8 Krisenmanagement. 8.1 Zur Bedeutung des Krisenmanagements LENDLE/GLASNER



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Transkript:

8.1 Zur Bedeutung des Krisenmanagements 8 Krisenmanagement LENDLE/GLASNER 8.1 Zur Bedeutung des Krisenmanagements Das Krisenmanagement hat sich in den letzten Jahren zu einem natürlichen Bestandteil des Qualitätsmanagements entwickelt. Eine Befragung der AFC Risk & Crisis Consult aus dem Jahr 2008 zeigte bereits den Trend zur gesteigerten Beschäftigung mit dem Thema Krisenmanagement, der sich in den letzten drei Jahren sogar noch verstärkt hat. In der Onlinestudie, die im November 2011 veröffentlich wurde, gaben 70 % der befragten Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft an, dass sie über ein ausgearbeitetes Krisenmanagementsystem verfügen. Die Mehrheit der Unternehmen besitzt Basistools des Krisenmanagements wie beispielsweise Informationserfassungsbögen (72 %) und Ablaufpläne zur Vorgehensweise im Krisenfall (68 %). Die Beratungsarbeit bestätigt, dass selbst klein- und mittelständische Unternehmen sich auf entsprechenden Seminarveranstaltungen informieren und sich unternehmensintern mit einer möglichen Krise auseinandersetzen. Die Motive für das verstärkte Interesse am Thema Krisenmanagement sind sehr vielfältig. Oftmals sehen sich Unternehmen in der gesetzlichen Pflicht, ein solches System einzuführen. Die EU-Gesetzgebung verlagerte schon im Jahr 2002 die Verantwortung für die Lebens- und Futtermittelsicherheit bzw. Rückruf und Rücknahme in Richtung der Unternehmen. Abgesehen davon haben sicherlich auch IFS, BRC, ISO 22000 und ähnliche Zertifizierungssysteme einen großen Anteil an dieser Entwicklung, zumal die grundlegenden Strukturen eines Krisenmanagements zum Teil Anforderung der Zertifizierungssysteme sind. Allerdings beweist die Onlinestudie auch, dass dem Großteil der Befragten elementare Bestandteile bezüglich einer sachgerechten Kommunikation im Falle von Kampagnen von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) oder medialen Anprangerungen fehlen. Als potenzielle Risikofaktoren werden diese beim Aufbau des Systems kaum berücksichtigt. Zudem verfügen gerade einmal 14 % der befragten Unternehmen über Vorlagen für Pressemeldungen zur Information der Öffentlichkeit. Dass dies enorme Gefahren bergen kann, zeigen jüngste Entwicklungen und Ereignisse. Heutzutage spielt vor allen Dingen die Skandalisierung von vermeintlichen Beanstandungen 12 02 12 1

8.1 Zur Bedeutung des Krisenmanagements Missständen und die damit einhergehende negative und kritische Medienberichterstattung im Lebensmittelsektor eine große Rolle. Zudem werden Lebensmittelunternehmen zunehmend mit medial ausgelösten Krisensituationen konfrontiert. Konflikte, Krisen, Aggressionen und abweichendes Verhalten nehmen einen wichtigen Part in der öffentlichen Berichterstattung ein, da diese Themen einen gewissen Reiz für die Bevölkerung bieten. Erst im letzten Jahr zeigte der mediengemachte Dioxin- Skandal eindrucksvoll, welchen starken Einfluss ein öffentlicher Pranger ausüben kann. Das Interesse an Berichterstattungen über die Lebensmittelindustrie ist groß und investigativer Journalismus populär, durch den öffentlichkeitswirksam vermeintliche Lebensmittelskandale, vielfach mithilfe der NGOs, aufgedeckt werden. Durch Spendengelder finanziert, lassen sie Lebensmittel testen, machen auf irreführende Kennzeichnung aufmerksam und führen aufwendige Kampagnen gegen Unternehmen oder Marken. Mittlerweile gehören ebenso gerichtliche Streitigkeiten zum Repertoire der Organisationen. Einige NGOs haben es geschafft, sich eine solch starke Reputation aufzubauen, dass Informationen auch in seriösen Tageszeitungen oder Nachrichtensendungen aufgenommen werden, ohne eigene Recherche der veröffentlichenden Stellen. Die Lage der Lebensmittelbranche veränderte sich in jüngster Zeit in vielfacher Hinsicht. Nicht nur die Stimme von NGOs und Medien wird lauter, auch die öffentliche Hand hat Initiativen ergriffen, indem beispielsweise das Bundes-Verbraucherinformationsgesetz als Reaktion auf die Krisen im Jahr 2011 erheblich verschärft wurde. Das Mitte 2011 eröffnete Internetportal www.lebensmittelklarheit.de wird von der Branche als Internetpranger für legal produzierte sowie vermarktete und demnach nicht zu beanstandende Produkte verstanden. Zudem gibt eine neue Datenbank des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Möglichkeit, sich über sämtliche Meldungen zu Lebensmittelrückrufen in Deutschland zu informieren (www.lebensmittelwarnungen.de). Hersteller und Handel stehen vor der Herausforderung, nicht nur ein generelles Krisenmanagement im Unternehmen zu implementieren, welches im Ernstfall zum Tragen kommt, sondern auch ein präventives und langfristig nachhaltiges Risikomanagement zum Schutz der betrieblichen Kontinuität zu entwickeln. Deshalb ist das präventive Krisenmanagement auch immer Risikomanagement. Jedes Unternehmen sollte genau prüfen, welche Risiken ausgehend von verschiedenen Anspruchsgruppen für das Unternehmen, die Produkte und die Marke bestehen. In der folgenden Abbildung wird dieses Spannungsfeld bildlich dargestellt. 2 Beanstandungen 12 02 12

8.1 Zur Bedeutung des Krisenmanagements Universitäten Institute Forschungsstellen... Wissenschaft Privatpersonen Verbraucher Tierschützer Blogger... Umwelt Sozial Tierwohl... NGO Unternehmen Unternehmen Produzenten Handel Fachverbände... Lebensmittelüberwachung Anwaltschaft... Recht & Behörden Medien TV Print Online... Abb. 8.1-1 Unternehmen im Spannungsfeld Um der gestiegenen Relevanz des Öffentlichkeitsmanagements und den Bedürfnissen verschiedener Anspruchsgruppen gerecht zu werden, muss das Krisenmanagement erweitert und ständig angepasst werden. Es geht derzeit weniger um die Implementierung eines Krisenmanagements, sondern um eine Anpassung an ein sich veränderndes Risikoumfeld des Unternehmens. Entstehen neue Risiken, die zu einer Krise führen können, müssen sich dementsprechende Maßnahmen im Krisenmanagement wiederfinden. Ein Krisenmanagement darf nicht nur einmal in einem Handbuch niedergeschrieben sein, es muss auch gelebt werden. Beanstandungen 12 02 12 3

8.2 Krisenarten 8.2 Krisenarten Es zeigt sich immer wieder, dass Unternehmen der Lebensmittelbranche während des Aufbaus eines Krisenmanagements große Schwierigkeiten bei der Definition einer Krise haben. Für einige ist bereits jede schwerwiegendere Verbraucherreklamation eine Krise, für andere beginnt das Krisenmanagement erst, wenn eine manifeste Verbrauchergefährdung eine entsprechende Verbreitung und öffentliche Wirkung hat. Grundsätzlich sollte nicht jede krisenhafte Situation mit einer Krise gleichgesetzt werden. In der Regel bestehen Krisen jedoch aus einer Ansammlung kritischer Situationen, bei denen es sich für den weiteren Verlauf des Gesamtprozesses um entscheidende Phasen handelt. Kritische Situationen können sowohl geplant und vorhersehbar sein als auch völlig unerwartet eintreten. Letztendlich ist der Wendepunkt sehr individuell definiert und hängt nicht zuletzt vom Geltungsbereich des Krisenmanagements ab (z. B. gesundheitsgefährdende Kontamination oder negative Medienberichterstattung). Es ist nur wichtig zu verstehen, dass Krisenmanagement auch bedeuten kann, dass eine Krise für das Unternehmen verhindert wird, also weit vor dem Wendepunkt beginnt. Der Versuch, eine allgemein gültige Definition zu finden, ist vor allem deswegen schwierig, weil sich eine Krise nach unterschiedlichen Gesichtspunkten beschreiben lässt; z. B. nach den Eigenschaften einer Krisensituation, den Auswirkungen für das Unternehmen oder den Ursachen. Bezug nehmend auf die Eigenschaften einer Krise könnten die wichtigsten Merkmale und Eigenschaften einer Krise folgendermaßen aufgelistet werden: Krisen sind meist plötzliche, ungeplante, ungewollte und zeitlich begrenzte Ereignisse. In Krisen besteht ein wie auch immer geartetes Risiko, ein gewisses Maß an Unsicherheit und die Akteure stehen unter Zeitdruck. Der Verlauf einer Krise ist dynamisch und komplex. Die Auswirkungen für das Unternehmen können von Krise zu Krise unterschiedlich sein und hängen enorm von der Effizienz und Effektivität der Krisenmanagementmaßnahmen ab. Nachfolgend werden mögliche Folgen einer Krise aufgeführt: Krisen verursachen direkte Kosten, wie z. B. Rückrufkosten, Kosten für externe Unterstützung oder Prozesskosten bei gerichtlicher Auseinandersetzung. Beanstandungen 12 02 12 1

8.2 Krisenarten Krisen können zu einer Schädigung der Reputation und des Images bei Kunden bzw. Verbrauchern, Investoren und den eigenen Mitarbeitern führen. Ein möglicher Vertrauensverlust kann während oder nach einer Krise zur Auslistung beim Handel, zu Absatzrückgang und Verlust an Marktanteilen sowie geschwächter Finanzkraft führen. Im Nachgang einer Krise erschweren politische Auflagen und Beschränkungen durch Kontrollbehörden den normalen Ablauf. Krisen führen im schlimmsten Fall zum Konkurs eines Unternehmens. Orientiert man sich bei der Definition einer Krise für ein Unternehmen der Lebensmittelbranche an den Ursachen, ergeben sich übergreifend eingeteilt drei unterschiedliche Arten von Krisen. Diese können in der Lebensmittelbranche nicht klar voneinander getrennt werden, sondern bedingen sich oftmals gegenseitig oder gehen auseinander hervor. 1. Produktkrise Eine Krise kann aus verschiedenen produktspezifischen Ursachen heraus entstehen, z. B.: Versehentliche Kontamination (mikrobiologisch, chemisch bzw. physikalisch), Beschwerden/Anliegen eines Kunden mit besonderer Wichtigkeit, Sabotage und Produkterpressung, behördliche Beanstandungen, negative Testberichte, Branchenskandale wie bspw. Dioxin, Tierseuchen etc. wie bspw. Vogelgrippe. Grundsätzlich gelten in lebensmittelherstellenden Unternehmen Kontaminationen als die bedeutendste und häufigste Ursache einer Produktkrise. Dabei ist die mögliche Gesundheitsgefahr für Verbraucher die augenscheinlich größte Gefahr, da sie meist neben der konkreten Gefährdung mit der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben, einer öffentlichen Warnung, negativen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen und/oder Imageschäden für das Unternehmen verbunden ist. 2 Beanstandungen 12 02 12

8.2 Krisenarten 2. Reputationskrise Reputation im Sinne von Unternehmensreputation ist die Gesamtheit dessen, wie ein Unternehmen von den Anspruchsgruppen unter Einbezug vergangener und zukünftiger Aspekte wahrgenommen wird. Die Reputation kann sich dabei auf Produktleistungen, Markenwert und Verkörperung der Marke, allgemeine und spezielle Unternehmenspolitik, geschäftsführende Personen, industrielle Verarbeitung, Herstellungsprozesse oder Verwendung von Zusatz-/Inhaltsstoffen beziehen. Die Schädigung der Reputation kann durch Vorwürfe von Externen (v. a. Medien und NGOs) gegen Produkte, Marken oder das gesamte Unternehmen erfolgen. Oder sie kann sich als Folge der Produktkrise oder auch dem betrieblichen Notfall ergeben. 3. Betrieblicher Notfall Ein Notfall bezeichnet eine existenzbedrohende Situation, die dazu führen kann, dass es zu einem eingeschränkten Einsatz oder Ausfall betrieblicher Geschäftsprozesse kommen kann. Dabei handelt es um den Ausfall von Schlüsselmaschinen, einen Unternehmensbrand oder einen Lieferantenstreik. Diese Art von Krise soll nur am Rande behandelt werden, da es dabei um ein spezielles, umfangreiches und vielgestaltiges Feld geht. Jedoch ist der betriebliche Notfall als Ursache einer Produktkrise durchaus nicht zu vernachlässigen. Die Produktkontamination gilt als klassische Ursache, die zwar häufig vorkommt, jedoch durch die bereits implementierten Krisenmanagement-Tools gut zu bewältigen und nicht zuletzt gesetzlich geregelt ist. Eine immer größere Rolle spielt heutzutage die Reputationskrise, da die Beanstandungen der verschiedenen Anspruchsgruppen bezüglich der Marke oder dem Unternehmensimage schwer zu behandeln sind. Aus diesem Grund sollten Unternehmen ihre Krisenmanagement-Tools entsprechend erweitern und anpassen, sodass sie den gesteigerten Anforderungen gewachsen sind. Dabei sollten sie agieren können, anstatt reagieren zu müssen, um zu vermeiden, dass eine Krise unter Umständen erst entsteht. Beanstandungen 12 02 12 3

Grundsätzlich lassen sich Krisenfälle nicht vermeiden. Daher ist es unabdingbar, umfänglich auf eine Krise vorbereitet zu sein. Dazu müssen im präventiven Krisenmanagement die Grundvoraussetzungen geschaffen werden. Das erfolgreiche Management eines Krisenfalls hängt im entscheidenden Maße davon ab, inwieweit die im Unternehmen verankerten Krisenmanagementinstrumente aufeinander abgestimmt und erprobt sind. In der Praxis hat sich ein durchaus überschaubarer Mix an eindeutig definierten Krisenmanagement-Tools bewährt, deren Hauptelemente im Folgenden kurz aufgelistet werden: Struktur, z. B.: Organisation des Krisenstabs Besetzung des Rückrufteams Funktionen und Aufgabenverteilung der verantwortlichen Mitarbeiter Instrumente, z. B.: Klassifizierung von Krisenfällen Ablaufplan zur Krisenbewältigung Ablaufplan zur Rückholung Adressdatei mit internen und externen Ansprechpartnern Dokumentation, z. B.: Formblatt zur Erfassung der Reklamation, Schadensmeldung Checkliste zur Risikobewertung Checkliste zur Krisenbewältigung Diese Elemente, die in einem Handbuch zusammengefasst werden sollten, umfassen sowohl die zuständigen Mitarbeiter im Unternehmen sowie externe Supportpartner (siehe z. B. Krisenstab) als auch die für den Krisenablauf erstellten Ablaufpläne und die jeweils mitgeltenden Unterlagen. Dabei ist die Praktikabilität des Handbuchs von zentraler Bedeutung. Dies bedeutet, dass das eigentliche Handbuch nur einen kurzen Überblick über das Krisenmanagement des Unternehmens gibt, während sich in den Anlagen die Dokumente befinden, mit denen die Mitarbeiter im Krisenfall arbeiten können. Beanstandungen 12 02 12 1

8.3.1 Krisenmanagement-Strukturen a) Krisenstab (intern) Der Krisenstab, als das zentrale und strategische Organ eines Krisenmanagements, sollte zwar die wichtigsten Entscheidungsfunktionen eines Unternehmens umfassen, gleichzeitig jedoch eine nicht zu große Personenzahl aufweisen. In der Regel schlägt ein Mitarbeiter aus der Qualitätsmanagement-Abteilung die Einberufung des Krisenstabes nach der Sachverhaltsanalyse vor, indem er die Geschäftsführung informiert. Die offizielle Einberufung durch die Geschäftsführung hat den Vorteil, dass der Situation von Beginn an eine entsprechend große Bedeutung beigemessen wird, die meist mit gesteigertem Engagement und Ernsthaftigkeit verbunden ist. Für den reibungslosen Ablauf der Arbeit im Krisenstab muss frühzeitig die Entscheidung getroffen werden, welche Krisenstabsmitglieder unbedingt anwesend sein müssen, um den Fall vollständig einschätzen, einstufen und weitere Entscheidungen treffen zu können. Meist handelt es sich dabei um den sogenannten Kleinen Krisenstab, der je nach Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit um Funktionen aus dem Erweiterten Krisenstab und dem Externen Krisenstab ergänzt werden kann. Die Aufgaben jedes einzelnen Mitgliedes müssen klar definiert sein. Der Kleine Krisenstab besteht meist nur aus einem Mitglied der Geschäftsführung, der Leitung Qualitätsmanagement bzw. Qualitätssicherung und einem Koordinator, wobei den Mitgliedern unterschiedliche, nachfolgend skizzierte Aufgabenbereiche übertragen werden. Grundsätzlich sollten die Entscheidungen im Krisenmanagement unter der Leitung der Geschäftsführung erfolgen. Das Mitglied der Geschäftsführung muss befugt sein, Entscheidungen über Maßnahmen mit möglicherweise erheblichen wirtschaftlichen Folgen für das Unternehmen zu treffen. Der Koordinator wird von seinen üblichen Aufgaben freigestellt und ist für die Zeit der Krise für die Koordinierung und Überwachung der festgelegten Maßnahmen verantwortlich, z. B. Führung des Krisentagebuches, Weitergabe von Instruktionen, Überwachung der Einhaltung von gesetzten Terminen. Für die Koordinierung und Durchführung erforderlicher Sofort- und Folgemaßnahmen sollten u. a. die Mitglieder des Krisenstabs feste Aufgabenstrukturen haben, wie sie nachfolgend beispielhaft aufgeführt sind: Leiter des Krisenstabs: Kategorisierung des Krisenfalls anhand vorliegender Informationen Entscheidung zum Rückruf betroffener Artikel 2 Beanstandungen 12 02 12

Entscheidung über Information der Öffentlichkeit sowie von Behörden, Kunden etc. über krisenrelevante Aspekte Bewertung der Notwendigkeit und Effektivität eines möglichen Produktrückrufes Qualitätssicherung: Beschaffung, Annahme und Auswertung von Informationen (Reklamation, Schadensmeldung) Beurteilung des Sachverhalts und ggf. Information des Krisenstableiters bzw. der Geschäftsführung Unterstützung bei Ursachenanalyse und Identifizierung betroffener Artikel Einbindung externer Supportkräfte wie Labore, Gutachter und Krisenberater Begleitung der Umsetzung von Korrekturmaßnahmen Verkauf, Vertrieb und Marketing: Information der Kunden, ggf. Sperrung der betroffenen Produktcharge Steuerung der Rückrufaktion, ggf. Vernichtung der Ware Bemessung des entstandenen Schadens bezüglich Marktposition und Image Einleitung von Marketingmaßnahmen zur Stärkung der Marktposition bzw. des Images Einkauf: Information der Lieferanten über Reklamation bzw. Produktschaden Identifizierung alternativer Rohstofflieferanten Produktion: Informationen über Ursachen im Produktionsprozess und ggf. Produktionsstopp Überprüfung möglicher Kreuzkontaminationen/Produktmängel bei anderen Waren/Produktionslinien Durchführung von Korrekturmaßnahmen zur Verhinderung weiterer Ausfälle Überarbeitung von Produktionsplänen zur Weiterführung der Produktion Beanstandungen 12 02 12 3

Logistik: Identifizierung betroffener Artikel im Distributionsprozess Lieferung von Lagerberichten über unter Quarantäne gestellte Ware Einbindung der Zulieferbetriebe und Kunden in die Rückverfolgbarkeit betroffener Artikel Organisation der Sperrung der Ware und ggf. der Marktentnahme und Vernichtung Aufgrund der Komplexität möglicher Krisenfälle und des oftmals bestehenden Zeitdrucks im betroffenen Unternehmen ist das Hinzuziehen weiterer Experten angeraten. Zum Erweiterten Krisenstab können z. B. Werks-, Einkaufs- oder Vertriebsleiter zählen. Eine Adressliste der Mitglieder und ihrer Stellvertreter mit aktuellen Kontaktdaten zur Erreichbarkeit im Unternehmen und außerhalb der Geschäftszeiten ist anzufertigen und turnusgemäß zu aktualisieren. Dies ist umso wichtiger, da die langjährige Praxiserfahrung gezeigt hat: Krisen beginnen oftmals am Donnerstag- oder Freitagnachmittag bzw. am Wochenende! Während der Krisenstab das strategische Organ im Krisenmanagement darstellt, kann es insbesondere bei großen und komplexen Unternehmen sinnvoll sein, ein Rückrufteam als operatives Gremium einzuberufen. So hat der Krisenstab in dem wichtige Entscheidungsträger des Unternehmens eingebunden sind Freiraum für weitere strategische Planungen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es sich nicht um eine klassische Produktkontamination handelt, sondern um eine produktbezogene Imagekrise. Wie im Krisenstab, so müssen auch im Rückrufteam bestimmte Funktionen definiert sein, um ein strukturiertes und organisiertes Arbeiten zu ermöglichen. In Ergänzung zum Aufgabenfeld des Krisenstabs sind z. B. Verkauf, Vertrieb und Logistik im Rückrufteam einzubeziehen. b) Krisenstab (extern) Der Externe Krisenstab wird durch externe Berater und Supportpartner gebildet. Die Kontakt- und Adressliste mit Ansprechpartnern und Stellvertretern sollte ebenfalls stets vollständig und aktuell geführt werden und zwar bereits in Friedenszeiten, d. h. präventiv zur Ergänzung des internen Krisenmanagementsystems. Hinzugezogene externe Unterstützer können ihren Wirkungsgrad umso effektiver nutzen, je 4 Beanstandungen 12 02 12

besser sie das zu beratende Unternehmen, die zuständigen Mitarbeiter und vorhandenen Krisenmanagementsysteme kennen. In vielen Fällen können professionelle Krisenberater die Arbeit der verantwortlichen Mitarbeiter im Krisenmanagement zielgerichtet unterstützen und ergänzen. Gerade in Ausnahmesituationen muss zumindest der Leiter des Krisenstabs nicht nur einen kühlen Kopf bewahren, sondern verantwortungsvoll und zeitnah die relevanten Entscheidungen treffen und erforderliche Maßnahmen einleiten. Ein externer Krisenberater dient zumindest zu diesem Zeitpunkt als Ansprechpartner und Kontrollinstanz. Im weiteren Verlauf des Krisenmanagements übernimmt der im Krisenstab beisitzende Krisenexperte eine beratende Funktion zur zielgerichteten Vorgehensweise im Krisenmanagement. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Prüfung und Einholung weiterer externer Expertise wie: Fachanwalt als Rechtsbeistand Makler oder Broker für Versicherungsfragen Agentur für die Öffentlichkeits- und Pressearbeit Berater für Wirtschaftskriminalität Arzt als medizinischer Sachverständiger Labore zur Analytik und Begutachtung etc. Im Krisenfall kann die Rolle des Krisenberaters vom externen Ratgeber des Krisenstabs bis hin zum Koordinator des Krisenmanagements wechseln. Aber die Funktion eines vollwertigen Mitglieds im Krisenstab oder gar die Aufgabe des Entscheiders im Krisenstab darf der Berater zu keiner Zeit übernehmen. Auch hier empfiehlt es sich, bereits in Friedenszeiten zu überprüfen, welche Beratungsleistungen externe Supportpartner leisten sollten/können, wo derartiges Know-how verfügbar ist und ob das Beratungsunternehmen und die Berater zum eigenen Unternehmen passen. In einer Krise muss die Chemie stimmen, damit reibungslos gearbeitet, aber auch kontrovers diskutiert werden kann. Ebenso sollte der hinzugezogene Berater, aber auch die Chance haben, das Unternehmen ebenfalls in Friedenszeiten kennenzulernen, um Hinweise zur Ergänzung des Krisenmanagementsystems auszusprechen und sich mit den handelnden Personen vertraut zu machen. c) Organisation im Krisenstab Die primäre Aufgabe des Krisenstabs besteht in der endgültigen Bewertung der Krisenlage bzw. des Gefahrenpotenzials, um Maßnahmen zur effektiven Krisenbewältigung einleiten zu können. Um unternehmensrelevante Entscheidungen treffen und Beanstandungen 12 02 12 5

dokumentieren zu können, werden dem Krisenstab von den befugten und beauftragten Mitarbeitern Informationen und Entscheidungsgrundlagen präsentiert. Dabei ist zu betonen, dass eine eingehende Bewertung der Sachlage und damit sofortige Einleitung von Maßnahmen nur möglich ist, wenn alle relevanten Informationen vorliegen. Die Protokollierung der Zeitabläufe und Entscheidungen inklusive der beteiligten internen bzw. externen Mitarbeiter und Funktionsträger sollte dabei gewissenhaft vom Koordinator übernommen werden, um alle internen und externen Informationsansprüche während und nach der Krise sicherstellen zu können. d) Krisenstabsraum Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf ist ein Raum, der sich für ein strukturiertes, konzentriertes und organisiertes Arbeiten eignet. Dem Krisenstab sollte dieser Raum bekannt sein, der mit der für ein effizientes Krisenmanagement erforderlichen Technik ausgestattet ist. Folgende Ausstattung soll das Arbeiten und die Informationsaufnahme sowie die Informationsweitergabe sicherstellen: Telefone mit mehreren Telefonleitungen (intern/extern) Faxgerät PC bzw. Laptop mit Internetzugang Fernsehgerät und Radio Drucker/Kopierer Flipchart Eine garantiert freie Leitung, wie beispielsweise eine eigene Telefonnummer oder Durchwahl, kann bei großem Kommunikationsaufwand sinnvoll sein. Außerdem ist darauf zu achten, dass der Raum für Dritte uneinsehbar sowie unzugänglich ist, was v. a. bei großem öffentlichen Interesse von Bedeutung ist. Kurze Wege, schnelle Erreichbarkeit und Nähe zu zentralen Einrichtungen sind weitere Kriterien, die beachtet werden sollten. 6 Beanstandungen 12 02 12

8.3.2 Krisenmanagement-Instrumente a) Krisenkategorisierung und -bewertung Unternehmen der Lebensmittelindustrie und des -handels erreichen täglich eine Fülle an Informationen, Anfragen oder Reklamationen seitens verschiedener Anspruchsgruppen. Im Vorfeld der Bewertung der eingehenden Meldung sollte eine Sachverhaltsanalyse stattfinden. Diese dient der Klärung, ob eine Situation mit Krisenpotenzial besteht. Die Sachverhaltsanalyse wird nicht vom Krisenstab, sondern bereits vorher, vorrangig vom Qualitätsmanagement, durchgeführt und entscheidet meist über dessen Einberufung. Die Vorgehensweise bezüglich der Sachverhaltsanalyse wird ausführlich im Kapitel Wie bearbeite ich Reklamationen richtig? erläutert. Besteht ein gewisses Krisenpotenzial, nimmt der Krisenstab seine Arbeit auf, um einen möglichen Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Mithilfe einer Krisenkategorisierung können die in diesem Gremium zu fällenden Entscheidungen erleichtert werden. Grundlage für den Aufbau einer Krisenkategorisierung ist die Entwicklung von verschiedenen Krisenszenarien, wie z. B. eine Produktkontamination oder einem Angriff einer NGO gegen ein bestimmtes Produkt. Dieses Szenario sollte hinsichtlich der möglichen Konsequenzen durchdacht werden. Daraus sollten verschiedene Eskalationsstufen definiert werden, zu denen Maßnahmen vordefiniert werden. Handelt es sich um einen Fall, bei dem potenziell eine gesundheitliche Gefahr besteht, muss die Kategorisierung anhand der gesundheitlichen Auswirkung erfolgen, wie in Tabelle 8.3-1 exemplarisch dargestellt. In diesem Fall spielen bei der Festlegung der Kategorien nicht nur unternehmerische, sondern insbesondere rechtliche Aspekte eine Rolle, welche die Einleitung von Maßnahmen bedingt. Beanstandungen 12 02 12 7

Tab. 8.3-1 Kategorie Beispielhafte Krisenkategorisierung Grad der Gesundheitsgefährdung Einzuleitende Sofortmaßnahmen Kategorie I Ernste Lebensgefahr, schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung oder Todesfolge bei Verbrauchern Umgehende Behörden- Information Marktentnahme, Kunden- Info Produktionsstopp, Ursachenanalyse Angeordneter Rückruf, etc. Kategorie II Kategorie III Zeitweilige, medizinisch reversible, negative, gesundheitliche Beeinträchtigung bzw. nicht verkehrsfähig Unwahrscheinliche gesundheitliche Beeinträchtigung, gesetzliche Bestimmungen werden nicht eingehalten, Abweichung interner Anforderungen Information, Rücksprache Behörde Sperrung der Charge, Kunden-Info Produktionsstopp, Ursachenanalyse Möglicher Rückruf, etc. Ursachenanalyse, Fehlersuche Identifikation der Charge Rücksprache mit Behörden Möglicher Rückruf, etc. Die Kategorisierung ist dabei nicht als starres Konstrukt anzusehen, sondern soll als Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung dienen. Die Analyse der Krisenlage muss unter Umständen bei jeder Sitzung des Krisenstabs beziehungsweise bei Verfügbarkeit neuer Informationen durchgeführt werden. Somit muss im laufenden Krisenmanagement immer wieder neu entschieden werden. Bei der Erstellung der Krisenkategorisierung sollten sämtliche produktbezogenen öffentlichen und rechtlichen 8 Beanstandungen 12 02 12

Aspekte und deren Auswirkung auf das Unternehmen oder seinen Markenwert berücksichtigt werden. Es erweist sich ebenfalls als zielführend, anhand einer solchen Bewertung zu definieren, wann welche Mitglieder des Krisenstabs hinzugezogen werden sollten und welche externen Mitarbeiter daran beteiligt sind. Fällt nach der Analyse der Gefährdungslage die Entscheidung für eine Krisenkategorie, stehen die wichtigsten einzuleitenden Maßnahmen schon fest und müssen nicht erst entwickelt beziehungsweise diskutiert werden. Eine Checkliste unterstützt die zuständige Person bei der Strukturierung der Kategorisierung beziehungsweise der Sachverhaltsanalyse. b) Ablaufplan Im Krisenfall ist ein effizientes Management erforderlich, um den Verbraucher zu schützen sowie wirtschaftlichen Schaden und Imageverlust vom Unternehmen abzuwenden. Dies bedeutet für den Krisenstab eine schnelle zielgerichtete und zweckmäßige Vorgehensweise, die einem definierten Aktivitätenplan folgt. Besonders hilfreich zur Strukturierung der Arbeitsschritte im Krisenmanagement sind Ablaufpläne, denn sie geben allen verantwortlichen Mitarbeitern einen schnellen und umfassenden Überblick. Der Ablauf einer Krise sollte an die unternehmensinterne Krisendefinition und die Prozessabläufe angepasst werden. Zu empfehlen ist, die jeweiligen Ablaufschritte klar zu definieren: vom Eingang und Bearbeitung einer Reklamation, Beanstandung/Schadensmeldung, die Ursachenanalyse, Befundsfeststellung, Überprüfung des Versicherungsschutzes, Information von Kunden, Behörden, Verbrauchern etc., Entscheidung über Rücknahme, behördlichen oder Unternehmens-Rückruf, Berücksichtigung geltender Gesetze und Verordnungen, Durchführung der Marktentnahme, Warensicherung und/oder Warenvernichtung/-weiterverwendung, Beendigung der Rücknahme/des Rückrufs bis hin zur betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Bewertung des Rückrufs und Erstellung eines Evaluierungsberichtes. Beanstandungen 12 02 12 9

Zu den einzelnen Ablaufschritten sind verantwortliche, mitwirkende und zu informierende Mitarbeiter, ggf. externe Ansprechpartner sowie mitgeltende Dokumente zu benennen. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, im Rahmen von Workshops mit verantwortlichen Mitarbeitern die sach- und chronologische Abfolge durchzuführender Maßnahmen, der mitgeltenden Dokumentation sowie der Verantwortlichkeiten gemäß einer VMI-Matrix (Verantwortlich, Mitarbeit, Information) zu erfassen. Die empfehlenswerte Struktur der Ablaufpläne ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt: Abb. 8.3-1 Aufbau der VMI-Matrix Daraus sollte sich ein Ablaufplan ergeben, der grob die Schritte vom krisenrelevanten Reklamationsmanagement über die Krisenkoordination bis hin zum Rückrufmanagement darstellt. Im Folgenden ist ein Ausschnitt eines Ablaufplans beispielhaft aufgezeigt. 10 Beanstandungen 12 02 12

Abb. 8.3-2 c) Checkliste Ausschnitt eines beispielhaften Ablaufplans Aus dem Ablaufplan heraus sollte ergänzend eine Checkliste entwickelt werden, anhand derer der Krisenfall von der Informationserfassung bis zur Auswertung der durchgeführten Maßnahmen ansatzweise beschrieben, festgehalten und dokumentiert werden kann. Es ist notwendig, dass jedes Krisenstabsmitglied sich entsprechend seiner Aufgaben eine eigene Checkliste sowie Templates bezüglich Behörden- und Pressemitteilungen, etc. erstellt. Der Krisenkoordinator führt eine umfangreiche Checkliste über den gesamten Verlauf. Mithilfe der Checkliste sollte z. B. dokumentiert werden können, welche Entscheidungsträger wann über eine Reklamation und entsprechende Empfehlungen für die weitere Vorgehensweise in Kenntnis gesetzt wurden oder wann mit Kunden und Zulieferern welche Absprachen getroffene wurden. Die Checkliste dient der Organisation der Abläufe, der Dokumentation der getroffenen Entscheidungen, der Kontrolle der Einhaltung von gesetzten Fristen und der Beanstandungen 12 02 12 11

nachträglichen Auswertung der Krise. Folgende Inhalte sollten die unterstützenden Checklisten abdecken: 1. Protokollierung der Zeitabläufe und Entscheidungen inkl. der beteiligten internen bzw. externen Mitarbeiter und Funktionsträger 2. Umfassende Informationseinholung gemäß Gesundheitsrisiko, Ursache, Umfang etc. 3. Entscheidung über die Krise 4. Einbindung weiterer interner Mitarbeiter 5. Einbindung externer Krisenstabmitglieder (Berater, Behörden, Versicherungsmakler und Versicherung etc.) 6. Einschaltung von Gutachtern bzw. Laboratorien 7. Einbeziehung des Versicherungsmaklers bzw. der Versicherung 8. Auslösung einer Marktentnahme 9. Kommunikationsstrategie Zielgruppen, Informationsinhalte: Behörden und Versicherungen Interne Mitarbeiter Kunden Medien 10. Formulierung einer offiziellen Verlautbarung (Behörden-/Pressemitteilung) 11. Untersuchung der finanziellen Auswirkungen 12. Maßnahmen zur Rehabilitierung des Unternehmens 13. Berichterstattung, wirtschaftliche und organisatorische Auswertung der Abläufe 8.3.3 Dokumentation, Reporting und Auswertung Die Dokumentation sämtlicher Entscheidungen, deren Grundlage, die eingeleiteten Maßnahmen und Effizienz dieser Maßnahmen sollte unbedingt dokumentiert werden. Über die Nutzung der Checkliste und Sammlung aller Begleitdokumente ist es möglich, allen an das Unternehmen gestellten internen und externen Informationsansprüchen gerecht zu werden. Beispielsweise kann die Dokumentation bei den Abstim- 12 Beanstandungen 12 02 12

mungen mit Behörden, Kunden, der Versicherung oder auch der Staatsanwaltschaft helfen. Im Krisenfall hat es sich insbesondere bei der Verhandlung mit den zuständigen Vorortbehörden oftmals als sachdienlich erwiesen, möglichst frühzeitig valide Unterlagen, die die Kompetenz, das sachlich und fachlich fundierte Vorgehen des Krisenmanagements und die gezielte Einbindung Dritter dokumentieren, vorzulegen, um die Entscheidungsfindung hinsichtlich möglicher behördlich angeordneter bzw. unternehmerischer Handlungsanweisen konstruktiv abzustimmen. Sowohl für die Dokumentation, aber vor allem zur Unterstützung einer schnellen Arbeitsweise bzw. Reaktionsfähigkeit hat es sich bewährt, gewisse Standarddokumente im Krisenmanagementhandbuch vorzuhalten. Insbesondere sind Vordrucke für die Unternehmenskommunikation sinnvoll, wie z. B. Mitteilung an Kunden, Mitarbeiter oder die Presse. Ferner sollte auch im Krisenmanagement eine kontinuierliche Verbesserung angestrebt werden. Der Verlauf des Krisenmanagements, der getroffenen Entscheidungen und deren Ergebnisse liefern in der Rückbetrachtung wertvolle Hinweise für die Optimierung des Systems. Darüber hinaus gibt es unter Umständen auch externe Informationsansprüche, die man durch Erstellung eines Krisenabschlussberichts zufriedenstellen kann. Im Rahmen eines Management-Reviews sollten die Ergebnisse der Analyse und Evaluierung mit Korrekturmaßnahmen und Verbesserungen dokumentiert werden. Die Inhalte des Berichtes lassen sich wie folgt gliedern: Analyse der Ursachen, des Umfangs (Warenwert, Rückrufebenen, Kunden), prozentualer Anteil gesicherter Ware und der verursachten Kosten Überprüfung der Vertriebs- und Rückholdiagramme anhand derer die Unternehmensstrukturen und jeweils verantwortlichen Positionen beschrieben sind Überprüfung, inwieweit eine angepasste Kennzeichnung und Chargenrückverfolgung über sämtliche Rohwarenerfassungs- und Produktionsstufen möglich gewesen ist, inwieweit Defizite aufgetreten sind und welche Veränderungsprozesse notwendig erscheinen Kritische Überprüfung der Ablaufprozesse im Krisenstab und innerhalb des Unternehmens, bei Kunden und bei ggf. vor- und nachgelagerten Strukturen Analyse der Kooperation mit den zuständigen Behörden sowie der verfügbaren Informationen und Unterlagen der allgemein gültigen Verordnungen und Gesetze für die unterschiedlichen Produktgruppen Beanstandungen 12 02 12 13

Prüfung möglicher Trainingsinhalte und -maßnahmen zur Qualifizierung von Mitarbeitern im Bereich Krisen-/Rückrufbewältigung, -kommunikation und - nachbereitung Handelt es sich um einen Evaluierungsbericht, der auch externen Stellen zur Verfügung gestellt wird, sollte er von der Geschäftsführung genehmigt werden. Regelmäßige Übungen des Krisenmanagements sind in mehrfacher Hinsicht zu empfehlen. Sie können die praktische Umsetzbarkeit der theoretischen Abläufe überprüfen. Meist wird erst in einer Übung deutlich, welche Instrumente oder Dokumente noch fehlen und welche Abläufe in der Realität nicht praktikabel sind. Werden jeweils andere Fälle getestet, die sich auch an aktuellen Schwierigkeiten und öffentlich diskutierten Sachverhalten orientieren, tragen Übungen zur ständigen Verbesserung des Systems bei. Die ins Krisenmanagement eingebundenen Mitarbeiter werden im Krisenmanagement praktisch geschult, was für reale Krisen ein gewisses Maß an Sicherheit bewirken kann. Besonders für neue Mitarbeiter ist dies von enormer Bedeutung. Oftmals arbeiten im Krisenmanagement Funktionen gemeinsam, die im Alltag keine Berührungspunkte haben. So trägt eine Übung auch dazu bei, dass sich die Mitarbeiter kennenlernen und erfahren, wie sie in einer gewissen Stresssituation reagieren. Es hat sich bewährt, mindestens zweimal pro Jahr eine Rückverfolgbarkeitsübung durchzuführen. Einmal pro Jahr sollte das Krisenmanagement getestet werden. Nicht nur die Sachverhalte sollten dabei variieren, sondern auch die agierenden Personen ausgewechselt werden, indem zusätzlich Stellvertreter oder externe Stellen wie z. B. Lieferanten oder Kunden einbezogen werden. Auch das vorhandene IT-System muss überprüft werden. Insbesondere bei der Verwendung von Extra- und Intranet ist stets auf die Geheimhaltung wichtiger Firmen- und Kundendaten zu achten. Dies gilt auch bei der Nutzung von mobilen Empfangsgeräten. Im Krisenfall ist darauf zu achten, dass die Mitglieder von Krisenstab und Rückrufteam Zugang zu den benötigten Informationen erhalten. Zur Evaluierung der durchgeführten Maßnahmen sollte ein Bericht erstellt werden, in dem die Abläufe, beteiligten Personen, gemachten Erfahrungen sowie die zeitlichen und finanziellen Restriktionen beschrieben und bewertet werden. Dazu ist es sinnvoll, alle beteiligten Personen in eine Befragung einzubeziehen. 14 Beanstandungen 12 02 12