Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten in Häusern

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Transkript:

Strahlenschutzkommission Geschäftsstelle der Strahlenschutzkommission Postfach 12 06 29 D-53048 Bonn http://www.ssk.de Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten in Häusern Empfehlung der Strahlenschutzkommission Verabschiedet in der 62. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 6./8. November 1985 Veröffentlicht in: Bundesanzeiger Nr. 4 vom 8. Januar 1986 Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 6

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 2 Inhaltsverzeichnis 1 Vorbemerkung... 3 2 Ergebnisse der Erhebungsmessungen... 3 3 Strahlenexposition der Lunge... 4 4 Epidemiologische Befunde über das Lungenkrebsrisiko durch ionisierende Strahlen... 5 5 Radon-Exposition in Häusern und Lungenkrebs-Häufigkeit in unserer Bevölkerung... 6 6 Schlußfolgerungen und Empfehlungen... 7 7 Literatur... 9

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 3 1 Vorbemerkung Die Edelgase Radon (Rn 222) und Thoron (Rn 220) sind natürlich radioaktive Stoffe aus der Uran/Radium- bzw. Thorium-Zerfallsreihe, die überall in der Umwelt vorkommen. Radon und Thoron können aus dem Boden, dem Baumaterial von Häusern und aus dem Wasser in die Atmosphäre und somit auch in die Raumluft von Häusern diffundieren. Beim Zerfall von Radon und Thoron entstehen radioaktive Zerfallsprodukte, die bei Inhalation zu einer Strahlenexposition der Lunge führen. Die vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ergeben, daß die Lunge infolge dieser Inhalation das Organ des Menschen mit der höchsten Strahlenexposition aus natürlichen Quellen ist. Zur Strahlenexposition in Häusern tragen vor allem die kurzlebigen Radon-Zerfallsprodukte bei. Die Strahlenschutzkommission hat bereits 1980 eine Empfehlung zur Strahlenexposition durch Radon abgegeben [SSK 80]. Darin ist darauf hingewiesen worden, daß eine Reduktion der Raumbelüftung eine Erhöhung der Radon-Konzentration in Räumen und somit eine Zunahme der Lungendosis zur Folge hat. Auf Grund der bis dahin vorliegenden vorläufigen Ergebnisse der Erhebungsmessungen zur Ermittlung der Radon-Konzentration und ihrer Schwankungsbreite in Wohnungen hatte die Kommission keine Notwendigkeit gesehen, generelle Maßnahmen zu empfehlen. Sie hat aber in der Folgezeit darauf hingewiesen, daß die Radon-Zufuhr aus dem Boden unter dem Haus durch geeignete Maßnahmen erniedrigt werden kann. Die SSK hat die Frage der Strahlenexposition der Bevölkerung durch Radon-Zerfallsprodukte in der Raumluft von Häusern untersucht. Der Abschlußbericht der Erhebungsmessungen zur Ermittlung der Schwankungsbreite der Radon-Konzentration in Häusern in der Bundesrepublik Deutschland, die im Rahmen eines vom Bundesministerium des Innern geförderten Projekts durchgeführt wurden, liegt nunmehr vor [BMI 85]. Auf Grund der Ergebnisse dieses Berichtes gibt die Kommission die vorliegende Empfehlung zur Bewertung der Strahlenexposition der Bevölkerung durch Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten im Hinblick auf das daraus resultierende mögliche Lungenkrebsrisiko ab. 2 Ergebnisse der Erhebungsmessungen Die Konzentration von Radon (Rn 222) und seinen kurzlebigen Zerfallsprodukten (Po 218 bis Bi 214) im Freien und in der Raumluft von Häusern unterliegt erheblichen tageszeitlichen und jahreszeitlichen Schwankungen. Für die Bewertung der Strahlenexposition ist der langzeitige Mittelwert dieser Konzentration maßgebend. Im Rahmen der Erhebungsmessungen in der Bundesrepublik Deutschland wurden Langzeitmessungen der Radon-Konzentration in der Raumluft von annähernd 6000 Wohnungen im gesamten Bundesgebiet durchgeführt. Jede Messung erfaßte einen Zeitraum von mindestens drei Monaten. In manchen Häusern wurde die Messung zu verschiedenen Jahreszeiten wiederholt. Die gemessenen Aktivitätskonzentrationen des Radons überdecken einen Bereich von einigen Bq/m 3 bis zu mehreren hundert Bq/m 3 und ergeben einen Mittelwert von annähernd 50 Bq/m 3. Aus der Erhebung folgt, daß in 10 % dieser Wohnungen eine Radon-Konzentration von mehr als 80 Bq/m 3, in 1 % von mehr als 200 Bq/m 3 vorlag. In 9 Wohnungen wurde eine Konzentration von mehr als 600 Bq/m 3 erreicht. Die festgestellte große Variationsbreite der

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 4 Radon-Konzentration in Häusern stimmt mit den Erfahrungen in anderen Ländern überein [UN 82]. Die wesentlichen Quellen des Radons in Häusern sind die Radon-Zufuhr aus dem Boden unter den Häusern und die Radon-Freisetzung aus den Baumaterialien. Im Mittel liegen die Beiträge dieser beiden Quellen in der gleichen Größenordnung. Infolge der Unterschiede des Ra 226-Gehalts und der Porosität von Baumaterialien kann jedoch die Radon-Freisetzung aus Wänden und Decken von Haus zu Haus erheblich variieren. In noch stärkerem Maße variiert die konvektive Radon-Zufuhr aus dem Boden, die nicht nur vom Ra 226-Gehalt und der Porosität des Bodens unter dem Haus, sondern auch von der Dichtheit der Bodenplatte und des Fundaments sowie von der Druckdifferenz zwischen Bodenluft und Raumluft abhängt. Die vorliegenden Messungen deuten darauf hin, daß in den meisten Häusern mit höherer Radon-Konzentration (höher als etwa 100 Bq/m 3 ) die Hauptquelle nicht das Baumaterial, sondern fast ausschließlich der Boden ist. Dies ist für Überlegungen hinsichtlich des weiteren Vorgehens von Bedeutung. Der Hauptanteil der Strahlenexposition der Lunge wird nicht durch die Inhalation von Radon, sondern durch die Inhalation seiner kurzlebigen Zerfallsprodukte verursacht, die durch den radioaktiven Zerfall von Radon-Atomen in der Luft gebildet werden. Die Aktivitätskonzentration dieser Zerfallsprodukte erreicht wegen des Luftaustauschs und der Abscheidung an Oberflächen nicht das radioaktive Gleichgewicht mit dem Mutternuklid Radon und ist somit niedriger als die gemessene Radon-Konzentration. Der Gleichgewichtsfaktor, der diese Abweichung vom radioaktiven Gleichgewicht charakterisiert, ist daher kleiner als eins. Die vorliegenden Messungen ergeben für die Radon-Zerfallsprodukte in der Raumluft einen mittleren Gleichgewichtsfaktor von 0,3-0,4. Für die Abschätzung der Strahlenexposition der Lunge wird hier mit einem Gleichgewichtsfaktor von 0,4 gerechnet. Die beobachtete Schwankungsbreite der Meßergebnisse macht deutlich, daß die Radon-Konzentration in einem Haus von zahlreichen Faktoren abhängt und nicht genau vorhersehbar ist. Es ist daher notwendig, Kriterien für die Auffindung solcher Häuser zu entwickeln, in denen möglicherweise eine hohe Radon-Konzentration vorliegen könnte. 3 Strahlenexposition der Lunge Die natürliche Strahlenexposition durch die Inhalation des radioaktiven Edelgases Radon ist klein im Vergleich zu derjenigen, die durch die Inhalation seiner kurzlebigen Zerfallsprodukte (Po 218 bis Bi 214) verursacht wird. Die Abscheidung dieser Zerfallsprodukte in der Lunge führt vor allem zu einer Strahlenexposition des Bronchialepithels. Der Dosisbeitrag durch Inhalation von Thoron-Zerfallsprodukten beträgt etwa 10 % des Dosisbeitrags durch Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten und ist somit relativ gering. Er wurde deshalb im folgenden nicht weiter betrachtet. Bei dem aus den Messungen in 6000 Wohnungen resultierenden Mittelwert der Radon-Konzentration in der Raumluft von annähernd 50 Bq/m 3 ist nach den vorliegenden Abschätzungen eine mittlere jährliche Äquivalentdosis von etwa 15 msv im Bronchialepithel und von etwa 2 msv im Alveolarbereich der Lunge zu erwarten. Die Dosisabschätzung geht von einer mittleren Aufenthaltsdauer in Häusern von 7000 h pro Jahr aus, was etwa 80 % der Gesamtzeit entspricht.

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 5 Im Vergleich dazu beträgt die mittlere natürliche Strahlenexposition der Lunge durch andere Komponenten (terrestrische γ-strahlung, kosmische Strahlung, K 40 u.a.) 1,0-1,5 msv pro Jahr. Bedingt durch die Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten in Häusern ist die mittlere natürliche Strahlenexposition des Bronchialepithels erheblich größer als diejenige anderer Körpergewebe. Auf Grund der bereits oben angegebenen Schwankungsbreite der Radon-Konzentration ist anzunehmen, daß zur Zeit bei etwa 1 % der Bevölkerung die natürliche Strahlenexposition des Bronchialepithels bzw. Alveolargewebes größer als 50 bzw. 7 msv pro Jahr ist. 4 Epidemiologische Befunge über das Lungenkrebsrisiko durch ionisierende Strahlen In den letzten Jahren wurde in mehreren Ländern mit kleineren Pilotstudien zur Erfassung der Lungenkrebshäufigkeit von Personengruppen begonnen, die in Häusern mit hoher Radon- Konzentration wohnen. Die vorläufigen Ergebnisse dieser Studien schließen einen Zusammenhang zwischen Lungenkrebshäufigkeit und Radon-Konzentration nicht aus, beweisen ihn aber auch nicht, da die Zahl der in diesen Pilotstudien bislang erfaßten Lungenkrebsfälle zu klein ist oder epidemiologisch wichtige Parameter nicht erhoben wurden. Eine Abschätzung des möglichen Lungenkrebsrisikos der Bevölkerung infolge der Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten in Häusern ist zur Zeit nur indirekt aus epidemiologischen Studien über Radon-exponierte Bergarbeiter und über Atombomben-Überlebende von Hiroshima und Nagasaki möglich. Diese Erhebungen zeigen, daß das Bronchialepithel ein relativ empfindliches Gewebe für die Krebserzeugung ist. Dieser Befund deckt sich mit den Beobachtungen über den Einfluß des Rauchens auf die Lungenkrebshäufigkeit in der Bevölkerung. Die meisten beobachteten Lungenkarzinome sind Bronchialkarzinome. Das Bronchialepithel ist das am stärksten strahlenexponierte Gewebe des menschlichen Körpers. Von besonderer Bedeutung sind die epidemiologischen Studien über Lungenkrebs bei Bergarbeitern, die im Laufe ihrer Tätigkeit unter Tage einer erheblichen Strahlenexposition des Bronchialepithels infolge der Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten in der Grubenluft ausgesetzt waren. Insgesamt erfassen diese Studien etwa 25.000 Radon-exponierte Bergarbeiter in verschiedenen Ländern, insbesondere Uranbergarbeiter. Aus diesen Erhebungen ergibt sich eine eindeutige Korrelation zwischen der kumulierten Dosis durch Radon-Inhalation und der beobachteten erhöhten Häufigkeit von Bronchialkrebs bei diesen Bergarbeitern, die nicht auf den Einfluß anderer Schadstoffe in der Luft dieser Gruben zurückgeführt werden kann. Die Untersuchungen bei den Bergarbeitern weisen ferner auf einen synergistischen Einfluß des Rauchens auf die Manifestation von strahleninduziertem Lungenkrebs hin [UN 82]. Bei diesen Bergarbeitern wurde eine statistisch signifikante Erhöhung der Lungenkrebsrate in einem Dosisbereich festgestellt, der auch bei chronischer Exposition in Häusern mit einer Radon-Konzentration von einigen hundert Bq/m 3 erreicht werden kann. Übereinstimmend führen die epidemiologischen Erhebungen bei Radon-exponierten Bergarbeitern zu dem Ergebnis, daß die Relation zwischen der kumulierten Dosis durch Radon-Inhalation und der beobachteten, zusätzlichen Lungenkrebshäufigkeit im untersuchten Expositionsbereich am

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 6 besten durch eine proportionale Beziehung approximiert werden kann. Ein Einfluß der Dosisleistung ist in dem in Betracht kommenden Bereich nicht erkennbar. Diese Befunde werden erhärtet durch die Ergebnisse tierexperimenteller Untersuchungen über die karzinogene Wirksamkeit inhalierter Radon-Zerfallsprodukte. 5 Radon-Exposition in Häusern und Lungenkrebs- Häufigkeit in unserer Bevölkerung Die jährliche Lungenkrebs-Häufigkeit in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland betrug 1982 etwa 72 bzw. 13 Todesfälle durch Lungenkrebs pro 100.000 Einwohner bei Männern bzw. Frauen, wobei es sich hauptsächlich um Bronchialkarzinome handelte. Dies bedeutet, daß zur Zeit etwa 6 bzw. 1 % aller Todesfälle bei Männern bzw. Frauen auf Lungenkrebs entfallen. Aus den zuvor beschriebenen Ergebnissen epidemiologischer Erhebungen, insbesondere bei Radon-exponierten Bergarbeitern, kann abgeleitet werden, daß ein Anteil der derzeitigen Lungenkrebshäufigkeit in der Bevölkerung auf den Einfluß der natürlichen Strahlenexposition der Lunge infolge der Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten in Häusern zurückzuführen ist. Zur Quantifizierung dieses Anteils können jedoch die Befunde bei Radon-exponierten Bergarbeitern nicht direkt auf die Bevölkerung übertragen werden. Es sind vielmehr Korrekturen notwendig, die den unterschiedlichen Bedingungen in Gruben und Häusern sowie dem Einfluß der Atemrate Rechnung tragen. Die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) hat eine Arbeitsgruppe mit einer Analyse des möglichen Lungenkrebsrisikos der Bevölkerung infolge der Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten, insbesondere in Häusern, beauftragt. Vorläufige Ergebnisse dieser Studie liegen nunmehr vor [JA 84]. Bei Gültigkeit einer proportionalen Dosis- Risiko-Beziehung könnten danach bei dem Mittelwert der Radon-Konzentration von 50 Bq/m 3, wie sie in der Raumluft unserer Häuser vorkommt, etwa 4-12 % der derzeitigen Lungenkrebshäufigkeit auf die Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten in Häusern zurückgeführt werden. Diese Werte liegen innerhalb der regionalen Schwankungsbreite der Lungenkrebsrate, die in der Bundesrepublik Deutschland beobachtet wird. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß dieser relative Anteil von 4-12 % bei Männern und Frauen, bei Rauchern und Nichtrauchern etwa gleich groß sein dürfte. Hieraus folgt, daß die absolute, auf die Inhalation von Radon-Zerfallsprodukten zurückführbare Lungenkrebsrate bzw. Bronchialkrebsrate bei gleichen Expositionsbedingungen bei Nichtrauchern kleiner ist als bei Rauchern. Diese Unterschiede hinsichtlich der absoluten Rate werden im wesentlichen bedingt durch den synergistischen Einfluß des Rauchens auf die Manifestation von strahleninduziertem Bronchialkrebs. Diese Risikoabschätzungen gehen von der Annahme einer chronischen Exposition bei den derzeit festgestellten Radon-Konzentrationen in Häusern aus. Es liegen jedoch konkrete Hinweise dafür vor, daß die mittlere Radon-Konzentration in unseren Häusern im Laufe der letzten Jahrzehnte zugenommen hat. Als wesentliche Ursache wird die Reduktion der Raumbelüftung infolge des Ersatzes von offenen Einzelfeuerstätten durch geschlossene Zentralheizungssysteme, der verbesserten Abdichtung der Häuser sowie der veränderten Lüftungsgewohnheiten der Benutzer angesehen. Eine Zunahme um etwa einen Faktor 2 ist

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 7 nicht auszuschließen. Dies würde bedeuten, daß die bisher tatsächlich kumulierte Radon- Exposition der derzeitigen Bevölkerung nur 60 bis 80 % derjenigen Exposition beträgt, die sich aus der derzeitigen mittleren Radon-Konzentration in unseren Wohnungen ergibt und für die Zukunft anzusetzen sein wird. 6 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 6.1 In Anlehnung an die Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission [IC 39] wird darauf hingewiesen, daß sich die in der Strahlenschutzverordnung festgelegten Dosisgrenzwerte für Mitglieder der Bevölkerung nur auf künstliche Strahlenquellen beziehen. Der Gültigkeitsbereich der Strahlenschutzverordnung erstreckt sich nicht auf die Radon-Exposition in Häusern, die eine Komponente der natürlichen Strahlenexposition darstellt. 6.2 Die Radon-Konzentration in Häusern wird im wesentlichen durch die Bodenart, die Bodenbeschaffenheit, die Baumaterialien, die Bauweise sowie durch die Belüftung der Häuser bestimmt. Die hiervon abhängige Strahlenexposition ist somit zu einem Teil zivilisationsbedingt und kann durch individuelle Wohngewohnheiten beeinflußt werden. Auf diesen durch den Menschen modifizierbaren Anteil der natürlichen Strahlenexposition sollte der Grundsatz der Optimierung des Strahlenschutzes angewandt werden. 6.3 Eine ausreichend genaue Ermittlung der Radon-Konzentration in der Raumluft von Häusern ist ohne Messung nicht möglich. Als wichtiger Hinweis ist die bisherige Beobachtung zu werten, daß in Häusern mit erhöhter Radon-Konzentration die Hauptquelle der Radon-Zufuhr in diesen Häusern nicht die Radon-Exhalation der Baumaterialien, sondern die Radon-Zufuhr aus dem Boden ist. Es kann davon ausgegangen werden, daß erhöhte Radon-Konzentrationen in erster Linie in Häusern, die keinen ausreichend dichten Abschluß gegen die Radon-Zufuhr aus dem Boden haben, zu erwarten sind. 6.4 Als Richtwert für die Radon-Konzentration in der Raumluft, bei dessen Überschreitung einfache und wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Radon-Konzentration in bestehenden Bauten zu erwägen sind, wird von der ICRP ein Wert vorge-

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 8 schlagen, der unter Verwendung des in Abschnitt 2 genannten Gleichgewichtsfaktors von 0,4 einer Radon-Konzentration von 500 Bq/m 3 entspricht. Der Wert ist jedoch nicht als Grenzwert zu verstehen, d.h. nicht als Wert, bei dem rechtliche Regelungen erforderlich wären. Dieser Auffassung der ICRP schließt sich die SSK an. 6.5 Aus Gründen der Vorsorge sollte bei der Planung zukünftiger Häuser sichergestellt sein, daß Extremwerte der Radon-Konzentration im Wohnbereich möglichst vermieden werden. 6.6 Die SSK empfiehlt daher, daß - Kriterien für die Auffindung von Regionen entwickelt werden, in denen hohe Radon-Konzentrationen auftreten können, - Kriterien zur Auffindung von Häusern und Bauplätzen entwickelt werden, in denen möglicherweise eine hohe Radon-Konzentration vorliegen könnte, - die z.zt. mit Radonmessungen befaßten Stellen, in Verbindung mit Fachleuten aus dem Wohnungsbau, Kriterien zur Beurteilung von Maßnahmen zur Reduzierung der Radonbelastung entwickeln und - bauliche Empfehlungen zur Reduktion der Radon-Konzentration der Luft in Wohnräumen, speziell auch in Verbindung mit der Wohnraumbelüftung, erstellt werden. Regelungen zur Begrenzung der Radonabgabe von Baumaterialien auf Grund der natürlichen Radioaktivität werden nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht für erforderlich gehalten. 6.7 Relevante Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet müssen auch in Zukunft vordringlich gefördert werden. Dies gilt neben den bereits genannten Punkten insbesondere für Untersuchungen, die zu einer Verbesserung der Kenntnisse über die Strahlenexposition und das mögliche Lungenkrebsrisiko der Bevölkerung durch Inhalation von Radon- Zerfallsprodukten führen.

Strahlenexposition und mögliches Lungenkrebsrisiko durch Inhalation von Rn-Zerfallsprodukten in Häusern 9 7 Literatur BMI 85 IC 39 JA 84 SSK 80 UN 82 Radon in Wohnungen und im Freien; Erhebungsmessungen in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht über vom Bundesminister des Innern geförderte Forschungsvorhaben (1985) Principles for Limiting Exposure of the Public to Natural Sources of Radiation. ICRP Publication 39 (1984) W. Jacobi: Expected Lung Cancer Risk from Radon Daughter Exposure in Dwellings. Proceedings International Conference on Indoor Air Quality. Stockholm 1984 Stellungnahme der Strahlenschutzkommission (SSK) zur Radon-Exposition der Bevölkerung. Bundesanzeiger Nr. 208 vom 06.11.1980, S.1 United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR). Ionizing Radiation: Sources and Biological Effects. United Nations, New York 1982