Dauerthema Politikverdrossenheit

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Transkript:

Dauerthema Politikverdrossenheit Erscheinungsformen und Gründe Dr. Kai Arzheimer, Institut für Politikwissenschaft

Übersicht Das Konzept der Politikverdrossenheit Begriffe, Ursachen, Therapievorschläge (Ergebnisse einer Literaturanalyse) Deutschland im internationalen Vergleich Jugend und Politikverdrossenheit (neuere empirische Befunde) 2

Politikverdrossenheit als Problem für Wissenschaft und Politik Verhältnis zwischen Bürger und Staat ist eine Kernfrage der modernen Politikwissenschaft Das Thema hat selbst eine politische Schubkraft entwickelt Wissenschaftsinternes Interesse Bis Ende der 1990er Jahre mehr als 400 Veröffentlichungen 3

Literaturlage Mitte/Ende der 1990er Jahre Politisches Feuilleton Konservativ-kulturpessimistische Essays Gesellschaftskritische Aufsätze Politik/Politikberatung: Plädoyers für politische Reformen Politische Soziologie/Medienwirkungsforschung: Variablensoziologische Beiträge Umdefinitionen Fast keine analytischen Studien kaum intersubjektive Ergebnisse Germanozentrismus (Peter Lösche) 4

Offene Forschungsfragen Was bedeutet eigentlich Politikverdrossenheit? Einstellungen, Verhaltensweisen Objekte, Ursachen Gibt es in der Wissenschaft etablierte Konzepte, die besser zur Beschreibung dieser Phänomene geeignet sind? Ist das Ausmaß der Verdrossenheit in Deutschland höher als in vergleichbaren Ländern? 5

Was bedeutet Politikverdrossenheit? begriffliche Wurzeln / Vorgeschichte der Debatte vergleichbare Begriffe in der deutschsprachigen Literatur ca. 1950-1975 Analyse der deutschsprachigen und internationalen Unregierbarkeitsdebatte Internationale Literatur zum Niedergang der Parteien quantitative Analyse der neueren Literatur (seit 1977) 6

Vorgeschichte Spezifisch deutsche Debatte läßt sich bis in die Nachkriegszeit zurückverfolgen 7

Vorgeschichte [P.E.] Schramm hob hervor, die junge Generation habe es besser als ihre Väter und Vorväter. Das gelte insbesondere auch für die sogenannte Intelligenz, die jetzt vielfach eine besondere Verdrossenheit zeige. Heute habe die jüngere Generation demgegenüber größere Freiheiten. Schramm forderte Bereitschaft zum Risiko. Besonders nachdrücklich wandte er sich gegen Stimmen, die eine Bundesverdrossenheit zu zeigen versuchten. (Die Welt, 04.02.1969) 8

Vorgeschichte Viele Bürger haben individuelle oder gruppenegoistische Grundeinstellungen Auf die Erfüllung ihrer Forderungen reagieren sie nicht mit Anerkennung und Dankbarkeit, sondern mit zunehmender Abwertung, mit Mißtrauen, Skepsis, übermäßiger Kritik am Staat, Verlust eines lebendigen Staatsgefühls bis hin zur Staatsverdrossenheit 9

Vorgeschichte Mit dieser Einstellung ist eine mangelnde Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit im öffentlichen Leben verbunden Als Gründe für ihr mangelndes Engagement nennen die Bürger u.a. Verwaschenheit, Drehscheibenpolitik und politische Rückgratlosigkeit in den Parteien 10

Vorgeschichte Die eigentlichen Ursachen der Staatsverdrossenheit liegen in der Modernisierung der Gesellschaft: Kontaktverlust von Mensch zu Mensch, Verschwinden der Intimbereiche, Schwund an persönlicher Initiative in der Freizeit, Verlust eines Sinnes für Hierarchie der Werte E. Hessenauer (1957) über seine Erfahrungen in der politischen Jugendarbeit nach dem Krieg 11

Vorgeschichte Spezifisch deutsche Debatte läßt sich bis in die Nachkriegszeit zurückverfolgen beschäftigt sich mit sehr ähnlichen Phänomenen, nennt ähnliche Ursachen kommt aber zu anderen Bewertungen als die moderne Verdrossenheitsdebatte Dies gilt in ähnlicher Weise für zwei andere, stärker international geführte Krisendiskurse über den Niedergang der Parteien über die Unregierbarkeit der westlichen Demokratien Letzterer geht in Deutschland unmittelbar in die Verdrossenheitsdebatte über 12

Untersuchung der neueren Literatur Quantitative Untersuchung der deutschsprachigen Literatur 1977-1999 Problem: selbst bei starker Reduktion ca. 170 Titel, die berücksichtig werden müssen Entwicklung eines Analyserasters 13

Kleinster gemeinsamer Nenner Bezieht sich auf die Ebene der Bürger, nicht der politischen Eliten mehrere Analyseebenen (Gesamtgesellschaft, Parteien, Medien, Interessenverbände etc.) besonderes Interesse an individuellen negativen Einstellungen gegenüber politischen Objekten 14

Kleinster gemeinsamer Nenner Vielfältige und sehr komplexe Annahmen über die Interaktionen zwischen den Ebenen werden selten explizit gemacht und fast nie überprüft Allgemeines Erklärungsmodell findet sich in so in keinem Text, läßt sich aber rekonstruieren 15

Ein allgemeines Erklärungsmodell Makro- Ebene Politisch-ökonomische Situation Verhalten der politische Akteure gesellschaftlicher Wandel Mikrobzw. Meso- Ebene Wahrnehmung/Wirkung Werte/Ideologien Formation von politischen Einstellungen Intermediäre Strukturen Medien Sozialisationsinstanzen Bezugsgruppen Vorhandene Einstellungen? Aggregation Individuelles politisches Verhalten 16

Analyseraster für die untersuchten Texte analytische Aspekte Welche Begriffe werden verwendet theoretische Vernetzung etc. inhaltliche Aspekte Einstellungen, Objekte, Verhaltensweisen Ursachen, Folgen etc. methodologische Aspekte Datenbasis, Operationalisierung politische Aspekte Schuldzuweisungen, Therapie 17

Entwicklung der Verdrossenheitspublikationen 1977-1989 Relative Häufigkeit 0.00 0.05 0.10 0.15 Erfolge der Grünen, Höhepunkt der Friedensbewegung, Spenden-Affäre 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 18

Entwicklung der Verdrossenheitspublikationen 1977-1999 Relative Häufigkeit 0.00 0.05 0.10 0.15 Höhepunkt der wissenschaftlichen Diskussion Politikverdrosssenheit Wort des Jahres 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 19

Entwicklung ausgewählter Verdrossenheitsbegriffe Absolute Häufigkeiten 0 5 10 15 20 Parteienverdrossenheit Politikverdrossenheit Absolute Häufigkeiten 0 5 10 15 20 Staatsverdrossenheit Politikerverdrossenheit 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 20

Ergebnisse: analytische Dimensionen Zahl der Verdrossenheitspublikationen folgt einem Konjunkturmuster Politik-, Parteien-, Politiker- und Staatsverdrossenheit werden am häufigsten verwendet, unterliegen aber eigenen Konjunkturzyklen Die meisten Autoren kombinieren mindestens zwei Begriffe und verwenden diese wie Synonyme 21

Ergebnisse: analytische Dimensionen In der Mehrzahl der Fälle wird Politikverdrossenheit überhaupt nicht definiert, wenn doch, dann uneinheitlich Viele Autoren äußern Kritik an Verdrossenheits-Forschung, ohne daß dies Konsequenzen hätte PV als intervenierende Variable in einem komplexen Prozeß Angesichts der komplexen Erklärungsversuche ist die Datenbasis zu schmal 22

Analyseraster für die untersuchten Texte analytische Aspekte Welche Begriffe werden verwendet theoretische Vernetzung etc. inhaltliche Aspekte Einstellungen, Objekte, Verhaltensweisen Ursachen, Folgen etc. methodologische Aspekte Datenbasis, Operationalisierung politische Aspekte Schuldzuweisungen, Therapie 23

Objekte von Verdrossenheit Die untersuchten Texte konzentrieren sich auf Parteien und Politiker Keine Demokratie-, Staats- oder Politikverdrossenheit sondern Parteien- und Politikerverdrossenheit Der Begriff der Verdrossenheit wird im Zeitverlauf immer weiter ausgedehnt 24

Zahl der Objekte im Zeitverlauf Objekte von Verdrossenheit 0 1 2 3 4 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 25

Ursachen von Verdrossenheit 26

Ursachen von Verdrossenheit Medien, Fehler der Politiker und Wertewandel werden am häufigsten genannt Werden aber jeweils nur in ca. einem Viertel der analysierten Texte angesprochen Extreme Vielfalt von teils sehr idiosynkratischen Ursachenzuschreibungen 27

Verdrossenheitseinstellungen 28

Verdrossenheitseinstellungen Enttäuschung und Unzufriedenheit werden am häufigsten genannt Darauf folgen Mißtrauen und das Gefühl politisch nichts bewirken zu können Hinzu kommt eine Unzahl weiterer Einstellungen, die jeweils nur von wenigen Autoren genannt werden Starke Schwankungen im Zeitverlauf 29

Verdrossenheitseinstellungen im Zeitverlauf Relative Häufigkeit der Nennung 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 insgesamt 13% (Platz 9) neue/andere Ziele Protest Mißtrauen insgesamt 62% (Platz 2) insgesamt 21% (Platz 6) 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 30

Handlungsfolgen von Verdrossenheit im Zeitverlauf Relative Häufigkeit der Nennung 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 Wahl der Grünen Wahl rechter Parteien Nichtwahl 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 31

Handlungsfolgen von Verdrossenheit 32

Ergebnisse: inhaltliche Dimensionen Objekte Am häufigsten sind Politiker und Parteien betroffen, große Heterogenität in der Literatur Ursachen Meist mehrere aus den unterschiedlichsten Bereichen (politischer, sozialer, ökonomischer Wandel, Korruption, innerparteiliche Probleme, Medien etc. etc.); in der Regel bloße Aufzählung / Aneinanderreihung Einstellungen Meist mehrere in Kombination. Am häufigsten Mißtrauen sowie Unzufriedenheit/Enttäuschung ausgeprägte Zyklen 33

Ergebnisse: inhaltliche Verhaltensweisen Dimensionen Nichtwahl, Wahl rechter Parteien, Wahl der Grünen Konjunkturzyklen Politikverdrossenheit offensichtlich universelle Erklärung für neue Entwicklungen in der Politik 34

Analyseraster für die untersuchten Texte analytische Aspekte Welche Begriffe werden verwendet theoretische Vernetzung etc. inhaltliche Aspekte Einstellungen, Objekte, Verhaltensweisen Ursachen, Folgen etc. methodologische Aspekte Datenbasis, Operationalisierung politische Aspekte Schuldzuweisungen, Therapie 35

Politische Aspekte Politische Stellungnahmen finden sich in ca. 25% aller untersuchten Texte Verdrossenheitsliteratur ist damit wesentlich unpolitischer als ältere Krisendiskurse Politiker (und nicht die Medien) gelten als Hauptschuldige Große Vielfalt von Therapievorschlägen 36

Politische Aspekte 37

Eine Alternative: Das Unterstützungskonzept von Easton Typen offen (Handlungen) verdeckt (Einstellungen) Unterstützungsobjekte (Systemebenen) Politische Gemeinschaft Regime (Werte, Normen, Rollenstruktur) Autoritäten (Amtsinhaber) Modi verdeckter Unterstützung spezifisch (kurzfristig, auf Ergebnis bezogen) diffus (Legitimität und Vertrauen, langfristig, auf Sache selbst bezogen) 38

Eine Alternative: Das Unterstützungskonzept von Easton Das bedeutet nicht, daß es in Deutschland keine Unzufriedenheit gebe Zentrale Bedeutung für Demokratien: hohes Maß an Unzufriedenheit mit Amtsinhabern weder ungewöhnlich noch problematisch so lange deren Ablösung möglich erscheint Probleme dann, wenn Unzufriedenheit mit Amtsinhabern auf System generalisiert würde mit welchen Aspekten des Systems sind die Bürger unzufrieden? 39

Zwischenfazit Das Konzept Politikverdrossenheit hat erkennbare Probleme Es kann inhaltlich vollständig durch ältere, in der internationalen Forschung verbreitete und akzeptierte Konzepte ersetzt werden Im Unterschied zur Politikverdrossenheit sind diese (relativ) klar definiert, es existieren erprobte Meßinstrumente und eine umfangreiche Datenbasis, was Vergleiche ermöglicht 40

Übersicht Das Konzept der Politikverdrossenheit Begriffe, Ursachen, Therapievorschläge Deutschland im internationalen Vergleich Jugend und Politikverdrossenheit 41

Sonderfall Deutschland? Verhältnis Bürger Parteien Vertrauen in Politiker und politische Institutionen Wahrgenommene Responsivität des politischen Systems Performanz des politischen System (Demokratiezufriedenheit) Demokratie als Staatsform 42

Bürger und Parteien Organisationsgrad in Parteien In Deutschland durchschnittlich Erfassung problematisch, Aussagekraft eher gering Psychologische Parteibindungen Wahlbeteiligung Nicht unproblematisch In Deutschland traditionell überdurchschnittlich hoch Rückgang seit den 90er Jahren parallel zum westeuropäischen und weltweiten Trend (unterhalb Bundesebene) Wahl der extremen Rechten Neben politischer Unzufriedenheit spielen andere Faktoren eine wichtige Rolle; Parteien nicht ohne weiteres vergleichbar In Deutschland insgesamt sehr niedrige Werte (unterhalb Bundesebene) 43

Anteil Parteimitglieder (selbst oder andere Person im Haushalt) ca. 1990 Nordirland 2,01 Portugal 2,51 Spanien 2,72 Frankreich 3,44 Irland 4,11 Großbritannien 5,57 Deutschland-West 6,49 Deutschland-Ost 6,65 Niederlande 7,18 Belgien 8,03 Italien 8,53 Griechenland 9,38 Dänemark 9,62 Luxemburg 12,66 Norwegen 14,26 Quelle: Eurobarometer 44

Parteibindungen 2002 Anteil Parteiidentifizierer 0 20 40 60 80 DE-O IT BE FR GB ES DE-W CH AT FI GR NL NO DK 45

Durchschnittliche Wahlbeteiligung 1969-1999 Australien 95 Niederlande 82 Irland 73 Belgien 92 Norwegen 81 Japan 69 Italien 90 Finnland 76 Schweiz 52 Deutschland 86 Frankreich 75 USA 52 BTW 2002: 81 (West) / 73 (Ost) 46

Wahl der extremen Rechten Maximaler Stimmenanteil der Extremen Rechten 0 10 20 30 seit 1979 GB GR DE LU SE FI BE DK FR NO IT NL AT (Wahlen zum nationalen Parlament) 47

Vertrauen in Politiker/Institutionen Politiker Wenig vergleichende Studien, meist nur wenige Länder Dalton (1999) untersucht 14 Länder seit 1952 Indikatorenprobleme Rückgang in allen Systemen In Deutschland durchschnittliche Entwicklung Institutionenvertrauen Dalton 1999: leicht unterdurchschnittlich / im Durchschnitt Bei beiden Dimensionen Einbruch in den frühen 90ern (Wiedervereinigung), ähnliche Verschiebungen in anderen Demokratien 48

Mißtrauen Politiker 1997 100 "People who run the country more concerned with themselves than with the good of the country" 80 EU ohne Deutschland Anteil Zustimmung 60 40 20 0 NL DK L S A FIN GB E D-W IRL P F GR D-O I B 49

Responsivität / Efficacy 1985 (ISSP) keine Hinweise auf besonders niedrige Ausprägung in Westdeutschland 1996 sind Westdeutsche bei einigen, Ostdeutsche bei allen Items unterdurchschnittlich Abweichungen vom Durchschnitt der anderen Länder aber immer geringer als eine Standardabweichung 50

Responsivität/Efficacy 2002 DE-O DE-W DK AT CH NO NL BE IT GB FR ES FI GR 1 2 3 4 5 Politik zu kompliziert 51

Responsivität/Efficacy 2002 GR DE-O ES AT DE-W IT FR BE GB NL FI CH DK NO 1 2 3 4 5 Politiker an Meinung der Bürger interessiert 52

Responsivität/Efficacy 2002 ES FR IT BE AT NL FI GB CH DE-O DE-W NO GR DK 1 2 3 4 5 Aktive Rolle vorstellbar 53

Tatsächliche Aktivität 2002 GR IT ES NL BE AT GB DE-W DK FR DE-O FI CH NO 0.5 1 1.5 2 Politische Aktivität während des letzten Jahres (Ohne Teilnahme an Wahlen) 54

Performanz (Demokratiezufriedenheit) Anteil: Zufrieden mit Funktionieren der Demokratie 100 80 60 40 20 0 Deutschland-West EG/EU ohne Deutschland Deutschland-Ost 1975 1980 1985 1990 1995 2000 55

Demokratiezufriedenheit 2002 DE-O FR IT GB BE AT DE-W ES GR NL NO FI CH DK 0 2 4 6 8 Demokratiezufriedenheit 56

great britain finland belgium portugal gemany (e) ireland france northern ireland spain italy sweden luxembourg netherlands greece austria gemany (w) denmark Idee der Demokratie (1999/2000) 0 20 40 60 80 100 Zustimmung zur Idee der Demokratie 57

Fazit des Vergleichs Vergleichsstudien geben keinen Hinweis auf negative Sonderstellung Deutschlands auch nicht im Bereich Parteien/Politiker wenn überhaupt, dann überdurchschnittliche große Zufriedenheit Deutsche mißtrauen wie die meisten Europäer Parteien und Politkern sind bereit und in der Lage, selbst aktiv zu werden 58

Fazit des Vergleichs Schwankungen aller Indikatoren über die Zeit und innerhalb der einzelnen Länder beträchtlich spricht gegen nationale Besonderheit Anfang der 1990er Jahre verschlechtert sich die politische Stimmung in Westdeutschland erheblich, fällt zusammen mit Höhepunkt der Verdrossenheitsdebatte vermutlich bedingt durch die Probleme der Wiedervereinigung Auch danach sind Werte nicht dramatisch, ähnliche Schwankungen in anderen Ländern ohne vergleichbare Belastungen 59

Fazit des Vergleichs In Ostdeutschland hohes Maß an Unzufriedenheit In beiden Landesteilen wie in ganz Westeuropa kontinuierlich hohe Zustimmung zur Demokratie an sich Aus Sicht vieler Demokratietheorien entspricht die Situation in Westeuropa dem Idealzustand Selbst Unzufriedenheit mit einzelnen Strukturen kann für eine Demokratie positiv sein 60

Übersicht Das Konzept der Politikverdrossenheit Begriffe, Ursachen, Therapievorschläge Deutschland im internationalen Vergleich Jugend und Politikverdrossenheit 61

Jugend und Politik In vielen Gesprächen mit jungen Menschen... wird die mangelnde Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit im öffentlichen Leben von der jungen Generation wie folgt begründet: Die Schalthebel der Macht seien mit zuvielen alten Politikern besetzt [und]... die gegenwärtige Parteienpolitik habe noch nicht den der Jugend gemäßen Stil gefunden Ernst Hessenauer 1961 [1957] 62

Jugend und Politik (2) Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen. Aristoteles, 4. Jhrdt. v.chr. 63

Politik zu kompliziert? west ost Politik zu kompliziert (1-5) 2.8 3 3.2 3.4 20 40 60 80 100 20 40 60 80 100 Alter 64

Politiker an Meinung der Bürger interessiert? west ost Politiker an Meinung der Bürger interessiert(1-5) 1.9 2 2.1 2.2 2.3 20 40 60 80 100 20 40 60 80 100 Alter 65

Aktive Rolle vorstellbar? west ost Aktive Rolle vorstellbar (1-5) 1 1.5 2 2.5 20 40 60 80 100 20 40 60 80 100 Alter 66

Tatsächliche Aktivität? west ost Tatsächliche Aktivität (0-9) 0.5 1 1.5 2 20 40 60 80 100 20 40 60 80 100 Alter 67

Fazit des Altersvergleichs Jugend (14-29-Jährige) keineswegs global politikverdrossen In einiger Hinsicht sogar idealistisch Geringere Wahlbeteiligung bei jüngeren Generationen Effekt bereits bei den zwischen 1935-45 geborenen nachweisbar Politisches Interesse und politische Aktivität zeigen oft einen umgekehrt U- förmigen Verlauf 68

Gesamtfazit Politikverdrossenheit ist ein dummes Wort (W. Thierse) Das Phänomen der politischen Unzufriedenheit ist nicht neu Die Verdrossenheitsforschung trägt wenig zur Klärung bei Unzufriedenheit mit den Amtsinhabern (und in gewissem Umfang mit den Strukturen) ist für Demokratien konstitutiv Deutschland nimmt im westeuropäischen Vergleich keine Sonderstellung ein Von einer generellen Politikverdrossenheit junger Menschen kann keine Rede sein 69