"Die Mafia ist wie ein Krebsgeschwür"

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Transkript:

"Die Mafia ist wie ein Krebsgeschwür" Der stellvertretende Bundesanwalt fordert ein härteres Vorgehen gegen Geldwäscherei und das organisierte Verbrechen. Und er sagt, weshalb die Mafia für die Schweiz ein Problem sei. Interview Sermîn Faki Herr Montanari, seit fast einem Jahr leitet der neue Bundesanwalt Michael Lauber die Strafverfolgungsbehörde der Eidgenossenschaft. Sie sind sein Stellvertreter. Wie haben Sie dieses Jahr erlebt? Ruedi Montanari: Als durchwegs positiv. Wir haben viel zu tun, aber es ist positiver Stress. Auch der Ton in der Behörde hat sich geändert. Die Bundesanwaltschaft (BA) ist wie ein Jumbo-Jet, der die letzten Jahre auf der Startbahn Anlauf nahm. Jetzt bekommen wir langsam Luft unter die Flügel. Wie weit ist die Reorganisation der Bundesanwaltschaft? Montanari: Die Optimierung ist abgeschlossen. Wir haben besonderes Gewicht auf die operative Effizienz gelegt, dazu gehört auch eine optimale IT. In die IT investiertes Geld bringt in der Regel mehr Nutzen als zusätzliche personelle Ressourcen für den gleichen Geldbetrag. Was hat sich operativ geändert? Montanari: Das Auffälligste ist sicher, dass wir ein operatives Controlling eingeführt und neu zwei Abteilungen für Wirtschaftskriminalität haben. Die eine befasst sich mit Auslandkorruption, die andere mit Börsendelikten, d.h. mit Kursmanipulation und Insiderhandel. Dieser Bereich fällt neu in die Bundeszuständigkeit und wird künftig von der BA verfolgt. Neu ist auch, dass wir die Koordination im Bereich der Wirtschaftskriminalität und der italienischen kriminellen Organisationen gestärkt haben. Tragen die Massnahmen bereits Früchte? Montanari: Bei der Wirtschaftskriminalität sind wir noch in der Startphase. Im Bereich der italienischen organisierten Kriminalität haben wir in gewissen Verfahren deutliche Strategiewechsel vollzogen, was bereits Wirkung gezeigt hat. Sie sind in der Bundesanwaltschaft für das Controlling aller deutschsprachigen Verfahren zuständig. Wie kontrollieren Sie die Mitarbeiter genau? Montanari: Es geht uns dabei nicht primär um eine eigentliche Kontrolle, sondern vielmehr um Begleitung und Beratung der Staatsanwälte. Dazu haben wir ein Ampelsystem eingeführt. Routine-Fälle sind grün. Rote Fälle begleiten wir eng, das heisst, wir besprechen sie grundsätzlich im Monatsrhythmus mit den leitenden Staatsanwälten und Verfahrensleitern. Rot ist ein Fall, wenn er zum Beispiel sehr sensibel ist, auf viel öffentliches Interesse stösst oder wenn die Verjährung droht. In der Mitte liegen die orangefarbenen Fälle, die schauen wir uns rund viermal im Jahr an. Wie viele rote Fälle betreuen Sie im Moment? Montanari: Ich würde sagen, es sind insgesamt etwa 80 Fälle. Rund 40 betreue ich und zirka 40 meine Kollegin Maria-Antonella Bino.

Was bringt dieses Ampelsystem? Montanari: Es geht darum, Probleme frühzeitig zu erkennen und die Strafverfahren effizient zu führen. Wir müssen schliesslich das Kosten-Nutzen-Verhältnis wahren. Wenn weitere Ermittlungen weder die Beweislage verbessern noch die Strafe erhöhen, muss der Fall zu einem Ende gebracht, d.h. entweder angeklagt oder eingestellt werden. Haben die Staatsanwälte Mühe damit, dass man ihnen reinredet? Montanari: Es sind regionale Unterschiede feststellbar. Das Controlling stellt einen grossen Paradigmenwechsel dar. Das kann durchaus auf Widerstand stossen. Nichtsdestotrotz müssen wir das durchziehen. Auch, weil das Personal knapp ist? Montanari: Im Moment sind wir gerade noch ausreichend dotiert. Das kann sich aber schnell ändern: Nehmen bestimmte Delikte, zum Beispiel im Bereich Geldwäscherei, zu oder erhalten wir zusätzliche Zuständigkeiten, werden wir nicht umhin kommen, mehr Ressourcen zu beantragen. Denn auch die erreichte Effizienzsteigerung gibt gerade so viel Luft, dass wir einigermassen durchkommen. Die Bundesanwaltschaft läuft also an der Belastungsgrenze? Montanari: Ich will es nicht dramatisieren, aber die Zitrone ist praktisch ausgepresst. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Selbst wenn wir mehr Ressourcen bekommen, nützt uns das nur, wenn parallel dazu auch ausreichend Polizisten zur Verfügung stehen. Die Bundeskriminalpolizei wurde seit Jahren nicht mehr aufgestockt. Das bremst uns natürlich. Einer der erklärten Schwerpunkte der Bundesanwaltschaft ist die Geldwäscherei. Reichen da die Mittel? Montanari: Was uns vor allem beschäftigt, ist die Strafandrohung. Heute wird ein einfacher Diebstahl mit fünf Jahren bedroht, während ein Geldwäscher mit maximal drei Jahren bestraft werden kann. Das versteht doch niemand. Sie wollen, dass die Strafnorm erhöht wird? Montanari: Ja, auf fünf Jahre. Damit fördert man das Bewusstsein, dass Geldwäscherei kein Kavaliersdelikt ist. Ich bin kein Verfechter von exemplarisch hohen Strafen. Aber das Sanktionssystem muss in sich stimmig sein. Wenn man sieht, dass z.b. Drogenhändler heute zwischen sieben und 15 Jahre bekommen, Anlagebetrüger aber deutlich weniger, obwohl da vielleicht viele Rentner ihr Erspartes verloren haben, dann kommt man schon zum Schluss, dass irgendetwas nicht stimmt. Ein wichtiger Nebeneffekt der auf fünf Jahre angehobenen Strafandrohung wäre, dass die Verjährungsfristen verdoppelt würden. Auch das ist für uns wichtig. Wieso? Montanari: Geldwäscherei ist nicht so einfach abzuklären wie ein Fahrzeugdiebstahl. Zum Straftatbestand gehört ja das Verschleiern von Geldern beispielsweise mit Hilfe von komplizierten Finanztransaktionen im Ausland. Solche Taten nachzuweisen ist in der Regel sehr aufwändig. In einem Fall im Kontext mit dem Zusammenbruch des italienischen Lebensmittelkonzerns Parmalat hatten wir wegen qualifizierter, also gewerbsmässiger, Geldwäscherei mit hohem Umsatz angeklagt. Wir gingen also von einer längeren Verjährung

von 15 Jahren aus. Das Gericht entschied jedoch anders, nämlich auf einfache Geldwäscherei, die bereits nach sieben Jahren verjährt. Die meisten Straftaten waren somit auf einen Schlag verjährt. Es ist trotzdem zu einer Verurteilung gekommen. Ähnliche Probleme gibt es übrigens bei der organisierten Kriminalität auch. Wo liegt da das Problem? Montanari: Der entsprechende Passus - Artikel 260ter im Strafgesetzbuch ist ein zahnloser Tiger und leider völlig untauglich, um die italienische organisierte Kriminalität zu verfolgen. Wieso das? Montanari: Aus zwei Gründen: Erstens beläuft sich die Strafandrohung wie bei einfachem Diebstahl auf fünf Jahre. Das kümmert einen Mafioso doch nicht! Für uns macht es daher oft mehr Sinn, solche Verfahren nach Italien zu delegieren, wo die Täter 15 Jahre erwarten. Zweitens sind die Anforderungen für den Beweis der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation sehr hoch. Wir müssen nicht nur beweisen, dass jemand Mitglied einer Organisation ist und für diese arbeitet, sondern auch, dass er dies wissentlich und willentlich tut. Das ist oft nicht ganz einfach. Was fordern Sie? Montanari: Ich denke, dass der Artikel über kriminelle Organisationen aufgewertet und die Strafandrohung dafür deutlich heraufgesetzt wird sagen wir auf 15 Jahre, dann sind wir im Bereich der Tötungsdelikte. Schliesslich schrecken Mafiosi zur Durchsetzung ihrer Interessen auch vor Tötungen nicht zurück. Im Gegenzug sollte man einen Artikel für kriminelle Vereinigungen schaffen, der weniger hohe Anforderungen stellt als die aktuelle OK-Strafnorm. Damit könnte man organisierte Einbrecherbanden, Drogendealer-Ringe und andere kriminelle Gruppierungen besser verfolgen. Heute müssen wir diesen Gruppen ebenfalls organisierte Kriminalität im Sinne der aktuellen Strafnorm nachweisen, was kaum möglich ist. Was ist das Problem? Montanari: Eine kriminelle Organisation muss heute unter anderem folgende Kriterien erfüllen: die Verschwiegenheit (auch nach innen), eine hierarchische Struktur und firmenartige Geschäfsstrukturen. Dieser Organisationsgrad lässt sich bei einer Einbrecherbande kaum beweisen. Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie im Gegenzug für eine Aufwertung der kriminellen Organisation sind. Was stellen Sie sich vor? Montanari: Unsere Meinung nach fehlen im Gesetz zwei Elemente, die mafiöse Strukturen auszeichnen: Zum einen die sogenannte "autonome Einschüchterungsmacht" Was ist denn das? Montanari: Einfach erklärt: Wenn ein italienischer Wirt sein Restaurant umbauen will, dann kommt der Giovanni, trinkt einen Campari und sagt beim Rausgehen: Die Ausbauten machst Du dann beim Giuseppe, nicht wahr? Der Beizer weiss ohne offene Drohung, dass er das so machen sollte. Der Wink mit dem Zaunpfahl reicht. Das zweite Kennzeichen, das das Gesetz berücksichtigen sollte, ist die berühmte Omertà, und die beinhaltet mehr als die Verschwiegenheit innerhalb der Organisation. Sie reicht bis in die Bevölkerung hinein, indem diese, wird sie offiziell und konkret danach gefragt, die Existenz der "Mafia" klar in Abrede

stellt. Das ist von der Gefährlichkeit her eine ganz andere Dimension als eine gut organisierte Gruppe mit Arbeitsteilung. Wieso legt die Bundesanwaltschaft eigentlich den Fokus auf Italien? Ist Osteuropa nicht die viel grössere Gefahr? Montanari: Wir tun das eine, ohne das andere zu lassen. Doch ein konzertiertes Vorgehen ist vor allem in Bezug auf Italien wichtig. Die italienische Mafia tangiert die Schweiz viel stärker als andere Organisationen. Sie ist wie ein Krebsgeschwür, das sich ausbreitet. Osteuropäische Organisationen treten vor allem mit Einzelaktionen auf den Plan. Neben dem Anti-Mafia-Kampf und der Geldwäscherei stellt die Terrorismusbekämpfung einen Schwerpunkt der Bundesanwaltschaft dar. Ist die Schweiz von Terroristen bedroht? Montanari: Nein, das würde ich entschieden bestreiten. Es geht vielmehr darum, keine Drehscheibe oder logistische Basis für Terrororganisationen zu werden. Gibt es Anzeichen dafür, dass sich die Schweiz zu einer solchen Drehscheibe entwickelt? Montanari: Nein, bis jetzt haben wir es mit Einzelfällen zu tun. Wir wollen jedoch verhindern, dass es überhaupt so weit kommt und schauen darum schon jetzt genau hin. Prävention ist doch eher Aufgabe des Staatsschutzes, während die Bundesanwaltschaft erst zum Zug kommt, wenn schon etwas passiert ist. Montanari: Genau, und dann heisst es jeweils, wir hätten davon gewusst und nichts gemacht. So wie aktuell im Fall der französischen Steuerfahnder, die illegal in der Schweiz ermitteln. Wir haben zwar Kenntnis davon. Wissen allein reicht aber nicht, wir müssen auch verwertbare Beweise haben. Und das ist häufig sehr schwierig. Also: Was kann die Bundesanwaltschaft gegen Terrorismus tun? Montanari: Wir versuchen, die Förderung von Terrorismus zu bekämpfen. Dazu gehört die Hetze im Internet oder die Durchführung von Schulungen für terroristische Organisationen. Das sind bereits strafbare Handlungen. Diese konsequent zu ahnden, wirkt präventiv. Wurden die kürzlich in den Kantonen Tessin und Graubünden durchgeführten Hausdurchsuchungen rechtshilfeweise für die italienischen Behörden durchgeführt oder handelt es sich um einen Fall der Bundesanwaltschft? Montanari: Die Aktion steht im Zusammenhang mit einer unserer Strafuntersuchungen, die seit September 2009 läuft. Es geht unter anderem um den Verdacht der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation und um Geldwäscherei. Betroffen sind mehrere teils in Lugano wohnhafte italienische Staatsangehörige. Die Aktion erfolgte koordiniert und parallel zu den publik gewordenen Polizeiaktionen in Italien. Dann gibt es eine Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden? Montanari: Die Bundesanwaltschaft arbeitete in diesem Fall von Anfang an mit den italienischen Strafverfolgungsbehörden zusammen. Es gab sogar eine gemeinsame Ermittlungsgruppe, die von der Direzione Nazionale Antimafia in Rom koordiniert wurden. Damit wurde bezweckt, Zugehörige und Unterstützer einer in Reggio Calabria verwurzelten Ndrangheta-Organisation auszumachen, und dies eben auch in der Schweiz.

Ruedi Montanari (46) ist seit April 2008 Stellvertreter von Bundesanwalt Michael Lauber. Montanari ist im Kanton Solothurn aufgewachsen.