Parlamentssitzung 19. August 2013 Traktandum 12



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Transkript:

Parlamentssitzung 19. August 2013 Traktandum 12 1224 Motion (SP Köniz, Hugo Staub, Annemarie Berlinger-Staub) "Ärztezentren für Köniz" Beantwortung; Direktion Bildung und Soziales Vorstosstext Der Gemeinderat wird beauftragt, eine Zweckmässigkeits- und Standortstudie für Ärztezentren Köniz durchzuführen. Er arbeitet dabei mit praktizierenden Ärztinnen und Ärzten und allenfalls mit Spitälern und Krankenkassen zusammen. In der Studie zeigt er auf, wie Ärztezentren dazu beitragen können, dass die Gemeinde Köniz als Praxis-Standort insbesondere für Hausärzte attraktiv ist und welche Unterstützung die Gemeinde zur Realisierung solcher Vorhaben leisten kann. Der Gemeinderat unterbreitet dem Parlament einen Kreditantrag für erste Umsetzungsschritte. Falls sinnvoll soll die Studie / der Kreditantrag auf die Thematik Gesundheitszentren ausgeweitet werden, bei denen weitere medizinische und therapeutische Dienstleistungen unter einem Dach angeboten werden. Begründung Im Kanton Bern erreicht in den nächsten drei Jahren 25% der Hausärzte das Pensionsalter und bis in zehn Jahren sind 75% der heute praktizierenden Hausärzte pensioniert. Weil in der Schweiz nicht genügend neue Ärzte ausgebildet werden, droht ein grosser Ärztemangel. Dies offenbar vor allem bei Hausärztinnen und Hausärzten, die einen wichtigen Beitrag zur medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung leisten. Deshalb ist in der Schweiz die flächendeckende medizinische Grundversorgung akut gefährdet! Der Ärztemangel trifft vor allem die Grundversorgung, weil das Führen einer allgemeinmedizinischen Praxis ausgesprochen zeit- und arbeitsintensiv und finanziell weniger interessant ist als das Spezialistentum. Das wollen offenbar viele angehende Ärztinnen und Ärzte nicht auf sich nehmen. Ältere Ärztinnen und Ärzte finden deshalb für ihre Hausarztpraxis oft keine Nachfolge. Dies nicht nur in ländlichen Gebieten, sondern auch immer mehr in der Agglomeration. Gemeinschaftspraxen, Ärztezentren und andere Formen der Zusammenarbeit können dazu beitragen, dass Hausärztinnen und Hausärzte sich besser gegenseitig unterstützten und entlasten können und dass sich Beruf und Familie besser vereinbaren lassen. Ärztezentren können die Gemeinde als Praxisstandort attraktiv machen und dazu beitragen, dass die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet bleibt. In verschiedenen Berner Gemeinden wird schon gehandelt: in Jegenstorf z.b. existiert bereits ein Ärztezentrum, in Schwarzenburg ist man daran, ein solches aufzubauen und in mehreren weiteren Gemeinden stehen Ärztezentren zur Diskussion (z.b. Steffisburg). In Köniz gibt es erst zaghafte Hinweise in dieser Richtung: in der Abstimmungsbotschaft zur Abgabe der Parzelle 5499 / Köniz Dreispitz im Baurecht sind als mögliche Nutzung z.b. ein Aerztezentrum mit 24h Notfallpforte und ein Café erwähnt. Aufgrund der sich abzeichnenden Probleme und des unbestrittenen öffentlichen Interessens an einer ausreichenden medizinischen Grundversorgung tut rasches Handeln not.

Seite 2/7 Eingereicht 10. Dezember 2012 Unterschrieben von 23 Parlamentsmitgliedern Hugo Staub, Annemarie Berlinger-Staub, Christian Roth, Martin Graber, Ruedi Lüthi, Stephie Staub-Muheim, Mario Fedeli, Christoph Salzmann, Thomas Verdun, Markus Willi, Christian Burren, Hansueli Pestalozzi, Mathias Rickli, Jan Remund, Anna Mäder, Liz Fischli-Giesser, Markus Plüss, Bernhard Bichsel, Beat Haari, Heidi Eberhard, Philippe Guéra, Verena Koshy, Patrik Locher

Seite 3/7 Bericht und Antrag des Gemeinderates an das Parlament 1. Formelle Prüfung der Motion (Beilage 1.1) Mit der Erheblicherklärung dieser Motion erteilt das Parlament dem Gemeinderat einen verpflichtenden Antrag. (vgl. Beilage, formelle Prüfung der Motion durch die Gemeindeschreiberin vom 08. Januar 2013). 2. Ausgangslage Die beschriebene Problematik der hausärztlichen Grundversorgung wurde schon auf Bundesund Kantonsebene thematisiert und diskutiert. Auf Gemeindeebene waren bzw. sind ebenfalls verschiedene Aktivitäten im Gange. 3. Bericht des Bundesrates zur aktuellen Situation der ärztlichen Grundversorgung Gemäss Bericht des Bundesrates zur aktuellen Situation der ärztlichen Grundversorgung vom 05.01.2010 ist es äusserst schwierig, die zahlenmässige Entwicklung der Grundversorger über die Jahre hinweg verständlich darzustellen und zu bewerten. Die Abnahme der ärztlichen Grundversorger im Verhältnis zu den Spezialisten ist das Ergebnis des Zusammenwirkens zahlreicher Faktoren und kann nicht automatisch mit einem Grundversorgermangel im gesundheitspolitischen Sinn gleichgesetzt werden: - Der Rückgang von selbstständig tätigen Grundversorgern oder die Zurückhaltung der jungen Ärztinnen und Ärzte bei der Übernahme bestehender (Einzel-)Praxen ist auch eine Folge der zunehmenden Feminisierung des Arztberufes sowie der generell veränderten Berufsvorstellungen: die meisten jungen Ärztinnen und Ärzte möchten - wenn nicht im Spital - in Gemeinschaftspraxen, viele von ihnen mit reduziertem Pensum arbeiten. Diese Berufsvorstellungen sind nicht vereinbar mit den relativ hohen Infrastrukturkosten einer Einzelpraxis und einem (reduzierten) Einkommen aus einer Teilzeittätigkeit. - Während das Spital früher während ein paar Jahren eine Durchgangsstation für Assistenzund Oberärztinnen und -ärzte war, bis sie den angestrebten Facharzttitel erhielten, sind die jungen Ärztinnen und Ärzte heute vermehrt über die Weiterbildung hinaus im Spital tätig, nicht zuletzt dank der Schaffung des neuen ärztlichen Stellenprofils des Spitalfacharztes/der Spitalfachärztin. Zudem sind die Arbeitsbedingungen im Spital in Bezug auf Gehalt, Infrastruktur sowie Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten gut (--> Erwerb mehrerer Weiterbildungstitel). Insbesondere kann die ärztliche Tätigkeit in Teilzeit ausgeübt werden (--> wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der zunehmenden Feminisierung). - Der rapide fortschreitende Strukturwandel ist neben den veränderten Berufsvorstellungen junger Ärztinnen und Ärzte teilweise auch auf die Entwicklung von Managed Care zurückzuführen. Diese neuen Praxisformen, insbesondere die Gruppen- oder Notfallpraxen mit angestellten Ärzten, weisen in der Regel einen breiten Skillmix auf. - Das Konsultationsverhalten der Patientinnen und Patienten hat zu einem starken Ausbau der ambulanten Spitalversorgung geführt. Die ambulante (Notfall-)Versorgung im Spital ist vor allem in den städtischen Regionen ausgeprägt. - Auch Spezialärztinnen und Spezialärzte übernehmen Funktionen in der Grundversorgung. Die eingangs thematisierte Unschärfe der Definition wird durch eine Umfrage der FMH aus dem Jahre 2003 bestätigt, als rund 10'000 von insgesamt rund 15'000 Ärztinnen und Ärzte mit ambulanter Praxis deklarierten, sie würden unselektioniert ambulante Patientinnen und Patienten in akuten Situationen, d.h. notfallmässig, aber auch kontinuierlich und ganzheitlich medizinisch betreuen.

Seite 4/7 4. Hausarztmedizin im Kanton Bern (Bericht an den Grossen Rat zu den Motionen Heuberger und Kilchherr vom 22.12.2011 Die medizinische Grundversorgung im Spannungsfeld Die Grundversorgermedizin steht im gesundheitspolitischen Spannungsfeld. Im Hinblick auf die Hausarztmedizin besteht ein grundsätzlicher Zielkonflikt zwischen Bund und Kantonen bezüglich der Ziele, Prioritäten, Zuständigkeiten und Kompetenzen. Während der Bund mit unterschiedlichen Massnahmen die Eindämmung des Kostenwachstums sowie die Qualitätssicherung verfolgt, ist die Sicherstellung der flächendeckenden medizinischen Versorgung Aufgabe der Kantone. Sparmassnahmen des Bundes trafen und treffen gerade auch die Hausärztinnen und Hausärzte. Doch auch das gegenüber den Spezialärztinnen und Spezialärzten vergleichsweise geringere und tendenziell abnehmende Einkommen demotiviert die Grundversorgerinnen und versorger nebst den hohen Belastungen mit schlechten Rahmenbedingungen. Einer im Auftrag der FMH durchgeführten Studie aus dem Jahre 2009 zufolge, lag das mittlere AHV-pflichtige Einkommen der Grundversorgerinnen und Grundversorger in der Schweiz im Jahr 2006 gegenüber den operativ tätigen Spezialärztinnen und Spezialärzten je nach Fachbereich (Chirurgie, Gynäkologie, Ophthalmologie, Orthopädie, Urologie) um bis zu 39 Prozent tiefer. Zwischen 2004 und 2006 nahm das AHV-pflichtige Einkommen aller Ärztinnen und Ärzte nominal um 4 Prozent ab. Demgegenüber stiegen in demselben Zeitraum die Löhne von Arbeitern und Angestellten um bis zu 2,7 Prozent. Auf nationaler Ebene geplante oder bereits umgesetzte Massnahmen drohen die effektive und effiziente ambulante hausärztliche Versorgung weiter zu erschweren. Es scheint zuweilen in Vergessenheit zu geraten, dass die Grundversorgung gemäss dem Institut für Hausarztmedizin der Universität Basel 90 Prozent aller anfallenden Gesundheitsprobleme ohne Beizug von Spitälern und Spezialisten abschliessend löst. Auch Sparmassnahmen im stationären Spitalbereich können sich indirekt auf die ambulante Versorgung auswirken. Beispiele hierfür sind die Verkürzung der Aufenthaltsdauer aufgrund von Fallpauschalen oder die Konzentration der stationären Akutbehandlung an wenigen Standorten. Derartige Massnahmen werden die Belastung von und den Bedarf an Hausärztinnen und - ärzten zusätzlich erhöhen. Gesundheitspolitischer Handlungsbedarf Die genannten Entwicklungen und Trends verlangen nach Lösungen für die Sicherstellung der flächendeckenden und bevölkerungsnahen medizinischen Versorgung in hoher Qualität. Gerade für zentrumsferne Gebiete im Kanton Bern müssen Lösungen gefunden werden. Wie weit die Zuständigkeiten und Kompetenzen von Kanton und Gemeinden im Bereich der ambulanten medizinischen Grund- und Notfallversorgung gehen, wird von den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik unterschiedlich beurteilt. Im Januar 2006 wurde von der Gesundheits- und Fürsorgedirektion unter der Leitung des Kantonsarztes eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe Hausarztmedizin gebildet. Die Arbeitsgruppe hatte den Auftrag, in einer Analyse zu prüfen, wie und mit welchen konkreten Massnahmen im Rahmen der kantonalen Kompetenzen die Hausarztmedizin und damit die ärztliche Grundversorgung durch den Regierungsrat gefördert werden kann. Die Arbeitsgruppe setzte sich aus Fachexperten und Vertretern aus den folgenden Bereichen zusammen: kantonale Ärztegesellschaft (BEKAG), Fakultäre Instanz für Allgemeinmedizin, Institut für Hausarztmedizin (FIHAM, heute: Berner Institut für Hausarztmedizin BIHAM), Volkswirtschaftsdirektion (VOL), Gesundheits- und Fürsorgedirektion (Kantonsarztamt) sowie Spitex, Krankenversicherungen, Gemeinden und Interessengemeinschaft Ländlicher Raum. Empfehlungen für Standortgemeinden und Regionalkonferenzen Der Kanton empfiehlt den Standortgemeinden und Regionalkonferenzen, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und unter Einbezug der Privatwirtschaft zur Förderung der medizinischen Grundund Notfallversorgung für die Unterstützung von neuen Arbeits-, Organisations- und Betriebsmodellen aktiv zu engagieren.

Seite 5/7 Denkbare strukturelle oder finanzielle Förderungsansätze sind beispielsweise Anreize in den Bereichen Infrastruktur (z.b. Bereitstellung von Ärztehäusern oder Praxisräumen usw.), günstige Betriebskredite, Übernahme oder Absicherung von Investitionsrisiken aber auch eine Anschub- oder Mitfinanzierung von geeigneten Modellen und Projekten. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bereits in früheren Generationen die Ansiedlung von Hausärzten in Randregionen durch fiskalische oder strukturelle Anreize gezielt gefördert wurde: Durch die Zurverfügungstellung von Liegenschaften oder durch Steuererleichterungen wurden attraktive Rahmenbedingungen geschaffen. 5. Antwort des Regierungsrates zur Motion Förderung der Hausarztmedizin im Kanton Bern durch Unterstützung innovativer Projekte und durch Ermöglichung der Patientenidentifkation vom 22.02.2012 Für neue und innovative Organisations-, Arbeits- und Betriebsmodelle oder Modellversuche, welche zur Förderung der ambulanten medizinischen Grundversorgung beitragen, prüft der Kanton eine zeitlich beschränkte Anschub- und Teilfinanzierung im Rahmen der gesetzlichen und finanziellen Kompetenzen und Möglichkeiten. Allerdings unterliegt die ambulante Versorgung keiner Versorgungsplanung. An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass in den vergangenen Jahren aus der Initiative von Leistungserbringern und ohne Subventionierung oder Förderungen durch den Kanton Ärztenetzwerke wie beispielsweise der MediX Ärzteverbunden, mednetbern oder das SeelandNet, aber auch das Gesundheitszentrum in Tramelan entwickelt wurden. Demgegenüber wurden ausgewählte Gesundheitszentren wie beispielsweise in Meiringen durch den Kanton Bern durch eine einmalige Anschubfinanzierung unterstützt. Zusammenfassend stimmt der Regierungsrat der Forderung der Motionärin nach einer Unterstützung innovativer Projekte der medizinischen Grundversorgung zu. Bei der Entwicklung des Konzepts müssen geeignete Partner und involvierte Akteure beigezogen werden, wobei die ambulante Versorgung nach Ansicht des Regierungsrates auch in Zukunft grundsätzlich privatwirtschaftlich organisiert werden soll. 6. Situation Köniz In den letzten Jahren sind in Köniz einige Hausarztpraxen ohne Nachfolgelösung geschlossen worden. Im November 2010 lancierte Daniel Pauli als ehemaliger Internist, Hausarzt und Verwaltungsratspräsident der Spital Netz Bern AG am Könizer Ärztemeeting die Idee eines Ärztezentrums im geplanten Neubau im Dreispitz. Auslöser war der Beschluss der SNBe AG, das Zieglerspital zu schliessen. Mit der Schliessung des Zieglerspitals hätte die Gemeinde Köniz seine nahe gelegene Notfallpforte und damit auch eine wirksame walk-in-station verloren. Vor diesem Hintergrund zeigte sich die lokale Ärzteschaft an der Schaffung eines medizinischen Versorgungszentrum (MEDZ) interessiert. Daniel Pauli brachte das Anliegen vor den Gemeinderat in Köniz. Der Gemeinderat bat ihn, das angedachte Projekt zu vertiefen und allenfalls umzusetzen. Daniel Pauli beschrieb die Ausgangssituation folgendermassen: - Die geplante Schliessung des Zieglerspitals verlangt eine Neustrukturierung der medizinischen Versorgung in der Gemeinde Köniz - Viele der vorhandenen Grundversorger sind über 55 Jahre alt. Sie werden in den nächsten 5 bis 10 Jahren ihre Praxis schliessen, weil sie keine Nachfolger finden. - Sie sind allenfalls bereit, in ein attraktives Medizinisches Versorgungszentrum zu zügeln, wo sie viel leichter Nachfolger finden werden - Sie sind aber nicht bereit, wenige Jahre vor der Pensionierung noch einmal zu investieren und/ oder höhere Fixkosten zu tragen. Aufgrund dieser ersten Analyse hat er folgenden Lösungsvorschlag gemacht: - Bau eines Medizinischen Versorgungszentrums im geplanten Neubau Dreispitz - Das MEDZ besteht zu Beginn aus Gruppenpraxen unter einem Dach, die ein gemeinsames Röntgen, Labor und allenfalls eine Physiotherapie betreiben. - Es besteht eine walk-in Notfallstation, die subsidiär zu den Grundversorgern von einer Partnerorganisation betrieben wird.

Seite 6/7 - In der späteren Entwicklung ist eine sehr grosse Gruppenpraxis à la Bubenbergpraxis mit angestellten Ärzten denkbar und auch baulich bereits vorzusehen - Es war allen Beteiligten immer klar, dass nicht mehrere Zentren nötig sein werden. Durch ein MEDZ könnten die verschiedenen Player profitieren: Gemeinde Köniz - Die medizinische Versorgung als positives Standortkriterium. Umgekehrt würde eine Unterversorgung als bedeutender Negativfaktor wahrgenommen. - Die Gemeinde ist deshalb gefordert, gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Krankenkassen - Santé Suisse und natürlich die Prämienzahler müssen aus Kostengründen ein Interesse an einer ambulanten Abklärung und Behandlung in der Praxis haben. Der direkte Gang in eine Notfallstation eines Spitals löst ungleich höhere Kosten aus. Spitäler - Öffentliche und private Trägerschaften haben ein grosses Interesse, sich zu engagieren, wenn sie damit eine gewisse Akquisition für ihr Spital sicherstellen können. SPITEX, Residenzen und Heime - Einer SPITEX ohne Zusammenarbeit mit Grundversorgerinnen und Grundversorgern fehlt ein wesentlicher Partner. - Residenzen oder Heime sind auf behandelnde, günstige Grundversorger angewiesen. Bestehende Ärztenetze - Bestehende Netze würden gerne in dieses Projekt einsteigen, um an Grösse und Verhandlungsstärke zulegen zu können. Der Kanton - Die Gesundheitsdirektion ist an einer günstigen Grundversorgung der Bevölkerung interessiert, muss sie sogar sicherstellen und wird zunehmend verpflichtet, auch finanziell zu helfen. Die praktizierenden Grundversorger und Spezialisten: - Durch eine gute Zusammenarbeit, vielleicht später sogar einer AG oder GmbH, können Synergien genutzt, Vertretungen sichergestellt werden. - Die Nachfolge ist sichergestellt. - Teilzeitarbeit wird möglich. - Gemeinsam mit einer Spitalgruppe oder einer anderen Organisation kann der walk-in Notfalldienst sichergestellt werden. Gemeinsam kann die Qualität gesichert werden. - Es muss zudem ein Ziel sein, die Fixkosten zu senken, damit der Hausarztberuf auch finanziell wieder attraktiver wird. In mehreren Meetings suchte der Initiant mit der Könizer Ärzteschaft und Vertretern diverser möglicher Trägerschaften nach einer guten Lösung. Aus verschiedensten Gründen blieb zuletzt nur noch ein möglicher Partner übrig. Weitere könnten aber angefragt werden. Folgende Probleme führten nun zur aktuellen, aber sicher nur vorübergehenden Sistierung des Projektes: - Der Beschluss, ein neues Stadtspital zu bauen und das Zieglerspital zu schliessen wurde durch den neuen gemeinsamen Verwaltungsrat Insel/SNBe aufgehoben. Damit war der neben der Nachfolgesorgen wichtigste Grund für ein Ärztezentrum mit walk-in-station nicht mehr vorhanden. - Es wird erwartet, dass die Gemeinde aus standortspolitischen Gründen mithilft, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Das war im Dreispitz nicht der Fall.

Seite 7/7 - Einige der interessierten Grundversorger vertreten zur Zeit mit gutem Grund die Meinung, dass die Doppel-Viererpraxis das kostengünstigste Versorgungsmodell mit dem grössten Nutzen für Ärztinnen/Ärzte und Patienten sei. In Gruppenpraxen in der erwähnten Grösse dürfte die Nachfolgeregelung einfacher, und die Teilzeitarbeit möglich sein. Dieses Modell wird von nicht wenigen Grundversorgern in Köniz bevorzugt und zum Teil auch schon umgesetzt. In anderen, kleineren Gemeinden wird in diesem Zusammenhang bereits von Ärztezentren gesprochen. Daniel Pauli geht davon aus, dass sich das Angebot des Zieglerspitals durch die die geplante Fokussierung auf die Altersmedizin und selektive Orthopädie grundsätzlich ändern könnte. Sollte damit die umfassende Notfallaufnahme am Zieglerspital gestrichen werden, werden wegen des künftigen Konkurrenzkampfes der öffentlichen und privaten Spitäler eine oder mehrere Trägerschaften zwecks Akquisition den Aufbau eines Ärzte- oder Gesundheitszentrums zusammen mit den lokalen Grundversorgern forcieren. Selbstverständlich wird in dieser Situation der Betrieb einer Walk-In Station wieder zu einem wichtigen Thema. 7. Fazit Der Gemeinderat unterstützt grundsätzlich die Idee von medizinischen Versorgungszentren in Köniz. Im Zusammenhang mit den Überbauungsplänen des Areal Dreispitz wurden deshalb bereits vertiefte Abklärungen vorgenommen. Eine Zweckmässigkeits- und Standortstudie erachtet der Gemeinderat aufgrund der bekannten Ausgangslage als nicht mehr notwendig. Vielmehr müssen nun die interessierten Organisationen oder Trägerschaften dahin gebracht werden, dass sie den Lead für die Projektrealisation aktiv übernehmen und umsetzen. Eine Mitarbeit bei der Suche nach einem geeigneten Standort ist für den Gemeinderat selbstverständlich. Eine eigentliche Subventionierung von Medizentren betrachtet der Gemeinderat als problematisch (Präjudizwirkung). Allfällige Finanzierungshilfen in Form von attraktiven Darlehen können von Fall zu Fall jedoch durchaus sinnvoll sein. Antrag Der Gemeinderat beantragt dem Parlament, folgenden Beschluss zu fassen: - Die Motion wird als Postulat erheblich erklärt. Köniz, 19. Juni 2013 Der Gemeinderat Beilage Formelle Prüfung der Motion vom 08. Januar 2013