TECHNISCHE UNIVERSITÄT BERGAKADEMIE FREIBERG Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre speziell Unternehmensführung und Personalwesen Prof. Dr. Michael Nippa Fakultät: Wirtschaftswissenschaften Studiengang: Betriebswirtschaftslehre Exposé für die Bewerbung zum Seminar Forschungen zum Management von Produktinnovationen im Wintersemester 2006 Das Lead User- Konzept im Innovationsmanagement von Heidi Günther Abgabetermin: 8. September 2006, 14 Uhr 1
Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zeigen, dass Kundenorientierung in der Neuproduktentwicklung die Wahrscheinlichkeit des Markterfolges erhöht. Besonders herausfordernd sind dabei die frühen Entwicklungsphasen, in denen zunächst noch unbestimmte Kundenbedürfnisse ermittelt und in neuartige Lösungen umgesetzt werden müssen (Lüthje 2003, S. 36-37) User bzw. Kunden des Zielmarktes, die im Rahmen traditioneller Marktanalysen befragt werden, sind hinsichtlich der Neuproduktentwicklung durch ihre realen Erfahrungen beschränkt. Herkömmliche Befragungsmethoden verstärken diesen Effekt noch, indem sie das Entdecken neuer Produktideen außerhalb der gewohnten Erfahrungen nicht zulassen. So kann dieses Vorgehen nur Grundlage für inkrementelle, nicht aber für radikale Innovationen sein (Vgl. Lüthje / Herstatt 2004, S.554-555). Radikale Innovationen und schnelllebige Branchen erfordern neue Methoden wie das von Eric von Hippel entwickelte Lead User- Konzept. Lead User haben ein weitreichendes Realitätsverständnis und zeichnen sich durch zwei wesentliche Eigenschaften aus: sie sind dem Trend voraus, d.h. sie verspüren zukünftige Bedürfnisse des Gesamtmarktes schon heute und sie profitieren selbst in hohem Maße von Problemlösungen für ihre Bedürfnisse (von Hippel 1986, S. 796 797). Dieser starke Innovationsanreiz kann dazu führen, dass Lead User alle Phasen des Produktentwicklungsprozesses übernehmen vor allem dann, wenn kein Hersteller die Aufgabe erledigen kann oder will (Lüthje / Herstatt 2004, S. 556). In welch hohem Maße Unternehmen von der Lead User- Einbindung in den frühen Phasen des Innovationsprozesses trotz des entstehenden Kosten- und Zeitaufwandes profitieren können, wurde in zahlreichen Studien bewiesen. So zeigten z.b. Lilien et al. (2002) anhand des Unternehmens 3M, dass Neuproduktideen aus Lead User- Projekten im Vergleich zu traditionellen Methoden wesentlich innovativer und absatzfördernder sind (S. 1051). In der Praxis gestaltet sich trotz seines Innovationspotenzials die Anwendung des Lead User- Konzeptes nicht als einfach es gibt Unternehmen, die am Konzept scheitern 2
oder die es ungeachtet der erzielten Erfolge wieder abbrechen (Vgl. Olson / Bakke 2004, S.126 132). Demzufolge scheint es bei der Umsetzung einige nicht unerhebliche Barrieren zu geben. Somit soll das Ziel meiner Arbeit sein, potenzielle Problemfelder bei der Umsetzung des Lead User- Konzeptes zu identifizieren und anschließend mögliche Lösungswege aufzuzeigen. Da das Konzept in Form eines typischen, mehrstufigen Prozesses angewendet wird (z.b. Lüthje / Herstatt 2004, S. 561), werde ich dabei die vier aufeinander aufbauenden Stufen gemäß der Zielstellung einzeln und nacheinander untersuchen. Die erste Stufe des Lead User- Prozesses umfasst Aufgaben wie die interdisziplinäre Teambildung und die Projektzieldefinition. Konfliktpotenzial birgt bereits die Einführung der Methode, da Mitarbeiter von deren Vorteilhaftigkeit überzeugt und Ressourcen gebunden werden müssen. Organisationen zeigen oft Widerstände ( notinvented- here ) gegenüber von Kunden entwickelten Lösungen (Lüthje / Herstatt 2004, S. 562). Zur Vermeidung dieser Probleme ist beim Start eines Lead User- Projekts vor allem die starke Unterstützung des Top- Managements unter Beachtung der Erfordernisse der spezifischen Unternehmenskultur entscheidend (Olson / Bakke 2004, S.130). In der zweiten Stufe sind Kundenbedürfnisse und Markttrends zu identifizieren, wobei sowohl eine engere als auch eine weitere Betrachtungsweise zu Problemen führen kann (Vgl. Lüthje / Herstatt 2004, S.526). Da aber die Trend- und Bedürfnisanalyse von vielen Unternehmen bereits im Rahmen der strategischen Planung berücksichtigt wird, (Vgl. von Hippel 1986, S. 798), stellt diese Stufe meines Erachtens nach nicht das Hauptproblemfeld des Lead User- Konzeptes dar und soll in erster Linie der Vollständigkeit halber berücksichtigt werden. Die dritte Stufe umfasst die Identifikation der Lead User sowie ihrer Ideen - und hat ebenso wie die letzte Stufe großes Problempotenzial. Die grundsätzlich möglichen Identifikationsmethoden können je nach Situation beide nachteilig sein: während bei der 3
Screening- Methode analoge Märkte und damit eventuell neue Trends ausgeschlossen werden, ist die Networking- Methode komplexer und aufwendiger. Um diese Negativwirkungen zu vermeiden, sollte das Verfahren auf die spezifischen Bedingungen des Suchfeldes zugeschnitten sein (Lüthje / Herstatt 2004, S. 563 564). Hierbei ist zu zeigen, wann welche Methode angewendet werden sollte. Identifizierte Lead User sollen nach Wunsch der Unternehmen in den Innovationsprozess einbezogen werden. Problematisch ist an dieser Stelle, dass Lead User oftmals nicht auf die Kooperation mit Herstellern angewiesen sind: sie können aufgrund ihrer Eigenschaften selbstständig funktionierende Lösungen für die verspürten Bedürfnisse entwickeln (Vgl. Piller 2006, S. 87 88). Ursache dafür ist, dass heterogene Kundenbedürfnisse von Herstellern oftmals nicht befriedigt werden können (Lüthje / Herstatt 2004, S.564). Damit Lead User kooperationsbereit sind, müssen Hersteller entsprechende Anreize bieten. Monetäre Anreize sind aber meist nicht geeignet, was das Phänomen des free revealing beweist: Innovatoren legen ihr geistiges Eigentum häufig ohne entsprechende Kompensation offen. Dadurch wollen sie z.b. Reputation erlangen und Netzwerke bzw. informelle Standards erschaffen (Vgl. Hippel 2005, S. 85 88, S. 126). Inwiefern sind Kooperationsbeziehungen mit Herstellern zur Verwirklichung der Lead User- Ziele also überhaupt notwendig? An dieser Stelle soll jene Frage unter Einbezug empirischer Beweise beantwortet werden. Auf der vierten und letzten Stufe des Prozesses entwickeln Unternehmen unter Einbindung der Lead User neuartige Lösungskonzepte. Entscheidend ist vor allem bei heterogenen Kundenbedürfnissen, dass die Lead User- Bedürfnisse nicht einfach auf den typischen Kunden des Zielmarktes übertragen werden können (von Hippel 1986, S. 803). Darüber hinaus befürchten viele Hersteller einen geringeren organisationalen Fit sowie mangelnde Patentierbarkeit der Lead User- Ideen. Allerdings könnten gemeinsame Workshops Lösungen für die Fragen der Nutzungsrechte und Marktfähigkeit von Lead User- Ideen bieten (Vgl. Lilien et al 2002, S. 1047, S. 1055). 4
Auf dieser Stufe soll auch das Problem der sticky information betrachtet werden. So verfügen Lead User über bedürfnisrelevante, Hersteller über lösungsrelevante Informationen welche der anderen Seite nur ungenau und zu hohen Kosten übermittelt werden können. Deshalb ist es für Hersteller auch so schwierig, die genauen Bedürfnisse ihrer Kunden zu verstehen. In diesem Zusammenhang möchte ich Toolkits als eine geeignete Lösungsmöglichkeit betrachten. Mittels Toolkits werden bedürfnisrelevante Aufgaben - von der markttauglichen Innovationsidee bis zur Fertigung erster Prototypen - auf die Lead User übertragen, während nur die lösungsrelevanten Tätigkeiten - wie die Entwicklung marktreifer Produkte - im Unternehmen verbleiben (Vgl. von Hippel / Katz 2002, S. 821-823). Somit bieten Toolkits auch einen Kooperationsanreiz für Lead User, da eine schnellere und effizientere Innovationsentwicklung möglich wird (Vgl. von Hippel 2005, S. 128). Das Gesamtziel meiner Arbeit besteht darin, die Realisierbarkeit des unumstritten vorteilhaften Lead User- Konzeptes zu beweisen, indem für alle möglichen Probleme mindestens ein Lösungsweg aufgezeigt wird. Literaturverzeichnis Lilien, G. / Morrison, P. / Searls, K. / Sonnack, M. / von Hippel, E. (2002): Performance Assessment of the Lead User Idea-Generation Process for New Product Development. In: Management Science 48 (8), S. 1042-1059. Lüthje, C. (2003): Methoden zur Sicherstellung von Kundenorientierung in den frühen Phasen des Innovationsprozesses. In: Herstatt, C. / Verworn, B. (Hrsg.): Management der frühen Innovationsphasen. Wiesbaden: Gabler, S. 36-56. Lüthje, C. / Herstatt, C. (2004): The Lead User Method: an outline of empirical findings and issues for future research. In: R&D Management 34 (5), S. 553-568. Olson, L. / Bakke, G. (2004): Creating breakthrough innovations by implementing the Lead User methodology. In: Telektronikk 2 (4), S. 126-132. 5
Piller, F. (2006): User Innovation: Der Kunde als Initiator und Beteiligter im Innovationsprozess. In: Drossou, O. / Krempl, S. / Poltermann, A. (Hrsg.):Die wunderbare Wissensvermehrung: Wie Open Innovation unsere Welt revolutioniert. Hannover: Heise dpunkt (Reihe Telepolis), S. 85 97. von Hippel, E. (1986): Lead Users: a source of novel product concepts. In: Management Science 32 (7), S. 791-805. von Hippel, E. (2005): Democratizing Innovation. Cambridge, MA: MIT Press. von Hippel, E. / Katz, R. (2002): Shifting Innovations to Users via Toolkits. In: Management Science 48 (7), S. 821-833. 6