Atomabfälle und Gesellschaft - viele offene Fragen

Ähnliche Dokumente
Technische Grundlagen vorhanden Wie weiter?

Radioaktive Abfälle Lehrerinformation

Das Beispiel Schweiz: Vom Entsorgungsnachweis zum Sachplanverfahren

Radioaktive Abfälle Lehrerinformation

Entsorgung (hoch-)radioaktiver Abfälle in der Schweiz

Die Schweiz: Umgang mit radioaktiven Abfällen

Kernenergie Perspektiven abhängig vom Stand der Entsorgung?

BFE-Energie Frühstück Baden Franz Schnider, Vizedirektor, Abteilung Recht, Wasserkraft und Entsorgung. und. Baden, 29. August 2014

Sicherheitstechnische Kriterien für die Standortevaluation:

Sicherheitstechnische Kriterien für die Standortevaluation:

Geschichte der Kernenergie Lehrerinformation

Geologisches Tiefenlager: Gesetzliche Rahmenbedingungen

Sicherheitstechnische Kriterien für die Standortevaluation:

Entsorgung & Sicherheit

Motion: Einreichung einer Standesinitiative betreffend Änderung des Kernenergiegesetzes;

Lagerkonzept und Oberflächenanlagen

Geschichte der Kernenergie Lehrerinformation

Stiftung Leben & Umwelt Tagung Ungelöst: Endlagerung in Deutschland

Gemeinsam einen Standort finden. Der Sachplan Geologische Tiefenlager

Nachweis für die Entsorgung der anfallenden radioaktiven Abfälle

Geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle:

SACHPLAN GEOLOGISCHE TIEFENLAGER SACHPLAN GEOLOGISCHE TIEFENLAGER RADIOAKTIVE ABFÄLLE SICHER ENTSORGEN

Inhaltsübersicht der Faktenblätter

Wir übernehmen Verantwortung. für die Entsorgung radioaktiver Abfälle.

Anhörung Rückholung/Rückholbarkeit hoch radioaktiver Abfälle aus einem Endlager, Reversibilität von Entscheidungen

Kostenstudie 2016 (KS16) Schätzung der Entsorgungskosten Zwischenlagerung, Transporte, Behälter und Wiederaufarbeitung

Entsorgung radioaktiver Abfälle in Österreich

Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich

Informationsveranstaltungen

Darstellung und Beurteilung der aus sicherheitstechnisch-geologischer Sicht möglichen Wirtgesteine und Gebiete

Die atompolitische Wende, der Atommüll und das Jahrhundert des Aufräumens

Rahmenbewilligungsgesuch für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt

Sun April Atommüll: Wie weiter nach den Ereignissen in Japan? Marcos Buser, Geologe

Atommüll lagern - aber wie?

Vom Wie zum Wo. Entsorgung radioaktiver Abfälle in der Schweiz. Grundsätze der nuklearen Entsorgung Standortwahl in der Schweiz.

Bericht über das Entsorgungsprogramm 2016 der Entsorgungspflichtigen

Welche radioaktiven Abfälle sollen in Konrad eingelagert werden?

Botschaft zum Bundesgesetz über die Änderung des Bundesbeschlusses zum Atomgesetz

entsorgungsprogramm und standortgebiete für geologische tiefenlager zusammenfassung

Vertikal Projekt 6 Einlagerung in tiefe geologische Formationen mit Vorkehrungen zur Überwachung und Rückholbarkeit

Die künftigen Herausforderungen bei der Entsorgung der radioaktiven Abfälle Atommüllkongress Zürich, 13. März 2014

INFORMATIONSKOMMISSION ZUM KERNKRAFTWERK NECKARWESTHEIM (GKN)

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 17/ Wahlperiode

Kernenergie. Relikt der Vergangenheit oder Energieträger der Zukunft? Mit Unterstützung von:

Vergleich der Kosten der geologischen Tiefenlager und des zugehörigen Bundesanteils an diesen Kosten gemäss KS11 und KS16

Zukunft der Kernenergie

Partitionierung & Transmutation

Entsorgungsprogramm vom Oktober 2008 und Empfehlungen zum Entsorgungsnachweis

Allianz Stopp Atom. DV Grüne Partei der Schweiz Baden, 25. Oktober 2008 Graziella Regazzoni - Leiterin Geschäftsstelle Allianz Stopp Atom

Nukleare Entsorgung Konzepte - Projekte - Niederlagen

Beratungsunterlage zu TOP 3 der 5. Sitzung Beschlussvorlage Entsorgungspfade zur Vorlage in der Kommission

Deutscher Atommüll: Eine Historie voller Fehler und die Chance für einen gemeinsamen Neuanfang

Niedersächsischer Landtag 16. Wahlperiode Drucksache 16/1440. Unterrichtung

GRÜNDE FÜR DIE NUTZUNG VON ATOMENERGIE

Wie wurden Zeolithe nach dem Tschernobyl-Unfall zur Dekontamination eingesetzt? Zähle mindestens

Kernenergie in der Schweiz

Stand 5. März Herkunft der in der Schachtanlage Asse II eingelagerten radioaktiven Abfälle und Finanzierung der Kosten

Endlagerung. AWP II - Physikalische Umweltchemie Dörthe Gericke

Atommülltransporte nach Ahaus

AKTUELLER ENERGIEPOLTISCHERÜBERBLICK GENERALVERSAMMLUNG FORUM VERA BENOÎT REVAZ DIREKTOR BFE 19. JUNI 2017

Wer Will s Wissen? Alle Könnten s Wissen! W W W. 12 Fragen zum Thema Zwischenlager

Stellungnahme zum Entsorgungsprogramm 2008

Nach wie vor ungelöst: Die Endlagerung radioaktiver Abfälle

Gruppenpuzzle «Radioaktive Abfälle»

Bundesamt für Energie BFE. Radioaktive Abfälle sicher entsorgen. Eine Aufgabe, die uns alle angeht.

Transport, Oberflächenanlage und Verpackung. Regionales Ausbildungsmodul Zwilag/Felslabor MT

REALISIERUNGSSCHRITTE ZUR ENTSORGUNG HOCHRADIOAKTIVER ABFÄLLE IN FRANKREICH

Abschlussbericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe

Sichere Entsorgung des im Atommüll-Lager Ahaus eingelagerten mittel- und schwachradioaktiven Atommülls

NÖ Anti-Atomkoordination Amt der NÖ Landesregierung Abteilung Anlagentechnik Landhausplatz St. Pölten

Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe. Geschäftsstelle. gemäß 3 Standortauswahlgesetz

Projekt Stilllegung Kernkraftwerk Mühleberg

INFOVERANSTALTUNG ZUR VERNEHMLASSUNG ETAPPE 2 INFORMATIONSVERANSTALTUNGEN ZUR VERNEHMLASSUNG ZÜRICH NORDOST

Vorschlag geologischer Standortgebiete für das SMA- & das HAA-Lager aus Sicht der Sicherheit und technischen Machbarkeit

Thesen zum Endlager im Zürcher Weinland

Finanzierung der Entsorgung radioaktiver Abfälle im Verantwortungsbereich des Bundes

Entsorgung nichtradioaktiver Bauabfälle im Rahmen eines KKW-Rückbaus

Stilllegung der Forschungsanlage GKSS aber wie? Rückbau, Strahlenschutz, Atommüll

Stromzukunft Schweiz. Die Sicht der Elektrizitätswirtschaft Forum Energie Zürich vom 2. März Dr. Manfred Thumann CEO Axpo AG.

Nachteile der Atomkraft!

Kostenstudie 2011 (KS11) Schätzung der Entsorgungskosten der Schweizer Kernkraftwerke

Atomkraftwerke Ein halbes Jahrhundert und kein Ende

Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe. Geschäftsstelle. Arbeitsgruppe 3 Entscheidungskriterien sowie Kriterien für Fehlerkorrekturen

Sachplan Geologische Tiefenlager

STILLLEGUNG KERNKRAFTWERK MÜHLEBERG SOLARSTROM-POOL THURGAU MARIANNE ZÜND, LEITERIN MEDIEN + POLITIK, BUNDESAMT FÜR ENERGIE 23.

KOSTENBERECHNUNG UND BEITRAGSFESTLEGUNG

Hängige Bewilligungsverfahren

Standortauswahlkriterien, Möglichkeiten der Fehlerkorrektur und Alternativen zur Endlagerung in tiefen geologischen Formationen aus Sicht der NEA/IGSC

BözbergerInnen wacht auf

Newsletter Tiefenlager

Die BGZ Aufgaben und Ziele

Thesen und Schlussfolgerungen zum Umgang mit dem Atommüll

Anhörung Sicherheitsanforderungen des BMU 2010

Grundsätze und Auswahlverfahren: Auf dem Weg vom Wie zum Wo

Einführung zum Bundeszwischenlager und Endlagerung Forschung zur Langzeitsicherheit von geologischen Tiefenlagern für radioaktive Abfälle

Kostenstudie 2011 (KS11) Schätzung der Kosten der Nachbetriebsphase der Schweizer Kernkraftwerke

Kostenstudie 2011 (KS11) Schätzung der Kosten der Nachbetriebsphase der Schweizer Kernkraftwerke

Transkript:

Factsheet Atomabfälle Atomabfälle und Gesellschaft - viele offene Fragen Die Lagerung radioaktiver Abfälle stellt eine technische, politische und gesellschaftliche Herausforderung dar, weil die gefährlichen Substanzen über Jahrtausende sicher vor fremdem Zugriff geschützt werden müssen und nicht in die Umwelt gelangen dürfen. Lösungen, auf die wir uns heute festlegen, betreffen auch künftige Generationen. Ihr Handlungsspielraum wird durch unsere Entscheidungen eingeschränkt. Auch die Abstimmung über neue Atomkraftwerke im Jahr 2013 hat für die Abfallfrage Folgen. Greenpeace, Heinrichstrasse 147, Postfach, CH-8031 Zürich Telefon +41 44 447 41 41, Fax +41 44 447 41 99 Die Kontroverse um die Lagerung von Atomabfällen ist alt. Vor über 20 Jahren kämpften die Bauern von Ollon mit Heugabeln gegen Probebohrungen für ein Endlager, im Kanton Nidwalden lehnte die Stimmbevölkerung das Projekt Wellenberg ab. Seit Beginn ihrer Tätigkeit hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle über eine Milliarde Franken für die Suche nach eine Endlager ausgegeben ohne dass sich die Debatten im gesellschaftlichen Umfeld beruhigt haben. Ein grundsätzlicher gesellschaftlicher Konsens besteht einzig in folgenden Bereichen: Schutzgedanke: Die Sicherheit für Mensch und Umwelt vor gesundheitsschädigender, radioaktiver Strahlenbelastung ist wichtig und unbestritten Ein gewisses Mass von gesellschaftlicher Akzeptanz braucht es als Vorbedingung zur Realisierung einer technischen Lösung Gerechtigkeit gegenüber den aktuell Betroffenen, Verantwortung gegenüber künftigen Generationen und Handlungsspielraum für künftige Generationen (Reversibilität) ist wünschenswert. Umstritten bleibt hingegen weiterhin: die Form der demokratischen Entscheidungsprozesse die Auslegung des Handlungsspielraums die Legitimität der Fortsetzung des Atomprogramms die Inkaufnahme von Risiken die Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaft und Technik die Frage der Unabhängigkeit der mit der Materie befassten Individuen und Organisationen die Kosten: was darf es kosten, über welchen Zeitraum besteht für wen eine Zahlungspflicht? Die Grenzen demokratischer Mitsprache Die umstrittenen Fragen führen an die Grenzen demokratischer Mitsprache- und Mitbestimmungsmodelle. Folgende Stichworte machen dies deutlich: Sicherheit: Das gesellschaftlich Wünschenswerte steht in einer Diskrepanz zum Machbaren. Eine Garantie für die sichere Verwahrung der Abfälle über Jahrhunderte und Jahrtausende gibt es nicht. Es wäre Aufgabe der Wissenschaft und Technik, auf diesen Sachverhalt hinzuweisen, anstatt auf dem reinen Machbarkeitsglauben zu beharren. Dies könnte die Annäherung an ein grösstmögliches Mass an Sicherheit begünstigen. Die Gesellschaft tut sich ohnehin schwer, angesichts von Fehlprognosen den Modellrechnungen der Wissenschaft Glauben zu schenken. i Zeiträume: Es gibt kein Recht auf Wahrheitsbesitz in einer Frage, welche die Gesellschaft über Jahrtausende beschäftigen wird. Zeiträume von mehreren hundert, ja Tausenden von Jahren übersteigen das menschliche Vorstellungsvermögen. Begriffe wie Sicherheit oder Gerechtigkeit können lediglich aus der heutigen Perspektive definiert werden, obwohl sie für künftige Generationen von höherer Relevanz sind. Akzeptanz: Wenn Menschen Risiken und anderen Beeinträchtigungen der Lebensqualität ausgesetzt werden, erfordert dies die Zustimmung der 1/1

Betroffenen und/oder allenfalls eine Kompensation. Was selbstverständlich tönt, wird im Fall der Atommülllager zum Zankapfel: Wer ist betroffen (Gemeinden, Kanton, Staaten), wer hat ein Recht auf Kompensation? Den scheinbar Hauptbetroffenen (Gemeinden, Kanton) wurde das Mitentscheidungsrecht auf politischer Ebene entzogen, dafür auf nationaler Ebene das fakultative Referendum eingeführt ii, gegenüber den Nachbarstaaten werden Formen der Anhörung und Mitsprache etabliert. Die Notwendigkeit der Akzeptanz scheint wenig bestritten, allerdings stellt diese Forderung vor allem eine Form der Reaktion auf den Widerstand gegen die Endlagerpläne dar. Die Mittel zur Erreichung von gesellschaftlicher Akzeptanz sind beileibe nicht unumstritten (z.b. millionenschwere Propaganda). Gesellschaftliche Akzeptanz ist denn auch kein Garant für die beste technische Lösung. Akzeptanz fördernd kann die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der vermittelnden Individuen und Organisationen sein. Das Verursacherprinzip - in unserem Fall der Lösungsweg durch die verursachende Atomindustrie als quasi Eigner der Nagra steht dem Prinzip der Unabhängigkeit gegenüber. Die Atomindustrie ist nicht frei von eigenen Partikularinteressen. Gerechtigkeit und Gleichbehandlung: Da die gestrige und heutige Generation sich für die Atomenergie entschieden hat, muss sie definieren, wie und wo der radioaktive Abfall gelagert werden soll. Künftigen Generationen wird damit das Recht auf Selbstbestimmung oder Gleichbehandlung entzogen. Das einzige, was wir anbieten können, sind reversible Lösungen die Möglichkeit der Kontrolle und Rückholung des radioaktiven Lagerguts, sowie der Versuch, die vorhandenen Informationen lückenlos weiterzugeben. Politik: Die Politik sucht wiederholt nach optimistischen Sprachformeln im Umgang mit diesen Dilemmas: So folgte dem Projekt Gewähr der Entsorgungsnachweis. Weshalb? Diese Begriffshülsen gaukeln die Beherrschung der Lage vor und stehen im Verdacht, den tatsächlichen Wissensstand zu verschleiern. Der Beweis der Beherrschbarkeit kann nicht erbracht werden, denn um zu überprüfen, wie viel Radioaktivität in die Umwelt entweicht, müssten wir eine Zeitreise ins Jahr 200'000 machen. Das Ringen um Begriffe ist Ausdruck des Unwohlseins mit der Materie und der inneren Zerrissenheit der Gesellschaft in der Frage der Atommülllagerung. Perspektiven im Hinblick auf den geplanten Bau neuer Atomkraftwerke Die stimmberechtigte Bevölkerung wird voraussichtlich 2013 über den Bau neuer Reaktoren an der Urne entscheiden können. Behörden und Promotoren der Atomenergie wollen diesen Entscheid von der Frage der Entsorgung radioaktiver Abfälle abkoppeln. Atomkraftgegner argumentieren, dass der Bau neuer Reaktoren nicht legitimiert werden darf, solange das Atommüllproblem nicht gelöst ist. Ob in der Schweiz 2030 neue Atomreaktoren den Betrieb aufnehmen oder nicht, ist im Hinblick auf die Lagerung radioaktiver Atomabfälle nicht nur mengenmässig bedeutsam. Neben grösseren Abfallvolumen ist mit einer neuen Zusammensetzung des radioaktiven Abfalls und mit höheren Nachzerfallswärme-Leistungen zu rechnen. Das Atomprogramm mit all seinen Risiken würde damit bis Mitte des 22. Jahrhunderts fortgesetzt. Ob dies angesichts der offenen Fragen und ungelösten Probleme wünschenswert und legitim ist oder nicht, ist letztlich eine politische Frage. Alternativen stehen zur Verfügung. Auf die spätere Menge und Behandlung von radioaktiven Abfällen haben mehrere Faktoren Einfluss: Wiederaufarbeitung: Das Moratorium in der Schweiz schliesst bis 2016 die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus. Sollte die Schweizer Atomindustrie wieder grünes Licht für neue Wiederaufarbeitungsverträge erhalten und sie diese Option wahrnehmen, verschieben sich die Volumen innerhalb der Abfallkategorien (weniger hochaktive Abfälle mehr mittelund schwachaktive Abfälle). Die 2/2

Zusammensetzung der Abfälle ist abhängig von den verwendeten Brennstoffen und dem Abbrand im Reaktor. Höhere Abbrandleistung: Die höhere Abbrandleistung von Kraftwerken neueren Bautyps erhöht die Menge und Giftigkeit der radioaktiven Anteile von abgebrannten Brennelementen. Dies macht längere Abklingzeiten notwendig, bevor die Brennelemente in ein Endlager geschafft werden können. Die Lagerung in geologischen Tiefenlagern würde dadurch um Jahrzehnte verzögert, die Lager müssten länger unverschlossen bleiben, was wiederum die Risiken von ungeliebten Fremdeinwirkungen vergrössert. Die Kommission für die Sicherheit der Atomanlagen, KSA schreibt dazu: Hinsichtlich der Auswirkungen von Hochabbrand und der Verwendung von MOX-Brennstoff weist die KSA auf folgenden Punkt hin. Die stärkere und weniger rasch abklingende Wärmeleistung von hoch abgebrannten UO2-BE und von MOX-BE stellt zwar den Entsorgungsnachweis nicht grundsätzlich in Frage. Falls nur ganz gefüllte Lagerbehälter eingelagert werden sollen, erfordert sie aber eine länger dauernde Abklinglagerung der BE. Die Nagra geht davon aus, dass UO2-BE mit einem Abbrand von 48 GWd/tSM iii 40 Jahre und MOX-BE 55 Jahre zwischengelagert werden. Die Fortsetzung des Atomprogramms erfordert somit neue Zwischenlagerkapazitäten und die Verlängerung des Betriebs des Zwischenlagers in Würenlingen. Demzufolge ist nach der Einreichung der Rahmenbewilligung in absehbarer Zeit mit einem Gesuch für ein neues Zwischenlager zu rechnen. Mit folgenden, zusätzlichen Abfallmengen in Kubikmeter (gerundet) ist bei einer angenommenen Betriebszeit der neuen AKW von 60 Jahren (in Klammern: Volumen incl. Verpackung) zu rechnen: iv Grafik: Potentielles Abfallinventar Gösgen 2, Beznau 3 und Mühleberg 2 bei einer Betriebszeit von 60 Jahren, 2030 2090 (Quelle: NAGRA): HAA = Hochaktive Abfälle, ATA = Alphatoxische Abfälle SMA = Schwach und mittelaktive Abfälle KEV = Kernenergieverordnung BE = (abgebrannte) Brennelemente HAA/WA = Hochaktive Abfälle aus Wiederaufarbeitung BA = Betriebsabfälle AKW SA = Stilllegungsabfälle BEVA = Brennelementverpackungsanlage MIF = Abfälle aus Industrie und Forschung 3/3

Dies entspricht der Verdoppelung der Abfallmenge der aus dem Betrieb der Atomkraftwerke Beznau 1 und 2, Mühleberg, Leibstadt und Gösgen über 50 Betriebsjahre angenommenen Volumen. Neue Anforderungen an die geologische Tiefenlagerung Zurzeit wird davon ausgegangen, dass in der Schweiz Gesteinsformationen existieren, deren Ausmass die Einlagerung zusätzlicher Mengen erlaubt. Fragen stellen sich aber bezüglich der Hitzeentwicklung der hochaktiven Abfälle und der Auslegung möglicher Lager. Sicherheitstechnisch von Belang ist zudem der verzögerte (geplante) Verschluss des Lagers. Dazu schreibt die Kommission für die Sicherheit der Atomanlagen (KSA) im Zusammenhang mit der Einlagerung von Brennelementen, welche eine höhere Zwischenlagerungszeit benötigen: Ob zukünftige Forschungsergebnisse die heutige Annahmen bestätigen, dass die Architektur der Lager und die vorgesehenen Gesteinsformationen diese zusätzlichen Anforderungen erfüllen ist offen und wird bis zur Abstimmung über den Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz wohl unbeantwortet bleiben. Ausserdem wird die Flexibilität des Einlagerungsbetriebs eingeschränkt, da bei den BE aus Druckwasserreaktoranlagen davon ausgegangen wird, dass pro Lagerbehälter drei UO2-BE und ein MOX- BE eingelagert werden. Damit verzögert sich die geologische Tiefenlagerung der BE, was aus Sicht der Entsorgung sicherheitstechnisch von Bedeutung ist. Und macht dazu einen Vorschlag zur Optimierung: Beim Betrieb der Kernanlagen sowie der Behandlung und Konditionierung von Abfällen soll der Abstimmung mit den Erfordernissen der Entsorgung bis und mit geologischer Tiefenlagerung im Sinne einer Optimierung Rechnung getragen werden; hinsichtlich BE/HAA gilt dies speziell für die Kernauslegung und die Festlegung des maximalen Abbrands, hinsichtlich LMA für den Gehalt an organischen Stoffen. 4/4

Fussnoten i Gerade geologische Kenntnisse scheinen immer wieder an Grenzen zu stossen. Jüngste Beispiele in der Schweiz sind die Auslösung von Erdbeben bei Testversuchen mit der Geothermie (Basel), Überraschungen beim Tunnelbau (bis hin zu Einstürzen), Erfahrungen mit Sondermülldeponien. ii Das kann durchaus als Reaktion auf das Nein des Kantons Nidwalden zum Standort Wellenberg interpretiert werden unter dem Vorwand, das St. Florians-Prinzip auszuschalten. Allerdings begünstigt die Möglichkeit der Abstimmung auf nationaler Ebene wiederum dieses Prinzip, indem sich die Stimmbürger, unter Umständen ungeachtet der Standorteignung, sagen: Hauptsache, nicht bei uns! iii vorgesehen sind beim neuen EPR allerdings Abbrandleistungen von 70 GWd/tSM. iv Angaben aus: Nagra, NTB 08-01, 2008. 5/5