15. Seminar: Dialog junge Wissenschaft und Praxis Konflikte, Krisen, Kriege: Herausforderungen an Deutschland Antworten Deutschlands im Rahmen der Förderinitiative der Hanns Martin Schleyer-Stiftung vom 1.-2. Juli 2016 in Lichtenwalde/ Chemnitz Bericht Konflikte, Krisen und Kriege auf der Welt dominieren nicht nur die sicherheitspolitische Lage in der jeweiligen Region, sondern wirken auch darüber hinaus und betreffen immer mehr auch Deutschland und Europa. Das von der Hanns Martin Schleyer-Stiftung geförderte Seminar Dialog junge Wissenschaft und Praxis unter der Regie von Frau Prof. Dr. Neuss Leiterin der Professur Internationale Politik an der TU Chemnitz stellte diese Themen in den Mittelpunkt der Diskussion zwischen Experten aus der Praxis, Dozenten, Doktoranden sowie Studierenden aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen. In der angenehmen Atmosphäre des Best Western Hotel in Lichtenwalde bei Chemnitz standen im Rahmen des zweitägigen Aufenthalts der persönliche Austausch sowie die Diskussion über die sicherheitspolitischen Herausforderungen an die Bundesrepublik Deutschland und Europas im Fokus. Dabei war es gelungen, hervorragende Referenten aus der Praxis und Forschung zu gewinnen, welche durch ihre persönlichen Einblicke ein tiefergehendes Verständnis für die Tätigkeiten im sicherheitspolitischen Bereich ermöglichen sollten. Den thematischen Einstieg übernahm Dr. Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik und fragte in ihrem Vortrag Wie umgehen mit Russland? Grundlegend für die russische Außenpolitik ist dabei der hegemoniale Anspruch auf eine Einflusszone in der eigenen Region. In dieser Hinsicht verstehen sich die russischen Verantwortlichen als Repräsentanten einer russischen Vormacht, welche im globalen Maßstab internationale Politik mit anderen Großmächten betreiben wollen. Angetrieben wird diese Politik durch einen in der Innenpolitik entstehenden 1
Druck, erfolgreich russische Außenpolitik betreiben zu müssen. Das außenpolitische Wirken ersetzt hier eine nicht erfolgreiche Wirtschafts- und Sozialpolitik, welche aufgrund von fehlenden Strukturanpassungen und den Sanktionen in Russland nicht als Basis für die Legitimität der russischen Eliten fungieren kann. Bei der Durchsetzung der russischen Interessen spielt neben der Ausnutzung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten sowie der Propaganda und Desinformation das Militär eine große Rolle, welches gezielt reformiert wurde und in der Lage ist, mit Hilfe von regulärer wie auch irregulärer Kriegsführung Druck auf andere Akteure in der Region auszuüben. Für die deutsche bzw. europäische Politik ergeben sich in dieser Situation mehrere Herausforderungen zugleich: so ist die Sicherheitsordnung in Europa betroffen, das klassische Sicherheitsdilemma scheint wiederaufzuleben, die Gefahr der militärischen Eskalation ist präsenter denn je und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der NATO muss auf die hybriden Gefahren bzw. Konstellationen eingestellt werden. In dieser Situation gilt es zum einen die aggressive Politik Russlands einzuhegen und zum anderen den Dialog aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig kommt der Koordinierung zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsakteuren innerhalb von Europa eine strategische Rolle zu, da Sicherheit nur gemeinsam organisiert werden kann. Daran anschließend setzte sich Oberst i.g. Jörn Jakschik vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in seinem Vortrag Lessons identified! Lessons learned? mit dem militärischen Engagement Deutschlands bei der Stabilisierung und dem Staatsaufbau in Afghanistans auseinander. Der Einsatz von fremden Truppen in Afghanistan wurde dabei legitimiert durch die Resolution 1386 der Vereinten Nationen, in welcher der Einsatzradius zunächst auf Kabul und die nähere Umgebung beschränkt wurde. Die Konzentration auf das politische Zentrum reichte jedoch nicht aus und führte zudem dazu, dass die Taliban ihre Machtbasis weiter ausbauen konnten und die Anzahl der Anschläge in Afghanistan sprunghaft anstieg. Als Reaktion auf diese Entwicklungen wurde daraufhin das Einsatzgebiet im Rahmen der Resolution erweitert. Als dann zudem die Truppen vor Ort massiv ausgebaut wurden sowie mit der COIN-Strategie ein Ansatz verfolgt wurde, der den Schutz, den Kampf, die Ausbildung sowie die Einbindung von afghanischen Kräften fokussierte, waren erstmalig nachhaltige positive Effekte auf die Sicherheitslage zu erkennen. In der Diskussion im Seminar standen zudem die Fehler des Einsatzes in Afghanistan im Vordergrund, sowie die Frage, wie die bekannten Probleme umgangen werden können. Aus der militärischen Sicht braucht es dafür zunächst einen umfassenden und flexiblen Beginn, da so 2
ungewollte Gegenbewegungen früh erkannt und angegangen werden können; zudem muss früh mit der Einbeziehung einheimischer Kräften begonnen werden, um die neuen Kräfte mit in die Verantwortung zu nehmen; gleichzeitig ist es notwendig, dass die Entscheidung für einen Einsatz mit einem langen Atem verbunden sein muss, da die Lösung der Probleme vor Ort einen gewissen Durchhaltewillen erforderlich machen; neben der politischen Sensibilität ist zudem auch eine hohe interkulturelle und interinstitutionelle Sensibilität gefragt, welche vor allem durch eine ressortübergreifende Ausbildung schon früh aufgebaut werden muss; abschließend braucht es zudem auch in der deutschen Bevölkerung eine höhere Risiko- und Gefahrenakzeptanz verbunden mit einer gewissen Ehrlichkeit gegenüber militärischen Einsätzen und dem Beruf des Soldaten. Während bei der Diskussion des Engagements in Afghanistan die militärischen Aspekte von Sicherheitspolitik im Mittelpunkt standen, so vermittelte Helga Schmid, Generalsekretärin für politische Fragen vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) in ihrem Vortrag Die EU in der Konfliktbearbeitung einen Einblick in die Nuklearverhandlungen mit Iran und wie auch mit Hilfe von Diplomatie und Moderation Sicherheitspolitik betrieben werden kann. Eine entscheidende Rolle spielte der europäische Ansatz bei den Verhandlungen mit dem Iran über ihr Nuklearprogramm. Beginnend mit den ersten Anzeichen des Missbrauchs im Iran, war es zunächst die deutsch-französisch-britische Initiative, welche im Oktober 2003 zur Teheraner Erklärung führte und die friedliche Nutzung von Kernenergie im Iran möglich machen sollte. Mit der Wahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten 2005 wurden die Ergebnisse des bisherigen Einigungsprozesses jedoch wieder zurückgenommen, was zu Sanktionen über den UN-Sicherheitsrat führte. Ein Durchbruch bei der Lösung des Konflikts konnte jedoch erst zu dem Zeitpunkt erzielt werden, als der amerikanische Präsident Obama ein aktives Interesse an einer Lösung des Konfliktes mittels Nuklearverhandlungen mit dem Iran hatte und zudem mit Rohani eine Person im Iran an die Macht kam, der in die ersten Verhandlungen mit eingebunden war und zudem auch eine Einigung anstrebte. Insgesamt war es neben den involvierten Persönlichkeiten jedoch vor allem das von den Vertretern der Europäischen Union moderierte Format E3+3, das trotz anderer Konflikte, wie z.b. in der Ukraine, die Verhandlungen stabilisierte und aus europäischer Sicht zu einem belastbaren Ergebnis führte, so lange auf beiden Seiten die Verpflichtungen, Zugeständnisse und Versprechungen eingehalten werden. 3
Nachdem die europäische Rolle und der diplomatische Ansatz des Europäischen Auswärtigen Dienstes diskutiert wurden, stellte Christian Clages, Referatsleiter für das südliche Afrika, die Große Seen-Region und Grundsatzfragen Subsahara-Afrika vom Auswärtigen Amt, im letzten Vortrag des ersten Seminartages Die neue Sicherheitsherausforderung: Afrika einen Ausblick für die existierenden und kommenden Beziehungen zwischen Afrika, Europa und Deutschland vor. Die Erwartungen an Afrika und der Glaube, was politisch und gesellschaftlich möglich ist, hat sich dabei in den letzten 15 Jahren stark gewandelt. Betrachtet man diesen Zeitraum, so blickte man anfangs noch positiv auf den Kontinent und ging davon aus, dass die afrikanischen Probleme mit der Unterstützung der Weltgemeinschaft gelöst werden könnten. Dieser african boom ebbte jedoch ab, da fehlende Rechtsstaatlichkeit, Korruption, schlechte Regierungsführung, manipulierte Wahlen, Aushebelung von Verfassungen, jahrzehntelange Machthaber, die stark wachsende Bevölkerung, schwaches Wirtschaftswachstum und Friedensoperationen das Bild in der Weltöffentlichkeit über Afrika prägten. Einen besonderen Schwerpunkt in der Diskussion wurde auf das Phänomen der vielen jungen Menschen gelegt, die auf den afrikanischen Arbeitsmarkt stürmen, dort jedoch keine Chance auf eine Perspektive haben und ihr Glück in der Migration nach Europa meist über das Mittelmeer suchen. Ein zentrales Ziel in der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit muss es deswegen sein, die Bedingungen vor Ort zu verbessern und die Fluchtursachen zu bekämpfen. Fortgesetzt wurde das Seminar Dialog junge Wissenschaft und Praxis am nächsten Tag durch den Vortrag Wie bedroht ist die innere Sicherheit in Deutschland wirklich? von Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes a.d., welcher die Herausforderungen an Deutschland vor dem Hintergrund der Vernetzung von innerer und äußerer Sicherheit betonte. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den Gefahren des islamistischen Terrorismus, der im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 in den Mittelpunkt der Bemühungen vieler Sicherheitsakteure gerückt war. In Deutschland gehen die Sicherheitsbehörden in diesem Rahmen von ungefähr 500 gefährdenden Personen und weiteren 550 Unterstützern des islamistischen Terrorismus aus, welche zum Teil im Ausland sind bzw. in Deutschland überwacht werden. Das Instrumentarium zur Bekämpfung von Terrorismus ist dabei umfangreich, wobei die zwei wichtigsten Institutionen das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) und das Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) sind, in welchen sich die unterschiedlichen Sicherheitsbehörden miteinander austauschen und in ihren Lagebesprechungen eine Bewertung der Gefährdungssituation in 4
Deutschland vornehmen. Als zentrale Herausforderungen neben diesen Bedrohungen für die Sicherheit in Deutschland nannte Herr Ziercke vor allem die Gleichzeitigkeit von Globalisierung und Digitalisierung. Im letzten Vortrag Spionage und Sabotage in Netzwerken wurden die sicherheitspolitischen Herausforderungen für Deutschland aus der Sicht eines Geheimdienstes von Dr. Kai-Holmger Kretschmer, Referatsleiter Wirtschaftsschutz vom Landesamt für Verfassungsschutz aus Sachsen beleuchtet. Generell ist Deutschland aus der Perspektive des Verfassungsschutzes ein lohnenswertes Ziel, da die Industrie in vielen High Tech-Branchen herausragend ist. Betrachtet man allein die letzten Jahre, dann zeigt sich anhand der Fülle der Vorfälle, dass Geheimdienste anderer Staaten, regierungsnahe Organisationen und Kriminelle aktiv in Deutschland an Spionage- und Sabotageaktionen auf Ziele in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft beteiligt waren. Eine große Rolle bei solchen Fremdeinwirkungen spielt neben dem Ausnutzen von technischen Schlupflöchern vor allem der Faktor Mensch. Im Besonderen wurde darauf hingewiesen, welche Methoden im Bereich des social engineering genutzt werden, um Einfluss auf Verantwortungsträger zu gewinnen. Gleichzeitig ist jedoch auch die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten und den potentiellen Opfern von Spionage- und Sabotageaktionen immens wichtig, da so in Kooperation mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik die Wege von Infektionen aufgedeckt werden und ähnliche Probleme besser eingedämmt werden können, auch wenn dies von Seiten der Wirtschaft aufgrund der Angst vor öffentlichem Ansehensverlust meist noch zu wenig genutzt wird. Insgesamt wurde das Seminar seinem Titel Dialog junge Wissenschaft und Praxis vollumfänglich gerecht. Im Vordergrund standen stets die Diskussionen zwischen den jungen Wissenschaftlern und den Experten aus der Praxis, was einen umfangreichen Wissenstransfer beförderte und konkrete Einblicke in die tagtägliche Arbeit von Sicherheitsakteuren aus Deutschland und Europa ermöglichte. Als eine zentrale Herausforderung für Deutschland und Europa kristallisierte sich in den Gesprächen heraus, dass der Umgang mit Konflikten, Krisen und Kriegen stark davon abhängen, wie gut es möglich sein wird, die Vernetzung und Kooperation von den vielen außenund innenpolitischen Sicherheitsakteure organisieren zu können. Benjamin Rego MA 5