Archiv - Donnerstag 20. Juni 2002, Hinterthurgau Urheberrecht: Die Übernahme dieses Textes bzw. der Fotografie ist verboten. Jede Weiterverwendung des Inhalts dieser Site bedarf der Einwilligung der Redaktion. Thurgauer Zeitung Seit rund zwei Jahren betreibt der gelernte Hochbauzeichner Clemens Oberwiler einen Imbissstand auf dem Rastplatz Hexentobel Nord in Wängi. Dabei duzt er jeden seiner Kunden. Bild: Philipp Schwarz Hotdog und Beichte bei Clemens Eine nicht alltägliche Tätigkeit: Der gelernte Hochbauzeichner Clemens Oberwiler ist Besitzer eines Imbissstandes auf dem A1-Rastplatz Hexentobel Nord in Wängi. Philipp Schwarz Wängi - «Du». Jeden Gast spricht er mit diesem Wort an. Egal ob es ein junger Lastwagenfahrer, eine hübsche Verkäuferin oder ein gestresster Doktor ist. «Vor meinem Stand sind alle gleich», sagt Clemens Oberwiler, Betreiber eines beweglichen Imbissstandes auf dem A1-Rastplatz Hexentobel Nord (Richtung Frauenfeld). Ein Platz, an dem es nie ruhig wird. Täglich rauschen im Schnitt 40 000 Autos, Motorräder und Lastwagen an
diesem A1-Abschnitt auf Kilometer 345,9 vorbei. Seit rund zwei Jahren bedient der 26-Jährige täglich seine Gäste zwischen 7 Uhr bis manchmal 21 Uhr. Ausser im Winter, «da gibt es etwa drei Monate, in denen ich den Imbissstand nicht aufbaue. Weil in dieser Zeit weniger Kundschaft vorhanden ist». Gruss mit der Hupe Ein braun gebrannter Lastwagenfahrer mit einem blauen T-Shirt und schwarzen Jeans erscheint entspannt am Imbissstand: «Gib mir bitte eine Cola». Kaum bezahlt, klingelt sein Natel. Er wendet sich vom Stand ab: «Ich habe unheimlich viel Stress und bin noch nicht einmal zu einer Pause gekommen», erklärt der Lastwagenfahrer dem Anrufenden leicht verzweifelt. In der Zwischenzeit tritt eine jüngere Frau etwas schüchtern an den Stand. Sie wünscht sich das Tagesmenü für 8.50 Franken: Rindsbraten, Hörnli und Gemüsegratin. Ein Zürcher Vertreter für Büroprodukte meint, dass er mit der Bedienung von Clemens Oberwiler immer zufrieden sei. «Ich esse nicht gerne in den Autobahnraststätten, weil es mir da nicht schmeckt und die Preise zu hoch sind», meint eine ältere Wilerin. Immer wieder hört man nebst dem Rauschen der unzähligen Motorfahrzeuge ein lautes: «Tüüüt, Tüt». Der Ton stammt von Lastwagenfahrern, die keine Zeit haben, um bei ihm vorbeizuschauen und sich stattdessen mit einem Hupen bei ihm bemerkbar machen, erklärt er etwas verschmitzt. Eine Art Beichtvater Seine Kunden sind Lastwagenfahrer, Vertreter, Reisende oder Arbeiter. Durchschnittlich bedient der in Oberbüren Wohnhafte, maximal 80 hungrige oder durstige Mäuler am Tag. Der gelernte Hochbauzeichner erfüllt aber nicht nur die Funktion eines Imbissbesitzers. Manchmal entstehe das Gefühl, dass er für
bestimmte Kunden schon beinahe eine Art Beichtvater sei: «Irgendwie zumindest.» So erzählen ihm Liebhaber von ihrer neuen Flamme, die sie mal eben im Handumdrehen erobert haben, oder Arbeiter, die gerade mal ziemlichen «Stunk» im Geschäft hätten. Alltägliche Dinge eben. Genaueres möchte er nicht mitteilen. Gehört wahrscheinlich zu seinem Beichtgeheimnis. Zwischendurch kommt er in kritische Situationen. Kürzlich erlitt ein slowakischer Musiker in der Nähe seiner Imbissstube einen Herzinfarkt. Durch seinen raschen Notruf bei der Ambulanz konnten die Ärzte dem Mann noch rechtzeitig helfen. Schnelles Handeln war von ihm auch vor etwa einem Monat gefordert. Damals trat eine jüngere Frau an seinen Stand: «Im Gesicht war sie ganz bleich.» Die Frau hatte eine Lebensmittelvergiftung erlitten, so Clemens Oberwiler und lächelt: «Aber natürlich nicht von meinem Essen». Durch den raschen Einsatz eines Arztes konnte Schlimmeres verhindert werden. Vor zwei Jahren stellte der Bund den Kantonen frei, ob sie die kantonalen Rastplätze an Imbissstände vermieten möchten. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Giordano Bottignole, Bäckerei-Konditorei-Inhaber in Sirnach, stellte er ein Gesuch für das Aufstellen eines Imbissstandes auf der Raststätte Hexentobel Nord. Er erhielt den Zuschlag und zahlt seither Miete für die Benützung des Standplatzes an den Kanton. Kaum Zeit für Freunde Die Mietverträge sind auf ein Jahr ausgelegt. Welchen Betrag er jährlich zahlt, möchte er nicht sagen. «Es ist aber sicherlich kein unbedeutender Betrag in der Buchhaltung.» In seinen beweglichen Imbissstand investierte er insgesamt 40 000 Franken. Dazu kommen die laufenden Fixkosten wie Versicherungsgebühren, Material, oder die Kosten für den technischen Unterhalt seines Autos und den beweglichen Imbissstand.
Ist es ein lohnendes Geschäft, einen Imbissstand zu führen? «Ich kann davon leben.» Er blickt etwas nachdenklich auf seinen Kochherd. Zwar zähle er immer mehr Stammkunden, aber das Geschäft sei nicht einfach. Deshalb unterstütze ihn auch seine Familie bei Bedarf. Weshalb geht er nicht seinem erlernten Beruf nach? «Als Hochbauzeichner ist es schwierig, eine freie Stelle zu finden. Der Baubranche geht es nicht besonders gut.» Während seiner Arbeit begegnet er zahlreichen Menschen. Entwickeln sich dadurch Freundschaften? «Sicherlich, aber sie sind meist nicht allzu tief. Wenn ich bis spät in den Abend arbeite und zusätzlich noch am Wochenende an der Arbeit bin, kann sich eine Freundschaft nur schlecht entwickeln», und zeigt schliesslich auf eine Krähe, die sich ein paar Meter vor seinem Stand an einem kleinen Brotkrümel zu schaffen macht: «Auch Tiere gehören zu meinen Freunden.» Clemens Oberwiler ist Single. «Dies hat aber nicht nur mit der Arbeit zu tun», erklärt er. Vielleicht liegt es an seinem Hobby: sein Geschäft. Hinweistafeln für Imbissstand ist verboten Gemäss dem Bundesamt für Strassenbau dürfe man an Ein- und Ausfahrten sowie entlang der Nationalstrassen keine Hinweistafeln oder Werbeschilder für einen Imbissstand aufstellen, so Kurt Bitzer, Leiter Strassenunterhalt im kantonalen Departement für Bau und Umwelt. Diese Vorgabe gehörte zu den Mietbedingungen, die das Bundesamt für Strassen am 1. März 2000 erliess. «Für die Einhaltung sind die Kantone selbst zuständig», erklärt Kurt Bitzer. Wenn eine derartige Werbetafel nicht in der schweizerischen Signalisationsverordnung aufgeführt sei, könne die Bewilligung nicht erteilt werden, fügt Bitzer an. Ein Imbissstandbesitzer aus einem anderen Kanton meint, dass sich der Umsatz mit Werbetafeln leicht verdoppeln liesse. «Bisher hat noch kein Kanton eine Änderung des Werbeverbotes für Imbissstände beantragt», erklärt André Bumann vom Bundesamt für Strassen in Bern. Die Raststätten dürfen ihr
Angebot mit einer entsprechenden Hinweistafel an den Rastplatz- Einfahrten signalisieren. Weshalb gilt dieses Recht nicht auch für Imbissstandbesitzer? André Bumann: «Wir müssten sicher sein, dass ein Automobilist zwischen den erlaubten Präsenzzeiten von 5 bis 22 Uhr bedient wird. Dies können die Imbissstandbesitzer aber nicht vollumfänglich garantieren. Auch bieten sie nicht die gleiche Infrastruktur wie eine Raststätte.» (ps.) A1-Serie: Leben, arbeiten und Verkehr 1969 wurde im Hinterthurgau der erste Abschnitt der Autobahn A1 eröffnet. Die A1 benutzen mittlerweiletäglich rund 41 000 Verkehrsteilnehmer auf dem Weg nach Hause, zur Arbeit oder in die Ferien. Die TZ geht in dieser Serie den verschiedenen Aspekten rund um die A1 nach. (ps.) Die A1 in Zahlen: - Die Autobahn A1 (vormals N1) beginnt im Kanton Genf (Grand Saconnex) und endet im Kanton St. Gallen (St. Margrethen). - Sie weist eine Länge von 386,6 Kilometern auf. Im Kanton Thurgau beginnt das 12,4-Kilometer-A1-Teilstück in Hagenbuch und endet bei Wil. - Das erste Autobahnteilstück A1 wurde 1963 eröffnet. Am 18. September 1969 übergaben die Strassenverantwortlichen den Abschnitt Wängi bis Wil dem Verkehr. Etwas später, am 11. November 1970 schliesslich das Teilstück Hagenbuch bis Wängi. - Der Autobahnabschnitt bei Münchwilen stellte im vergangenen Jahr mit einem durchschnittlichen Tagesverkehr von 41 200 Fahrzeugen die meistbefahrenste Strasse im Kanton Thurgau dar. Im Jahr 1969 zählte man auf der A1 noch täglich 7130 Fahrzeuge. Zum Vergleich: Die A7 im Thurgau verzeichnete im vergangenen Jahr auf dem meistbefahrensten Bereich (nahe Frauenfeld) täglich rund 22 300 Fahrzeuge.
- Beim Bau der A1 kam es im Kanton Thurgau zu keinen nennenswerten Problemen. Im Gegensatz zum Kanton Zürich: In Winterthur stürzte am 27. Oktober 1966 eine noch nicht ganz fertig erstellte Autobahnbrücke ein. - In den Jahren 1999 und 2000 wurde die A1 im Kanton Thurgau letztmals saniert. Die nächste Sanierung ist für die Jahre 2005/2006 im Abschnitt Hagenbuch - Wängi vorgesehen. (ps.)