (2) Aus dem Nichts hat Jack Ma einen E-Commerce-Konzern aufgebaut, der heute den chinesischen Markt beherrscht. Nun plant er in New York einen historischen Börsengang weil er viel mehr will Capital Ausgabe 09/2014 Aus der Samm lung Tausend undeine Nacht wählte Jack Ma (links) den Namen seines Unterneh mens. Der ehema lige Englischleh rer schuf eine Art virtuellen Basar: eine Plattform zum Einkaufen auch auf dem Smartphone. Ebay mag ein Hai im Ozean sein, hat der Alibaba-Gründer einmal gesagt: Aber ich bin ein Krokodil im Jangtse-Fluss. Wenn wir im Ozean kämpfen, verlieren wir; aber wenn wir im Fluss kämpfen, gewinnen wir e 1 : A l iba r ba In den S ch multina wellenländern t wachse die glob ionale Konzer n n a e heran le Märk Capital, t e umk stellt di e spann rempeln. endsten Näc vor. die Flug hste Folge: gesellsc haft Eti had 37

Welt der Wirtschaft Unwissende fürchten sich nicht, sagte Jack Ma. Der Alibaba-Gründer stand auf der Bühne der US-Eliteuniversität Stanford, die Reihen waren dicht besetzt. Die Professoren und Studenten wollten an einem Tag im Mai 2013 hören, was das Geheimnis hinter seinem atemberaubenden Aufstieg ist. Und im Prinzip antwortete Ma: Er hatte keine Ahnung. Und deshalb wohl auch keine Angst. Jack Ma ist Ende vierzig, aber äußerlich hätte er an dem Tag einer der Studenten sein können: eine zierliche Gestalt im blauen, kragenlosen Pulli, ernst die Miene. Die schwarzen Haare so kurz, dass die Ohren abstehen, an der Stirn lugt eine Strähne heraus. Aber Ma ist kein Elitestudent. Nicht nur weil er zehnmal durch die Aufnahmeprüfung in Harvard fiel. Er hat es längst geschafft: Die Forbes- Reichenliste führte ihn Anfang August mit einem Vermögen von 10,6 Mrd. Dollar auf Platz 115. Im September plant Ma den nächsten Triumph: Er will Alibaba an die Börse bringen. Einen chinesischen Internetkonzern. In New York. An der Wall Street. Das Debüt könnte größer als das von Facebook werden, das größte der Internetgeschichte überhaupt. Seit Wochen jagen sich Superlative über den Börsengang des weltgrößten Online-Marktplatzes. Was also sind die Voraussetzungen für den Erfolg? Erstens hatten wir kein Geld. Zweitens verstanden wir nichts von Technologie. Drittens haben wir nie etwas geplant. Wenn Ma lächelt, dann nur als Andeutung in den Mundwinkeln. Er sei von seinen Zukunftschancen immer überzeugt gewesen, sagt er. Aber der phänomenale Aufstieg habe ihn selbst überrascht. Anders als Jeff Bezos von Amazon, Pierre Omidyar von Ebay oder Facebook-Gründer Mark Zuckerberg brachte Ma tatsächlich keinerlei technische Expertise mit. 1999 baute der Englischlehrer in seinem Apartment in der Acht-Millionen-Stadt Hangzhou mit 60 000 Dollar Start kapital und einer Handvoll von Freunden eine Website auf, die als virtueller Marktplatz diente: alibaba. com. Nur privilegierte Chinesen besaßen damals einen Computer. Heute sind 618 Millionen Chinesen online, fast jeder Zweite von ihnen shoppt im Internet. Über die verschiedenen Plattformen von Alibaba wurden im vergangenen Geschäftsjahr Waren im Wert von 270 Mrd. Dollar umgesetzt, rund drei Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts mehr als die Erlöse von Ebay und Amazon zusammen. Nur der US-Riese Wal-Mart setzt im Handel weltweit noch mehr um. Einkaufstour in den USA Der 49-jährige Ma gilt heute als Vater des chinesischen Internets, aber dazu brauchte er kein Technik-Know-how. Er ist der oberste Stratege und Chefmotivator eines sich immer weiter ausdehnenden Reichs. Deshalb der Börsengang: 15 Jahre nach dem Start will Alibaba Geld für den Angriff einsammeln. Mit einer Platzierung von rund 20 Mrd. Dollar rechnen Analysten. Die Marktkapitalisierung könnte mit bis zu 200 Mrd. Dollar die von Amazon weit in den Schatten stellen. Ma hat noch viel vor. Im Heimatmarkt diversifiziert der E-Commerce-Gigant in Bereiche wie die Logistik. Aber er wagt sich auch dorthin, wo die Internetstars wie Apple und Amazon zu Hause sind: Gerade hat Alibaba in den USA die Handelsplattform 11 Main für hochwertige Waren gestartet. Für den Aufbau der Zentrale im kalifornischen San Mateo hat man erfahrene Handelsexperten bei Gap, Wal-Mart und Ebay abgeworben. Der Konzern hat sich an 1stdibs beteiligt, einer Site, auf der Hermès-Taschen für 30 000 Dollar angeboten werden. Es waren nicht die einzigen Deals in diesem Jahr: Mit 125 Mio. Dollar beteiligte sich Alibaba im März an Tangome aus Mountain View, einer App für Videotelefonate. Im April führten die Chinesen eine 250-Millionen-Finanzierungsrunde für den Carsharingdienst Lyft aus San Francisco an. Und erst Anfang August berichtete Bloomberg, dass Alibaba sich mit 10 Mrd. Dollar an Snapchat beteiligen will eine Kampfansage an Google und Facebook, die vergeblich für den gehypten Fotodienst geboten hatten. Alibabas Investitionen der vergangenen Monate zeigen die Richtung. Das Ziel ist ein weltweites E- Commerce-Ökosystem, sagt Michael Zhang, Analyst bei der Market Research Group. Alibaba will sein Geschäft außerhalb s ausbauen, in die ganze Welt. 26 Deals im Wert von 16 Mrd. Dollar hat der Konzern seit Anfang 2012 angekündigt. Ma hatte nicht nur keine Ahnung, er hatte auch keinen Respekt: Amerikaner sind stark bei Hardware und Systemen, aber in Sachen Informationen und Software sind all unsere Hirne genau so schlau wie ihre, schwor der Jungunternehmer sein erstes Dutzend Mitstreiter 1999 ein. Und sagte damals großspurig voraus, dass seine Aktie eines Tages Yahoo und Ebay überflügeln werde. In einer Zeit, in der anderswo in westliche Geschäftsideen Erstens hatten wir kein Geld. zweitens verstanden wir nichts von Technologie. Drittens haben wir nie etwas geplant Getty Images (2) 01 Beim zehnjährigen Firmenjubiläum trat Jack Ma als Punkrocker auf 02 Den 11. November hat Alibaba zum Single-Tag erklärt. Die Post hatte alle Hände voll zu tun: Allein über Alibaba wurden an diesem Tag Waren für 4,2 Mrd. Euro abgewickelt kopiert wurden, startete er mit einem eigenen Konzept. Als elektronischen Flohmarkt belächelten Experten seine Idee. Aber alibaba.com bot Wiederverkäufern aus aller Welt einfachen Zugang zu chinesischen Produzenten. So wie früher die Einkäufer auf der Kanton-Messe im Süden s tagelang durch die Stände streiften, waren sie nun auf Alibaba unterwegs. Anders als Amazon oder Ebay zielte Ma nicht auf Privat-, sondern auf Geschäftskunden. Anfangs jedenfalls. Es folgten taobao.com für private Anbieter und Kleinhändler und tmall.com als eine Art Shop-in-Shop- System mit 70 000 Anbietern, dem sich vor Kurzem Hersteller wie Burberry und Estée Lauder angeschlossen haben. Und es gibt Alipay, ein elektronisches Zahlungssystem. Die Marktstellung von Taobao und Alipay in entspricht der von öffentlichen Versorgern, sagt David Wolf, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Allison + Partners. Sie gehören fest zum Alltag zweier Generationen. Taobao und Tmall versenden 60 Prozent aller Postpakete in. Alibabas Marktanteil im E-Commerce liegt bei 45 Prozent. 2013 stellte der Konzern einen Weltrekord auf: An einem Novembertag wurden über seine Plattform Produkte für 4,2 Mrd. Euro 01 02 Jack Ma Als Übersetzer reiste Ma Yun Jack Ma 1995 in die USA. In Kalifornien führte ihm ein Freund seinen Computer mit Internetverbindung vor. Damals war das nichts Alltägliches. Ma war sofort fasziniert. Zurück in startete Ma einen der ersten Internetdienste seines Landes: Pages, ein Art Online-Branchenbuch. Weil es mit der Technik hakte und der Erfolg ausblieb, gab er bald darauf wieder auf. Ein paar Jahre später versuchte er erneut sein Glück. In seinem Apartment gründete er mit Freunden Alibaba. 2013 zog sich Ma vom Posten des CEO bei Alibaba zurück und wurde Verwaltungsratschef. Das Internet sei etwas für junge Leute begründete er seine Entscheidung. Doch die Fäden zieht der Gründer weiter. Die Nummer 29 auf der chinesischen Reichenliste Hurun engagiert sich gegen Luftverschmutzung in und als Philanthrop. Mit einem Teil seiner Alibaba-Anteile will er einen der größten Wohltätigkeitsfonds in Asien schaffen: ausgestattet mit einem Kapital von geschätzt 3 Mrd. Dollar. verkauft. Es war der Single-Tag, ein Gegenentwurf zum Valentinstag erfunden vom Onlinehändler Alibaba. Anders als Amazon unterhält der chinesische Anbieter keine Lagerhäuser oder Warenbestand, sondern stellt nur die Infrastruktur. Der Umsatz (Geschäftsjahr bis März 2013: 8,4 Mrd. Dollar) wirkt so auf den ersten Blick klein Amazon setzte 2013 75 Mrd. Dollar um. Doch die Amerikaner machen geringe Profite, im zweiten Quartal meldete Amazon sogar einen Verlust. Alibaba dagegen verdiente zuletzt 3,7 Mrd. Dollar, dreimal so viel wie im Jahr zuvor. Mission als Religion Ma, verheiratet und Vater eines Sohnes, erhebt einen hehren Anspruch (den man von Google kennt): Er wolle das Leben seiner Mitmenschen verbessern. Sein Weggefährte Joe Tsai drückte es so aus: Unsere zentrale Mission war und ist, es einfach zu machen, überall Geschäfte zu machen. Diese Mission ist unsere Religion. Für die Nutzung der Plattform müssen weder Käufer noch Verkäufer Gebühren zahlen, was Chinesen sehr schätzen. Geld macht das Unternehmen vorrangig mit Anzeigen und Dienstleistungen wie dem Design von individuellen 38 Capital Ausgabe 09/2014 39

Welt der Wirtschaft 01 Mit dem Segen von Jack Ma formierten sich 688 Hochzeitspaare im Mai 2013 auf dem Firmengelände zum I Love You. 02 In der Zentrale in Hangzhou hängt eine Weltkarte, die den globalen Anspruch illustriert Shop-Websites. Als 2003 taobao.com startete, dominierte Ebay den chinesischen Markt. Mas Angriff war aggressiv: Sein Angebot stellte er kostenlos zur Verfügung. Monatelang schrieb Taobao Verluste. Zwei Jahre später hatte es 70 Prozent des Marktes erobert. Ebay gab auf. Ich habe mir immer gewünscht, in Kriegszeiten geboren zu sein. Ich hätte General werden können, hat Ma einmal gesagt. Ich habe oft darüber nachgedacht, was ich in einem Krieg hätte bewegen können. Die meisten Käufer auf den Websites nutzen das konzerneigene Zahlungssystem Alipay. Alipay hat den Boom von Alibaba erst möglich s E-Commerce-Gigant Der Internetkonzern Alibaba hat binnen 15 Jahren den chinesischen Wachstumsmarkt erobert 1 Dominantes Einkaufsportal in 270 Mrd. $ Jahreshandelsvolumen auf Alibabas Plattformen in 12,7 Mrd. Bestellungen pro Jahr 255 Mio. aktive Käufer pro Jahr 1) Zahlen aus dem Geschäftsjahr 2013/14 Demografisches Potenzial Vom Bevölkerungswachstum in verspricht sich Alibaba weitere Geschäftszuwächse 1,35 Mrd. Menschen leben in. Es ist das bevölkerungsreichste Land der Erde. 618 Mio. Chinesen nutzen das Internet. 500 Mio. Chinesen nutzen mobiles Internet. gemacht, sagt Analyst Zhang. Denn es nahm den Käufern die Sorge, dass Internetzahlungen nicht sicher sind. Im Ali-Universum mit 20 844 Angestellten genießt Ma Kultstatus. Alibaba habe sich eine Start-up- Kultur bewahrt, sagt der ehemalige Alibaba-Manager Andrew Teoh. Die Struktur ist flach geblieben. Bürokratie ist ein Lieblingsfeindbild. Hupan- Kultur nennt Ma seine Philosophie nach dem Apartmentblock, in dem alles begonnen hat. Auch seine Mitarbeiter beurteilt er danach: Die Integrität und Leidenschaft des Kung-Fu sollen sie mit westlichen Elementen wie Teamwork und Kundenorientierung verbinden. 302 Mio. Chinesen kaufen im Internet ein. 7,9 % der chinesischen Einzelhandelsumsätze finden online statt. Quelle: Börsenprospekt Alibaba Marktführer beim mobilen Shopping 163 Mio. aktive mobile Nutzer monatlich, März 2014 51 Mrd. $ Jahreshandelsvolumen im Mobilgeschäft 76,4 % Marktanteil im mobilen Einkaufsmarkt in Weniger Umsatz, viel mehr Profit 4. Quartal 2013, in Mrd. Dollar 30 25 20 15 10 5 0 Anders als die meisten seiner chinesischen CEO-Kollegen scheut Ma weder Medien noch öffentliche Auftritte. Im Frühjahr organisierte er schon zum neunten Mal eine Massentrauung für 102 Hochzeitspaare im traditionellen chinesischen Stil. Am Stammsitz in Hangzhou feiern dann Angestellte mit Partnern und Kindern oder treten als Tänzer, Sänger und Schauspieler auf. Zum zehnjährigen Firmenjubiläum kam der Gründer mit hüftlanger blonder Perücke und Lederjacke und rockte eine Version des Elton-John-Hits Can You Feel the Love Tonight. Doch als Mr Nice Guy geht Ma nicht durch. Die Partner Yahoo und Einnahmen Gewinn 3,1 1,36 Alibaba 25,6 0,239 Amazon 4,5 Ebay 0,85 Getty Images (2) der japanische Technologiekonzern Softbank haben das zu spüren bekommen. Beide sind Investoren der ersten Stunde. Und wurden vor drei Jahren von der Mitteilung geschockt, dass Alipay heimlich in eine separate Gesellschaft überführt worden war. Um neuen Aufsichtsregeln im Land zu genügen, wie Ma später betonte. Tötet die Pinguine! Dem Konkurrenten Tencent, dessen Maskottchen ein Pinguin ist, drohte Ma gar mit Vernichtung. Die Pinguine haben die Antarktis verlassen. Sie passen sich an die Wärme an, versuchen die ganze Welt zu ihrem Lebensraum zu machen, warnte er den Marktführer bei Messaging-Diensten wie Wechat. Wir müssen die Oberhand gewinnen und am Südpol einmarschieren, um sie zu töten. Aus dem Tagesgeschäft hat sich Ma zurückgezogen und den Posten des Vorstandsvorsitzenden an Jonathan Lu abgegeben. Ma widmet einen Teil seiner Zeit Wohlfahrtsverbänden und engagiert sich für die Organisation Nature Conservancy gegen die verheerende Umweltverschmutzung in. Doch im Hintergrund zieht er weiter die Fäden. In drängt Alibaba seit einiger Zeit in den Bereich Mobilität. 01 02 Alibaba Idee 1999 startete die Shoppingplattform, die zuerst vor allem von Unternehmen genutzt wurde. expansion 2003 kam taobao.com zur Alibaba- Familie, die Internetseite für private Käufer und Verkäufer. Dann gründete man das virtuelle Kaufhaus Tmall und das Zahlungssystem Alipay. Damit ist der Konzern ein riesiger virtueller Marktplatz, eine Mischung aus Ebay, Amazon und Paypal. Partner Jack Ma hält 8,9 Prozent am Konzern, sein Mitstreiter Joseph Tsai 3,6 Prozent. Das US-Unternehmen Yahoo hat seine Beteiligung von ursprünglich 40 Prozent mittlerweile auf 22,6 Prozent reduziert. Der japanische IT-Konzern Softbank besitzt 34,4 Prozent. Börsengang Voraussichtlich im September der IPO wurde bereits einmal verschoben will Alibaba an die New York Stock Exchange gehen. Das Unternehmen hat sich am Kartendienst Autonavi beteiligt, beim Internetvideoanbieter Youku Tudou investiert, das Logistikunternehmen Smart Logistics mitbegründet und sich Anteile an einem Fußballklub geleistet. Vor einem Jahr brachte es Yu e Bao auf den Markt, ein hochverzinsliches Geldmarktprodukt. Die Finanzindustrie braucht einen Störer, sie braucht einen Außenseiter, der die Transformation anstößt, erklärte Ma dazu. Zugleich hat der Konzern ein Investmentteam auf westliche Märkte angesetzt. O2O heißt das heiße Schlagwort, Online-to-offline. Es geht um Dienstleistungen für das reale Leben, die im Netz bestellt und bezahlt werden. Innovationen werden in vielen Branchen durch Außenseiter angestoßen, hat Ma in einem Beitrag für die People s Daily geschrieben, einem Organ der kommunistischen Partei. In Stanford gab er im Mai 2013, wo er zu seinem Abschied als CEO sprach, den Zuhörern noch einen Ratschlag mit auf den Weg: Einmal im Leben müssen Sie etwas wagen. Arbeiten Sie hart an einer Sache, riskieren Sie eine Veränderung. Es kann nämlich überhaupt nichts Schlimmes passieren. Seine Konkurrenten dürften das anders sehen. 40 Capital Ausgabe 09/2014 41