Freitag, 8. April 2011 Wissenschaftliche Tagung 09.00-17.45 Uhr, Kultur- und Kongresshaus Aarau Panel 3 Direkte Demokratie und politische Kommunikation in der Informationsgesellschaft. Herausforderungen für den Kanton Aargau 16.00-17.45 Uhr In seinem Essay über den Wandel der modernen Demokratien definiert der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch die Demokratie als Herrschaftsform, die voraussetzt, "dass sich eine sehr grosse Zahl von Menschen lebhaft an ernsthaften politischen Debatten und an der Gestaltung der politischen Agenda beteiligt [ ], dass diese Menschen ein gewisses Mass an politischem Sachverstand mitbringen und sie sich mit den daraus folgenden politischen Ereignissen und Problemen beschäftigen". Zu Beginn des 21. Jahrhundert stellt sich jedoch immer drängender die Frage, ob diese Voraussetzungen noch gegeben sind. Aus Sicht der politischen Akteure steht hier vor allem der Wandel der Medienlandschaft im Vordergrund. Erschweren die Konzentrationsprozesse in der Medienlandschaft, sowie die gewandelten Mediennutzungsmuster eine vertiefte öffentliche Auseinandersetzung mit politischen Sachgeschäften? Wie können die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit politikrelevanter Information versorgt werden? Welche Rolle können und sollen die Behörden dabei spielen? In diesem Panel werden diese Fragen anhand des Beispiels des Kantons Aargau diskutiert. Referate Dr. Nico van der Heiden, ZDA «Die Meinungsbildung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Kanton Aargau» StimmbürgerInnen stehen vor zwei Entscheidungen: Nehme ich an der entsprechenden Abstimmung teil? Und falls ja, wie stimme ich ab? Beide Aspekte (Abstimmungsbeteiligung und Abstimmungsentscheid) werden durch die politische Kommunikation beeinflusst. Die Untersuchung der Abstimmungen im Kanton Aargau von 1971 2010 zeigt, dass das Regierungsvertrauen (d.h. wie häufig der Parole der Regierung gefolgt wurde) im Langzeit- Vergleich höher ist als in anderen Kantonen. Lediglich in den letzten fünf Jahren hat die Aargauer Kantonsregierung wichtige Abstimmungen verloren. Die Stimmbeteiligung bei nationalen und kantonalen Abstimmungen ist im Kanton Aargau jedoch relativ tief. Parolen der Regierungen profitieren in der Regel sowohl von einer höheren Beteiligung wie auch von einer höheren Informiertheit der Stimmberechtigten.
Die StimmbürgerInnen im Kanton Aargau nutzen primär die klassischen Medienkanäle (Zeitung, Radio, Fernsehen) zur Meinungsbildung. Der Abstimmungsbroschüre kommt ebenfalls ein sehr hoher Stellenwert zu. Die amtlichen Informationen werden heute sogar stärker beachtet als noch in den 1980er und 1990er Jahren. Insgesamt ist die Mediennutzung zur Vorbereitung des Abstimmungsentscheids über die Zeit hinweg aber relativ konstant geblieben. Das Internet hat als Informationsquelle vor Abstimmungen erst in den letzten fünf Jahren an Bedeutung gewonnen, nimmt aber diesbezüglich nach wie vor keine dominante Stellung ein. Dr. Nico van der Heiden Nico van der Heiden studierte in Zürich Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Publizistikwissenschaft (Abschluss 2005). Von 2002 bis 2005 war er Hilfsassistent und Tutor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich (Lehrstuhl für Schweizer Politik und Forschungsbereich Policy-Analyse und Evaluation). Anschliessend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent und Lehrbeauftragter am gleichen Institut (2005 2008). Im Jahre 2005 wurde sein Dissertationsprojekt in die Doktorandenschule des NCCR Democracy aufgenommen, die er 2009 erfolgreich abschloss. Seine Dissertation befasste sich mit der Aussenpolitik von europäischen Stadtregionen ("Urban Foreign Policy and Domestic Dilemmas in Swiss and European City-regions", Abschluss 2009). Mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds für angehende Forschende war er im akademischen Jahr 2007/2008 am INRS- UCS (Institut national de la recherché scientifique urbanisation, culture et société) in Montréal (Kanada). Danach war er wissenschaftlicher Assistent (und nach erfolgter Promotion Oberassistent) am Politikwissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern. Seit Februar 2009 arbeitet er als Projektleiter am Zentrum für Demokratie in Aarau. Dr. des. Linards Udris, Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft, Universität Zürich «Qualität der Medien. Wo steht der Aargau?» Die öffentliche Kommunikation erfüllt zentrale Funktionen in einer demokratischen, modernen Gesellschaft (Forumsfunktion, Kritik- und Kontrollfunktion, Integrationsfunktion). Die Qualität einer Demokratie ist damit untrennbar mit der Qualität der Öffentlichkeit und damit auch der Medien verknüpft, welche überwiegend diese Öffentlichkeit herstellen. Auf der Basis von Qualitäts-Indikatoren stellt der Beitrag Resultate vor, wie sich die Qualität der Medien in verschiedenen Mediengattungen in der Schweiz einschätzen lässt. Vor diesem Hintergrund interessiert dann besonders, welchen Beitrag zur Qualität der öffentlichen Kommunikation Aargauer Medien leisten. Zu diesem Zweck wird erstens die publizistische Versorgung in der Region Aargau dargestellt. Zweitens werden zentrale Aargauer Medien aus Presse, Radio und Fernsehen mit anderen Medien verglichen. 2
Dr. des. Linards Udris Linards Udris, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) und Lehrbeauftragter der Universität Zürich. Zuvor studierte er Allgemeine Geschichte, Englische Sprachwissenschaft und Soziologie an der Universität Zürich und war als Deutschlehrer in Wisconsin (USA) tätig. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen den politischen Extremismus und Radikalismus in der öffentlichen Kommunikation (Thema der Dissertation), die Qualität der Medien im Länder- und im Zeitvergleich (Nationalfonds-Projekt im Rahmen des NCCR und Projekt "Jahrbuch Qualität der Medien" am fög) sowie die Wahl- und Abstimmungskommunikation. Dr. Andrea Töndury, Universität Zürich «Verfassungsrechtliche Grundlagen der staatlichen Kommunikation in der Schweiz» Mittels staatlicher Kommunikation wird die Bevölkerung über die Staatstätigkeit informiert. Entsprechende behördliche Handlungen unterstehen dabei unterschiedlichen rechtlichen Beschränkungen, je nachdem, ob sie die Bundes- oder Kantonsebene betreffen und je nachdem, ob sie in einem direkten Zusammenhang mit einem Abstimmungskampf stehen oder nicht. Für die allgemeine Orientierungstätigkeit verfügen sowohl der Bund als auch die Kantone über weitgehende Kommunikationsmöglichkeiten. Im Vorfeld von Volksabstimmungen hingegen ist zwar auf Bundesebene eine Teilnahme des Bundesrates am Meinungsbildungsprozess üblich, in den Kantonen haben sich die Regierungen aber nach traditioneller Rechtsprechung des Bundesgerichtes aus dem Abstimmungskampf herauszuhalten. Diesem "Interventionsverbot" liegt die (heute umstrittene) Auffassung zu Grunde, dass jedes behördliche Tätigwerden im Abstimmungskampf die Offenheit des Meinungsbildungsprozesses gefährdet, welche durch das Grundrecht der Wahl- und Abstimmungsfreiheit nach Art. 34 Abs. 2 BV garantiert wird. Im Laufe der Zeit anerkannte das Bundesgericht allerdings verschiedene "triftige Gründe", welche ein behördliches Eingreifen in den Abstimmungskampf zu rechtfertigen oder gar eine Pflicht zur Intervention zu begründen vermögen. Zudem wurde auch eine gewisse Beratungsfunktion der kantonalen Behörden befürwortet. Einen Monat nach der wuchtigen Ablehnung der Initiative "Volkssouveränität statt Behördenpropaganda" durch Volk und Stände im Juni 2008 deutete das Bundesgericht indes eine Wende an und sprach sich für ein grundsätzliches Recht der Behörden auf Teilnahme an der politischen Auseinandersetzung im Abstimmungskampf aus, soweit die Offenheit des Meinungsbildungsprozesses dadurch nicht beeinträchtigt wird. Es ist vor diesem Hintergrund den Fragen nachzugehen, welchen Anforderungen die behördliche Kommunikation im Vorfeld von Volksabstimmungen genügen muss und welche Möglichkeiten sich den Kantonen aufgrund einer neuen Rechtsprechung eröffnen. 3
Dr. Andrea Töndury Andrea Töndury studierte in Zürich Rechtswissenschaften (lic. iur. 2000). Von 2001 bis 2003 war er Assistent und Doktorand am Lehrstuhl für Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Verfassungsgeschichte von Prof. Alfred Kölz (Dr. iur. 2004). Ab 2004 arbeitete er zunächst als juristischer Mitarbeiter und nach Erwerb des Anwaltspatentes als Rechtsanwalt für die Kanzlei Bratschi, Wiederkehr & Buob. Daneben war er ab 2008 als Lehrbeauftragter für Öffentliches Recht an der Universität Zürich tätig. Seit Februar 2010 ist er Habilitand und Oberassistent für Öffentliches Recht an der Universität Zürich. Dr. des. Stephanie Schwab, IPMZ, Universität Zürich «Politische Kommunikation im Kanton Aargau im Vergleich» Regierungskommunikation findet in einem sich stetig wandelnden gesellschaftlichen Umfeld statt. In den letzten Jahren haben sich die Medienlandschaft und in der Folge auch die politische Kommunikation stark verändert. Dieser Beitrag benennt in einem ersten Schritt die relevanten Veränderungen, um daraus die aktuellen Herausforderungen der (kantonalen) Regierungskommunikation herauszuschälen. Er positioniert in einem zweiten Schritt die Aargauer Regierungskommunikation im interkantonalen und internationalen Vergleich, um Handlungspotentiale zu eruieren. Mittels Experteninterviews und unter Beibezug des Forschungsstandes werden Empfehlungen erarbeitet, wie die Regierungskommunikation auf die beschriebenen Herausforderungen reagieren kann. Dr. des. Stephanie Schwab Cammarano Stephanie Schwab Cammarano hat 2000 2006 an der Universität Zürich sowie an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaften, Ethnologie und Völkerrecht studiert. Nach einem Praktikum im Bereich Public Affairs kehrte sie an die Universität zurück und promovierte am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich, wo sie 2010 mit einer Dissertation über die Interaktion zwischen Parlamentsmitgliedern und Medienschaffenden in der Schweiz abschloss. Weitere Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich politische Kommunikation in der Schweiz und Westeuropa sowie Regierungskommunikation. Seit Anfang 2011 ist Frau Schwab Cammarano als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei INFRAS, einem Forschungs- und Beratungsunternehmen, tätig. Anschliessend Diskussion mit Dr. Peter Grünenfelder, Staatsschreiber des Kantons Aargau 4
Vorsitz Prof. Dr. Daniel Kübler, ZDA und Universität Zürich Seit April 2009 Professor für Demokratieforschung und Public Governance am IPZ sowie Leiter der Abteilung für Allgemeine Demokratieforschung am Zentrum für Demokratie in Aarau. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politik und Demokratie im städtischen Kontext, Föderalismus und Multi- Level Governance, öffentliche Verwaltung, Policy-Analyse und Evaluation. 5