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6. Sonntag der Osterzeit (B): Joh 15,9-17 Einleitung An den drei letzten Sonntagen vor Pfingsten sind die Evangelien in allen drei Lesejahren den Abschiedsreden Jesu nach Johannes entnommen. Die Kirche richtet ihren Blick nun zunehmend auf den Abschied Jesu, seine letzten Mahnungen und Verheißungen und sein Vermächtnis, den Geist, dessen Kommen an Pfingsten gefeiert wird. Die Abschiedsreden Jesu nach Johannes sind geeignet, die christlichen Gemeinden auch in die Zeit nach dem endgültigen Abschied Jesu in seiner Himmelfahrt einzuführen. Johannes kennt keine von Ostern abgesetzte Himmelfahrt Jesu. Jesus steigt am Ostertag zum Vater auf (vgl. Joh 20,17). Darum spricht er seine Abschiedsworte bereits im Abendmahlssaal. So wie sie im Vierten Evangelium überliefert sind, tragen sie freilich schon das Gepräge der nachösterlichen Zeit. In ihnen spricht der Erhöhte. Kontext Unser Text gehört in den größeren Textzusammenhang von Joh 15-16 mit dem darauf folgenden Hohepriesterlichen Gebet Jesu von Joh 17. Mit zahlreichen neueren Autoren (von R. Schnackenburg bis zu J. Becker, A. Dettwiler, K. Haldimann u. a., vgl. die Bibliographie am Schluss) wird hier davon ausgegangen, dass diese Kapitel einer ursprünglichen Abschiedsrede in Joh 13,31 14,31 hinzugefügt worden sind. Dabei erweist sich der Begriff der relecture (der sich u. a. bei A. Dettwiler und K. Scholtissek findet) als hilfreich, das Entstehen dieser Kapitel zu verstehen. Texte wie die erste Abschiedsrede werden in der Folgezeit wieder gelesen und auf eine neue Gemeindesituation hin gedeutet. Die neue Situation dürfte zur Zeit der Abfassung von Joh 15 17 vor allem von einer doppelten Bedrohung der Gemeinde bestimmt gewesen sein. Von innen her wurde die Gemeinde durch Spaltung bedroht, von außen durch aufkommende Verfolgung. Beides konnte zum Abfall der Gemeindemitglieder führen. In einer zweiten Abschiedsrede, die aus Joh 15,1 16,4d bestanden haben könnte, begegnet Jesus dieser doppelten Gefahr. Im Abschnitt Joh 15,1-17 fordert Jesus seine Jünger auf, mit ihm, dem Wahren Weinstock, und untereinander verbunden zu bleiben. Zentrales Motiv ist vor allem in den Versen 9-17 (unser Text) das Motiv der Liebe. Ihr entspricht spiegelbildlich in 15,18 16,4d der Hass der Welt, dem sich die Jünger ausgesetzt sehen werden. In Joh 16,4e-33 wird eine dritte Abschiedsrede dann die erste von 13,31 14,31 neu aufgreifen. Bezugstexte im Johannesevangelium Bereits R. Bultmann war in seinem Johanneskommentar die Verwandtschaft von Joh 13,1-17 und 13,34f einerseits und Joh 15,1-17 anderseits aufgefallen. Der Gedanke ist jüngst von A. Dettwiler wieder aufgegriffen worden, der (S. 60-110) in dem Text von Joh 15 eine relecture desjenigen von Joh 13 sieht. Am Anfang steht in Joh 13 eine Symbolhandlung Jesu, der in Joh 15 das Bildwort vom wahren Weinstock entspricht. Es folgt in Joh 13,6-10 eine erste Deutung des Bildes, die seine Bedeutung für die Beziehung zwischen Jesus und den Jüngern hervorhebt. Ihr entspricht die Entfaltung des Bildwortes von Joh 15,1f. in 15,3-8. In Joh 13 schließt sich dann (in Vv. 12-17 und Perikopen.de 1

13,34f.) die Deutung der Symbolhandlung für das Verhältnis der Jünger untereinander an, der das Liebesgebot von Joh 15,9-17 entspricht. Das Motiv vom Knecht in Joh 13,16 wird dabei in Joh 15,13-15 wieder aufgegriffen und durch dasjenige vom Freund ergänzt und neu gedeutet. Dieser Vorschlag ist ansprechend und festzuhalten. Freilich sollte man den Bezugstext von Joh 15,1-17 nicht auf die genannten Texte von Joh 13 einengen. Dies fordert auch K. Haldimann. (Breiter angelegt ist auch die Studie von Christina Hoegen-Rohls). Vgl. die Einzelauslegung. Aufbau Joh 15,1-17 ist ein sehr kunstvolles Gebilde, das eine Reihe von Vernetzungen aufweist. So reicht das Thema des Fruchtbringens, das zur Bildrede vom Wahren Weinstock (Vv. 1-8) gehört, bis zu V. 16 und damit zum Ende des gesamten Abschnittes, der damit als Texteinheit konstituiert wird. In V. 9 taucht erstmalig das Thema der Liebe auf. Es bestimmt die gesamte folgende Versgruppe bis V. 17 und hält sie thematisch zusammen. Innerhalb dieses Abschnitts heben sich noch einmal die Vv. 9-11 und 12-17 als Untereinheiten ab. Die Vv. 9-11 sprechen von der Liebe Jesus zu den Seinen und der Notwendigkeit, in dieser Liebe zu verbleiben. Als Weg zum Verbleiben in der Liebe Jesu wird das Halten seiner Gebote aufgezeigt. Am Schluss steht (in V. 11) die Verheißung der vollendeten Freude, eingeführt durch die oft in solchen Texten begegnende Wendung: Dies habe ich zu euch gesagt, der das Dies trage ich euch auf von V. 17 entspricht. Die Vv. 12-17 werden durch die Worte: Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt in V. 12 und Dies trage ich euch auf/gebiete ich euch, dass ihr einander liebt in V. 17 zusammengehalten. In den Vv. 13-16 lässt sich eine thematische Weiterführung beobachten. Das Thema der Liebe führt in V. 13f zu demjenigen des Freundes. Ihm wird in V. 15 der Knecht gegenübergestellt und beide werden miteinander verglichen. Es schließen sich in V. 16 die Themen der Erwählung, des Fruchtbringens und der Gebetserhörung an. Syntaktisch gesehen unterscheidet sich V. 13 von den übrigen Versen, insofern er sentenzartig in der 3. Person Singular spricht, während die übrigen Verse des Abschnittes vom Gegenüber Jesu und der Jünger gekennzeichnet sind, die in der 2. Person Plural angesprochen werden. Charakteristisch ist in V. 13 auch die Verbindung von Liebe (ἀγάπη) und Freunden (φίλοι), die im Folgenden erläutert wird. V. 13 erweist sich so al Schlüsselvers. Er wird es auch unter der Rücksicht sein, dass sich in ihm Christologie und Ethik, das Handeln Jesu und dasjenige seiner Jünger besonders deutlich verbinden. Auslegung: Bleiben in der Liebe Jesu (Vv. 9-11) 9 καθὼς ἠγάπησέν µε ὁ πατήρ, κἀγὼ ὑµᾶς ἠγάπησα µείνατε ἐν τῇ ἀγάπῃ τῇ ἐµῇ. 10 ἐὰν τὰς ἐντολάς µου τηρήσητε, µενεῖτε ἐν τῇ ἀγάπῃ µου, καθὼς ἐγὼ τὰς ἐντολὰς τοῦ πατρός µου τετήρηκα καὶ µένω αὐτοῦ ἐν τῇ ἀγάπῃ. 11 Ταῦτα λελάληκα ὑµῖν ἵνα ἡ χαρὰ ἡ ἐµὴ ἐν ὑµῖν ᾖ καὶ ἡ χαρὰ ὑµῶν πληρωθῇ. 9 Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. 11 Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Perikopen.de 2

Mit V. 9 verlässt der Jesus der Abschiedsreden das Bild vom Weinstock, von den Reben und vom Fruchtbringen. Was zuvor im Bild zur Sprache kam, wird jetzt direkt zum Ausdruck gebracht. Diese unmittelbare Rede war schon innerhalb der Bildrede vorbereitet worden, indem etwa der Winzer mit dem Vater gleichgesetzt wurde (V. 1). Dabei geht die Ausdeutung des Bildes über die bildlichen Vorgaben hinaus. Zwischen Jesus und dem Vater herrscht nicht nur die Beziehung von Winzer und Weinstock, sondern die personale Verbundenheit der Liebe. Diese ist Urbild und Ursprung der Liebe zwischen Jesus und den Seinen und zugleich wie der folgende Abschnitt zeigen wird derjenigen der Jünger Jesu untereinander. Zur Liebe des Vaters zum Sohn vgl. bereits Joh 3,35 und 5,20. Der Luthertext spricht hier von der Liebe des Vaters und Jesu im Präsens: Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch. Es hat jedoch seinen Sinn, hier die Vergangenheitsform des griechischen Textes stehen zu lassen, da auf diese Weise besser der Abschiedssituation der Rede Rechnung getragen wird. Die Aufforderung Bleibt in meiner Liebe! versteht man am besten vom vorhergehenden Satz her. Es geht darum, dass die Jünger in der ihnen von Jesus erwiesenen Liebe bleiben wie die Rebe im Weinstock. Die Entsprechung in der Beziehung zwischen Vater und Sohn einerseits, dem Sohn/Jesus und den Jüngern anderseits setzt sich in V. 16. fort. Ähnlich wie in Joh 14,15-24 wird das Verbleiben des Geistes, Jesu und des Vaters in den Jüngern daran geknüpft, dass sie in der Verbindung der Liebe zu Jesus bleiben und seine Gebote halten. Ein Unterschied besteht nur darin, dass jetzt stärker das Verbleiben in der Liebe Jesu betont wird als die Jesus erwiesene Liebe. Die Verschiebung mag mit der veränderten Gemeindesituation zusammenhängen, in der die Vergewisserung der Liebe Gottes und Jesu angesichts drohender Gefahren wichtiger wurde. Die Verknüpfung von Halten der Gebote und Liebe entstammt der Sprache des Deuteronomium, wie ein Blick vor allem auf die Kapitel 6-11 dieses Buches zeigt (vgl. J. Beutler, Habt keine Angst, 55-62). Darin drückt sich die Theologie des Bundes Gottes mit seinem Volke aus (vgl. Dtn 7,9.12). Mit der Formel dies habe ich zu euch gesagt in V. 11 schließen nicht selten Abschnitte der Abschiedsreden (vgl. 14,25; 16,33). Jesus hat diese Worte zu den Jüngern gesprochen, damit seine Freude in ihnen sei und zur Vollendung komme. Dies Thema der Freude war schon gelegentlich angeklungen (vgl. Joh 3,29; 14,28). Es wird noch einmal in den Abschiedsreden aufgegriffen werden als die eschatologische Freude der Jünger angesichts der gekommenen Stunde ihres Meister im Bild der Frau, die ihre Stunde gekommen sieht (16,20-22). Am Ostertag kann dann die Freude der Jünger bei ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen berichtet werden (20,20). Auch von hierher bestätigt sich der eschatologische Charakter dieser Freude. Zur Vollendung der Freude vgl. auch 1 Joh 1,4. Jesu Gebot, einander zu lieben (V. 12) 12 αὕτη ἐστὶν ἡ ἐντολὴ ἡ ἐµή, ἵνα ἀγαπᾶτε ἀλλήλους καθὼς ἠγάπησα ὑµᾶς 12 Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Die Aufforderung Jesu ist ebenso wie einfach wie provokativ. Wer das vierte Evangelium nach den ersten dreien liest, wird hier das doppelte Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten erwarten, wie es von Jesus in Erinnerung gebracht wird (vgl. Mk 12,29-31 parr.). Dabei ist freilich zu beachten, dass Perikopen.de 3

diese Verknüpfung von Gottes- und Nächstenliebe wohl auf die hellenistische Diaspora zurückgeht, in der die Liebe zu Gott im Sinne des Deuteronomium keine Selbstverständlichkeit war. Jüdische und christliche Glaubensverkündigung musste erst einmal die Liebe zu Gott und die Abkehr von den Götzen (vgl. 1 Thess 1,9) einfordern, bevor an weitere Gebotsverpflichtungen erinnert wurde. Spuren eines älteren Verständnisses, in dem die Mitte der Tora noch einfachhin die Liebe zum Bruder war, finden sich bei Paulus in Röm 13,8 und Gal 5,14. Während der zuletzt genannte Text von der Liebe zum Nächsten spricht, hat der erstere eine Fassung, die dem Text unseres Sonntagsevangeliums sehr nahe kommt: Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den Anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Warum spricht Paulus einmal vom Nächsten, einmal vom Andern? In der Fassung des Galaterbriefs wie in Röm 13,9f. bezieht sich Paulus ausdrücklich auf die griechische Übersetzung des Gebots von Lev 19,18, in der der Stammesgenosse (hebr. K(ar') mit Nächster (πλησίον) wiedergegeben wird, ebenso wie in dem Text aus den synoptischen Evangelien. Es mag durchaus sein, dass Paulus in Röm 13,8 wie Johannes in unserem Text dem ursprünglichen Sinn von Lev 19,18 näher gekommen ist, da der hebräische Text von Lev 19,18 eher an den Stammesgenossen denken lässt. Zum biblisch-alttestamentlichen Hintergrund des Liebesgebots bei Johannes vgl. u. a. die Studie von J. Augenstein. Vielfach wird bemängelt, dass Jesus in den Johanneischen Abschiedsreden nicht nur das Liebesgebot auf die Gemeindemitglieder einschränkt, sondern auch und erst recht kein Gebot der Feindesliebe kennt, wie es in Mt 5,44; Lk 6,27 zur Sprache kommt. Dabei ist freilich festzuhalten, dass die Abschiedsrede in Joh 15 ausdrücklich darauf verzichtet, den von den Jüngern erfahrenen Hass mit Gegenhass zu beantworten (Augenstein, 88). Die Liebe des Freundes, der sein Leben hingibt (V. 13) 13 µείζονα ταύτης ἀγάπην οὐδεὶς ἔχει, ἵνα τις τὴν ψυχὴν αὐτοῦ θῇ ὑπὲρ τῶν φίλων αὐτοῦ. 13 Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Der Gedanke knüpft an den Anfang der Abschiedsreden an. In Joh 13,1 führt der Evangelist in die Passionsgeschichte mit dem Verweis darauf ein, dass Jesus, der die Seinen in der Welt geliebt hatte, sie bis zum Ende liebte. Eben in dieser Haltung vollzieht Jesus an den Seinen den Gestus der Fußwaschung als Ausdruck seiner dienenden Liebe bis zum letzten. Neu ist in Joh 15,13, dass der Vers die Liebe Jesu zu den Seinen und seine Lebenshingabe für sie (vgl. Joh 10,15.17.18) nun in der Sprache der Freundschaft zum Ausdruck bringt. Hier kündigt sich ein neuer Sprachgebrauch an. Vielfach wird für den Lebenseinsatz des Freundes für den Freund auf die griechische Literatur verwiesen. Der Neue Wettstein bietet hier eine reiche Auswahl von Texten, die von Platon über Aristoteles bis zu den Pythagoräern, Epikureern und Stoikern reichen. Augenstein (72) zitiert in diesem Zusammenhang ein Wort aus der Nikomachischen Ethik des Aristoteles (IX 8 1169a 18-20): Von einem hervorragenden Mann gilt auch die schlichte Wahrheit, dass er für Freund und Vaterland sich immer wieder einsetzt und wenn es nottut, für sie sein Leben hingibt. (Gleicher Text im Neuen Wettstein, 718). Er verweist (73) auf die gleiche Idee in jüdischen Texten, freilich aus hellenistischer Zeit, vor allem in den Makkabäerbüchern. Judas wird zu gegebener Zeit für die Brüder in den Tod gehen (1 Makk 6,9). Ein Ältester Jerusalems hat sich bis zum äußersten mit Leib und Leben für das Perikopen.de 4

Judentum eingesetzt (2 Makk 14,37). Die Märtyrer haben ihr Leben tatsächlich für Gott, für den Tempel und für das Volk hingegeben (2 Makk 6,28; 7,9.37; 8,21). Hier fehlt freilich der Gedanke des Sterbens für die Freunde, der wohl dem griechisch-hellenistischen Denken entstammt. Freunde Jesu kraft der Treue zu seinem Gebot (V. 14) 14 ὑµεῖς φίλοι µού ἐστε ἐὰν ποιῆτε ἃ ἐγὼ ἐντέλλοµαι ὑµῖν. 14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Auch in diesem Vers verbinden sich biblisches und antikes Gedankengut. Die Verwirklichung dessen, was Jesus den Jüngern aufgetragen hat, bleibt in der vom Deuteronomium vorgegebenen Sprache. Im Deuteronomium wird das Wort ἐντέλλοµαι regelmäßig von Mose gegenüber den Israeliten gebraucht. Der Gedanke der Freundschaft mit Gott findet sich vor allem in hellenistisch-jüdischen Schriften, angefangen vom Weisheitsbuch (7,13f.27) bis zu Philo von Alexandrien (Texte im Neuen Wettstein z. St.). Einen Vorläufer bildet die Bezeichnung Abrahams als Freund Gottes in 2 Chr 20,7; Jes 41,8; vgl. Jak 2,23. Nicht mehr Knechte, sondern Freunde (V. 15) 15 οὐκέτι λέγω ὑµᾶς δούλους, ὅτι ὁ δοῦλος οὐκ οἶδεν τί ποιεῖ αὐτοῦ ὁ κύριος ὑµᾶς δὲ εἴρηκα φίλους, ὅτι πάντα ἃ ἤκουσα παρὰ τοῦ πατρός µου ἐγνώρισα ὑµῖν. 15 Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Die Jünger sind die Freunde Jesu, da sie sein Wort erfüllt haben. Tiefer gesehen aber kann Jesus sie Freunde nennen, da er ihnen seine Botschaft vom Vater voll mitgeteilt und so mit ihnen geteilt hat. Freunden ist alles gemeinsam, so lautet ein antikes Sprichwort, das sich hier erfüllt. Hier zeigt sich der Unterschied zum Knecht oder Sklaven, der nicht weiß und versteht, was sein Herr tut. Mit der Gegenüberstellung der Gestalten von Knecht und Freund greift der vierte Evangelist Jesu Wort aus Joh 13,16 wieder. Dort hatte Jesus das Handeln der Jünger in dienender Liebe damit begründet, dass es nur recht sei, wenn der Knecht wie sein Herr handle. In Joh 15,15 ist diese Perspektive verlassen und den Jüngern ausdrücklich abgesprochen, noch Knechte zu sein. In diesem Vergleich bewährt sich die von A. Dettwiler im Anschluss an R. Bultmann vorgeschlagene Neulesung von Joh 13,1-17 durch Joh 15,1-17. Perikopen.de 5

Von Jesus erwählt (V. 16) 16 οὐχ ὑµεῖς µε ἐξελέξασθε, ἀλλ ἐγὼ ἐξελεξάµην ὑµᾶς καὶ ἔθηκα ὑµᾶς ἵνα ὑµεῖς ὑπάγητε καὶ καρπὸν φέρητε καὶ ὁ καρπὸς ὑµῶν µένῃ, ἵνα ὅ τι ἂν αἰτήσητε τὸν πατέρα ἐν τῷ ὀνόµατί µου δῷ ὑµῖν. 16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Die Verbindung der Jünger mit Jesus wird jetzt noch einen Schritt weiter geführt. Sie sind mit Jesus verbunden, wenn und soweit sie sein Gebot verwirklichen (V. 14). Tiefer gesehen sind sie mit Jesus verbunden kraft des Wortes, das er an sie gerichtet hat (V. 15). Diese Verbindung hat ihren Grund und ihre Wurzel an der Erwählung durch Jesus, hinter der letztlich die Erwählung durch Gott selber steht (V. 16). Der Gedanke der Erwählung der Jünger war schon gelegentlich angeklungen. Auf den Zwölferkreis bezogen kam er in Joh 6,70 zur Sprache. Schon hier war Judas der Anlass, der zwar von Jesus erwählt war, aber sein Verräter werden sollte. Im gleichen Zusammenhang ist in 13,18 von der Erwählung Jesu die Rede, hier auf die Elf im Gegensatz zu Judas bezogen. In Joh 15,16 ist nach dem Fortgang des Judas nun nur noch in positivem Sinne von der Erwählung Jesu die Rede. Die ersten Jüngerberufungen mögen hier anklingen (Joh 1,35-51). Nicht mehr um Warnung geht es hier, sondern um Versicherung. Da die Jünger von Jesus berufen sind, sollen und werden sie Frucht bringen (vgl. 15,1-8), und ihren Gebeten ist Erhörung zugesichert (vgl. 14,13). Das erneute Gebot, einander zu lieben (V. 17) 17 ταῦτα ἐντέλλοµαι ὑµῖν, ἵνα ἀγαπᾶτε 17 Dies trage ich euch auf: Liebt einander! ἀλλήλους. Literarisch gesehen rundet die erneute Aufforderung Jesu den Abschnitt Joh 15,12-17 ab. Tiefer gesehen bedeutet die erneute Aufforderung Jesu keine reine Wiederholung der ersten Nennung des Gebotes in V. 12. Die Jünger und mit ihnen die Leser sind inzwischen ein Stück Weges geführt worden. Jesus hat sie seiner Nähe versichert. Sie sind seine Freunde, mit ihm kraft seines Wortes verbunden und befähigt, Frucht zu bringen. Ihre Gebete werden erhört werden. So können sie die erneute Aufforderung Jesu auch zuversichtlicher vernehmen. Jesus wird sie in der Erfüllung seines Gebots nicht allein lassen. Rückblick Im Blick auf den hier ausgelegten Text wurde oft die Meinung vertreten, hier komme eine Konventikelethik zur Sprache, in der das Liebesgebot Jesu allein in der Gemeinde zu leben sei, unter Ausschluss des Nächsten und erst recht des Feindes. Neuere Arbeiten stehen diesem Vorwurf skeptisch gegenüber. Wir konnten beobachten, wie sich das Gebot Jesu, einander zu lieben, von Lev 19,18 herleitet, und dass Paulus eine ähnliche Fassung dieses Gebotes wie bei Johannes kennt. Eine Perikopen.de 6

Öffnung des johanneischen Liebesgebots über die Gemeindegrenzen hinaus wird auch an der Parallelstelle unseres Textes in Joh 13,34f. sichtbar. Dort heißt es in V. 35: Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt. Die in der Gemeinde gelebte Liebe soll also Kennzeichen der Jünger und auch werbend nach außen wirken (vgl. Joh 17,21). Damit ist der enge Kreis der Gemeinde aufgebrochen und der Blick geöffnet auf alle Menschen hin, die zum Heil in Christus berufen sind. (Vgl. J. Beutler, Kirche als Sekte?). Johannes Beutler SJ Bultmann, Rudolf: Das Evangelium des Johannes, KEK II, Göttingen 1941; Schnackenburg, Rudolf: Das Johannesevangelium III. Kommentar zu Kap. 13-21, HThK IV/3, Freiburg 1975; Beutler, Johannes: Habt keine Angst. Die erste johanneische Abschiedsrede (Joh 14), SBS 116, Stuttgart 1984; Becker, Jürgen: Das Evangelium nach Johannes II. Kapitel 11-21, ÖTK 4/2, Gütersloh-Würzburg ³1991; Augenstein, Jörg: Das Liebesgebot im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen, BWANT 134, Stuttgart u. a. 1993; Dettwiler, Andreas: Die Gegenwart des Erhöhten. Eine exegetische Studie zu den johanneischen Abschiedsreden (Joh 13,31-16,33) unter besonderer Berücksichtigung ihres Relecture-Charakters, FRLANT 169, Göttingen 1995; Hoegen-Rohls, Christina: Der nachösterliche Johannes. Die Abschiedsreden als hermeneutischer Schlüssel zum vierten Evangelium, WUNT 2. Reihe 84, Tübingen 1996; Beutler, Johannes, Kirche als Sekte? Zum Kirchenbild der johanneischen Abschiedsreden, in: ders., Studien zu den johanneischen Schriften, SBAB 25, Stuttgart 1998, 21-32; ders., Das Hauptgebot im Johannesevangelium, ebd., 107-120; Haldimann, Konrad: Rekonstruktion und Entfaltung. Exegetische Untersuchungen zu Joh 15 und 16: BZNW 104, Berlin-New York 2000; Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Bd. I/2. Texte zum Johannesevangelium, hrsg. v. Udo Schnelle unter Mitarbeit von Michael Labahn und Manfred Lang, Berlin New York 2001; Popkes, Enno Edzard: Die Theologie der Liebe Gottes in den johanneischen Schriften, WUNT 2. Reihe 197, Tübingen 2005. Perikopen.de 7