Mitbestimmen und Mitverantworten von Anfang an

Ähnliche Dokumente
"Den Kindern das Wort geben

Kinderrechte und ganzheitliche Schulentwicklung

Beteiligung und Verantwortung von Anfang an Partizipation (nicht nur) ein Thema der offenen Ganztagsschule

Das Recht des Kindes auf persönliche Entwicklung

Schülerpartizipation. Leitfaden. 1. Leitideen. 2. Formen. 2.1 Institutionalisierte Partizipation. 2.2 Partizipation im Schul- und Unterrichtsalltag

Mehr Demokratie durch den Klassenrat

Mehr über das Bundesprogramm unter:

Was ist wichtig bei der Moderation?

Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur. Demokratie lernen & leben in Rheinland-Pfalz

Fremdevaluation Ergebnisse der Onlinebefragung

Klassenrat Klassensprecher Schülerparlament Hess. Schulgesetz

Primarschule Esslingen Schulprogramm 2008/ /2012

Politische Bildung und Partizipation beginnen im Klassenzimmer Workshop von Christiane Daepp

Leitbild der OS Plaffeien

Materialpaket: Kinderrechte in die Schule. Gleichheit, Schutz, Förderung, Partizipation

Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur. Demokratie lernen & leben in Rheinland-Pfalz

Beurteilungsdimensionen und -kriterien

Mitentscheiden und Mitverantworten von Anfang an Klassenrat in der Grundschule Grundschule Süd, Rheinland-Pfalz

Sozialpädagogische Gruppenarbeit und Projekte

Hausaufgabenkonzept der Brenscheder Schule. 1. Voraussetzungen Grundthesen a) Kinder, Lehrer, Eltern... 25

Mehr Demokratie durch den Klassenrat. Beteiligung und Verantwortung von Schülerinnen und Schülern. Arbeitshilfen zur Partizipation an Ganztagsschulen

Materialien für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm

Praxisbeispiel. Kath. Grundschule St. Martini Greven

1. Schritt: Schlichtung einleiten. 2. Schritt: Sachverhalte klären, Anteile finden. 3. Schritt: Lösungen suchen, Verständigung finden

Selbstvertretung lernen in der inklusiven Schule Erfahrungen aus der Sophie-Scholl-Schule Gießen

Ergebnisse der Evaluierung des Landesinstitutes für Schulqualität und Lehrerbildung Fachbereich Qualitätsfeststellung an Schulen

Fragebogen für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I / II

KLASSENRAT ALS EINE METHODE DER DEMOKRATIEPÄDAGOGIK

UE 08. Trainingsraum-Konzept Stand: Mai Der Trainingsraum:

Modul 2 Baustein 4: Demokratie in der Schule Was ist ein Schülerparlament? Informationen für Lehrerinnen und Lehrer

Kriterium Indikator Operationalisierung Die Schule verfügt über ein von den Lehrkräften erarbeitetes Methodencurriculum.

Gewaltpräventive Schulentwicklung zahlt sich aus! Helmolt Rademacher

DEMOKRATIE LERNEN PARTIZIPATION GEMEINSAM GESTALTEN HAMBURG 2018/19

Feedbackkultur leben

Referenzkarte Festlegung von Schülerverantwortlichkeiten Klassenrat LEP CM 07

Ausbildungskonzept der Schule Lauerholz Grundlegendes Ziel Ausbildungsfächer Einsatz Evaluation

Ausbildungskonzept. der Johanna-Mestorf-Schule

Qualitätsleitbild. Oberkulm

Methoden- und Evaluationskonzept

Schul- und Erziehungskonzept der Grundschule Kieholm

Die Vormholzer Grundschule auf dem Weg zur Kinderrechte-Schule

Partizipation an der Martinischule

Konzept Schülerparlament

KINDERRECHTE LEBEN UND LERNEN

Ein Ratgeber für Kinder. an Hamburger Grundschulen

Grund- und Gemeinschaftsschule Schwarzenbek Internet:

Leiten in Schulen der Demokratie

Evaluation von Partizipationsvorhaben mit Jugendlichen

Grundschule Am Lemmchen Mainz-Mombach-West Ganztagsschule in Angebotsform & Modellschule für Demokratie

1 Mein Kind lernt, selbstständig zu arbeiten Mein Kind bekommt Aufgaben, die seinen 2 Fähigkeiten entsprechen.

Beispiel Good Practice

Beschwerdemanagementkonzept

Themengebiete: 2 Meine Kompetenzen Was kann ich alles gut?

Methodenkonzept der German International School New York

Leitbild der Primarschule Rüschlikon

Ziele der Entwicklungsvorhaben für das Schuljahr 2012/13 Zeit-, Maßnahmen- und Budgetplanung Bereich Unterrichtsentwicklung

Präventionskonzept der Grundschule Wiesenfeld

Albert - Schweitzer - Schule Grund- und Gemeinschaftsschule Albert-Schweitzer-Straße Lübeck 0451 / Fax 0451 /

A. UNSERE PÄDAGOGISCHEN ZIELE FÜR DEN KLASSEN- UND DEN SCHÜLERRAT

Materialien für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm

Leitbild der Gesamtschule Kohlscheid

Kollegiale Unterrichtshospitation

Fragebogen zum Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen Schülerinnen und Schüler, Sekundarstufe. Stimme gar nicht zu. Stimme gar nicht zu

Ich Du Wir. gemeinsam am PG

Zeit haben, um über Probleme in der Klasse zu sprechen", das mag die erste Assoziation zum Thema Klassenrat sein.

Operationalisierung. Unsere Praxis

Das Positions-Papier zur Änderung der Werkstätten-Mitwirkungs-Verordnung in Leichter Sprache. Wer sind wir?

Evaluation Kollegiale Hospitation"

Konzept zur Konfliktlösung bei Beschwerden

Auf einmal bin ich Klassenlehrer(in)!!!

Elternfragebogen zur Qualität von Unterricht und Schule

Fragebogen zum Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen Schülerinnen und Schüler, Primarstufe. Stimme gar nicht zu. Stimme gar.

Leitbild. Gemeinsam lernen Gemeinsam wachsen

PARTIZIPATION. in der (Grund)Schule. leben und lernen. Angelika Eikel. Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik. Freie Universität Berlin

Fragebogen für Eltern (1/08) (Integrativ-kooperative Pestalozzi- Grundschule)

Pädagogisches Konzept Tagesstruktur

Schülerpartizipation. Staatl. Studienseminar für Gymnasien Trier / TDS Daun BPS am

Vorstellung der Elternarbeit am Michael Gastmann Stellvertretender Schulpflegschaftsvorsitzende

Abteilung für Externe Evaluation an der AHS. Materialpaket für schulische Gruppen zur Vorbereitung auf das Abstimmungsgespräch

Prävention und Nachhaltigkeit in Schule. von. Helmolt Rademacher Christian Wild

Auswertung der Befragungsergebnisse zur Selbstevaluation zur Musikalischen Grundschule (SEVA-MuGS) befragte Gruppen

Weisungen über die Elternmitwirkung sowie Schülerinnen- und Schülermitsprache an den Schulen der Gemeinde Köniz

2011 PIK AS. Kollegiale Hospitation mit anschließendem Feedback in der Schule

Konzept Schülerparlament der Grundschule Knetterheide

Eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen

«Offene Schulzimmer offen für Entwicklung» Verena Eidenbenz/Othmar Steiner, Nr. 2/2013, S

Fragebogen für Schülerinnen und Schüler der Primarstufe

Wir am Gymnasium Oldenfelde (GOld) verstehen uns als eine engagierte Gemeinschaft von Schülern, Lehrern, Eltern und nicht-unterrichtendem Personal.

Gemeinsames Lernen an der Sternenschule

Fortbildungskonzept der Peter-Lenné-Schule

Referentinnen: Elisabeth Stroetmann, Landeskoordinatorin buddy-programm Kinderrechte an Grundschulen in NRW in Kooperation mit UNICEF, Düsseldorf, in

Partizipation oder das Recht mit zu entscheiden. Der Kindergarten Kördorf als demokratisches Übungsfeld

Konzept zur Förderung der Mitwirkung der Schülerinnen und Schüler an der Schule Bindfeldweg

Schüler/innen-Partizipation

SchülerInnenvertretung (SV) Statut

Checkliste thematischer Elternabend

Soziales Lernen Werte erfahren, entdecken, einprägen

FORMEN DER PARTIZIPATION

Transkript:

Mitbestimmen und Mitverantworten von Anfang an Der Klassenrat als Basis demokratischer Partizipation Wer schon einmal persönlich miterlebt hat, wie ernsthaft und passioniert 7 10-Jährige über ihr Zusammenleben und seine Regeln diskutieren, weiß: Schon Kinder in den ersten Schuljahren können demokratisches Handeln erlernen, ausüben und so einen demokratischen Habitus (Wolfgang Edelstein) erwerben. In Klassenräten und begleitenden Kompetenztrainings lernen Kinder an der Grundschule Süd in Landau von Schulbeginn an, sich aktiv an der Klassen- und Schulgemeinschaft zu beteiligen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Perspektivwechsel und machen erste Erfahrungen mit den repräsentativen Funktionen der Demokratie. Im Klassenrat findet ein Basistraining demokratischer Kompetenzen im Ernstfall statt pädagogischer Übungs- und Ernstcharakter im Sinne von demokratischer Partizipation ergänzen sich. SIGLINDE BURG/SONJA STUDENT Demokratie lernen & leben: So fing es an Von Februar 2003 bis März 2007 beteiligte sich die Grundschule Süd am Modellprogramm Demokratie lernen & leben der damaligen Bund- Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) in Rheinland-Pfalz. Ihre dort erworbenen Erfahrungen bei der Entwicklung demokratischer Kompetenzen und einer demokratischen Schulkultur bringt sie zurzeit in eines von vier regionalen Netzwerken der Modellschulen für Partizipation in Rheinland-Pfalz ein. Im Jahr 2008 wurde sie für ihre Leistungen auf dem Gebiet von Demokratie und Kinderrechten mehrfach ausgezeichnet: Beim bundesweiten Wettbewerb Demokratisch handeln wurde sie für ihr Engagement auf dem Gebiet demokratischer (Schul-)Kultur ausgezeichnet, im Juni gewann sie beim UNICEF- JuniorBotschafter für Kinderrechte den Sonderpreis Kinderrechte machen Schule und im Oktober wird sie für ihre vorbildliche Streitkultur mit dem Hans Götzelmann Preis für Streitkultur der Berghof-Stiftung gekürt. Von der Schulgründung bis zu diesen Auszeichnungen war es ein langer Weg des gemeinsamen Lernens aller an Schule Beteiligten. Ihre ersten Erfahrungen mit Partizipation sammelte die Schule bereits während ihrer Aufbauphase im Jahr 2001, bei der sie mit wenigen Klassen monatliche Schulversammlungen durchführte. Die Teilnahme am BLK-Programm inspirierte das Kollegium, die demokratische Praxis an der Schule systematischer zu reflektieren. Es wurde deutlich, dass die Schulversammlung durch eine demokratische Struktur auf Klassenebene ergänzt werden musste. Das Kollegium machte sich über geeignete Formen und Methoden kundig und stieß auf die Praxis des Klassenrates. Guter Rat: Klassenrat Der Klassenrat ist ein basisdemokratisches Gremium der gesamten Klasse (inklusive der Lehrerin), in dem die Kinder mit deutlich strukturiertem Ablauf und klarer Rollenverteilung über aktuelle Themen der Klasse und Schulgemeinschaft sprechen und zugleich über das gemeinsame Lernen und Zusammenleben altersgemäß mitbestimmen. Darüber hinaus lernen sie, eine Diskussion zu führen und zu leiten, sich an vereinbarte Regeln für das Gespräch und die Geschäftsordnung zu halten. Durch Einüben verschiedener Rollen wie Klassenrat-Chef, Protokollant, Zeitwächter und Abgeordneter für die Abgeordnetenversammlung der Klassen lernen sie einen Rollen- und Demokratietage und Training demokratischer Kompetenzen Das Kollegium beschloss 2003 im Rahmen des BLK-Programms die Einführung des Klassenrats in allen Klassen sowie die Evaluation und Weiterentwicklung der Klassenratspraxis. Alle Schülerinnen und Schüler wurden auf ihre Rollen als Klassenratschefs und Protokollanten vorbereitet. Sie lernten Gesprächsführung und Präsentationstechniken, um wesentliche Stichpunkte notieren zu können. Ab Klasse 1 sollten die Kinder lernen, Regeln aufzustellen und einzuhalten, einander zuzuhören, in Ich-Botschaften zu sprechen und Konflikte friedlich zu lösen. Außerdem wurden an der Schule regelmäßig Demokratietage durchgeführt, in denen die Kinder demokratische Kompetenzen erwerben können. Jede Klasse legt für sich die Lernschwerpunkte fest: Regeln aufstellen, Stopp-Zeichen beachten, Konflikte lösen, Gefühle ausdrücken, Ich-Botschaften senden, anderen zuhören, etc. Auch das Kollegium startete einen nachhaltigen Lernprozess. Um den gemeinsamen Weg kontinuierlich zu reflektieren und mehr Absprachen treffen zu können, wurde im Kollegium der Halbtagsschule an zwei Tagen in der Woche eine jeweils zweistündige verbindliche Präsenzzeit vereinbart. Einmal in der Woche findet ein Jour Fixe statt. Er dient der 26 LERNENDE SCHULE 43/2008

PRAXIS internen Verständigung über die Unterrichts- und Schulentwicklung. Zeit für den Klassenrat: verbindliche Strukturen In der Anfangszeit tagte der Klassenrat nach Bedarf und meistens war der Anlass, Konflikte unter den Kindern zu bearbeiten. Im weiteren Verlauf wurden die Bedingungen für die feste Institutionalisierung des Klassenrats, besonders die Zeitressourcen dafür, geschaffen. Im Kollegium gab es die Befürchtung, dass wichtige Unterrichtszeit verloren gehen könne. Die unterstützende Haltung der Schulleitung ermutigte die Lehrerinnen und Lehrer, sich die notwendige Zeit für Demokratie an der Schule zu nehmen. Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, dass die aufgewandte Zeit dazu führte, dass die Kinder konfliktfreier im Unterricht und in den Pausen miteinander umgingen und konzentrierteres Arbeiten möglich war. Zeit für demokratische Prozesse des Austausches brauchte auch das Kollegium, bis es den praktischen Nutzen demokratischer Prozesse erleben konnte. Inzwischen ist der Klassenrat in allen Klassen zu festen Zeiten installiert (etwa 20 30 Minuten, einmal in der Woche). Positive Runden Eine Gefahr bei der Durchführung des Klassenrats besteht darin, dass der Klassenrat nur als Konfliktlösungsinstrument benutzt wird, statt als Gremium der konstruktiven Gestaltung des Schullebens. Dazu leisten positive Runden einen wichtigen Beitrag: Jede Schülerin und jeder Schüler teilt dabei z. B. am Anfang der Versammlung mit, was ihr oder ihm in der letzten Woche oder heute besonders gut gefallen hat. Das schafft ein anerkennendes Arbeitsklima und schult den Blick für positive Entwicklungen. Kinder werden selbstbewusster Kinder, denen etwas zugetraut wird, trauen sich auch mehr zu. Durch die Erfahrungen von Selbstwirksamkeit hat sich das Selbstbewusstsein der Kinder an der Schule stark entwickelt. Kinder, die früher Angst hatten, vor einer Gruppe zu reden, sagen ihre Meinung. Auch in der Schulversammlung trauen sich viele Kinder, sich vor allen Schülern der Schule öffentlich zu äußern und Anträge einzubringen. Sie erfahren hierbei Wertschätzung und dass ihr Anliegen von den anderen Kindern und Lehrkräften ernstgenommen wird. Bessere Konfliktlösung Die Kinder schaffen es in der Regel, Konflikte selbstständig mit Hilfe vereinbarter Regeln zu lösen. Besonders ausgebildete Streitschlichter sind nicht nötig. Insgesamt treten an der Schule seit Einführung der Klassenräte weniger Konflikte auf. Die Demokratie-Tage Mittlerweile finden pro Schulhalbjahr zwei sogenannte Demokratietage statt. Jede Klasse legt eigenständig fest, mit welchen Fragen sie sich befassen will. Inhaltliche Ziele dabei sind: Ich-Stärke fördern, Kommunikationsregeln vertiefen, erarbeitete Regeln verstärken und überarbeiten, z. B. Stoppzeichen bei Konfliktregelungen, Helfersystem bei Konfliktregelungen, Protokollanfertigungen, ein Projekt zu Kinderrechten bei uns und anderswo planen. Unterstützung durch die Eltern Die Ziele des Schulprogramms und die Themen der Demokratietage sind bei den Eltern bekannt. Viele Eltern erkennen, dass ihre Kinder selbstbewusster sind und auch zu Hause mehr Mitsprache einfordern. Und weil Mitbestimmen und Mitverantworten nur zwei Seiten einer Medaille sind, sind die Kinder auch stärker bereit, Pflichten in der Gemeinschaft zu übernehmen. Einige Eltern haben eine aktive Rolle bei der Demokratieerziehung übernommen. So lud uns ein Vater, der Mitglied des Stadtrates ist, zu einer Ratssitzung ein. Aus dem Kontakt entstand ein Besuch von Ratsmitgliedern und des Bürgermeisters (Schuldezernent) bei der schulischen Demokratie-AG. Eine Mutter, die Historikerin ist, besuchte gemeinsam mit den Kindern der Demokratie-AG eine Ausstellung zum Hambacher Fest. Klassenrat an der Grundschule Mitentscheiden und Mitverantworten von Anfang an (Film: 20. min; Materialien) Der Film zeigt anschaulich Szenen aus den Klassenräten der Klassen 2 und 4, der Abgeordnetenversammlung, der Schulversammlung, der Demokratie-AG und den Demokratie-(Fortbildungs-)Tagen der Grundschule Süd. In kurzen Statements zeigen Schüler, Lehrerinnen, die Schulleiterin, ein Elternvertreter, der Vorsitzende des Grundschulverbandes und politische Vertreter der Kommune und des Landes verschiedene Perspektiven des Demokratie-Lernens und -Lebens von Schulbeginn an. Der Film wurde unter Beteiligung von Jugendlichen der Video-AG des Schloss-Gymnasiums Mainz geschnitten und vertont. Ein Praxisbaustein zum Film reflektiert die Erfahrungen der Schule und enthält zudem eine Fülle von Arbeitsmaterialien. Politische Erfahrungen von Klein an Politiker aus Kommune, Landtag und Bundestag (auch die Enquetekommission des rheinland-pfälzischen Landtags zu Jugend und Politik) machten sich ein Bild von der demokratischen Kultur der Grundschule Süd. Alle waren von der demokratischen Kompetenz der Schülerinnen und Schüler beeindruckt und erlebten die Atmosphäre gelebter Demokratie an der Schule. In ihren Stellungnahmen hoben sie die Fähigkeiten der Grundschulkinder, mitzugestalten und mitzuentscheiden als bewundernswert und nachahmenswürdig hervor. Dabei spielte der Klassenrat als Basis der Demokratie eine wesentliche Rolle. Der Besuch eines Bundestagsabgeordneten, der Mitglied des Petitionsausschusses ist, hat bewirkt, dass Kinder aus ihrer Sicht bestehende Missstände beim Petitionsausschuss des Bundestages eingaben. Die Kinder erhielten daraufhin von den verschiedensten Gremien Antworten. Selbstevaluation, Qualität, Hospitationen Die regelmäßige Evaluation des Klassenrats durch das Kollegium schärft die Wahrnehmung für die richtige LERNENDE SCHULE 43/2008 27

Spannung zwischen Stützen und Loslassen der Kinder bei der Durchführung des Klassenrats. Sowohl der Austausch der Lehrkräfte im Rahmen kollegialer Intervision als auch zwischen verschiedenen Schulen war für die Entwicklung des Klassenrats hilfreich. Vor allem neue Lehrkräfte werden regelmäßig in das Thema eingeführt und erhalten Gelegenheit zur schulinternen Hospitation. Zum Klassenrat und der demokratischen Schulentwicklung hat das Steuerungsteam Kriterien für Schülerbefragungen und Lehrerbefragungen entwickelt. Die Befragungen wurden mit allen Schülern und dem Kollegium durchgeführt. Daraus entstanden die Demokratietage. In den wöchentlichen Kollegiumsbesprechungen (Jour Fixe) werden die demokratischen Bausteine unserer Schule regelmäßig reflektiert, Schülerrückmeldungen sowie -vorschläge fließen in die Selbstevaluation ein. Am Anfang hat das Kollegium an Schulen in verschiedenen Bundesländern hospitiert, die schon länger eine demokratische Schulkultur entwickelt haben (Französische Schule in Tübingen, die Grundschule Harmonie in Eitorf). Mittlerweile bietet die Schule Kollegen anderer Schulen und Schularten Möglichkeiten zu Hospitation an. Literatur Blum, E./Blum, H. J. (2006): Der Klassenrat. Ziele, Vorteile, Organisation. Verlag an der Ruhr, Mülheim Burg, S./Neufeld, D./Seither, A./Student, S. (2006): Mitentscheiden und Mitverantworten von Anfang an. Klassenrat in der Grundschule. Praxisbaustein mit Materialien und Film. Bezug über Pädagogisches Zentrum Bad Kreuznach. Burk, K./Speck-Hamdam, A./Wedekind, H. (Hrsg.): Kinder beteiligen Demokratie lernen? Beiträge zur Reform der Grundschule. Band 116. Grundschulverband Arbeitskreis Grundschule e. V., Hemsbach. Beltz. In dem Band finden sich mehrere Beiträge zur Praxis des Klassenrats. Kiper, H. (1997): Selbst- und Mitbestimmung in der Schule. Das Beispiel Klassenrat. Schneider-Verlag, Hohengehren Kiper, H. (2003): Mitbestimmen lernen im und durch den Klassenrat. In: Palentien, C./Hurrelmann, K. (Hrsg.): Schülerdemokratie. Mitbestimmung in der Schule. München, Neuwied: Luchterhand, S. 192 210. Portmann, R., Student, S. (2007): Der Klassenrat Beteiligung und Mitverantwortung von Anfang an. In: Eikel, A., de Haan, G.: Demokratische Partizipation in der Schule. Wochenschau-Verlag, Schwalbach. Kontakt: Siglinde Burg siburg@web.de Schulleiterin der Grundschule Landau- Süd, Programmschule im BLK-Programm Demokratie lernen & leben. Sonja Student sonja.student@ganztaegig-lernen.de Lehrerin, Geschäftsführerin von KiKo, Büro für Kommunikation, Frankfurt/M. und Referentin der Serviceagentur Ganztägig Lernen, Rheinland- Pfalz; ehem. Mitglied der Projektleitung im BLK-Programm Demokratie lernen & leben für Rheinland-Pfalz. Praxisanregungen zum Klassenrat Vorbereitung und Rahmenbedingungen Die Einführung des Klassenrats sollte gut vorbereitet sein. Am besten ist, wenn das Projekt in der Lehreroder Schulkonferenz vorgestellt bzw. mit der Schulleitung abgesprochen wird. Auch die Eltern sollten frühzeitig über das Vorhaben in Kenntnis gesetzt werden. Es sollte deutlich gemacht werden, dass schulische Leistungsförderung und Partizipation kein Widerspruch sind, sondern dass Beteiligung Leitung und Verantwortung fördert. Anhand anschaulicher Filme oder Besuche von erfahrenen Praktiker/innen können sich das ganze Kollegium und die Eltern informieren und ein Pilotprojekt in der Schule unterstützen bzw. beschließen, den Klassenrat an der Schule einzuführen. Das wird nicht an allen Schulen möglich sein, aber es gibt auch viele Beispiele dafür, wie einzelne Lehrer/innen das Projekt zunächst in ihrer Klasse erproben und mit zunehmender Erfahrung weitere Kolleg/innen zum Nachmachen anregen. Es gibt umfangreiche Literatur zum Thema und Schulen, die schon über einen langen Zeitraum mit Klassenräten arbeiten und Hospitationen anbieten. Auf jeden Fall sollten die Rahmenbedingungen zur Durchführung des Klassenrates gesichert werden am besten an einem festen Tag in der Woche, der im Stundenplan verankert ist. In der Sekundarstufe I können auch mehrere Fachlehrer gemeinsam abwechselnd eine Stunde zur Verfügung stellen. Was die Kinder im Klassenrat lernen, kommt allen Fächern zugute. Einführung des Klassenrats In der Klasse sollte die Lehrkraft den Klassenrat einführen und erklären bzw. entsprechende Anregungen der Schüler/innen aufgreifen. In ersten Klassen können die Erfahrungen mit dem Morgenkreis im Kindergarten aufgegriffen werden, in Sekundarschulen die Erfahrungen aus der Grundschule. Eine gute Gelegenheit zur Einführung ist ein aktuelles Thema, das mit Hilfe aller Schüler/innen gelöst werden muss. Das Verfahren und die Regeln sollten gemeinsam besprochen, festgehalten und wenn nötig später modifiziert werden. Plakate und Checklisten helfen den Kindern, sich die Abläufe zu merken. Am Anfang ist die Lehrkraft dafür verantwortlich, dass die Regeln eingeübt und eingehalten werden. Im weiteren Prozess kann die Verantwortung zunehmend in die Hände der Kinder gelegt werden. Wie viel Verantwortung abgegeben werden kann, ist abhängig vom Alter und den Kompetenzen der Gruppe. Vor allem in der Anfangsphase ist es wichtig, die Kompetenzen zu schulen, die den Kindern die selbstständige Durchführung des Klassenrates ermöglichen. Klassenrat von Anfang an Der Klassenrat kann und sollte bereits im 1. Schuljahr eingeführt werden am besten in der zweiten Hälfte, wenn die Kinder sich und ihre Schule besser kennen. Dabei kann es durchaus turbulente Sitzungen geben, bis die Kinder ihre eigene Ordnung gefunden haben. 28 LERNENDE SCHULE 43/2008

PRAXIS In solchen Situationen sind naheliegende Gefährdungen für Lehrkräfte: vorschnell selbst das Heft in die Hand zu nehmen ( Ich sehe schon, ihr könnt das noch nicht ) und den notwendigen Prozess der gemeinsamen Regelfindung zu unterbrechen und zu stören. Besser als Sanktionen helfen unterstützende Fragen an die Kinder ( Was wollte X gerade sagen? ), Hinweise auf Regeln ( Denkt daran, immer einer nach dem anderen. ) oder nonverbale Hilfen (den Gong schlagen, wenn es zu laut wird). Lehrerin oder Lehrer können sich auch selbst zu Wort melden, müssen sich aber wie die Kinder an die Redeliste halten. Den Sitzkreis einüben Bei Einführung des Klassenrats ist es sinnvoll, den Sitzkreis vorher einzuüben. Das Aufstellen eines Sitzkreises geht oft nicht lautlos vonstatten und dauert eine Weile. Wichtig ist zunächst, dass wirklich alle wissen, wie der Kreis zu stellen ist, wer wann wo seinen Stuhl, sein Kissen zu platzieren hat. Themen finden Die Themen werden in erster Linie von den Schülerinnen und Schülern eingebracht, können aber auch von den Lehrkräften gewünscht werden. Sie können im Klassenbriefkasten abgelegt werden oder in einem Klassenrats-Buch niedergeschrieben werden. Das Buch kann jederzeit im Unterricht benutzt werden. Das stört den Unterricht nicht, sondern kann im Gegenteil als Ventil für akute Probleme oder Meinungsäußerungen dienen. Jedes Kind kann so sicher sein, dass sein Thema nicht verloren geht, sondern behandelt wird. Manchmal hat sich das Problem aber auch bis zur Klassenratssitzung erledigt. Wer sein Anliegen (noch) nicht selbst formulieren kann, darf sich dabei von einer Mitschülerin oder einem Mitschüler helfen lassen. Das klassische Mittel zur Themenfindung ist die Wandzeitung. Alle Themenzettel müssen mit dem Namen unterzeichnet werden. Anonyme Anträge werden nicht verhandelt. Die Themenzettel sollten in nicht beleidigender Weise formuliert sein und möglichst nicht nur Beschwerden, sondern auch Anerkennung und Lösungsvorschläge enthalten. Kinder, die ein Thema einbringen möchten, können sich auch in eine Liste eintragen, die dann in der Reihenfolge der Einträge abgearbeitet wird. Soll im Klassenrat mit den Kindern über ihre Beteiligung an Planung und Gestaltung des Unterrichts, z. B. vor neuen Unterrichtseinheiten oder Themen gesprochen werden, werden Lehrerin oder Lehrer den Inhalt vorgeben. Aufgaben für die Klassenrat-Leitung Dass Demokratie keine beliebige Gesprächsrunde ist, sondern ihre Regeln, Rituale und Abläufe hat und diese erst erlernt werden müssen, erfahren die Kinder am besten, wenn sie einmal die verantwortliche Rolle eines Klassenrat-Leitungsmitglieds erfüllen müssen, sei es als Leiter oder Klassenrat-Chef, als Protokollant oder Zeitnehmer. Terminierung Die regelmäßige Durchführung des Klassenrats an einem bestimmten Wochentag bzw. wöchentlich oder zweiwöchentlich an wechselnden Tagen, damit nicht immer die gleiche Unterrichtsstunde betroffen ist, zeigt: Partizipation ist ausdrücklich erwünscht. Der Klassenrat kann auch an den Unterrichtsablauf gekoppelt werden, z. B. vor Beginn und Abschluss jeder Unterrichtseinheit. Die Kinder bekommen so nicht nur mitgeteilt, was die Lehrerkraft tun will, ihnen wird auch Mitsprache und Mitwirkung ermöglicht. Partizipation erhält auf diese Weise tatsächlich Ernstcharakter und bleibt nicht länger Kür. Die Zeit, die für einen Klassenrat aufgewendet werden sollte, ist abhängig von den zu klärenden Inhalten und vom Alter der Kinder. Zu seiner Einführung im 1. Schuljahr genügen 20 Minuten, später kann er auf bis zu einer Unterrichtsstunde ausgedehnt werden. Organisatorische Hilfen Damit die Struktur des Klassenrates funktioniert, sollte sich die Klasse eine Checkliste anlegen mit Regeln, die alle einhalten und gegebenenfalls auch Kärtchen oder Symbole dafür als Gedächtnisstützen einführen. Die Redeliste einhalten: Das Wort hat nur, wer den Redestein oder einen anderen Gegenstand (das Klassentier, ein Mikrofon) hat. Die Redezeit begrenzen: Jedes Kind hat nur eine begrenzte Redezeit. Die kann z. B. mit einer Eieruhr für alle sichtbar gemacht werden. Rückfragen begrenzen: Es dürfen immer nur Rückfragen von drei Kindern gestellt werden. Bei Abstimmungen: Es dürfen drei Kinder für einen Antrag, drei gegen einen Antrag sprechen, dann wird die Redeliste geschlossen und abgestimmt. Vielsprecherinnen und -sprecher bremsen: Jedes Kind bekommt fünf Sprechkarten. Sind diese verbraucht, erhalten erst Kinder das Wort, die noch keine Sprechkarte haben. Gute Argumente sollen dennoch nicht verloren gehen. Die Kinder, die nicht zu Wort kommen, notieren ihre Beiträge während der Sitzung an einer Wandzeitung. Alle können mitlesen. Wichtige Argumente können noch einbezogen werden. Bei knapper Zeit: Informationen und Sachdiskussionen werden getrennt. Infos werden im Umlaufverfahren schriftlich herumgegeben und müssen von allen Kindern abgezeichnet werden. Sachdiskussionen können von Ausschüssen vorbereitet werden. LERNENDE SCHULE 43/2008 29

Protokollvorlage Klassenrat Protokoll des Klassenrates vom: Auf die Zeit achtet: Das Protokoll schreibt: Das letzte Protokoll liest vor: Überprüfung der Vereinbarung aus dem Protokoll vom: Themen heute: 1. Leitung 2. 3. 4. Mitteilungen Vereinbarungen zu den Themen: Wer macht was mit wem bis wann? Rückblick auf die heutige Klassenratsstunde Gab es bei diesem Klassenrat viele Störungen? Haben die Schüler die Kreisleitung respektiert? Ist die Kreisleitung mit ihrer Rolle insgesamt zurecht gekommen? Welche Themen konnten wir heute nicht besprechen? (Beim nächsten Klassenrat zuerst!) Thema Nr.: 30 LERNENDE SCHULE 43/2008