Gedanken zu Johannes 11,1.3.17-27 Kantate-Gottesdienst in der Immanuelskirche in Wuppertal am 9. Oktober 2011 Text: Es lag einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank. Als Jesus (dann endlich) kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt. Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders. Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen. Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta antwortet: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist. Ich sagte zu Beginn, dass es in diesem Gottesdienst darum gehen soll, wem man eigentlich noch glauben kann. Und: Was man überhaupt noch glauben soll. Und natürlich hat Glaube und Vertrauen immer mit Politik zu tun und mit der Wirtschaft. Das ist keine neue Erkenntnis aus der Wirtschafts-, Banken- und Politikkrise der letzten Monate. Man sagt, es sei eine tiefe Vertrauenskrise. Die Erkenntnis eines Zusammenhanges von dem, was man glaubt, wem man glaubt, und was dann passiert, ist uralt. Am einfachsten ist immer, wenn man glaubt, was man glauben soll. Und wenn ich mich dann entsprechend verhalte. Das ist in der Politik so, in der Wirtschaft und in der Kirche nicht anders. Wem ich glaube, und was ich glaube, sagt immer etwas darüber aus, wer ich bin. Marta zum Beispiel: Marta bekennt am Ende des Textes: Ja, Herr, ich glaube, dass du der von Gott geschickte Messias bist. Das für unsere heutigen, christlich sozialisierten Ohren so selbstverständlich klingende Bekenntnis zu Jesus hat es in sich: Marta, Maria und Lazarus werden als Freunde Jesu vorgestellt. Die beiden Schwestern hatten Jesus besorgt darüber informieren lassen, dass ihr Bruder Lazarus offenbar plötzlich schwer erkrankt war. 1
Jesus selbst hatte kurz zuvor eine erhebliche Auseinandersetzung im Tempel gehabt, woraufhin man ihn steinigen wollte. Er musste fliehen und zog sich mit seinen Freunden auf die andere Seite des Jordans nach Galiläa zurück. Galiläa eine gottverlassene Gegend! Die Provinz war bekannt dafür, dass dort Menschen lebten, die es mit dem Gesetz nicht so genau nahmen. Es gab fromme Juden, die machten große Umwege, um nicht durch diese Gegend laufen zu müssen. Die Römer wiederum beobachteten diese Region besonders aufmerksam, da dort immer wieder Unruhen ausbrachen. Galiläa galt als Rückzugsgebiet der damaligen Terroristen, der sog. Zeloten. In Galiläa hatte Jesus angefangen, seinen Glauben öffentlich zu vertreten. Hierhin zog er sich zurück, was ihn per se für Juden wie Römer verdächtig erscheinen ließ. Als Jesus die Nachricht erreichte, dass Lazarus schwer erkrankt sei, schienen seine Begleiter nicht sonderlich begeistert von der Idee zu sein, wieder nach Betanien zurück zu kehren: Eben noch wollten die Juden dich steinigen, und du willst wieder dorthin ziehen? Jesus aber wollte seinen Freunden nahe sein und ging. Als er nach Betanien kam, war Lazarus bereits vier Tage tot. Man hatte ihn nach der damaligen Sitte in Grabtücher gewickelt, in ein Steingrab gelegt und das Grab mit einem Stein verschlossen. Der kurze Dialog Jesu mit der Schwester des Verstorbenen ist vorstellbar in der Nähe des Friedhofs. Offenbar wollte Jesus nach dem Vorfall im Tempel nicht das Schicksal heraufbeschwören und in das Trauerhaus gehen, wo man ihn sofort erkannt hätte. Bei aller Trauer angesichts des Todes ihres Bruders ist das Vertrauen Martas in das besondere Verhältnis Jesu zu Gott grenzenlos. Hätte Jesus nicht fliehen müssen, wäre Lazarus nicht gestorben. Und selbst jetzt, wo der Tod eingetreten ist, traut sie Jesus etwas zu, was die Trauer oder die schlimme Situation verändern hilft: Was du von Gott bittest, das wird dir Gott geben. Dabei hat sie selbst offenbar gar keine Vorstellung davon, was passieren möge oder könnte. Sie überlässt es Jesus. Auferstehung verbindet sie mit dem Ende aller Zeiten. Nicht mit ihrem Bruder oder gar der gegenwärtigen Situation. Daraufhin sagt Jesus den Satz, der zu den Kernsätzen der johannäischen Theologie gehört: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Im weiteren Verlauf des Kapitels kommt auch noch Maria, die Schwester, zu Jesus. Sie hatte die ganze Zeit mit den kondolierenden Gästen zu Hause gesessen. Marta flüsterte ihr heimlich ins Ohr, dass Jesus gekommen sei und in der Nähe des Friedhofs auf sie warte. Daraufhin verlässt sie sofort das Haus, um Jesus aufzusuchen. Auch sie glaubt, dass der Bruder nicht gestorben wäre, wenn Jesus dort gewesen wäre. Die mittrauernden Gäste folgen ihr in der Annahme, Maria wolle zum Grab des Bruders und werden so Zeugen eines außerordentlichen Ereignisses: 2
Der Evangelist und großartige Erzähler Johannes beschreibt zunächst zwei heftige Gefühlsregungen Jesu: Aufgrund des schlimmen Weinens und der Traurigkeit Marias seien ihm die Augen übergegangen. Jesus selbst habe heftig geweint. So lieb habe er den Freund gehabt, schlossen daraufhin die Umstehenden. Und dann, so der Erzähler, sei er zornig geworden. Der Tod Lazarus machte Jesus offenbar wütend. Man solle den Stein weg heben, der das Grab verschlösse, fordert er. Marta belehrt ihn, immer noch nicht ahnend, was passieren könnte: Er stinkt schon, denn er liegt dort seit vier Tagen. Dann ruft Jesus laut: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kommt heraus. Die Zeugen, die jüdischen Gäste des Trauerhauses, gingen zurück nach Jerusalem und zeigten den Vorfall bei den Behörden an. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das Zeichen Jesu ist außerordentlich. Es ist außerordentlich gefährlich für den Bestand der religiösen Ordnung und ein Angriff auf die Verfassung und den Wertekodex der damaligen Gesellschaft. In einer eilig einberufenen Krisensitzung kommt der Hohe Rat zu dem Entschluss, dass Jesus sterben müsse. Jetzt sei Schluss! Besser es stirbt einer für das Volk, so der Hohepriester, als dass das ganze Volk verderbe. Generalprävention sagen die Juristen heute dazu. Die Jünger ahnten bereits im sicheren Galiläa, dass der Weg zum Freund in den eigenen Tod führen könnte. Dramaturgisch leitet so der Evangelist Johannes mit der Auferweckung des Lazarus das Ende des Wirkens Jesu ein. Demjenigen, der von sich behauptet, dass er die Auferstehung und das Leben sei, und der selbiges offenbar sogar vermitteln helfen kann, wird sein Ende schnell vor Augen geführt. Wer die Toten nicht tot sein lässt, hat das Recht auf Leben verwirkt. Tod ist Tod. Life is Life. Ich bin, wie ich bin. Et küt, wie et küt. Oben ist oben, unten ist unten. Hoffnungsloser Fall bleibt hoffnungsloser Fall. Es muss alles seine Ordnung haben. Und die Mächtigen definieren und kontrollieren, wer wohin gehört. Und was geglaubt wird, und wem geglaubt werden muss! Alles, was sich der Kontrolle entzieht, macht sich verdächtig. Das war damals so, und das ist heute noch genauso. Wo kämen wir denn sonst hin?! Dostojewski hat mal geschrieben: Sterben heißt, sich der Mehrheit anschließen. Es ist immer leichter, sich der Mehrheit anzuschließen - zu glauben, was man glauben soll - als einem Leben zu widersprechen, das dem Tod dienlich ist. Es ist immer leichter zu glauben, was vor Augen ist, als sich auf etwas einzulassen, das es noch nicht zu geben scheint. 3
Es ist immer leichter, zu glauben, dass mit dem Tod alles zu Ende ist, als zu glauben, dass allein Gott definiert, wo Tod ist und was Leben ist! Das zu glauben, ist sogar gefährlich. In seinem anderen Osterlied schreibt der Schweizer Theologe Kurt Marti: Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tod Gerechtigkeit käme, erst dann die Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte vergessen wäre für immer! Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe, wenn hier die Herrschaft der Herren, wenn hier die Knechtschaft der Knechte so weiterginge wie immer. Wem ich glaube, und was ich glaube, sagt etwas darüber aus, wer ich bin. Marta glaubte nicht an die Auferstehung. Das lag außerhalb ihres Vorstellungsvermögens. Sie glaubte aber daran, dass Jesus das letzte Wort hat. Mit diesem Glauben, mit dieser Hingabe haben die beiden Frauen letztlich das Verständnis von Leben verändert gegen jede Erfahrung, gegen alle Möglichkeiten, gegen das, was real zu sein scheint. Und was und wem glauben wir? Wer bin ich? Natürlich reizt es mich, über die Banken- und Politikkrise zu philosophieren. Dass der Kapitalismus gerade die Hose runterlässt und sein wahres Gesicht zeigt. Was wir bisher geglaubt haben oder glauben sollten. Wer von wem abhängig ist, oder was gerettet werden muss. Hunderte von Milliarden Euro werden - das haben wir nun alle verfolgt - in die Aufrechterhaltung eines Systems gesteckt, das die Krise selbst verschuldet hat und perverserweise noch an der Krise verdient. Und zugleich verhungern hunderttausende von Menschen gerade in Ostafrika, deren Überleben nachhaltig mit einem Betrag gesichert werden könnte, der in den Medien und in den Chefetagen der Banken überhaupt nicht der Rede wert wäre. Diese Menschen aber werden nicht gerettet; ein Zusammenhang auch nicht hergestellt: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?! Man glaubt etwas anderes und will etwas anderes glauben machen. Dabei sagen hinter vorgehaltener Hand längst auch Systemkonservative, dass wir eine Alternative zum Kapitalismus brauchen. Dass das System eigentlich am Ende ist und sich selbst auffrisst. Was und wem glauben wir? Wer sind wir? Natürlich reizt es mich, über die Krise der Kirchen zu philosophieren. Zuerst geht es uns doch um Bestandssicherung, um den Erhalt dessen, was wir vor Augen haben, was wir gewohnt sind, und worin wir uns eingerichtet haben. Mir ist es schon lieb, in absehbarer Zeit eine Rente zu kriegen. Die Immanuelskirche finde ich toll, meine Vorfahren saßen hier bereits in den Bänken, die es nicht mehr gibt. Neuerdings habe ich auch die City Kirche toll zu finden 4
Aber was sind eigentlich die Entscheidungskriterien unseres Handelns? Ist unser System nicht auch bereits am Ende? Hat das eine vielleicht sogar mit dem anderen zu tun? Verschulden wir am Ende sogar mit dem, was wir glauben, die katastrophale Situation in Ostafrika mit? Was würde beispielsweise passieren, wenn wir uns energetisch nicht ständig mit uns selbst, sondern mit den Menschen dort beschäftigten? Wärst du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben, sagte Marta. Was könnten die Eltern der verhungernden Kinder zu uns sagen? Natürlich reizt es, über die Krisen zu philosophieren. Über die Wirtschafts- und die Kirchenkrise, über den sog. arabischen Frühling und über die Wall-street-Kritiker, die sich gerade finden. Immer geht es doch um das, was wir glauben, wem wir glauben, und wie wir uns dann entsprechend verhalten und handeln. Die Geschichte erzählt die Auferstehung des Lazarus, die zugleich den Todesbeschluss Jesu erwirkte. Auferstehung : Der Aufstand des Lebens gegen den Tod! Der Tod ist nicht mehr zu sichern. Nicht mit Felsbrocken vor den Gräbern, nicht mit Rettungsschirmen und nicht mit Wasserwerfern. Leben setzt sich durch. Auf einmal ist nichts mehr selbstverständlich: Tot ist nicht mehr tot. Life isn t life. 2 und 2 ist nicht mehr 4. Oben ist nicht mehr oben. Ich bin, wie ich sein werde. Et küt nicht mehr, wie et küt. Hoffnungsloser Fall findet Glauben. Gesetze sind für den Menschen und nicht umgekehrt. Was gerecht ist, wird nicht mehr von den Mächtigen definiert. Auf einmal gerät alles durcheinander. Und Gott gibt den Totgesagten Recht. Das ist so, wie wenn einer anfängt, Dinge zu tun, die man von ihm nie erwartet hätte. Auferstehung finden übrigens die wenigsten toll die Mächtigen, die die Gräber veranlasst haben, nicht und die eigene Familie oft auch nicht. Da gerät einer außer Kontrolle. Bricht vielleicht auf. Wir wollen doch in der Regel, dass alles so bleibt wie es ist. Eben nicht! Gott will, da es nicht so bleibt, wie es ist! Es geht ihm nicht um die Aufrechterhaltung des Normalen. Gott ist kein Politiker. Es geht nicht um das Ausreizen des Möglichen. Er ist kein Unternehmer. Es geht auch nicht um ein bisschen besseres Leben. Gott ist kein Sozialarbeiter, Psychologe oder Pfarrer. Es geht um ein komplett anderes Leben! Nichts bleibt, wie es ist. Gott selbst nicht. 5
Ich auch nicht. Und wer die Realität, wer das Mögliche verändern will, muss das Unmögliche versuchen! Das gilt für die Gestaltung unserer Welt wie für unseren Alltag. Che Guevarra drückte das mit einem meiner Lieblingssätze aus: Seien wir realistisch. Versuchen wir das Unmögliche! Amen. Pfarrer Erhard Ufermann, Wuppertal 6