REDE LANDTAGSABGEORDNETER GERHARD MERZ ZUR DEBATTE 80.JAHRESTAG DER MACHTÜBERTRAGUNG AN DIE NSDAP, PLENARSITZUNG AM 30.JANUAR 2013
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- Elly Wagner
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1 1 REDE LANDTAGSABGEORDNETER GERHARD MERZ ZUR DEBATTE 80.JAHRESTAG DER MACHTÜBERTRAGUNG AN DIE NSDAP, PLENARSITZUNG AM 30.JANUAR 2013 Anrede, Es gilt das gesprochene Wort. Theodor W. Adorno hat 1966 seinen Rundfunkvortrag Erziehung nach Auschwitz mit den Worten begonnen: Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug. Ich glaube, dass das was Adorno über die Aufgabe der Erziehung sagte, ohne Wenn und Aber auch für jede Politik nach Auschwitz gelten muss. Anrede, wir haben am vergangenen Sonntag, am Nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, der Befreiung des Konzentrations und Vernichtungslagers Auschwitz gedacht. Am 9.November dieses Jahres werden wir an vielen Orten im Land den 75.Jahrestag der sog. Reichskristallnacht begehen. Heute erinnern wir hier im Landtag an die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, ein Vorgang, den die Nationalsozialisten zur Machtergreifung stilisierten und zu einem ihrer vielen politischen Mythen machten. Es ist offensichtlich, dass zwischen diesen drei Daten ein fundamentaler innerer Zusammenhang besteht. Und es ist auch offensichtlich, dass der angesprochene Zusammenhang sich nicht erst in der Rückschau erschließt, sondern dass er auch schon vielen hellsichtigen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen klar war. Dass Hitler die vollendete politische Diktatur bedeuten würde, dass Hitler den erbarmungslosen Terror gegen alle Andersdenkenden und gegen alle, die von den NS Wahnvorstellungen vom Volksgenossen und von der arischen Rasse abwichen, bedeuten würde,
2 2 dass Hitler die konsequente Exekution eines rassistischen Antisemitismus bedeuten würde, und dass Hitler Krieg bedeuten würde, das alles konnte man im Grunde auch schon als Zeitgenosse wissen. Vor allem konnten es jene Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft wissen, die den Reichspräsidenten Hindenburg dazu drängten, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Aber auch wenn es anders war: wer Hitler an die Macht brachte, nämlich die führenden Repräsentanten der reaktionären, national konservativen und völkisch nationalistischen bürgerlichen Rechten der Weimarer Republik und ihrer Organisationen Stahlhelm und DNVP im Verbund mit den reaktionärsten Kreisen der deutschen Wirtschaft, der Großlandwirtschaft und der Reichswehr, der wollte in jedem Fall Schluss machen mit allem, wofür die Weimarer Republik stand, nämlich: mit der ersten vollentwickelten politischen Demokratie auf deutschen Boden, mit einer bei aller Anfälligkeit der Justiz nach rechts rechtsstaatlichen Ordnung, mit der Garantie der Menschen und Bürgerrechte, mit der prinzipiellen Verpflichtung zur Sozialstaatlichkeit und zur Sozialpartnerschaft. Diese Kreise nutzten die Gelegenheit der tiefen wirtschaftlichen Krise und der daraus resultierenden sozialen und politischen Desorientierung breiter Schichten der Bevölkerung, um sich all diese als Ballast empfundenen Errungenschaften der Revolution vom November 1918 vom Hals zu schaffen. Sie hatten lange Jahre daran gearbeitet, sich all dessen auch ohne Hitler sozusagen mit den klassischen Mittel autoritärer Regime zu entledigen. Denn dieser Machtübertragung war ja eine weitgehende Aushöhlung der parlamentarisch demokratischen Ordnung durch das Regime der Notverordnungen unter den Präsidial Kabinetten Brüning, von Papen und von Schleicher und ein Staatsstreich der Reichsregierung unter Reichskanzler von Papen gegen die verfassungsmäßige Regierung des Landes Preußen und damit auch ein Schlag gegen die föderale Verfassung des Reiches
3 3 vorausgegangen. Aber es fehlte diesen Kräften zur endgültigen Zerstörung der Weimarer Demokratie eine Massenbasis, eine zu jedem politischen Verbrechen, zu jeder schändlichen Gewalttat entschlossene Organisation. Dass die NSDAP genau das war, das mindestens musste jedem klar sein, der das Wüten der Nazis in den 10 vorangegangenen Jahren verfolgt hatte. Wer zu solchen Mitteln griff, über dessen Absichten kann kein Zweifel sein. Es wäre deshalb keine zulässige Entschuldigung zu sagen, man habe von Krieg und Holocaust nichts wissen können selbst wenn es stimmen würde. Wäre denn die terroristische Zerschlagung der Arbeiterbewegung, die gewaltsame Ausschaltung jeder politischen und gesellschaftlichen Opposition, die absehbare Erhebung des Antisemitismus zur Staatsdoktrin nicht schon aus sich heraus und ohne Ansehung solcher Folgen ein schändliches Verbrechen? Nein, es gibt für das Verhalten derer, die Hitler den Steigbügel hielten, weder aus damaliger noch aus heutiger Sicht irgendeine Entschuldigung. Und es spricht auch nicht zu ihren Gunsten, dass sie kurze Zeit später als betrogene Betrüger dastanden, weil sie mit ihren Illusionen von der Zähmung, der Einrahmung Hitlers jämmerlich Schiffbruch erlitten hatten. Mit dieser Machtübertragung begann irreversibel der Prozess der Zerstörung der demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassungsordnung der Weimarer Republik und ihrer Ersetzung durch die NS Diktatur. Die einzelnen Stationen im Jahre 1933 waren die Aufhebung elementarer Grundrechte durch die sog. Reichstagsbrandverordnung, die vollständige Zerstörung der parlamentarischen Demokratie durch das sog. Ermächtigungsgesetz, die Beseitigung der föderalen Ordnung durch die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, die Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung, die Zerschlagung der Gewerkschaften und schließlich das Verbot bzw. die Selbstauflösung der Parteien. Damit war wenige Monate nach dem 30.Januar jedem demokratischen Leben in Deutschland der Boden entzogen. Widerstand gab es noch, auch noch im parlamentarischen Raum, aber es galt schon bald das, was Bertolt Brecht in
4 4 seinem Stück Leben des Galileo seine Titelfigur sagen lässt: Unglücklich das Land, das Helden nötig hat. Solcher Helden gab es viele, gerade auch aus den Reihen der Arbeiterschaft und der Arbeiterbewegung. Wir sind auf diese Menschen stolz und wir wollen den heutigen Tag auch dazu nutzen, an sie zu erinnern. Und bei allen Fehlern, die auch die SPD in dieser Zeit gemacht hat: Wir Sozialdemokraten erinnern uns mit besonderem Stolz an Otto Wels, der in der schon vom NS Terror geprägten Reichstagssitzung vom 23.März 1933 das Nein der SPD zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie begründete. Mit den NS Gesetzen und Verordnungen der ersten Monate war der Weg bereitet, der über die Nürnberger Gesetze und die Remilitarisierung, über das Novemberpogrom 1938 und den Überfall auf Polen zum Holocaust und zum Vernichtungskrieg führte. Anrede Ich habe in meiner Jugend oft den Satz gehört, ein Hitler ohne Krieg und Judenvernichtung wäre doch ganz in Ordnung gewesen. Die Wahrheit ist, dass es einen solchen Hitler nicht geben konnte. Die Wahrheit ist, dass wer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abbaut, wer die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte in Frage stellt, wer die Menschenwürde beeinträchtigt, wer gesellschaftliche und kulturelle Teilhaberechte schmälert, dass der die demokratische Gesellschafts und Staatsordnung in ihren Grundlagen beschädigt und damit die Voraussetzungen dafür schafft, dass solche Verhältnisse sich wiederholen können. Primo Levi, italienischer Auschwitz Überlebender, hat in seinem Buch Die Untergegangenen und die Geretteten geschrieben: Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen: Es kann geschehen, überall. Und Levi sagt weiter: Es ist wenig wahrscheinlich, dass noch einmal all die Faktoren zusammenkommen, die den nationalsozialistischen Wahn ausgelöst haben, aber es zeichnen sich einige Vorboten ab. Anrede
5 5 Wir sind aufgerufen, die Vorboten in unserer Zeit und in unserem Land rechtzeitig zu erkennen und zu bekämpfen. Wir müssen die Lehren aus der Geschichte des NS Terrorregimes ziehen und diese Lehre lautet, dass der Kampf gegen Völkermord und Vernichtungskrieg nicht erst mit dem Völkermord und dem Vernichtungskrieg beginnt, sondern mit der Verteidigung der Freiheit, dem Mehren der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Solidarität. Die Lehre lautet, in Abwandlung des eingangs zitierten Adorno Satzes: Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Politik.
Sehr geehrte Damen und Herren! Heute vor 65 Jahren, am 27. Januar 1945, haben Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit.
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