Liebe Gemeinde, der Predigttext für heute enthält die ersten Worte, die uns aus dem Mund Jesu überliefert sind. Es ist eine Frage, die er stellt: Warum habt ihr mich gesucht? Das sind die frühesten Worte, die der Evangelist Lukas von Jesus aufgeschrieben hat. Sie passen so gar nicht in das Bild, das wir sonst von Jesus haben. Von ihm, der die Menschen einlädt; von ihm, der sich gerne finden lassen möchte, wenn jemand ihn denn ernstlich sucht. Warum habt ihr mich gesucht? oder wie, dass ihr mich gesucht habt? fragt Jesus. Selbst in ihrem Zusammenhang wirkt diese Frage fehl am Platz. Es ist der 12-jährige Jesus im Tempel, der sie stellt. Er fragt das, nachdem seine Eltern ihn drei Tage lang vermisst haben. Zu lesen im zweiten Kapitel des Evangeliums nach Lukas: Lk 2,41-52. 1. Eine (Nase-)Weisheit Warum habt ihr mich gesucht? lesen wir. Ich wüsste gerne, wie der junge Jesus diese Worte wohl ausgesprochen hat. Ich bin mir darin nicht sicher. Deswegen habe ich diesem ersten Predigtabschnitt auch den sonderbaren Titel eine (Nase-)Weisheit gegeben. War er tatsächlich verblüfft? Vielleicht war ihm das Problem gar nicht klar. Oder klang er altklug: Mama, Papa, ihr müsst doch wissen, wo ich zu finden bin! Weder das eine, noch das andere wirkt angemessen. Um so weniger, als dass Lukas die Geschichte mit besonderen Worten einrahmt. Im letzten Vers VOR unserem Abschnitt erklärt der Evangelist: Gott erfüllte das Kind mit Weisheit. Und am Ende, wir haben es gehört, heißt es: Seine Weisheit nahm zu. In unseren Ohren klingt die Antwort des zwölfjährigen weniger nach Weisheit, sondern mehr nach Frechheit. Leidgeprüfte Erziehungsberechtigte mögen das auch so empfinden: Dass bei den Kindern weniger die Weisheit, sondern eher die Frechheit zunimmt. Und selbst einem durchschnittlich weisen zwölfjährigem Kind muss klar sein, dass die Eltern sich Sorgen gemacht haben. Das gilt auch, wenn die Jungen damals mit dreizehn als vollwertige Glieder der Religionsgemeinschaft galten. Jesus war also schon ein vergleichsweise großes Kind. Aber selbstverständlich haben die Eltern nach ihm gesucht. Immerhin ist er heimlich in Jerusalem geblieben: Die Eltern wussten es nicht, haben wir gelesen. Und dem Jungen muss doch nach drei Tagen auch 'was komisch vorgekommen sein: Denn was hat er gegessen? Wo hat er geschlafen? Und wie hat er sich wohl den Heimweg vorgestellt? Wollte er sich etwa alleine auf den Weg machen? Das ging doch gar nicht.
Es war ohnehin gefährlich, erst recht für einen Zwölfjährigen. Wenn dieser junge Mann also ständig an Weisheit zunahm, dann müssen wir überlegen, worin diese Weisheit besteht. Ich glaube ja, dass sie sich in seiner Heimkehr äußert. Jesus kehrt mit seinen Eltern zurück nach Nazareth und gehorcht ihnen. Das war weise. Mit dieser Behauptung habe ich vermutlich alle Eltern auf meiner Seite. Aber die Jüngeren werden meine Auffassung nicht vorbehaltlos teilen. Und auch sie haben Recht, denn es ist eben nicht immer weise, den Autoritäten untertan zu sein. Manchmal ist auch das genaue Gegenteil nötig. Martin Luther erklärt in einer Auslegung zu dieser Stelle, Jesus sei hierin ein Vorbild. Wir könnten von ihm beides lernen, zuerst den Gehorsam gegen Gott treulich leisten, danach auch gegen Vater, Mutter und alle Obrigkeit. Nicht der Gehorsam gegen die Autoritäten kommt an erster Stelle, sondern der Gehorsam gegen Gott. Ganz im Sinne des: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Manchmal ist es weiser und christlicher, nicht zu gehorchen. Im Fall des zwölfjährigen Jesus war es aber weise, sich unterzuordnen. Es hätte wohl auch andere Möglichkeiten gegeben. Immerhin hat Jesus da schon eine grundlegende Entdeckung gemacht: Er nennt Gott seinen Vater. Das war ungewöhnlich. Es war zwar durchaus üblich, von Gott als dem Vater Israels zu sprechen. Oder von Israel als Gottes erstgeborenem Sohn. Aber Jesus sagt nicht: Unser Vater, er sagt: Mein Vater. Keines der großen Glaubensvorbilder in Israel hat es gewagt, Gott als persönlichen Vater anzusehen. Aber Jesus tut das hier. Als seine Mutter ihm vorhält: Dein Vater und ich haben Dich gesucht! da hält Jesus Gott als den eigentlichen Vater dagegen: Wisst ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist? Uns Christen ist es schon selbstverständlich geworden, dass wir Gott als unseren himmlischen Vater anreden. So sehr, dass wir uns oft gar nicht im klaren darüber sind, wie besonders das eigentlich ist. Wir können und wir dürfen das nur, weil Jesus uns mit hineingenommen hat in diese besondere, innige Beziehung zum Vater. 2. In dem, was meines Vaters ist Aber zurück zu den Alternativen für den zwölfjährigen Jesus. Denn als Jesus dieses eine, grundlegende klar geworden ist, dass Gott sein himmlischer Vater ist, da hätte er sich auch anders entscheiden können. Er hätte nicht gehorsam mit seinen Eltern mitgehen müssen. Er hätte ja auch schon als zwölfjähriger Junge im Tempel bleiben können.
Beispiele dafür gab es durchaus, wie den Propheten Samuel. Schon als kleines Kind war er Gott versprochen, und als er alt genug war, blieb Samuel im Tempel. Seine Eltern kamen nur hin- und wieder zu Besuch. Für Jesus, den Sohn Gottes, wäre so'was doch ganz bestimmt auch drin gewesen. Jesu Ansage ist ja eindeutig: Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Danach überrascht es regelrecht, dass er nicht im Tempel bleibt, sondern mit seinen Eltern mitgeht. Immerhin sagt Jesus: Ich MUSS in dem sein, was meines Vaters ist. So sehr ist er festgelegt. Ich MUSS. Der weise Schritt ist nun, zu erkennen, dass nicht nur der Tempel das ist, was seines Vaters ist. Genauso ist auch das Haus in Nazareth, in dem er lebt, seines Vaters. Und auch der Weg dahin. Und überhaupt alles. Nicht nur der Tempel, das Haus Gottes, ist seines Vaters, sondern alles, die ganze Welt und was darauf ist. Darin richtet Gott seine Herrschaft auf. Überall in dieser Welt sind wir von dem verborgenen Reich unseres himmlischen Vaters umgeben. Weil das so ist, gibt es für uns Christen nicht nur EINE Möglichkeit, unseren Glauben zu leben, sondern viele. Um Glauben leben zu können, müssen wir unsere christliche Berufung nicht zum Beruf machen. Wir müssen nicht alle Berufschristen sein. Gott, dem Vater, gehört nicht nur der Tempel. Ihm gehört auch der Zimmermannsbetrieb in Nazareth. Wenn Jesus dort seinen Pflichten nachkommt, ist das guter Gottesdienst. Und so gibt es auch viele Berufe, in denen wir Gott dienen können denn wir sind auch dort in dem, was Gott gehört. Wenn einer Christ wird, fängt ein neues Leben an. Vieles müssen wir überprüfen, ob es zu unserem neuen Dasein in Christus passt. Aber in den meisten Fällen werden wir an unserem Ort in der Welt bleiben können. Dort können wir sinnvollen Gottesdienst verrichten. Nicht nur im Tempel, nicht nur in der Kirche, nicht nur im Weigle-Haus. Sondern auch zu Hause, am Mittagstisch, im Büro, in der Werkstatt, auf der Baustelle oder wo Gott uns nun hingestellt hat. Wir können Gott dienen, wo wir sind, denn dort sind wir in dem, was unseres Vaters ist. Und falls es dort gar nicht so aussieht, als gehöre es zu Gott, dann haben wir den Auftrag, das zu ändern. Deswegen ist es weise von Jesus, mit seinen Eltern nach Nazareth zurückzukehren, sich ihnen unterzuordnen. Denn Jesus weiß, dass er damit seinem Vater genauso nahe ist wie im Tempel in Jerusalem. Martin Luther hat etwas zu dieser Stelle geschrieben, was mir gut gefallen hat und was ich
Ihnen nicht vorenthalten will: Er (Jesus) wird also auch alles im Hause getan haben, was man ihn geheißen hat, Späne auflesen, Wasser, Brot, Fleisch geholt, Stube gekehrt und sich nichts verdrießen lassen haben, ob es gleich geringe, kleine und unansehnliche Werke waren. Durch den Gehorsam gegen die Eltern, durch die dienende Liebe, durch die Treue gegen Gottes Wort, durch den Fleiß, mit dem man Gottes Ehre sucht, werden alle diese kleinen Dinge zu großen Übungen des Gehorsams. Es will uns der Gedanke wunderlich vorkommen, dass Jesus, der nunmehr zu dem größten, wahrsten und unzweifelhaftesten Bewusstsein und Amt gelangt war (welches je ein Mensch gehabt hat), dieses Amt im sofortigen Gehorsam gegenüber den kleinsten Dingen sieht. Er, der doch berufen ist, einen Bau auszuführen, dessen Breite und Länge und Höhe und Tiefe niemand ausmisst, trägt geduldig und gelassen seinem Pflegevater die Zimmereraxt nach und hilft armer Leute Hütten bauen. 3. Wo Jesus zu finden ist Zum Schluss noch ein weiterer Gedanke: Jesus sagt, er MUSS in dem sein, was seines Vaters ist. So sehr legt er sich fest. Das gilt auch heute noch, wenn wir nach Jesus suchen. Es gibt ja viele, die sich als Suchende bezeichnen. Menschen, die Gott suchen. Menschen, die Jesus suchen. Manche von ihnen fühlen sich in den traditionell geprägten Angeboten der Kirche nicht wohl. Sie suchen nach spiritueller Erfüllung, fahren zu christlichen Konferenzen, zu Einkehrtagen, besuchen Seminare oder Klöster. Vielleicht erleben sie das eine oder andere. Aber sie mögen sich nicht festlegen. Lieber bleiben sie Suchende. Es stimmt wohl auch, dass es im Glauben immer offene Fragen geben wird. Es ist nicht alles klar und offenbar, auch nicht für Christen. Obendrein können die, die von sich sagen, sie seien Suchende, mit besonderer Aufmerksamkeit in der Gemeinde rechnen. Wir wollen doch alle, dass sie Jesus finden. Wie wäre es, wenn Jesus ihnen die gleiche Antwort geben würde wie als Zwölfjähriger seinen Eltern: Warum sucht ihr mich? Wisst ihr nicht, wo ich zu finden bin? Immerhin hat Jesus uns versprochen: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Auch Lukas hat uns diese Worte überliefert. Das bedeutet, nicht der spirituell Suchende ist der Normalfall bei Jesus Christus, sondern der Findende. Er hat uns gesagt, wo er zu finden ist. Er hat sich festgelegt: Wisst ihr nicht, dass ich sein MUSS in dem, was meines Vaters ist? Ich denke an eine andere Situation, wieder nach drei Tagen. Wieder ist es Maria, die ihren Sohn sucht. Am dritten Tag nach Jesu Sterben am Kreuz sucht die Mutter ihn im Grab.
Und sie hört die Botschaft: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Uns ist gesagt, wo wir ihn finden können. Bei den Lebenden. Oder, noch konkreter, Jesus sagt: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Jesus hat sich festgelegt. Überall, wo Christen in seinem Namen zusammenkommen, ist er anwesend. Und wenn die christliche Zusammenkunft noch so dröge ist, und wenn dabei auf den ersten Blick noch so wenig passiert: Jesus ist da. Er kann gar nicht anders. Warum sucht ihr mich? Uns ist gesagt, wo er sein MUSS. Also findet ihn! Amen.