Konkrete Umsetzung der Beteiligung Was brauchen die Irmela Wiemann, Psychologische Psychotherapeutin www.irmelawiemann.de Wortbedeutung: Partizipation Teilhabe, Teilnahme, Beteiligtsein Von etwas, das ein anderer hat, etwas abbekommen Dabeisein, Mitmachen, Dazugehören 2 Fremdplatzierte Kinder haben das Gegenteil von Partizipation erlebt: Hilflosigkeit und Überwältigung, Ohnmacht, Demütigung Fremdbestimmung, Reglementierung, Zwang, Bevormundung, Ausgeschlossensein Extremste Erfahrungen von Verlassensein und Einsamkeit (van der Hart über traumatische Erfahrungen) Adultismus: Das Machtgefälle von Erwachsenen zu Kindern/Jugendlichen 3 (c) Irmela Wiemann 1
Adultismus Erwachsene gehen davon aus, dass sie allein aufgrund ihres Alters Kindern überlegen sind und setzen sich über ihre Meinungen und Ansichten hinweg (vgl. Manuela Ritz) Erwachsene üben tagtäglich Macht aus und bevormunden Kinder und Jugendliche Erwachsene treffen Anordnungen oft in einem Ton, den sie gegenüber ihren Freundinnen und Freunden nie benutzen würden Das Kind wird nicht als vollwertiger Mensch mit Würde und Menschenrechten geachtet 4 Schwarze Pädagogik Bei unseren Vorfahren war es Usus, Kinder zu ängstigen und einzuschüchtern, damit den Willen von Kindern zu brechen und sich Macht und Respekt zu verschaffen. Instrumente t der Schwarzen Pädagogik nach Alice Miller: Fallenstellen, Lügen, Listanwendung, Verschleierung, Manipulation, Ängstigung, Liebensentzug, Isolierung, Misstrauen, Demütigung, Verachtung, Spott, Beschämung, Gewaltanwendung bis zur Folter." (Miller, 1980, S. 77). 5 Das freie Kind Erich Kästner: Das doppelte Lottchen,1949 Das Kind als vollwertiger Mensch, der den Erwachsenen nicht nur ebenbürtig sondern in zentralen, emotionalen Angelegenheiten des Lebens überlegen ist A.S. Neill leitete in England das Internat Summerhill und schuf den Begriff des freien Kindes Seine antiautoritäre Erziehung beeinflusste die Studentenrevolution 1969 und die Wende hin zu einer Reform-Pädagogik in der Heimerziehung 6 (c) Irmela Wiemann 2
Partizipation: Mitwirkung im Hilfeplan Einbezug von Kindern und Jugendlichen in die Hilfeplanung seit den 1990iger Jahren (SGB VIII 36) Soziale Fachkraft: Vertrauensperson für das Kind Innere Haltung: Wertschätzung, Achtung Die Motive der Kinder und Jugendlichen ernst nehmen, auf ihre Seite gehen Transparenz, Höchstmaß an Klarheit und verständliche Sprache 7 Partizipation muss gelebt werden Tägliche Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen Berücksichtigung der Interessen von Kindern/Jugendlichen in der (Pflege-)Familie, in der Schule, in Einrichtungen, In der Heimerziehung verstehen wir unter Partizipation auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben außerhalb der Einrichtung 8 Partizipation und Entscheidungen Partizipation bedeutet nicht, komplette Entscheidungsfreiheit für das Kind oder den Jugendlichen Die Verantwortung liegt bei den Fachkräften, Eltern, Pflegeeltern, anderen Erwachsenen Partizipation bedeutet hier: Den Wunsch des Kindes wahrnehmen, ernst nehmen und verstehen Z.B. Fragen der Rückkehr in die Herkunftsfamilie Übergänge gestalten 9 (c) Irmela Wiemann 3
Teilhabe in der Traumapädagogik Transparenz: Die Bezugspersonen erläutern dem Kind, weshalb sie sich so verhalten, wie sie es gerade tun Das Kind erhält Ermutigung, Wertschätzung, Respekt und wird ernstgenommen Die Motive und Bewegründe für unerwünschtes Verhalten werden akzeptiert und verstanden. Erst dann wird nach einer guten Lösung zusammen mit dem Kind gesucht 10 Exkurs: Definitionen Traumatisierung Fischer/Riedesser: Psychische Traumatisierung lässt sich definieren als vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt. 11 Traumapädagogik Traumapädagogik hilft Kindern, zu Expertinnen und Experten ihrer Besonderheiten zu werden Sie gibt den Kindern die Beruhigung, dass ihr abweichendes Verhalten angemessen und berechtigt ist Sie unterstützt die Kinder, Selbstbewusstsein und neue Verhaltensweisen zu erlernen 12 (c) Irmela Wiemann 4
Teilhabe bedeutet auch: Aufrichtigkeit gegenüber Kindern und Jugendlichen Informationen, die das Kind betreffen mit dem Kind teilen (Fachkräfte: Kinderakte, Lebensbuch/Brief) Dem Kind Klarheit und Gewissheit geben über seine Lebenssituation Dem Kind Sicherheit geben, dass seine oft widersprüchlichen Gefühle alle ihre Berechtigung haben 13 Sich der Lebensthemen der Kinder annehmen Rolle und Status in der Pflegefamilie Wozu dienen die Besuchskontakte? Trauern über das Getrenntsein von den Eltern Verstehen lernen: Warum musste das Kind fort? Grenzen der leiblichen Eltern betrauern Bindungswunsch und Bindungsangst Positive Identitätsfindung Frieden schließen mit dem besonderen Schicksal 14 Rolle und Status in der Pflegefamilie: Leibliche Eltern Seelischsoziale Eltern Kind Rechtliche Eltern Zahlende Eltern 28 (c) Irmela Wiemann 5
Was ist eine Pflegefamilie? Im Auftrag deiner ersten Mama (deines ersten Papas) und des Jugendamtes lebst du bei Pflegeeltern. Menschen, die es nicht schaffen, Tag und Nacht für ihr Kind dazu sein, haben ein Recht darauf, dass ihnen jemand hilft. Du bist und bleibst das Kind deiner Mama und deines Papas. Deine Pflegeeltern sind quasi für sie eingesprungen. Und zugleich gehörst du jetzt zu in ihre Familie und sie haben dich lieb. 16 Vier Elternschaften (Foto: Brigit Lattschar) 17 Wie ist das mit dem Pflegegeld? Pflegeeltern erhalten vom Jugendamt Geld für Essen, Kleidung, Unterkunft, Spielzeug des Kindes usw. und einen kleinen Betrag für die Betreuung Niemand nimmt ein Kind nur wegen des Geldes auf. Immer wollen die Menschen für ein Kind sorgen und es liebhaben. Sie wollen dem Kind ein Zuhause geben. Zugleich gehört ihr jetzt als Familie zusammen Und die Zuneigung zu Dir ist unbezahlbar. 18 (c) Irmela Wiemann 6
Warum kommt die Fachkraft? Da du im Auftrag des Jugendamtes in deiner Pflegefamilie wohnst, muss die Fachkraft vom Jugendamt dich und deine Pflegeeltern unterstützen. tüt Auch schaut sie, wie es dir geht, ob du dich wohl fühlst oder etwas besonderes los ist. 19 Rollenklärung bei Dauerperspektive Du gehörst jetzt zu uns. Hier ist dein Zuhause. Deine Mama/ dein Papa bleiben dennoch ein wichtiger Teil in deinem Leben. Du hast zwei Familien: eine Familie, aus der du kommst und eine, in der du jetzt lebst. Beide Familien gehören für immer zu dir! 20 Rollenklärung bei Rückführung Deine Mama/ dein Papa bleiben immer die Nummer Eins in deinem Leben. Wir werden sie nicht ersetzen. Wir sind etwas Neues in deinem Leben: Erwachsene, die dich begleiten und unterstützen, solange deine Mama (dein Papa) nicht für dich da sein kann. 21 (c) Irmela Wiemann 7
Rollenklärung bei Heimerziehung Deine Mama/ dein Papa bleiben immer die Nummer Eins in deinem Leben. Sie haben ihre Jeden-Tag- Fürsorge nun auf uns Erwachsene in der Einrichtung übertragen. Das ist nicht einfach für deine Eltern. Und erst recht nicht einfach für dich. Wir in der WG verstehen, wie gern du wieder bei deinen Eltern leben würdest. Aber wir können das nicht entscheiden. Die Entscheidung hat das Jugendamt/Jugendwohlfahrt. So lange du bei uns bist, kümmern wir uns täglich um dich und wir wünschen dir, dass du trotz deines Heimwehs hier das beste für dich daraus machen kannst. 22 Erklärung Hilfeplan Der Hilfeplan ist ein Vertrag zwischen Jugendamt und Eltern. Einmal im Jahr gibt es ein Hilfeplangespräch zwischen den Eltern und Kindern, die eine Hilfe bekommen und den Personen, die helfen (Jugendamt, Pflegeeltern, Kinderheim usw.). Alles Wichtige wird beredet, vereinbart, aufgeschrieben und dann von den beteiligten Erwachsenen unterschrieben. 23 Klarheit: Wozu dienen Kontakte? Für die Kinder: Ihre leiblichen Eltern zu erfahren und zu erleben Für die Eltern: Teilhabe an der Entwicklung ihrer Kinder 24 (c) Irmela Wiemann 8
Gegenseitige Teilhabe am Leben des anderen Erklärung für das Kind: Kinder und Eltern, die früher zusammengewohnt haben, bleiben durch Besuche in Verbindung. Wenn sie nie zusammen gewohnt haben, können sie sich gegenseitig erleben und spüren, wie sie so sind. 25 Was passiert am Besuchstag? An Besuchstagen haben Mädchen und Jungen schöne und schmerzliche Gefühle gleichzeitig. Die Besuchszeit ist eine Ausnahmezeit. Besuchskind oder Besuchseltern zu sein, ist nicht leicht. Eltern und Kinder begegnen sich und müssen wieder Abschied nehmen. Jeder geht wieder in sein Alltagsleben zurück. 26 Trauern über das Getrenntsein von den Eltern Zurückgewiesen fühlen Schuldgefühle Scham Angst, nicht geliebt zu werden Das unbewusste Programm: Werde ich noch einmal fortgegeben? 27 (c) Irmela Wiemann 9
Wohin mit dem Kummer? Die meisten Kinder, die von ihren leiblichen Eltern getrennt wurden, tragen einen Kummer in sich. Manchmal lässt sich der Kummer verscheuchen oder er versteckt sich, klopft leise an oder wird stark und laut. Erlaube dem Kummer, sich hin und wieder zu melden. Sprich mit jemandem darüber. Wenn man dem Kummer im Leben einen Platz gibt, dann kann man auch wieder richtig froh werden. 28 Verstehen lernen: Warum musste das Kind fort von seinen Eltern? Überall auf der Welt gibt es Eltern, die ihre Kinder lieben und trotzdem nicht für sie da sein können. Viele denken: Elternsein, das kann doch jeder. Aber das ist nicht automatisch at so. Menschen e müssen als Kind erlebt haben, wie das alles geht. Nur dann können sie es später. Oft fehlt ihnen auch Geld oder sie sind allein oder sehr krank. Die Kinder können nie etwas dafür! 29 Entbindung und Beauftragung durch die leiblichen Eltern»Deine Mutter wusste, dass sie nicht genug Kraft für ein Kind hatte. Sie wollte, dass du neue Eltern bekommst, die dich lieb haben und Tag und Nacht für dich da sein können.«30 (c) Irmela Wiemann 10
Wenn Eltern das Kind nicht beauftragt haben»manche dieser Mamas und Papas merken selbst nicht, dass sie nicht genug Kraft haben, für ihr Kind das Notwendige zu tun. Es gibt eine Behörde (das Jugendamt), die hat darauf zu achten, dass es Kindern bei ihren Eltern gut genug geht. Wenn Eltern das nicht können, spricht die Frau (der Mann) vom Jugendamt mit den Eltern und versucht ihnen zu helfen. Manche Eltern können es trotzdem nicht lernen, das Nötige für ihre Kinder zu tun. Dann vereinbart das Amt mit den Eltern, dass das Kind zu anderen Menschen kommt. Bei dir war das auch so.«31 Wenn Eltern dem Pflegeverhältnis nicht zustimmen können Du spürst, dass deine Mama nicht froh ist, dass du bei uns bist. Ich kann die Gefühle deiner Mama nachvollziehen. An ihrer Stelle würde es mir womöglich auch so gehen. Du darfst dich trotzdem bei uns zuhause fühlen. Und weißt du was ich glaube? Tief innen gibt es einen Teil in der Mama, da weiß sie, dass es gut ist für dich, bei uns zu sein 32 Grenzen der leiblichen Eltern betrauern Zwei Seiten an den Eltern sehen: Positive Kräfte und Absichten der Eltern benennen und über ihre schmerzlichen Anteile trauern.»wenn das meine Mutter wäre, dann hätte ich sie einerseits lieb, weil sie meine Mutter ist und zugleich täte es mir weh, dass sie so ist wie sie ist.«33 (c) Irmela Wiemann 11
Beschreibung der Drogenabhängigkeit des Vaters Bauchpapa Rudi hat auch bei euch gelebt. Rudi ist drogenabhängig und sehr krank davon. Das heißt: Rudi braucht jeden Tag ein Zeug. Wenn er das nimmt, dann ist er kurze Zeit sehr glücklich. Und ohne das Zeug geht es ihm ganz mies, weil sein Körper davon abhängig ist und immer mehr davon braucht. Und weil er nur an dieses Zeugs denkt, kann er wenig an andere Menschen denken. Und deswegen hat er damals wenig auf dich und deine Schwester aufpassen können. 34 Beschreibung der psychischen Erkrankung der Mutter Deine Bauchmama Karin hat selber eine traurige Kinderzeit gehabt. Manchmal war sie mit ihren Schwestern ganz alleine in der Wohnung und hatte dann Angst. Und immer wieder waren dort andere erwachsene Männer, die alles durcheinandergebracht haben. Karin ist mit ihren Gefühlen ganz krank geworden. Man sagt dazu auch, dass die Seele krank ist. Deswegen ist sie heute noch oft traurig und fühlt keine Freude. Oder sie bekommt Angst auf der Straße und kann dann nicht mehr weitergehen. Oder ihre vielen Gefühle drehen sich so schnell wie eine Waschmaschine im Schleudergang. 35 Bindung und Angst vor Bindung Innerer Kampf zwischen angeborenem Bindungsstreben und Bindungsmisstrauen Bindungsangst wird aus zwei Quellen gespeist: 1. Trauma: Gebunden sein bedeutet Ausgeliefert sein: alles ist aus 2. Frühe Trennung(en) Ergebnis: Hohes Autonomiestreben, 36 (c) Irmela Wiemann 12
Bindungswunsch und Bindungsangst Erklärung für das Kind Wenn ein Kind, so wie Du, von seinen Eltern und Geschwistern getrennt wurde, kann man sich vorstellen, dass sein Herz zwei Kammern hat. Die Tür der einen Kammer ist offen für neue Liebe. An der Tür der anderen Kammer steht: Eintritt verboten! Vielleicht traust Du Dich, diese zweite Tür erst ein wenig und dann immer mehr zu öffnen? 37 Positive Identitätsfindung Wortstamm von Identität: Lateinisch: Idem = derselbe Identifizieren, Identifikation = Wiedererkennen, Übereinstimmen Wenn Mütter oder Väter in ihrem Leben Schwierigkeiten haben oder Fehler gemacht haben, dann glauben manche Kinder, sie könnten später auch so werden. Die Eltern kamen aber nicht mit ihren Fehlern auf die Welt. Sie haben Dir viele gute Anlagen mitgegeben. Etwas in ihrem Leben ist passiert, dass sie später nicht das Richtige tun konnten. 38 Stärken des Kindes mit seinen leiblichen Eltern verbinden Deinen Körper, deine Haut, deine Haare, deine Augen, deine Hände, deine Füße, dein Gesicht, alles hast du von ihnen bekommen Du hast von ihnen deine Begabung im Tanzen und Turnen und im Sport, deine Musikalität, dein Temperament, deine Lebensfreude 39 (c) Irmela Wiemann 13
Hilfen bei der Identitätsentwicklung Du bist eine neue Mischung aus leiblicher Mutter und leiblichem Vater und damit ein neuer einmaliger Mensch Du hast ganz viel abgeschaut und übernommen von lieb gewonnenen Menschen hat Du kannst aus allem etwas ganz Neues gestalten! Und jeder Mensch entwickeln sich im Lauf seines Lebens immer weiter 40 Frieden schließen mit dem besonderen Schicksal Vielleicht kannst Du eines Tages lernen, in deinen Eltern nicht nur die Eltern zu sehen, die dir zu wenig Eltern sein konnten sondern seelisch verletzte Menschen, die durch bittere Lebensereignisse so geworden sind Vielleicht kannst Du Deinen leiblichen Eltern tief innen in Trauer erlauben, dass sie damals keinen anderen Weg wussten Sie haben Dir Dein Leben gegeben. Nimm es und mache das beste daraus 41 Schlussbemerkung Teilhabe: Einbezug von Kindern in die bedeutenden Zusammenhänge des Lebens Information, Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen Beziehungen von Mensch zu Mensch und nicht von oben nach unten Mitwirkung und Verstehen Die Möglichkeit, Klarheit zu gewinnen und gestärkt in die Zukunft zu gehen 42 (c) Irmela Wiemann 14
Mehr über seelisch verletzte Kinder: 43 Biografiearbeit 44 Mehr zum Thema 45 (c) Irmela Wiemann 15
Kinderratgeber: 46 (c) Irmela Wiemann 16