Warberger Heimatblatt. Nr. 65

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Transkript:

Warberger Heimatblatt Geschichten aus Warberg und Umgebung 20. Mai 2013 Idee von Hermann Koerber Salzweg 1 38378 Kißleberfeld email hermann637@gmx.de Nr. 65 Grenzschließung im Tagebau der BKB Der 26. Mai 1952 ist in der Geschichte der Braunschweigischen Kohlen Bergwerke ein Tag, den wir niemals vergessen wollen. An jenem Tag wurde die Zonengrenze geschlossen. Durch den Eisernen Vorhang, der sich seitdem mitten durch unser Revier zieht, wurden das Großkraftwerk Harbke, die Brikettfabrik Bismarck und der Tagebau Wulfersdorf von uns getrennt. Morgens um 7 Uhr besetzten Polizisten der Volkspolizei die Betriebe und schlossen die innerdeutsche Grenze, die mitten durch zwei BKB-Tagebaue verlief. Die Belieferung des Kraftwerks Harbke mit Kohle, Wasser und Material und die Gegenlieferung von elektrischen Strom war in einem Abkommen zur Versorgung der britischen Zone zwischen der sowjetischen Militärverwaltung und der britischen Militärregierung vom 1.12.1947 geregelt. Bis zum Jahre 1952 richteten sich beide Seiten nach diesem vernünftigen Abkommen, durch das die wirtschaftliche Einheit unserer Betriebe hüben und drüben gewahrt blieb. Täglich passierten hunderte von Belegschaftsmitgliedern die Kontrollstellen für den kleinen Grenzverkehr, um ihrer friedlichen Arbeit nachzugehen. Viele Helmstedter arbeiteten im Kraftwerk Harbke, und zahlreiche Bewohner ostzonaler Ortschaften arbeiteten in den auf der Westseite gelegenen Betrieben. 1

Nach einer Aufstellung aus dem Jahre 1951 wohnten 1679 Belegschaftsmitglieder in 15 verschiedenen Orten jenseits der Demarkationslinie, und zwar in Hötensleben 616 Harbke 292 Völpke 193 Barneberg 181 Sommersdorf 129 Sommerschenburg 105 Warsleben 43 Badeleben 31 Hamersleben 22 Ottleben 21 Ausleben 18 Marienborn 8 Ohrsleben 8 Wackersleben 6 Beendorf 6 Als am 6. Mai 1952 die Volkspolizei die Zonengrenze sperrte und die in der Ostzone wohnende Belegschaft nicht in den Tagebau Wulfersdorf und die übrigen Betriebsanlagen auf Bundesgebiet ließ, genügte der Hinweis auf die Abkommen vom 1. Januar 1947, um am gleichen Tage die Aufhebung der Sperre zu erreichen. Zeichnung aus BKB-Mitteilungen 2

Am 26. Mai, 7 Uhr wurde die Zonengrenze jedoch erneut gesperrt, darüber hinaus aber der ostzonale Teil des Tagebaus Wulfersdorf von der Volkspolizei besetzt und der Betrieb unterbunden. Es spielten sich dramatische Szenen ab. BKB-Mitarbeiter versuchten besonders in den Tagebauen zu retten, was zu retten war, durchbrachen mit Zügen die Sperren oder versuchten, die Bagger noch auf westliches Gebiet zu fahren-meist vergebens. Die Volkspolizei durchtrennte die Stromleitungen und kappte die Schienenverbindungen. An Ausrüstung gingen der BKB allein 22 Lokomotiven verloren. Aus westlicher Sicht gab es zu diesem Tag nur eine Einschätzung: Das Unternehmen BKB war tot, seiner Rohstoffvorkommen und Betriebe beraubt. Alle Proteste gegen diesen Vertragsbruch blieben erfolglos, ebenso die an die Regierung der DDR gerichtete Forderung auf Herausgabe der widerrechtlich mit Beschlag belegten, restlos in unserem Eigentum befindlichen Geräte des Tagebaus Wulfersdorf. Bundesregierung und Besatzungsmacht wurden gebeten, unsere Rechte wahrzunehmen. Das Kraftwerk Harbke, die Brikettfabrik Bismarck, unsere jenseits der Zonengrenze gelegenen Grundstücke und Kohlenfelder sowie die im Tagebau Viktoria eingesetzten Bagger, Absetzer, Lokomotiven, Wagen Gleisanlagen gingen an jenem 26. Mai 1952 verloren. Sie hatten am Tage der Währungsreform einen Buchwert von rund DM 42,5 Millionen. Unsere Gesellschaft ist somit am 26.5.-sozusagen über Nacht- sehr viel ärmer geworden und eine nicht unerhebliche Zahl unserer Belegschaftsmitglieder, es waren 634, die in den im Osten gelegenen Betriebsstätten gearbeitet hatten. Am schwersten aber trifft uns der Verlust der im Osten liegenden Kohlenfelder mit ihren großen Kohlenvorräten, die die Grundlage für unsere Werke auf lange Zeit hin bilden sollten. Von den insgesamt im Jahre 1952 vorhandenen rd. 445 Millionen t Tagebaukohle befanden sich rd. 290 Millionen t Tagebaukohle im Osten und nur rd. 155 Millionen t im Westen. Diese verhältnismäßig geringen Kohlenvorräte auf westdeutscher Seite bestimmen unsere derzeitige Unternehmenspolitik. Wir müssen mit unserer Kohle sparsam umgehen, um die Lebensdauer unserer Werke, möglichst lange zu erhalten, bis sie nach einer Wiedervereinigung ihre weitere Versorgungsbasis in den drüben gelegenen Kohlenfeldern haben. Die BKB stand vor der Aufgabe, so rasch wie möglich einen Ersatz für ihr verlorenes Kraftwerk Harbke zu schaffen. Zu Hilfe kam ihr dabei die Tatsache, dass sich bereits seit knapp 2 Jahren ein neues Kraftwerk in Planung befand. Am 11.6.,-rund 14 Tage nach der Abriegelung der Zonengrenze, wurde auf einer eilends anberaumten Aufsichtsratssitzung der Bau eines neuen Kraftwerks beschlossen, und bereits 6 Wochen später, Ende Juli, begannen in unmittelbarer Nähe des Schwelwerks und der Brikettfabrik die Bauarbeiten für das Kraftwerk Offleben. In den folgenden Monaten entstand auf der Offlebener Flur ein modernes Kraftwerk mit 3 gleich großen Blöcken. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Probebetriebs war es soweit: Am 11.3. 1954, anderthalb Jahre nach Beginn der ersten Erdarbeiten, wurde in Offleben die Turbine 1 angefahren. Zwei Wochen später wurde auch noch die zweite Turbine in Gang gesetzt. Die offizielle Inbetriebnahme des Kraftwerks Offleben wurde von einer breiten Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt. 3

Der 26. Mai 1952 ist als Schwarzer Tag in die Geschichte der BKB eingegangen. Alle die ihn miterlebt haben, werden ihn nie vergessen, besonders aber diejenigen BKBler, die an diesem Tage ihre Arbeitsplätze verloren und entlassen werden mussten. Zwar ist es in verhältnismäßig kurzer Zeit gelungen, die entlassenen Belegschaftsmitglieder aus der Westzone wieder in ein Arbeitsverhältnis bei den BKB zu übernehmen, doch waren dabei natürlich Umsetzungen nötig, die gewisse Härten mit sich brachten. Wirtschaftlich gesehen haben die BKB die Verluste vom 26. Mai 1952 ebenfalls schnell überwunden. Das Kraftwerk Offleben wurde gebaut, der Tagebau Viktoria wurde wieder in Betrieb genommen, und alle anderen Betriebe wurden durch Rationalisierungsmaßnahmen leistungsfähiger gestaltet, so dass die Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke sehr bald gesundeten. Zehn Jahre sind vergangen seit jenem 26. Mai 1952. Wir schreiben nunmehr bereits das Jahr 1962, und alle unsere stillen Hoffnungen, dass der Eiserne Vorhang einmal verschwinden könnte, haben sich nicht erfüllt. Wir schauen täglich über den Stacheldraht auf die Schornsteine und Werksanlagen unserer Betriebe und auf die Dächer der Dörfer, in denen unsere Arbeitskollegen, Freunde und Verwandte wohnen, mit denen wir nicht sprechen können. Wann endlich wird der Tag kommen, an dem wir wieder alle zusammen gehören? "Schwerer Grenzzwischenfall bei Offleben" meldete die Braunschweiger Zeitung in ihrer Ausgabe vom 10./11.Sept. 1966. Ein Flüchtling aus der DDR hatte am 9. September morgens gegen 4.15 Uhr eine Mine ausgelöst und lag zwei Stunden lang schwer verletzt kurz vor westdeutschem Gebiet. Mehr als 100 Dorfbewohner Offlebens mussten hilflos und wütend mit ansehen, wie Soldaten den Leblosen schließlich abtransportierten. Vermutlich war der Mann aber schon tot. Es wird für möglich gehalten, dass es sich bei ihm um einen Grenzpolizisten handelte, schrieb die Braunschweiger Zeitung damals. Den Mann, dessen ungewisses Schicksal vor etwas mehr 23 Jahren die Menschen erschütterte, besuchten wir jetzt in Halberstadt. Er heißt Lutz Peter, ist 40 Jahre alt und Gebrauchsgrafiker in der HO Halberstadt. Er ist verheiratet und hat zwei nahezu erwachsene Kinder. Als 17jähriger Lehrling hatte er versucht, die DDR zu verlassen. "Ich habe das schwerste Verbrechen begangen, das es in diesem Land gab" sagt er bitter. Der Preis war hoch: Lutz Peter verlor im Minenfeld bei Offleben sein linkes Bein. Doch damit nicht genug. Im Februar 1967 wurde er vom Kreisgericht in Halberstadt "wegen versuchten gemeinschaftlichen illegalen Verlassens der DDR" zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Die Menschen auf westlicher Seite verfolgten das damalige Geschehen mit ohnmächtiger Wut. Bis auf 20 Meter war Lutz Peter an sie herangekommen, dann verließen ihn die Kräfte. "Ich habe gehört, wie die Leute von drüben gerufen und mich aufgemuntert haben. Sie wollten mir einen Strick zuwerfen und mich rüberziehen, aber es ging nicht mehr", erinnert er sich. Diese Anteilnahme der Bewohner Offlebens fand, wie wir heute lesen können, ihren zynischen Niederschlag in der Urteilsbegründung. Darin heißt es: "Zeitweilig war es eine tobende und Hetzlosungen rufende Menge von ca. 150 Menschen, die diesen Vorfall für ihre, der DDR feindlichen, Zwecke, ausnutzte. Sie riefen dem Angeklagten zu, die Grenzverletzung zu vollenden." In diesem Ton urteilte man ihn ab - und- so ist er bis heute immer wieder behandelt worden. "Ich musste mit meinen Krücken und dem heraufgeschlagenen leeren Hosenbein vor dem diensthabenden Wachoffizier strammstehen", erinnert sich Lutz Peter an seinen Antritt in der Dessauer Haftanstalt. 4

Und noch am 15. Februar 1990 - ein Vierteljahr nach der Wende- beschied im die Staatliche Versicherung der DDR, Kreisdirektion Halberstadt: "Bezugnehmend auf ihre persönliche Rücksprache bei uns teilen wir Ihnen mit, dass eine Anerkennung des Versicherungsschutzes für den Unfall vom 9.9.1966 aufgrund der Verjährung gemäß 474, Absatz 1, Pos. 3, Zivilgesetzbuch der DDR, nicht möglich ist. Wir bedauern, Ihnen keinen positiven Bescheid geben zu können, und bringen die Unterlagen zur Ablage." Während wir sprechen, kommen in Lutz Peter die düsteren Bilder jener Nacht wieder hoch. Er kämpft mit den Tränen. Sie waren zu dritt - und wollten nach Wolfsburg oder Helmstedt. "Wir sahen hier einfach keine Perspektive mehr für uns und sind ganz spontan in Schwanebeck losgegangen", erinnert er sich. Es war das fünfte Jahr nach dem Mauerbau, Walter Ulbricht saß fest im Sattel, und sie waren 17 und hatten Angst, "zu verkümmern, alt zu werden und zu sterben, ohne mal was von der Welt gesehen zu haben." Als Lutz Peter jetzt nach der Grenzöffnung zum ersten Mal in die Bundesrepublik fuhr, empfand er nicht nur Freude und Erleichterung. "Es war auch Wut dabei, irgendwie alles zusammen", sagt er. Es ist die Bitterkeit eines Mannes, für den die Wende um die wichtigsten Jahre seines Lebens zu spät kam und für den jetzt etwa der lukrative Handel mit Stücken aus der Mauer schier unbegreiflich ist: "An ihnen klebt Blut, dafür habe ich kein Verständnis." Was soll werden? In das Rückfenster seines Autos hat Lutz Peter ein selbstgemaltes Schild gehängt mit der Aufschrift: "Wir fordern: Vollständige Rehabilitierung der Opfer der innerdeutschen Grenze." Jürgen Westphal aus Halberstadt, der sich des Falles angenommen hat, erklärt bitter: "Mitgefühl, Schuldbewusstsein, Scham und den Wunsch, geschehenes Unrecht wieder gutzumachen oder wenigstens zu mildern, erlebte Peter bei seinen Bittgängen zu Ämtern und Behörden bislang nicht. Wie auch, dort sitzen ja nach wie vor die gleichen Leute. "Ich freue mich, dass die Leute in der Bundesrepublik, die mir damals helfen wollten, jetzt erfahren, dass ich noch am Leben bin", sagt Lutz Peter. Er wird, wie er sich fest vorgenommen hat, bald einmal nach Offleben fahren - an jene Stelle, die damals so nah und doch unerreichbar war. Genau dort befindet sich heute, bittere Ironie, der Grenzübergang Offleben Barneberg. Der Artikel erschien Anfang 1990 in der Braunschweiger Zeitung und wurde daraufhin in die Ortschronik der Gemeine Büddenstedt aufgenommen. Die Offleber haben derartige Zwischenfälle öfters miterleben müssen. Kurz nach Weihnachten 1968 wurde wenige Meter vor dem letzten Zaun ein Flüchtling vom ca. 30 m entfernten Holzturm mit 5-6 Feuerstößen erschossen und verblutete. Daraufhin fand eine Trauerfeier mit ca. 400-500 Menschen an der Grenze statt. 22.06.1952 OFFLEBEN / Bevorstehende Teilung von OFFLEBEN Preußisch OFFLEBEN: Dieser Teil Offlebens gehörte seit 1945 zur Britischen Zone, obwohl die preußischen Gebiete damals zur Sowjetunion kamen. BGS: Teile des 1. Zug wurden in Pr. OFFLEBEN stationiert, weil damit gerechnet werden musste, dass die VoPo die Absicht hatte, das ehemalige preußische Gebiet von OFFLEBEN gewaltsam zu besetzen. Die Bevölkerung hatte schon teilweise die Sachen gepackt und wollte mit dem Rückzug des Einsatzzuges ihren Heimatort verlassen. So blieb der Zug für eine längere Zeit dort stationiert. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen. 5

Flucht mit Sprühflugzeug Mit einem landwirtschaftlichen Sprühflugzeug kamen am 31.07.1979 insgesamt 4 Personen über die Grenze. Es waren ein Mann mit seinem Kind und eine Frau (Lebensgefährtin), ebenfalls mit Kind. In der Pilotenkanzel hatte Platz der Mann und das Kind zwischen seinen Beinen; im Streugutbehälter hinter dem Pilotensitz - es war dort sehr sehr eng - die Frau mit ihrem Kind. Der Mann ist mit dem Agrarflugzeug in der Nähe von Magdeburg gestartet, flog unterhalb des Radars und nahm unterwegs noch seine Lebensgefährtin mit Kind auf. In Bereich nördl. "Zusammenfluss" an der ehem. Bahnlinie Jerxheim-Pabstorf überflog er die Grenze - unbemerkt von der GrTr und den Bundeswehr Radarstellungen. Vorbei am Heeseberg flog er in Richtung Asse (Nähe Remlingen) und musste sich, weil der Treibstoff zur Neige ging, einen Landeplatz in der Nähe von Groß Vahlberg suchen. An nordostwärtigen Rand der Asse setzte er die Maschine auf einer Grasfläche auf. Anmerkung: In Nähe der Landestelle (Luftlinie ca. 800 m) befand sich ein Tiefflugradar der Bundeswehr, die von allem nichts mitbekommen haben! Danach gingen alle 4 zu Fuß nach Groß Vahlberg, meldeten sich bei Leuten, die dann die Polizei und auch den BGS verständigten. Da die Maschine zwar landen, aber nicht mehr starten konnte, weil die "Landebahn" zu kurz war, musste ein anderer Weg gefunden werden um dieses Flugzeug wieder in die DDR zurückzubringen. Nach Verhandlungen auf höherer Ebene (es ging relativ schnell) wurde vereinbart, dass die Maschine am Landeort demontiert werden sollte und mittels LKW über den Grenzübergang Helmstedt-Marienborn wieder zurück in die DDR überführt werden sollte. Gesagt getan, zwei Tage nach der Flucht kam die "Delegation". Ein Wartburg mit den "Funktionären" sowie zwei LKW. Die Arbeiter bauten die Maschine auseinander, verluden sie auf die beiden LKW mit Hänger und transportierten sie zurück in die DDR. Vorher wurde aber noch die Rechnung aufgemacht: Bewachungskosten durch den BGS in Höhe von 2.129,50 DM sowie Entschädigungskosten für den Landwirt, dessen Futterwiese "gepflügt" wurde. Quellenangabe: Braunschweiger Zeitung und BKB-Mitteilungen und Internet. 6