Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Bischof Dr. Dr. h.c. Markus Dröge, Predigt im Fest- und Familiengottesdienst zum St. Georgsfest und 70 Jahre Kita Daubitz 30. April 2016, St. Georgs-Kirche zu Daubitz, Markus 10, 13-16. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. I. Lasst die Kinder zu mir kommen. Das feiern wir heute in diesem Gottesdienst. Den siebzigsten Geburtstag der Kita St. Georg. Was für eine faszinierende Vorstellung, dass Menschen, die heute selbst Großeltern sind, damals in dieser Kita gespielt und gelacht haben. Es ist etwas Wunderschönes, Kinder in diese Welt und in den Glauben hinein begleiten zu können. Die Kita St. Georg mit ihren Mitarbeitenden tut das in engagierter, sorgsamer Weise. Nicht allein und nicht nur für sich. Die Kita ist Teil der Kirchengemeinde, auf die Zusammenarbeit wird viel wert gelegt. Und das ist eine gegenseitige Bereicherung. Und deshalb feiert die Kita heute auch nicht allein oder nur für sich, sondern im Rahmen des Gemeindefestes. Groß und Klein, Alt und Jung kommen zusammen. Heute wird gefeiert! Und da passt die Geschichte, die wir im Evangelium gehört haben, gut: Da werden Grenzen überwunden zwischen den Erwachsenen und den Kindern, zwischen denen, die schon lange dazugehören und denen, die neugierig und von Ferne auch gerne zu Jesus wollen. Das ist die Botschaft Jesu an uns: Lasst die Menschen zu mir kommen. Denn sie alle sind Kinder Gottes! Diese Botschaft richtet sich nicht nur an Kinder, sondern an uns alle. Wir alle sind Kinder Gottes, ob wir 4 Jahre alt sind, 44, 74 oder 94. Wir sind von Gott geliebt, von ihm angeschaut und gesegnet. Gott lässt uns zu sich durch. Er hält seine schützende Hand über uns. Er kennt unseren Namen. Und er sieht, was wir brauchen! 1
Und deshalb sollen wir auch keine Grenzen ziehen, die Menschen außen vor lassen, so wie es die Jünger ja erst tun wollten. Sie mussten lernen: Wir sind alle Kinder Gottes. Öffnet eure Herzen. Feiert gemeinsam. So wie heute. In dieser Gemeinde mit der Kirche, die einhundert Jahre alt geworden ist und mit der Kita, die siebzig geworden ist. II. Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Immer wieder hat man bei der Auslegung dieser Stelle herumgerätselt, was an dem Wesen eines Kindes so besonders, so vorbildlich ist, dass Jesus daran den Zugang zum Reich Gottes knüpft. Alle möglichen Vermutungen wurden im Laufe der Geschichte geäußert. In der Romantik zum Beispiel galt das Kind als eine typische Idealgestalt der Herzensreinheit und einfältigen Unschuld im Gegensatz zu der Hochnäsigkeit des heraufziehenden Zeitalters der Wissenschaft und Technik. Mit etwas Abstand betrachtet wird deutlich: das war eine Flucht in das scheinbare Heil der Kindlichkeit. Denn so heil ist ja auch die Kindheit nicht. Durch eine Flucht in eine scheinbare heile Kindlichkeit werden wir den Herausforderungen dieser Welt nicht gerecht. Das Reich Gottes zu empfangen kann nicht bedeuten, sich kindlich naiv zu verhalten. Ich möchte dagegen eine andere Spur weiter verfolgen. Jesus zeigt in der Geschichte von der Kindersegnung ja nicht nur die Liebe Gottes, sondern es geht ihm auch um Gerechtigkeit. Die Kinder kommen ja zu Jesus, weil sie und ihre Eltern ein großes Vertrauen haben. Sie glauben daran, dass Jesus sie nicht ungerecht behandeln und abweisen wird. Es ist das Vertrauen, das jedes Kind 2
mitbringt, wenn es geboren wird: Jedes Kind dieser Welt vertraut darauf und muss darauf vertrauen können, dass es ein Recht besitzt, Beachtung und Aufnahme zu finden. Für ein Kind gilt nicht, was unter erwachsenen Menschen sonst Gültigkeit beansprucht, dass der andere müde oder mit Wichtigerem beschäftigt sein kann, und sagen darf: Du, ich hab jetzt keine Zeit für dich! Das versteht ein kleines Kind nicht. Es hält sich instinktiv für das Wichtigste auf Erden. Wenn es ruft, möchte es, dass jemand kommt. Die Erzieherinnen der Kita, die Eltern, Großeltern und Paten wissen, wovon ich spreche. Und Kinder haben ein Recht auf dieses Entgegenkommen. Auch wenn es leider nicht immer erfüllt wird. Dennoch haben sie das Recht und sie nehmen es sich, ohne zu fragen, ob es ihnen erlaubt ist. Dieses Urvertrauen bringt ein Kind mit auf diese Welt und muss es leben dürfen. Alle Beschränkungen und Bedingungen kommen später; sie sind buchstäblich sekundär. Deshalb ruft Jesus die Kinder zu sich. Nicht, weil sie bessere Menschen wären, sondern weil an ihnen dieses große Vertrauen sichtbar wird. Ein Kind muss man lieben einfach dafür, dass es da ist. Es hat noch nichts, es kann zuerst noch nichts. Ein Kind ist einfach nur da, und will geliebt werden. Jesus will, dass jeder Mensch sich dieses kindliche Urvertrauen bewahrt. Und zwar Gott gegenüber. Wir sollen darauf vertrauen, dass wir bei Gott immer und unter allen Umständen berechtigt und zugelassen sind. Wir sollten die Angst verlieren, lästig und ungelegen zu kommen. Gott möchte, dass es uns gibt. Und am meisten möchte er, dass wir ihm seine Liebe glauben. Werdet wie die Kinder! 3
III. Als Kinder Gottes haben wir das Recht, bei Gott zu sein. Weil Gott selbst es will. Wir sind frei, zu ihm zu kommen und keiner kann uns den Zugang verwehren. Wer es wagt, in dieser Weise Kind zu werden, der wird erwachsen. Denn er lernt, die Welt kritisch zu betrachten. Wer die Welt unkritisch so nimmt, wie sie ist, macht sich abhängig und klein, lässt sich von den Herren dieser Welt beeindrucken, die sich manchmal ja ungerecht breit machen. Wenn wir aber sehen, dass der Kaiser genauso nackt die Welt betritt und verlässt wie wir selbst; und wenn wir nicht Kleider sehen müssen, wo gar keine sind, dann befreit das unseren Blick und unser Leben. Auch im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern war es ja ein Kind, das die Wahrheit schlicht ausgesprochen hat. Menschsein, das ist das Wesentliche. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn wir menschlich miteinander umgehen und die Würde untereinander achten, dann ist Gott uns im Antlitz des Anderen ganz nah. Wir brauchen nicht mehr mitzubringen oder mehr vorzuweisen als nur das, nämlich Mensch zu sein. Das war auch das Selbstverständnis der ersten christlichen Gemeinden: hier ist nicht mehr Mann oder Frau, Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, sondern wir sind eins in Jesus Christus. Das heißt nicht, dass alle gleich sind, aber dass alle das gleiche Recht auf Teilhabe haben. So sollen wir in der Kirche leben und dafür Zeichen sein in dieser Welt. Wir leben die Botschaft der Versöhnung in Wort und Tat. Genau das ist es, was Jesus seinen Jüngern sagt, wenn er sie auffordert, die eigenen Begrenzungen zu überwinden und wie die Kinder zu werden. 4
IV. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie. Wir denken dabei natürlich immer, Jesus segnet die Kinder. Und das ist sicher auch richtig. Aber vielleicht hat er ja auch die Jünger mit gesegnet. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie. Ich finde das eine sehr schöne Vorstellung: dass nicht nur die Kinder von Jesus geherzt und gesegnet werden, sondern dass alle Menschen das Recht haben, sich in Gott zu bergen und sich seinen Trost und seine Ermutigung zusprechen zu lassen. Das erinnern wir in der Taufe, die uns durch das Leiden, die Begrenzungen und den Tod hindurch in ein neues Leben führt. Daran erinnern wir in jedem Gottesdienst, in dem wir die Nähe Gottes zu uns Menschen feiern. Daran erinnern wir auch heute, wenn wir miteinander feiern und dankbar auf den Segen Gottes blicken, den er dieser Gemeinde und der Kita in dieser Gemeinde geschenkt hat. Wir erinnern an die Freiheit und das Recht auf menschliches Leben, so wie es in jedem Kind in jedem Kind Gottes erkennbar wird: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht! Amen. 5