Mein Rundbrief Nr. 2. Liebe Freunde, Familie und andere liebe Menschen

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Transkript:

Mein Rundbrief Nr. 2 Liebe Freunde, Familie und andere liebe Menschen Schon sind wieder drei Monate voller neuer Erlebnisse, Ereignissen und Erfahrungen vergangen und die Hälfte des Jahres ist, wie ich jetzt merke, wirklich wie im Flug vergangen. Mein Leben ist hier so ein anderes als in Deutschland; jeder Tag beinhaltet neue Eindrücke, neue Dinge über die ich staunen kann und Dinge, die ich nicht verstehe und die mich sprachlos zurück lassen. Außerdem beinhaltet mein Leben hier ganz viel Zeit für alles mögliche, worauf ich Lust habe, Zeit mich mit Dingen auseinanderzusetzen, über die ich früher nicht nachgedacht habe und neue Sachen wie Salsa auszuprobieren oder Deutschunterricht zu geben. Diesen Rundbrief möchte ich unter das Thema der Unterschiede zwischen Deutschland und Nicaragua stellen. Zum einen haben die letzten drei Monate für mich ein erneutes Ankommen hier in Nicaragua bedeutet, da ich von meinem Weihnachtsurlaub zu Hause wiederkam und mich mit den kulturellen Unterschieden nochmal auf eine andere Art und Weise als beim ersten Mal auseinandergesetzt habe. Zum anderen gebe ich gerade zwei Wochen Deutschunterricht an vier Nicaraguaner, die im April für ein Jahr nach Deutschland mit EIRENE als Freiwillige gehen. Außerdem beschäftigt mich die politische Situation hier gerade sehr und ich begreife zum ersten Mal, was es bedeutet, in einem Land wie Deutschland aufgewachsen zu sein. Mein kleiner persönlicher Neuanfang Beim ersten Mal war das Ankommen in Nicaragua begleitet von Staunen, Aufregung und ganz viel offener Neugierde und ich fand alles toll. Ich hatte keine Ahnung was mich erwartet, um ehrlich zu sein. Im Gegensatz dazu wusste ich jetzt genauer was mich erwartet. Ich hatte mich auch wieder gefreut zurück zu fliegen, weil es so vieles gab, was ich noch erleben, sehen und entdecken wollte. Als ich dann wieder da war, sind mir die Unterschiede jedoch deutlicher aufgefallen. Wenn man überhaupt von einem sogenannten Kulturschock sprechen kann, dann war es das zweite Mal Ankommen in Matagalpa. Während den ersten Zwischenstopps war ich begeistert von den warmen Temperaturen, die mir beim Aussteigen aus dem Flugzeug entgegen geweht sind und das erste Frühstück mit Mango, Papaya und Banane waren ein Traum, weil die Früchte wirklich überhaupt nicht vergleichbar sind. In Deutschland fand ich die Früchte immer lecker und auch hier in Nicaragua hätte ich nicht gedacht, dass der Unterschied wirklich so groß sein kann, aber ein Biss in die Banane in Deutschland hat mir gereicht, um sie dankend zur Seite zu legen. Also ein deutlicher Pluspunkt von hier. Wohingegen Vollkornbrot und Laugenbrezeln wirklich auch sehr lecker sind und hier nicht im Ansatz zu finden sind. Alle Brote sind süß und fluffig. Was das Essen betrifft kann man also in beiden Ländern neidisch werden. Als ich dann aber während den ersten Tagen eine Maus in unseren Haferflocken hab rumspringen sehen und auf einmal 50 Kakerlaken aus dem Abfluss in der Küche gesprungen sind, war die Begeisterung meinerseits nicht mehr ganz so groß. Aber

inzwischen finde ich das Ganze wieder lustig und ich habe keine Probleme mehr damit. Würde ich mir die gleiche Situation jedoch in Deutschland vorstellen, weiß ich, dass ich da die Krise kriegen würde, allein nur eine Kakerlake zu sehen. Aber hier ist man mit Giftspray auch einfach besser ausgerüstet. Ein anderer Punkt, der mich in der ersten Zeit wirklich genervt hat ist, dass unser Haus einfach nie sauber wird. Man hat das Gefühl, man kann hundertmal fegen und fegt trotzdem noch die gleiche Staubmenge raus. Das liegt an den unbefestigten Straßen und den offenen Häusern hier. Zu Beginn hat mich das nie sonderlich gestört, aber als ich dann zu Hause in Deutschland diesen gemütlichen Teppichboden hatte, eine saubere Küche und die schönen Badezimmer war die Umstellung doch nochmal anders. Inzwischen nehme ich das aber auch wieder einfach hin und rege mich nicht darüber auf. Das ändert ja doch nichts an der Situation und wirklich jeden Tag alles fegen will ich auch nicht. Also bleibt der Boden einfach staubig, Haferflocken werden besser verpackt und das Mehl steht seit dem Mäusevorfall im Kühlschrank. Man muss nur seine Art finden, mit der Situation umzugehen und darf nicht erwarten, dass alles genauso sein muss, wie man es aus Deutschland kennt, - dann ist das kein Problem. So lerne ich jedoch die Gegebenheiten in Deutschland mehr zu schätzen. Allerdings bringt die Gesellschaft in Deutschland andere Probleme mit sich, mit denen die Menschen zu kämpfen haben. Die Schwierigkeiten sind grundverschieden und kaum miteinander vergleichbar. In Nicaragua geht es noch öfter um existenziellere Überlebensfragen, wohingegen es in Deutschland oft um möglichst effektive Tageseinteilung geht. Das Wort Burnout gibt es hier nicht. Die Menschen nehmen sich mehr Zeit für die Dinge. Zeit für ein kleines Gespräch gibt es immer und selbst wenn man auf der Straße nach dem Weg fragt, werden auch Bekannte angerufen, um den Weg, den sie selbst nicht kennen, erklären zu können. Zeit spielt auch bei Verabredungen eine andere Rolle als im überpünktlichen Deutschland. Das Problem ist nur noch ein wenig, dass ich nie weiß, wann man jetzt wirklich doch mal pünktlich anfängt, oder wann man einfach eine halbe Stunde später kommen kann, weil davor eh die Hälfte noch nicht anwesend ist. Ich finde es jedoch angenehm, dass man sich nicht immer so abhetzen muss, um auf die Minute pünktlich zu sein, auch wenn es auf der anderen Seite blöd ist, dann so lange warten zu müssen, weil man doch davon ausgegangen ist, dass die anderen pünktlich kommen. Ich empfinde den Alltag hier auf jeden Fall entspannter. Man wird hier nie jemanden finden, der sich aufregt, weil der Bus zwei Minuten Verspätung hat. Man wartet auch mal eine Stunde, ohne sich darüber aufzuregen. Zeit spielt hier eine andere Rolle. Ich genieße zum Beispiel auch Busfahrten von drei Stunden, um am Wochenende zu vereisen. In Deutschland habe ich dazu eine komplett andere Einstellung und sehe lange Fahrten eher als nervig an. Das hängt aber auch mit der Landschaft zusammen, die man auf der Fahrt bewundern kann und die nicht so vertraut wie die deutsche Landschaft ist. Ich bin sehr gespannt, was die nicaraguanischen Freiwilligen über das Leben und die Landschaft in Deutschland denken werden, wenn sie diese zum ersten Mal sehen. Ich hatte zu Beginn schon angesprochen, dass ich gerade Deutschunterricht für vier Nicas gebe, die durch EIRENE die Möglichkeit haben, ein Jahr als Freiwilliger in einem Kindergarten, einer freien Schule, einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und einem Weltladen zu arbeiten. Alle vier sind seit mehreren Jahren aktiv bei Organisationen hier in Nicaragua. Bei ADIC, meiner Organisation,bei CENIDH, einer Menschenrechtsorganisation und bei SOPEXXCA, einem Kaffeeunternehmen, die auch Schokolade hier herstellen und ebenfalls Gender- und Jugendarbeit machen. Die vier werden zum ersten Mal in

ihrem Leben fliegen, Zug fahren und ein so anderes Leben kennen lernen, wie das, welches sie hier leben. Erst im Gespräch fallen mir viele Unterschiede auf. Ich bin sehr gespannt, wie sie mit diesen ganzen Herausforderungen umgehen werden und hoffe, dass sie auf viele hilfsbereite Menschen treffen. Wir Freiwillige haben immer wieder Probleme die Deutschen zu beschreiben, da wir sie darauf vorbereiten wollen, dass man zum Beispiel im Zug auch mal angeschnauzt werden kann, wenn man zum Beispiel zu laut Musik hört oder dass man nur ein unfreundliches Weiß ich nicht zu hören bekommt, wenn man nach dem Weg fragt und stehen gelassen wird, anstatt geduldige, hilfsbereite und interessierte Ohren anzutreffen wie hier. Gleichzeitig wollen wir ihnen aber keine Angst einjagen, dass alle Deutschen so unfreundlich wären, denn das stimmt ja auch nicht. Klar ist es generell nicht möglich, alle Deutschen oder Nicaraguaner zu verallgemeinern, doch habe ich die Erfahrung gemacht, dass man in Deutschland sehr viel verschlossener gegenüber Fremden auftritt als die Menschen hier es tun. In Deutschland ist man, denke ich, gegenüber Bekannten und Freunden tendenziell sehr viel freundlicher als gegenüber Unbekannten. Im Gegensatz wird man hier im Bus auch mal gerne in ein Gespräch verwickelt und die Menschen haben kein Problem damit, wenn man die Sprache nur sehr bruchstückhaft beherrscht. Die Großzügigkeit der Menschen ist noch ein Punkt, der mir hier aufgefallen ist. Ich habe hier einfach so schon Schokobananen, Orangen oder Zitronen geschenkt bekommen. In den Dörfern ist das noch stärker verbreitet als in den Städten. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass es Sprichwörter gibt, die sagen, dass dein Baum aufhört Früchte zu tragen, wenn du sie verkaufst. Das heißt, es ist sehr üblich, dass das Obst einfach verschenkt wird, anstatt es zu verkaufen, obwohl die Familie ein kleines zusätzliches Einkommen sehr gut gebrauchen könnte. Gerade in den Dörfern gibt es kaum Arbeit. Die Menschen leben von Landwirtschaft und im Winter zwischen den Monaten November und Februar arbeitet jeder der irgendwie kann bei der Kaffeeernte mit. Dort werden die Kaffeekirschen geerntet, sortiert und getrocknet, Säcke werden geschleppt oder die Bohnen werden aussortiert. Diesen ganzen Prozess kennen zu lernen war super interessant, weil ich davor keine Ahnung hatte, was mit dem Kaffee alles passiert, wie er wächst und wie er weiterverarbeitet wird. Jetzt weiß ich, wie viele verschiedene Arbeitsschritte hinter einer Tasse Kaffee stecken. Außerdem verstehe ich jetzt, warum die Winterferien hier zwei Monate dauern, da in dieser Zeit die Kaffeeernte ist, die das Leben bestimmt. Nun ein kleiner Themensprung zu einem anderen Thema, welches das Leben ebenfalls beeinflusst und zwar zur Politik. Die politische Situation Mit der Zeit erfahre ich hier immer mehr über das politische Leben und ich finde es sehr spannend, immer mehr erzählt zu bekommen und unterschiedliche Sichtweisen der Menschen auf die politische Situation zu hören. Zum politischen System kann man sagen, dass Nicaragua offiziell eine Demokratie ist. Daniel Ortega ist der Präsident des Landes und auf den metergroßen, pinken Wahlplakaten wird mit den Schlagworten sozialistisch, christlich und solidarisch geworben. Daniel Ortega hat in der '79er Revolution auf der Seite der Sandinisten gegen die 30jährig bestehende Somoza Diktatur gekämpft. Die Partei heißt FSLN und bedeutet Frente Sandinista de Liberación Nacional Sandinistische Nationale Befreiungsfront. Sie ist im alltäglichen Leben in vielfältiger Form allgegenwärtig: an jeder Bushaltestelle oder am Straßenrand sind die schwarz-roten Farben der Parteifahne aufgemalt. Auch in den Parks der Stadt zeigt sich die Regierung dadurch, dass alles in knallbunten Farben angemalt ist. Die Frau des Präsidenten, die sehr viel

Einfluss auf das politische Geschehen nimmt, ist dafür verantwortlich. Das gilt ebenso für die sich ständig in allen Farben vermehrenden so genannten Lebensbäume aus Metall (siehe Foto) in der Hauptstadt. Sie sind zwar wenig lebendig, verschlingen aber sehr viel Geld und Strom, so dass die Leute die in der Nähe wohnen, keinen Strom mehr haben. Der Machtzugewinn von Ortegas Frau, Rosario Murillo, wird von verschiedenen Politik- Analysen als ein zwischen ihr und ihrem Mann geschlossener Pakt betrachtet. Rosario Murillo s Tochter aus erster Ehe hatte den Präsidenten des sexuellen Missbrauchs angeklagt, der dies jedoch abstritt. Seitdem sich Rosario Murillo auf die Seite des Präsidenten und gegen ihre Tochter stellte, hat sie merklich an Einfluss gewonnen. Informationen über irgendwelche Pakte, die das politische Leben bestimmen sind hier sehr üblich. Diese Pakte sind zwar nicht immer offiziell, doch jeder kennt diese Spekulationen, die von Fachleuten als zutreffend eingeschätzt werden. Ein Beispiel: Kurz vor der Wahl 2006 wurde von Seiten des Staates die Gesetzgebung zur Abtreibung massiv verschärft: ein Schwangerschaftsabbruch ist weder aus sozialen noch aus therapeutischen Gründen erlaubt. Das bedeutet, dass selbst dann, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist, keine Abtreibung erfolgen darf. Auch nach Vergewaltigungen darf nicht abgetrieben werden. Bei Zuwiderhandlungen drohen sowohl den betroffenen Frauen als auch den Ärzten hohe Haftstrafen. Dies war seit langer Zeit ein Wunsch der Kirchen, sowohl der katholischen, als auch der vielen evangelikalen Kirchen, die hier sehr verbreitet sind. Kurz vor der Wahl kam der schon seit geraumer Zeit existierende entsprechende Gesetzesentwurf der konservativen Parteien (nicht der FSLN), überraschender Weise zur Abstimmung. Zahlreiche Mitglieder der FSLN stimmten für das verschärfte Gesetz. Ohne ihre Stimmen wäre es nicht möglich gewesen, dieses Gesetz durchzusetzen. Daraufhin sprachen sich Vertreter der Kirche nun offiziell für die Regierung Ortegas aus und die katholische Kirche steht seitdem an der Seite des Präsidenten. Dadurch hat er sich viele Stimmen gesichert, die zu seinem Wahlsieg 2006 beitragen konnten. Diesen November stehen die nächsten Wahlen an, zu denen er auch nur dank seiner eigenen Gesetzesänderungen antreten darf, da er nun beliebig oft wiedergewählt werden kann. Die Tatsache, dass er Gesetze ändern kann wie er möchte und dass seine Partei eigentlich die Kontrolle über die gesamte Justiz hat, zeigen mehrere Beispiele von Gesetzestexten, die innerhalb weniger Tage komplett verändert wurden, ohne Einbeziehung der Bevölkerung oder Diskussionsmöglichkeiten. Ein Beispiel ist die Ermöglichung des Bau des Nicaragua Kanals. Der Nicaragua Kanal Ein kleiner Überblick für die, die davon noch nichts gehört haben: Der Nicaragua Kanal soll als Alternative zum Panamakanal in Nicaragua durch den Nicaragua See gebaut werden, 279km lang werden und noch größere Schiffe passieren lassen können. Um diesen Bau zu ermöglichen, wurde innerhalb von zwei Tagen ein neues Gesetz verabschiedet, welches sehr viele andere Gesetzestexte, wie den Schutz des Nicaragua Sees außer Kraft setzt oder die eigentlich vorgeschriebene Konsultation der indigenen Bevölkerung an der Karibikküste Nicaraguas. Ohne ausreichende Machbarkeitsstudien oder Befragung der Bevölkerung wurde die Baulizenz zu, meiner Meinung nach, sehr kritischen Bedingungen an einen chinesischen Investor vergeben. Die Einnahmen werden für mind. 50 Jahre an das chinesische Unternehmen fließen und für entstehende Umweltschäden haftet das Land

Nicaragua. Die Idee eines Kanalbaus existiert seit langer Zeit und es wird sich ein wirtschaftlicher Aufschwung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze erhofft. Zur Zeit ist es auch hier eher ruhig um dieses Thema, einige vermuten, dass dies vor den Wahlen beabsichtigt ist, um Proteste und internationales Aufsehen zu verhindern. Es gibt zwar Unterschriftenaktionen der Bevölkerung dagegen, doch die Baumaßnahmen scheinen nicht voran zu gehen. Im vergangenen Jahr gab es einen großen Protestmarsch in der Hauptstadt, der von der Regierung jedoch versucht wurde zu unterbinden. Alle Eingangsstraßen der Hauptstadt wurden an diesem Vormittag gesperrt und nachmittags wurde spontan ein Gegenprotest von Jugendlichen Parteimitgliedern in die Wege geleitet, die diese Straßensperren natürlich ohne Probleme passieren durften. Eine Kollegin von ADIC nahm mit der Frauenorganisation Matagalpas und vielen Frauen aus den Dörfern teil und sie hat mir erzählt, dass die Polizei auch mit Tränengas gegen die Demonstranten vorgegangen ist. Frauenorganisationen nehmen eine sehr wichtige Rolle in Bezug auf die Regierungskritik ein. Da die Opposition sehr klein und zersplittert ist, gibt es keine wirkliche Alternative zur regierenden Partei und wenig organisierte Gruppen, die sich öffentlich gegen die Regierung positionieren. Die Frauenorganisationen hier in Matagalpa haben sich am 8. März, dem internationalen Frauentag, bei einer Demonstration mit Liedtexten und Sprüchen kritisch gegen die Regierung positioniert. Dies ist hier gar nicht so einfach, da man wirkliche Probleme bekommen kann, wenn man sich öffentlich kritisch äußert. Ich habe inzwischen viele Geschichten gehört, dass Personen, die sich kritisch gegenüber der FSLN positionieren ihren Job verlieren können. Oft erhält man jedoch nicht einmal einen Job, wenn man keinen Mitgliedsausweis der Partei hat. Für Lehrer und viele andere Berufe ist die Mitgliedschaft Voraussetzung. Ob man dann wirklich hinter der Partei steht, ist eine andere Frage, doch haben muss man ihn. Dies zu hören, finde ich immer wieder erschreckend und es erinnert mich an Vorgehensweisen der DDR. Ich habe aber auch schon mit Leuten geredet, die meinten, vieles kritisieren sie an der Partei, wie die angesprochenen Punkte und doch wollen sie Daniel Ortega wählen, weil es auch gute Veränderungen unter ihm gab und sie einfach froh sind, Frieden zu haben. Ich denke, dass die Erfahrungen des Bürgerkrieges noch stark verankert sind, vor allem in den Dörfern, da dort am meisten gekämpft wurde. Generell sagen viele Einwohner von sich, dass sie Sandinisten, aber keine Ortegisten sind. Das heißt, sie unterstützen die Werte, für die die Sandinisten stehen, wie Freiheit und für ein Nicaragua ohne die Kontrolle von anderen Ländern, doch sie unterstützen nicht die Politik des Präsidenten. Auf die Frage, wie man mit so einem System leben kann, in welchem man sich über viele Dinge aufregen kann oder sich hilflos und machtlos fühlen kann, habe ich verschiedene Antworten erhalten. Die Hauptaussage war aber, sich auf kleine Fortschritte zu konzentrieren und sich für das einzusetzen, was einem am wichtigsten ist. Eine Frau beispielsweise setzt sich dafür ein, dass Kinder Begeisterung fürs Lesen entwickeln, indem ihnen vorgelesen wird und sie so dazu angeregt werden, eigenständig zu denken. Dies ist in einem Schulsystem des Wiederholens und Auswendiglernens meiner Meinung nach eine sehr wichtige Aufgabe, da ohne kritisches Denken keine fundierte eigenständige Meinung gebildet werden kann.

Bildung ist, wie überall, der Schlüssel und Projekte, die das fördern sind hier auf jeden Fall unterstützenswert. Die Arbeit von ADIC ADIC arbeitet auch im Bildungsbereich und deshalb noch ein paar Worte zu dieser Arbeit, die ich sehr wichtig finde. Fast die Hälfte der Frauen in den Dörfern kann nicht lesen und schreiben und selbst die Jugendlichen, die teilweise auch studieren, haben viele Rechtschreibprobleme. Um diesen Frauen Informationen zugänglich zu machen und sie auf ihre Rechte hinzuweisen, werden die sogenannten talleres Vorträge/Seminare/Workshops gehalten. Ich bin froh, Einblicke in diese Arbeit zu erhalten und finde es werden wirklich gute Dinge umgesetzt. Zur Zeit wird mit EIRENE zusammen ein Projekt vorbereitet, in dem es um die Stärkung der finanziellen Eigenständigkeit der Frau geht Empowerment auf Englisch. Es werden Ideen gesammelt, mit denen eine Gruppe von Frauen mit der Zeit immer professioneller und ökonomisch gewinnbringend arbeiten kann z.b. durch die Herstellung und den Verkauf von Marmelade oder Möbeln aus Bambus. Das Ziel ist es, den informellen Bereich zu verlassen, um stärker an der Wertschöpfungskette teilzuhaben. Meistens werden die Früchte oder anderen Produkte direkt verkauft, doch wenn diese Produkte weiterverarbeitet werden, lässt sich mehr daran verdienen. Ich finde es spannend zu sehen, was zu einem solchen Prozess alles dazu gehört und dadurch ist mir erst aufgefallen, was man dafür alles tun muss. Außerdem werden von ADIC auch Letrinen gebaut, Wasserfilter verteilt und Workshops mit Jugendlichen gemacht, in denen diese sich selbst Handlungsstrategien überlegen, was sie gegen die Dürre in ihren Dörfern unternehmen wollen. Es geht darum, dass sich Netzwerke bilden und man vereint versucht Veränderungen voranzubringen. Unser EIRENE Zwischenseminar Nach den ersten 6 Monaten stand unser Zwischenseminar mit den Fachkräften und Freiwilligen von EIRENE aus Nicaragua und Costa Rica an. Wir haben eine Woche zusammen verbracht und viele unterschiedliche Themen behandelt. Die Chefin von ADIC hat einen Gender Taller gemacht, bei dem wir über Eigenschaften von Männern und Frauen gesprochen haben und über die jeweiligen Vor- und Nachteile diskutiert haben. Das waren interessante und auch lustige Gespräche. Weitere Themen waren die gesellschaftliche und politische Situation in Nicaragua und auch in Costa Rica. Es war spannend etwas über das Nachbarland zu erfahren, über das ich davor nur wenig wusste und welches so unterschiedlich ist. Wir haben eine Podiumsdiskussion mit den Fachkräften, die in Nicaragua in der Entwicklungshilfe tätig sind, gemacht und haben anregende Diskussionen geführt. Weitere Punkte auf unserem Programm waren das Thema des Kanalbaus, Globalisierung und natürlich die Reflexion des ersten halben Jahres und der Austausch der Erfahrungen unter uns Freiwilligen. Wir hatten uns natürlich tausend kleine lustige Geschichten zu erzählen und dementsprechend haben wir die Zeit genossen und wenig geschlafen. Zwei Tage haben auch die nicaraguanischen Freiwilligen teilgenommen, wir haben einen Tanzkurs zusammen gemacht und die Agape Feier gefeiert, bei der wir das nachmittags selbst gekochte Essen genossen haben und die Person rechts neben uns bedient haben, da es ein Fest der Liebe ist. Wir saßen bei Kerzenlicht auf dem Boden im Kreis und haben uns später noch Gegenstände vorgestellt, die wir aus Deutschland mitgebracht haben und die uns wichtig sind und die nicaraguanischen Freiwilligen haben uns Gegenstände vorgestellt, die sie mitnehmen werden. Alle vier hatten mind. einen Gegenstand dabei, der etwas mit ihrem Glauben zu tun hatte. Dadurch ist mir nochmal aufgefallen, wie wichtig der Glaube hier in vielen Familien ist und wie unterschiedlich das in Deutschland gelebt

wird. Das Thema der Religion, Kultur und Rolle des Freiwilligen wurde am nächsten Tag in Kleingruppen behandelt und mit kleinen lustigen Sketchen vorgestellt, die sehr gut die Unterschiede zwischen den zwei Ländern dargestellt haben. EIRENE Zwischenseminar ADIC Team Ausblick Ich bleibe gespannt darauf, immer weiter Neues über Land und Leute zu erfahren und mehr und mehr in die Nica Kultur einzutauchen. Ich fühle mich inzwischen Tag für Tag heimischer hier, so als würde ich jetzt richtig ankommen in Matagalpa. Ich verbinde mit immer mehr Orten eine kleine Geschichte und freue mich an bekannten Gesichtern vorbeilaufen und grüßen zu können. Ich genieße es, die Wochenenden hier mit Freunden zu verbringen, Konzerte im Kulturzentrum gegenüber anzuhören und die ganze Nacht tanzen zu gehen und meine neu erlernten Salsa Schritte auszuprobieren. Der Salsa Kurs findet drei mal die Woche statt und bereitet mir jedes Mal gute Laune und ich komme mit einem Grinsen im Gesicht wieder nach Hause und falle erschöpft ins Bett. Für das nächste halbe Jahr wünsche ich mir noch ganz viele weitere kleine Puzzlestückchen einzusammeln, um am Ende ein leuchtendes Bild voller Farben und unterschiedlichster Schattierungen von Nicaragua in meinem Herzen zu tragen. Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick in mein Leben hier geben. Ich schicke euch warme Sonnenstrahlen und die allerliebsten Grüße Eure Sarah