Kindern eine Stimme geben forschende Zugänge zu Bildungsprozessen von Kindern Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann Alice Salomon Hochschule Meissen, 26. März 2011
Kindheit als sozial-kulturelle und biografische (Re-) Konstruktion von Erwachsenen Kind Garten = Kindergarten Quelle: Fröbel Bildungskalender 2009 2
Den Kindern eine Stimme geben? oder doch besser: den Kindern zuhören und zuschauen! Kinder als aktive Konstrukteure Konstruktionen der Kinder eigenwillig und eigensinnig Pädagogische Beziehungen als Rahmen, in dem sich die (Ko-) Konstruktionen der Kinder entfalten Pädagogische Sparsamkeit nicht pädagogische Abstinenz! Literaturempfehlung: Reich, Kersten: Kindheit als Konstrukt oder die Konstruktionen der Kinder?. http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/aufsatze/reich_51.pdf 3
Bildungsprozesse von Kindern Ist Bildung das, was in den Bildungsplänen steht? Lernen Kinder in Bildungsbereichen? Programme und Pläne geben Antworten Lern- und Bildungsprozesse beginnen mit Fragen, Irritationen und Freiräumen für ergebnisoffenes Tun Bildung ist: aktive Selbstbildung ganzheitliche Erfahrung und Erkenntnis mit Herz, Kopf und Hand ein mehrdimensionaler, synergetischer und komplexer Prozess, der sich nicht abgrenzbare Fächer pressen lässt Literaturempfehlung: Liegle, L. (2007): Pädagogische Konzepte und Bildungspläne wie stehen sie zueinander? In: kindergarten heute 1/2007, S. 6-12. 4
Die professionelle Haltung des Erwachsenen Um Bildungsprozesse von Kindern zu ermöglichen, zu unterstützen und zu verstehen, sind Kernkompetenzen erforderlich: entdeckendes Beobachten und Fragen Achtsamkeit und Resonanz Ressourcenorientierung Schatzsuche statt Fehlerfahndung Offenheit für Diversität Wertschätzung und emotionale Zugewandtheit Selbst-Reflexivität und biografische Bewusstheit forschende Zugänge Literaturempfehlung: Gerd E. Schäfer (2011): Was ist frühkindliche Bildung? Kindlicher Anfängergeist in einer Kultur des Lernens. Juventa. Nentwig-Gesemann, I; Fröhlich-Gildhoff, K.; Harms, H. & Richter, S. (2011): Professionelle Haltung /Identität der Fachkraft für die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren. WiFF-Expertise 5
Die Perspektive der Kinder erfassen: ein forschender Zugang zu den Konstruktionen der Kinder Nicht über, sondern mit Kindern sprechen Sehendes Sehen: Den Kindern beobachtend nachgehen ( entdeckendes Beobachten, Schäfer), um sie nicht aus den Augen zu verlieren Hörendes Hören: Innehalten, neugierig sein, fragen und den Kindern zuhören Die verschiedenen Sprachen der Kinder berücksichtigen, die sich selbst und die Welt im Medium des sprachlichen und korporierten Handelns hervorbringen (Verbalsprache, Körper, Spiel & werk-schöpferische Produkte, z.b. Bilder) Wie schaffen wir Freiräume für den freien und befreiten Ausdruck von Kindern? Wie können wir uns einen methodisch abgesicherten verstehenden Zugang erarbeiten? 6
Die Sprachen der Kinder: Diskurs und Performativität Analyse von Diskurs- und Gesprächspraxis und körperlichschöpferischer Ausdrucksformen Methodische Zugänge: videografische / ethnografische Beobachtung videogestützte Gruppendiskussion / videogestütztes Interview freier Ausdruck: Bilder & Texte Die Methode bestimmt das Material: Wie (Gesprächs-) Situationen mit Kindern gestaltet werden, bestimmt die Qualität des Einblicks in ihre Perspektive(n) Methoden müssen angemessen an die Kompetenzen und Ressourcen der Kinder, ihre Perspektive(n) zu entfalten, anknüpfen Nentwig-Gesemann, Iris (2007): Sprach- und Körperdiskurse von Kindern Verstehen und Verständigung zwischen Textförmigkeit und Ikonizität. In: Friebertskäuser/Felden/Schäffer (Hg.): Bild und Text. Opladen und Farmington Hills: B. Budrich, S. 105-120.
Ein Beispiel aus der Praxisforschung: Videogestützte Beobachtung Forschungsfrage: Ästhetische Erfahrungen von Kindern in den ersten drei Lebensjahren Filmsequenz Hand (Film: Katharina Kem-Stoll, 4. Semester, Studiengang: Erziehung und Bildung im Kindesalter an der Alice Salomon Hochschule Berlin)
Vorteile der videogestützten Beobachtung Kamera zeichnet auf, was ihr vor die Linse kommt Video kann wiederholt betrachtet und vertextet werden Wahrnehmung und Beschreibung kann damit wesentlich dichter und detaillierter sein als bei einem Beobachtungsprotokoll Ermöglicht methodisch kontrollierte Fremdheitshaltung - die Befremdung des vermeintlich Bekannten und Verstandenen Forschung als Re-Konstruktion der Konstruktionen der Kinder Einüben forschender Zugänge zu Bildungsprozessen von Kindern
Ein Beispiel aus der Praxisforschung: Bild & Gespräch Forschungsfrage: Wie erleben und verarbeiten Kinder die Einschulung und wie kann dieser Übergang pädagogisch vorbereitet und begleitet werden? Malimpuls: Ich als Schulkind Begleitendes Malinterview (Material gesammelt von: Katharina Nicolai, 4. Sem. Studiengang: Erziehung und Bildung im Kindesalter an der Alice Salomon Hochschule Berlin) Literatur: Nentwig-Gesemann, Iris & Nicolai, Katharina (2008): Praktische, theoretische und persönliche Annäherungen an das forschende Lernen. In: Daiber, Barbara; Weiland, Inga (Hrsg.): Impulse der Elementardidaktik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Ein Beispiel aus der Praxisforschung: Gruppendiskussionen Forschungsprojekt: Erfahrungen von Kindergarten- und Grundschulkindern in der Lernwerkstatt Zauberhafte Physik Methodentriangulation: (videogestützte) Beobachtungen, Gruppendiskussionen mit Kindern und PädagogInnen Gruppendiskussion: An was erinnern sich die Kinder, was verbalisieren sie wie? Gruppendiskussion erhoben von Frauke Gerstenberg
Gruppendiskussion (mit Kindern) was soll evoziert werden? Möglichst detaillierte Erzählungen und Beschreibungen von gemeinschaftlichen Erfahrungen und Erlebnissen Geschichten, die in und mit einer Gruppe erlebt wurden Interaktive Selbstläufigkeit und assoziatives Bezugnehmen Sprechen der Kinder in ihrer Sprache Erinnern und Aktualisieren von Erlebniszentren / Verknüpfung mit existentiellen Fragen Literatur: Nentwig-Gesemann, Iris (2006): Regelgeleitete, habituelle und aktionistische Spielpraxis. Die Analyse von Kinderspielkultur mit Hilfe videogestützter Gruppendiskussionen. In: Bohnsack / Przyborski / Schäffer (Hg.): Das Gruppendiskussionsverfahren in der sozialwissenschaftlichen Praxis. Opladen: Leske + Budrich, S. 25-44.
Karl: Max: Mila: Pia: Karl: Sille: Karl: Max: Karl: und Pluto haltet die Erde damit die Erde nicht auf die Sonne fällt was is Pluto? Pluto is ein Planet ja Pluto is ein Planet davon gibt s kein Foto da is immer ein Fragezeichen drauf weil keiner hat noch nie Pluto gesehn kein einziger Mensch aber ins am aller kleinsten Gott kann alles sehn Computer gibt s Pluto Quelle: kindergarten heute 3/2011: Gerstenberg, Grober, Nicolai und Nentwig-Gesemann: Erzählkultur. Fantasiegeschichten und -gefährten. S. 18-25 13
Ein Beispiel aus der Praxisforschung: Erfahrungen von Kindergartenund Grundschulkindern in der Lernwerkstatt Zauberhafte Physik Die Interviewerin hat die Kinder gebeten, sich an den letzten Besuch in der Lernwerkstatt zu erinnern und zu erzählen, was sie dort gemacht und erlebt haben. Es entwickelt sich eine Fokussierungsmetapher: Projektleitung: Wedekind & Nentwig-Gesemann; Mitarbeiterinnen: Tengler & Gerstenberg Noch unveröffentlichtes Projektmaterial
Konstruktionen und Konstruktionsprozesse von Kindern rekonstruieren ein forschender Zugang zu Bildungsprozessen von Kindern Bildungsprozesse sind mimetische Prozesse, der Aneignung und Neu-Hervorbringung von Welt praxeologische, rekonstruktive Forschungszugänge Wulf, Ch. (2009): Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie. Köln. 15
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