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Transkript:

Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr. Arne Kapitza Wissenswert Hitlers Weg zur absoluten Macht Der Röhm-Putsch Von Matthias Spindler Sendung: 30.06.09, 08.30 Uhr, hr2-kultur Regie: Marlene Breuer Sprecherin Zitator Zitatorin O-Töne: (P) Roehmputsch [1 10] 09-074 Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zuverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks 1

O-Ton 1: Radiosprecher, 13.7.1934: DRA Nr. C 1411 Achtung, Achtung! Die Reichssendeleitung überträgt die heutige Sitzung des Deutschen Reichstages in Berlin. Reichstagspräsident Hermann Göring hält die Eröffnungsansprache, dann spricht der Führer. Hallo, hallo! This is the German broadcasting company in Berlin. Allo, allo! Ici Radio Berlin. La radio allemande invite... 13. Juli 1934: Thema der weltweit ausgestrahlten Rede von Reichskanzler Adolf Hitler sind Ereignisse, die knapp zwei Wochen zuvor stattgefunden haben: die ersten Massenerschießungen in der Geschichte des Dritten Reiches. Sie versuchte Hitler zu rechtfertigen. Der staatlichen Mordaktion fielen nicht nur Gegner des Nationalsozialismus zum Opfer; in vorderster Linie traf es prominente Gesinnungsgenossen Adolf Hitlers: Die Führungsspitze der SA um Ernst Röhm. O-Ton 2: Adolf Hitler, 13.7.1934: DRA Nr. C 1411 Es konnte vom Monat Mai ab keinen Zweifel mehr geben, dass Stabschef Röhm sich mit ehrgeizigen Plänen beschäftigte, die im Falle ihrer Verwirklichung nur zu schwersten Erschütterungen führen konnten. O-Ton 3: SA-Chor ohne Instrumentalbegleitung, 1933: DRA Nr. C 1215 Die rote Front ist nun entzwei - SA marschiert - Achtung, die Straße frei! (usw.) Die Straße war das angestammte Revier der SA; Tummelplatz für zackige Aufmärsche ebenso wie Austragungsort handfester Schlägereien mit politischen Gegnern. Damit hatte die 2

uniformierte Sturm-Abteilung der NS-Bewegung in den letzten Jahren der Weimarer Republik politische Gegner eingeschüchtert und Hitler den Weg zur Macht geebnet. SA-Chef Ernst Röhm zeigt sich in einer Rede vom September 1933 als selbstbewusste Führerfigur der Bewegung neben Hitler: O-Ton 4: Ernst Röhm, 20.9.1933: DRA Nr. C 1201 Die SA ist das scharfe Schwert der deutschen Revolution. Der SA- Mann ist der Träger der Revolution, er ist auch ihr Wahrer und Vollender. Dass die nationalsozialistische Revolution noch nicht vollendet sei, trotz der im Sommer 1933 erreichten weitgehenden Alleinherrschaft der NSDAP, ist Röhms fixe Idee. Die SA ist aus Sicht der Parteiführung keine Stütze mehr, sondern zunehmend ein Störfaktor. Unter den hunderttausenden von Männern, die die SA zählt, sind viele arbeitslos, enttäuscht und ungeduldig. Eine Stimmung, die Ernst Röhm in einer Rede im Frühjahr 1934 aufgreift und noch zu verstärken versucht: O-Ton 5: Ernst Röhm, im Frühjahr 1934: DRA Nr. 52.14828 Der Spießer, der meint, es ist ja die schönste Ruhe und Ordnung, alles ist gut, und diese schöne, schläfrige Ruhe und Ordnung dürfe nicht gestört, wenn nicht der Soldat sie immer wieder stören würde - Sie müssen sich daran gewöhnen, dass wir da sind und dableiben werden! Wir geben unsere Stellung nicht auf, wir werden sie ausbauen und werden sie erweitern. Vor allem in Richtung Reichswehr: Röhms Traum ist die Verschmelzung des deutschen Heeres mit der SA zu einer Art 3

Volksmiliz unter seiner Leitung. Eine Vision, die ihn vollends in Gegensatz zu Hitler bringt. Denn der benötigt für sein Ziel einer raschen Aufrüstung keine Landsknechts-Typen wie Röhm, sondern das Fachwissen von Berufsoffizieren. Außerdem: Über die Unversehrtheit der Reichswehr wacht der greise Reichspräsident von Hindenburg; ihn zu verärgern kann Hitler nicht riskieren. O-Ton 6: Adolf Hitler, 13.7.1934: DRA Nr. C 1411 Es gibt im Staate nur einen Waffenträger - die Wehrmacht. Und nur einen Träger des politischen Willens: dies ist die nationalsozialistische Partei. Der wiederum begegnet SA-Führer Röhm mit der ganzen Geringschätzung, die viele Soldaten für das zivile Leben empfinden. Diese Haltung trägt ihm die Gegnerschaft hoher NSDAP-Funktionäre um Göring und Goebbels ein, - mehr und mehr auch die Hitlers. Seit Frühjahr 1934 häufen sich die Anzeichen für Spannungen zwischen Reichswehr und SA- Einheiten. Auch mehrere persönliche Aussprachen, die zwischen den alten Kampfgefährten und Duzfreunden Röhm und Hitler stattfinden, können das frühere Vertrauen nicht wiederherstellen. Im Laufe des Juni 1934 entwickelt Hitler einen Plan, sich seines Konkurrenten zu entledigen. Er schickt eine ominöse Warnung voraus; ausgesprochen wird sie von seinem engsten Vertrauten Rudolf Heß in einer Rundfunkrede am 25. Juni 1934: O-Ton 7: Rudolf Heß, 25.6.1934: DRA Nr. C 1406 Zu einer besonderen Vorsicht möchte ich jene idealistischen Leichtgläubigen unter meinen Parteigenossen mahnen, die 4

manchmal in der Erinnerung an den Heroismus und die herrliche Kameradschaft in den Kampfzeiten der Bewegung dazu neigen, sich Provokateuren zuzuwenden, die Volksgenossen gegeneinander zu hetzen versuchen und dieses verbrecherische Spiel mit dem Ehrennamen einer "zweiten Revolution" bemänteln. Zitator: Franz von Papen, 17.6.1934: Ursachen und Folgen Kein Volk kann sich den ewigen Aufstand von unten leisten, wenn 10. Bd. S. 162 es vor der Geschichte bestehen will. Einmal muss die Bewegung zu Ende kommen! Auch dies ist eine Warnung vor einer zweiten Revolution. Franz von Papen spricht sie aus, Vizekanzler und damit Stellvertreter Hitlers in der Reichsregierung. Papen ist kein NSDAP-Mitglied, sondern einer der konservativen Politiker, deren Mitwirkung in der Regierung Reichspräsident Hindenburg bewogen hat, Adolf Hitler Ende Januar 1933 zum Reichskanzler zu berufen. Nun, im Sommer 1934 werden in deutschnationalen und konservativen Kreisen Pläne für eine Regierungsneubildung in Deutschland entworfen. Mit Hilfe von Reichspräsident und Reichswehr soll die Alleinherrschaft der NSDAP gebrochen werden. Eine Rede, die Franz von Papen am 17. Juni 1934 an der Universität Marburg hält, soll den erhofften geistigen Umschwung bringen. Von NS- Propagandaminister Goebbels wird die weitere Verbreitung des Redetextes sofort verboten. Und Rudolf Heß kündigt in seiner Rundfunkansprache eine Woche später an, dass die Partei gegen Kritiker, ob aus den Reihen der SA oder von konservativer Seite, hart vorgehen werde: O-Ton 8: Rudolf Heß, 25.6.1934: 5

DRA Nr. C 1406 Wenn sich die NSDAP, ohne dass sie das ganze Kritisieren sonderlich tragisch nimmt, dennoch zum Kampf gegen Kritikaster und Nörgler entschlossen hat, dann führt sie den Kampf entsprechend dem nationalsozialistischen Grundsatz: Wenn du schlägst, dann schlage hart! Musik: (Wagner) Der Schlag erfolgt am 30. Juni 1934 und richtet sich zunächst gegen die SA-Spitze. Auf Anweisung von Hitler hat sich eine Anzahl höchster SA-Führer für eine Besprechung mit ihm, nichts Böses ahnend, in einem Hotel im oberbayerischen Bad Wiessee eingefunden, wo Ernst Röhm ein Rheumaleiden auskuriert. Doch Hitler erscheint früher als erwartet, morgens gegen fünf Uhr, und mit ihm kommt eine lange Autokolonne bewaffneter SS-Leute und Polizeibeamter. Zitator: Ursachen und Folgen Mit der Peitsche in der Hand betrat Hitler allein das Schlafzimmer Röhms, hinter sich zwei Kriminalbeamte mit entsicherter Pistole. 10. Bd. S. 170 Er stieß die Worte hervor: "Röhm, du bist verhaftet!" Verschlafen blickte Röhm aus den Kissen seines Bettes und stammelte: "Heil, mein Führer!" "Du bist verhaftet!", brüllte Hitler zum zweiten Male, wandte sich um und ging aus dem Zimmer. So erinnert sich Hitlers Fahrer Erich Kampka nach 1945. Verhaftet werden an diesem Morgen ebenso Röhms Gefolgsleute, die im Hotel nächtigen. Ein SA-Obergruppenführer wird dabei mit einem jungen Mann im Bett überrascht. Das erleichtert es dem NS- Regime, die Aktion vom 30. Juni 1934 hinterher als einen Akt moralischer Selbstreinigung der Bewegung darzustellen. Aber die 6

homosexuellen Neigungen hoher SA-Führer, Röhm inbegriffen, sind lange zuvor bekannt gewesen und von Hitler geduldet worden. Zitator: Frankfurter Zeitung, 1. Juli 1934: Bei der Verhaftung durch Kriminalbeamte widersetzte sich General a.d. von Schleicher mit der Waffe. Durch den dabei erfolgten Schusswechsel wurden er und seine dazwischentretende Frau tödlich verletzt. Kurt von Schleicher, Reichswehr-General im Ruhestand, zählt zu den konservativen Gegnern des Nationalsozialismus. Auch gegen sie wird am 30. Juni ein Vernichtungsschlag geführt. Besonders gründlich in Preußen, wo Ministerpräsident Göring der Geheimen Staatspolizei unter SS-Chef Heinrich Himmler freie Hand lässt. Vizekanzler Franz von Papen kommt wegen seiner Vertrauensstellung bei Reichspräsident Hindenburg mit ein paar Tagen Hausarrest davon. Zwei seiner Berater, darunter der Verfasser von Papens Marburger Rede, werden erschossen, in Gestapo-Haft oder bei der Festnahme - kaltblütig ermordet wie eine Reihe weiterer Persönlichkeiten der konservativen Opposition. Auch General von Schleicher und seine Frau. Deren Haushälterin Marie Güntel berichtet, wie schnell und ohne Möglichkeit zur Gegenwehr die Aktion ablieb. Fünf junge Männer in Zivil hätten an der Wohnungstür geklingelt; sie habe sie eingelassen und ins Arbeitszimmer des Generals geführt: Zitatorin: Ursachen und Folgen Bevor ich noch etwas sagen konnte, hörte ich unmittelbar hinter mir eine Stimme: "Sind Sie der General von Schleicher?" Herr 10. Bd. S. 187 General drehte sich, am Schreibtisch sitzend, halb nach rechts hinten um und sagte: "Jawohl!" In diesem Bruchteil der Sekunde 7

fielen fast gleichzeitig drei Schüsse. Während ich, zu Tode entsetzt, schreiend aus dem Zimmer stürzte, hörte ich auch Frau von Schleicher aufschreien und weitere Schüsse fallen. General von Schleicher wurde in der NS-Propaganda als Bindeglied zwischen den Umstürzlern der SA und der konservativen Opposition dargestellt: Er sei beteiligt gewesen an einem für den Nachmittag des 30. Juni geplanten Putsch der SA- Führung gegen Hitlers Regierung. Für diese Behauptung gibt es keinerlei stichhaltige Beweise. Entkräftet wird sie allein schon durch die Arglosigkeit, mit der Röhm und sein Gefolge in den Morgenstunden jenes Tages friedlich in ihren Hotelbetten schlummerten. Adolf Hitler aber stellt den Vorgang in seiner international verbreiteten Rechtfertigungs-Rede am 13. Juli 1934 als Vereitelung eines Staatsstreichs dar: O-Ton 9: Adolf Hitler, 13.7.1934: DRA Nr. C 1411 Ich habe den Befehl gegeben, die Hauptschuldigen an diesem Verrat zu erschießen, und ich gab weiter den Befehl, die Geschwüre unserer inneren Brunnenvergiftung auszubrennen bis auf das rohe Fleisch! Jubelnde Zustimmung im Reichstagsplenum Jubelnde Zustimmung des nationalsozialistisch beherrschten Reichstages für 77 Morde von Staats wegen, darunter fünfzig SA- Führer einschließlich Ernst Röhm. In Wirklichkeit liegt die Zahl der Opfer nach Schätzungen von Historikern etwa doppelt so hoch. Die NSDAP-Spitze nutzte die Aktion gegen angebliche Putschisten dazu, auch weitere unliebsame Personen zu ermorden und damit alte Rechnungen zu begleichen. Wie etwa an Gustav Ritter von Kahr: Er hatte 1923 als bayerischer Staatskommissar Hitlers 8

eigenen damaligen Putsch-Versuch in München vereitelt und büßt nun dafür mit dem Leben. Gerichtliche Untersuchungen der Morde brauchen die Tatausführenden aus SS und Polizei nicht zu befürchten. Dafür sorgt ein vom Reichskabinett am 3. Juli 1934 erlassenes Gesetz: Zitator: Ursachen und Folgen Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als 10. Bd. S. 199 Staatsnotwehr rechtens. O-Ton 10: Adolf Hitler, 13.7.1934: DRA Nr. C 1411 In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr! Tosender Beifall und Heil-Rufe im Plenum Der Selbstüberhebung, die aus diesen Worten Adolf Hitlers spricht, entsprach die machtpolitische Realität nach dem 30. Juni 1934. Mit der Liquidierung von Ernst Röhm schaffte sich Hitler den einzigen ernst zu nehmenden parteiinternen Rivalen um die Macht vom Leibe. Dessen Machtbasis, die SA, führte fortan ein politisches Schattendasein unter willfähriger neuer Führung. Die Reichswehr war dankbar für die Degradierung der Konkurrenzorganisation; darüber nahm sie sogar die Ermordung ihres früheren Wehrministers General von Schleicher hin. Kein Widerstand von ihrer Seite behinderte denn auch bei Hindenburgs Tod am 2. August 1934 ein neues Gesetz, das die Nachfolge des Reichspräsidenten Reichskanzler Hitler zusprach. Damit hatte ein Mann die absolute Macht errungen, der erst wenige Wochen zuvor gezeigt hatte, zu welcher Brutalität er fähig war; ein Mann, der buchstäblich über Leichen ging. Seine getreuesten Helfer von der 9

SS die bislang der SA angegliedert waren wurden für ihre blutigen Dienste belohnt: Hitler verfügte am 20. Juli 1934: Zitator: Ursachen und Folgen Im Hinblick auf die großen Verdienste der SS, besonders im Zusammenhang mit den Ereignissen des 30. Juni 1934, erhebe 10. Bd. S. 221 ich dieselbe zu einer selbständigen Organisation im Rahmen der NSDAP. (Musikschluss?) 10